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Minona Blümchen

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Textdaten
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Autor: Hermann Marggraff
Illustrator: Carl Hermann Schmolze
Titel: Minona Blümchen
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 27, S. 19–21.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: UB Heidelberg, Commons
Kurzbeschreibung:
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Minona Blümchen,
die unermüdliche Briefschreiberin.

Hier ein Blatt aus dem Lebensbuche eines meiner Bekannten. Er hatte eine ältere Freundin, um so zu sagen eine Ehrenfreundin (wie es Ehrendamen giebt) Minona Blümchen. Sie war eine bemittelte Wittwe, in den Classikern belesen, durch das Conversationslexicon gebildet, trotz ihren hohen Jahren etwas sentimental. Namentlich war er dazu verpflichtet, ihr neu erschienene Bücher zur Lektüre vorzuschlagen, solche zu verschaffen und überhaupt dies und jenes zu besorgen. Den Tag, wo sie keinen Auftrag ertheilt, keinen Brief geschrieben, hielt sie für verloren, und mein Bekannter war gutwillig genug, sich ihr zur Befriedigung dieser Liebhaberei dienstwillig herzugeben. Er wohnte in der Hauptstadt, sie in Rosenloch, einem vielbesuchten, als Vergnügungsort beliebten und angesehenen Landstädtchen in der Nähe der Residenz. Die Briefcommunication war somit durch Posten, Landkutschen, Landboten, ankommende und abgehende Bekannte ungemein gefördert.

Der Inhalt der Briefe gestaltete sich beispielsweise etwa folgendermaßen.


Rosenloch, den 1. Mai.

Der Wonnemond, theuerster Freund, ist wie eine junge Rosenknospe aufgebrochen. Wie bedauere ich Sie in Ihrer großen Stadt, wo Sie einen stundenlangen Weg brauchen, um zu wissen, daß Frühling ist. Hier in Rosenloch tritt man, um so zu sagen, mit jedem Schritte auf den Frühling. Die Bäume grünen, die Blumen blühen und die Vögel singen. Ich gehe täglich spazieren, Vor- und Nachmittags, denn ich bekenne meine Schwäche, eine Freundin der Naturschönheiten zu sein. Wenn ich Sie und die Natur nicht hätte, so stände ich ja Mutterseelen allein. Da sitze ich denn bei dem künstlichen Wasserfalle auf einem der großen bemoosten Felssteine, achte der Tropfen nicht, die auf mein Gewand spritzen, und lese in irgend einem der schönen Bücher, die ich durch Ihre gütige Vermittlung erhalte.

Apropos! Ich bin in Verlegenheit um einen Sommerhut, wie ihn die Mode vorschreibt. Nicht wahr, theuerster Freund! Sie besorgen mir einen solchen? Sie kennen ja Madame Strusel, sie war neulich hier in Rosenloch, und trug einen Sommerhut, der mir außerordentlich wohl gefiel. Sie wird Ihnen sagen, in welchem Gewölbe Sie einen solchen erhalten können. Nicht wahr, Sie haben die Güte? Mit Geist und Herz

Ihre Freundin Minona Blümchen.


Rosenloch, den 3. Mai.

Herzlichen Dank Ihnen, theuerster Freund! für die prompte Besorgung. Der Sommerhut hat ganz meinen Beifall. Beiliegend erfolgt auch die Auslage mit herzlich wiederholter Darlegung meines innigsten Dankgefühls, auch ein Paar Vergißmeinnicht, welche ich mit eigner Hand hinter unserm Hause gepflückt habe. Ich habe mir dabei, mit Respekt zu sagen, die Füße erkältet, indem ich in das trügliche Blumenufer des Grabens hinunterglitt. Der Husten, den ich mir dabei geholt, macht mich unendlich glücklich, weil ich mir ihn für Sie geholt habe.

Beglücken Sie doch einmal Rosenloch mit Ihrer schätzbaren Gegenwart! Auch darf ich Sie wohl bitten, mir ein Tütchen mit Malzzucker gegen meinen Husten zu besorgen. In unserm

[20] armseligen Rosenloch ist so etwas leider nicht aufzutreiben. Armselig, sage ich? O nein, wir sind hier unendlich reich, denn der Mai überschüttet uns mit seinen reichlichsten Gaben. Fliegen Sie hieher in die Arme der Natur, eine Matrone wie ich darf leider nicht sagen in die Arme Ihrer Freundin

Minona.



Rosenloch, den 6. Mai.

Sie verpflichten mich unendlich durch die schnelle, gütige Besorgung meiner Aufträge, womit ich Sie zu belästigen so dreist bin. Vielleicht gewährt es Ihnen eine Genugthuung, wenn ich bekenne, daß mir der Malzzucker außerordentlich wohlgethan, und mir meine in Ihrem Dienst leidend gewordene Brust wesentlich erleichtert hat.

Aber wie soll ich es deuten, daß Sie den Malzzucker nicht mit einigen Zeilen begleitet haben? Ich wundere mich, daß er trotzdem doch seine Wirkung gethan hat, denn ich war wie vom Schlage gerührt, als ich das Schächtelchen öffnete und darin nichts als den Zucker fand. Nicht wahr, böser Mann, Sie haben keine Zeit übrig gehabt, an Ihre Sie so hochschätzende Minona einige Zeilen zu richten? Ich weiß ja, Sie haben so viele Geschäfte, da muß ich armes Wesen schon zurückstehen.

Die Schönheiten der Natur in und um Rosenloch nehmen immer mehr überhand. Da wird auch Minona zur Dichterin und macht folgenden Vers:

Ach, wie schön die Vögel singen,
Ach, wie schön die Blumen blühn!
Ja, das muß wohl Freude bringen,
Hätte ich nur Ihn, ja Ihn!

Mit dem Ihn meine ich Sie, theuerster Freund! denn was hilft aller Reiz, alle Schönheit der Natur, wenn man den Genuß nicht mit einem Freunde theilen kann, dessen edles, reines Herz den Wirkungen der schönen Natur geöffnet ist? Die Menschen in Rosenloch sind so kalt, so engherzig! Kommen Sie doch ja einmal nach Rosenloch herüber, um den Naturgenuß mit mir zu theilen, denn mir allein ist er zu stark.

Walter Scotts Ivanhoe, Kosegartens Jucunde, Tiedge’s Urania (bereits zum zwölftenmale gelesen), Goethe’s Wahlverwandtschaften, Heine’s Buch der Lieder, Strauß’s Glockenklänge, Sue’s Mysterien folgen hierbei mit größtem Dank zurück. Darf ich Sie wohl um andere gleich interessante Bücher ersuchen?

Minona.


Rosenloch, den 7. Mai.

In der größten Besorgniß setze ich mich an den Schreibtisch, und ergreife die Feder, diese Vertraute meines Herzens, um Ihnen meine Angst und meinen Kummer auszudrücken.

Noch immer keine Antwort, nicht einmal auf meinen wichtigen Brief von gestern. Sind Sie verreist? Sind Sie krank? Sind Sie meiner überdrüßig? Haben Sie die zurückgesandten Bücher erhalten? Wollen Sie die Güte haben mir neue zu besorgen? Ist Ihnen unser Rosenloch so zuwider geworden, daß Sie es selbst absichtlich zu meiden scheinen? Ach, was hätte ich nicht Alles zu fragen; aber immer hoffte ich auf ein paar Zeilen von Ihrer geistreichen Feder; jetzt werfe ich diese wenigen Worte auf’s Papier, und fort mit ihnen auf die Post; sonst kommen sie zu spät. Ihre mütterlich besorgte

Minona.


Rosenloch, den 8. Mai Vormittags.

Was soll ich denken? Noch immer keine Antwort! Sollte Ihre Freundschaft wirklich –? Schrecklicher Gedanke –! Ihnen zur Strafe nur diese paar Zeilen.

Minona.


Rosenloch, den 8. Mai Nachmittags.

Meine Angst wächst! Theurer, theuerster Freund! habe ich Sie irgendwie beleidigt? Sind Sie krank? Nur um ein Paar Worte bittet flehentlichst

Minona.


Rosenloch, den 8. Mai Abends.

Es ist bereits Abend – und noch immer kein Brief! Ich bin in Verzweiflung, Worte habe ich nicht mehr, sondern nur noch Gefühle. Die in Angst und Schmerz als treue Freundin so oft erprobte Feder versagt mir dießmal ihren Dienst. Erhalte ich morgen kein Lebenszeichen von Ihnen, so bin ich übermorgen. trotz des herrlichen Wetters und der schönen Gegend von Rosenloch, in.der Hauptstadt, um vielleicht das mir ach so Schreckliche zu vernehmen, daß Ihre Freundschaft für mich erkaltet ist. Ihre in Angst und banger Erwartung sich verzehrende

mütterliche Freundin Minona.



Diese Drohung dünkte meinem Bekannten doch zu gefährlich; es blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Abneigung gegen das Briefschreiben zu überwinden, und seiner zarten Freundin die Versicherung zu ertheilen, wie sehr er fortdauernd ihr Freund sei, und wie nur die dringendsten Geschäfte ihn abhalten konnten, ihre freundlichen Zeilen pflichtgemäß zu erwidern. Den Sommer, den Frühherbst durch war er ein sehr geplagter Mann; er erhielt täglich von Minona Blümchen Briefe und Aufträge, manchen Tag mehrere; sein ganzer Papierkorb, trotz des Verbrauchs an Fidibus, war von unten bis oben mit Billetchen von Madame Blümchen angefüllt.

Gegen den Winter hin bezog Minona ein Quartier in der [21] Stadt. Mein Freund hoffte, von jetzt an wenigstens minder belästigt zu sein. Vergebene Hoffnung! die Plage nahm bis zum Unerträglichen überhand. Bald brachte der Briefbote, bald ein eigens für die Besorgung von Briefschaften bezahlter Laufbursche, bald die Hausmagd ein zierliches in der Geheimkanzlei der Madame Blümchen ausgefertigtes Billetchen. Auch Andere litten unter dieser Manie der seltsamen Frau, keiner aber in so unleidlichem Maße, als mein bejammernswerther, nur allzuwillfähriger Freund. Zum Frühkaffee fragte die Dame an, wie er geschlafen, und verband damit einen Strauß Blumen und zugleich eine Kritik des Buches, mit dessen Lektüre sie sich am Abend vorher beschäftiget hatte; gegen 11 Uhr war irgend ein Auftrag zu besorgen oder ein Buch abzuholen: Nachmittag drückte sie ihren Wunsch aus, daß ihm das Mittagessen wohl bekommen sein möge; Abends wünschte sie ihm einen gesunden Schlaf und einen angenehmen Traum u. s. f.

Endlich ergriff mein Freund die sich darbietende Gelegenheit, ein Quartier in dem von Madame Blümchen bewohnten Hause zu beziehen, ihr täglich im Vorübergehen zu verschiedenen Zeiten die Aufwartung zu machen, und sich persönlich nach ihrem Befinden und ihren Aufträgen zu erkundigen. Auch dieses heroische Mittel verfehlte seinen Zweck. Kaum wieder auf seinem Zimmer angelangt, wurde ihm auch ein Brief eingehändigt, vielleicht des Inhaltes:

Ihr in unsrer letzten leider nur allzu kurzen Unterredung gethaner geistreicher Ausspruch, theuerster Freund! daß nämlich die Menschen sich so oft mißverstehen, weil sie einander zu verstehen sich nicht die Mühe geben, hat mich eine Viertelstunde lang ungemein beschäftiget. Sie haben vollkommen Recht: die Menschen mißverstehen sich darum so häufig, weil sie einander zu verstehen nicht die Mühe geben. Ach, und es ist doch eine so süße, leichte und angenehme Mühe! Man braucht sich ja nur in einander hineinzuleben, um sich verstehen zu wollen. Was man will, das kann man auch, wie Sie so treffend bemerkten. Leider habe ich das Unglück, daß man mich nur zu oft mißversteht und verkennt, daß man mich falsch beurtheilt. Sie allein, theuerster Freund! mißkennen mich nicht; Sie haben meine leisesten Herzensregungen belauscht; Sie horchen auf das zarteste Klopfen meines Herzens, auf den geheimsten Ton, den die Saiten meiner Seele von sich geben. Mein Gemüth liegt offen vor Ihnen da, wie dieser Brief, welchen Sie so eben entfaltet haben. Darum Dank, heißesten Dank Ihnen, mein verständiger zartfühlender Freund! Ihre

Minona.

Oder der Bursche brachte eine Feder und folgendes Billet: Zürnen Sie mir nicht, theuerster Freund! wenn ich Sie in Ihren wichtigen Geschäften unterbreche, und Sie mit der prosaischen Bitte belästige, mir die beifolgende Feder zu corrigiren, da ich damit nicht zu Stande kommen konnte. Ich bitte aber: keinen zu langen Spalt! – Ach, warum braucht der Mensch überhaupt Federn, um seine innersten Empfindungen denen mitzutheilen, die er liebt und versteht? Warum hat es der Schöpfer in seiner Weisheit nicht angeordnet, daß die Gedanken zärtlich fühlender Seelen sich auf dem Wege der bloßen Sympathie einander mittheilen? Sie glauben gar nicht, theuerster Freund, wie ungerne ich Briefe schreibe, wie sehr sie mich quälen und anstrengen, und doch sind sie mir nothwendig als die fliegenden Boten meiner Gefühle, als die rasch hin und wieder schießenden Sternschnuppen meiner Gedanken. Wann sehen wir uns wieder? Im Geist und in der Wahrheit Ihre Freundin

Minona.

Später ist mein Freund nach Nordamerika ausgewandert, wie ich vermuthe, nur um dieser ihn unablässig plagenden Correspondenz zu entgehen. Minona war trostlos. Ihre vielen Briefe blieben unerwidert. Bald darauf starb sie. Der Gram um ihren hartherzigen Freund mochte ihr das Herz gebrochen haben; sie welkte hin wie ein Vergißmeinnicht im Sonnenbrande.