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Migräne

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Textdaten
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Autor: Enoch Heinrich Kisch
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Titel: Migräne
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 522–524
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Migräne.
Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.

Eine charakterlose Krankheit, bei der man nicht gesund und nicht krank ist!“ Dies Wort des Dichters Heine, mit welchem er seinem Unmuthe über einen Schnupfen Ausdruck gab, läßt sich mit vollem Fug und Recht auch auf die Migräne anwenden. Wiewohl keine jener Krankheiten, welche den menschlichen Organismus in seinem Bestande gefährden und durch ihren Verlauf ernstlich das Leben bedrohen, bildet sie doch eine höchst qualvolle Gesundheitsstörung, eines der verbreitetsten, aber auch hartnäckigsten und peinlichsten Nervenleiden, die unsere durch die vorschreitende Kultur immer feinfühligere Generation plagen.

Wer kennt nicht, zum mindesten vom Hörensagen aus Bekanntenkreisen, die Qualen, welche die Migräne bereitet, jene eigenthümliche Empfindung von Kopfschmerz, grundverschieden von dem gewöhnlichen, leicht erträglichen und leicht verschwindenden Kopfweh, indem sie zumeist nur die eine Hälfte des Kopfes betrifft und in periodischen Anfällen auftritt, die sich durch viele Jahre, zuweilen die ganze Lebensdauer hindurch, von Zeit zu Zeit, nicht an bestimmte Regel gebunden, wiederholen! Aber gar manche unserer Leser und Leserinnen wissen wohl aus höchst unliebsamer eigener Erfahrung von den Qualen dieser Anfälle zu erzählen. Denn die Migräne ist in sehr vielen Familien zu Hause und nicht selten haben alle Familienmitglieder von ihr zu leiden, allerdings in ganz besonders bevorzugter Weise die weiblichen Angehörigen, zuweilen von dem kleinen Mädchen angefangen, das in der Schule von diesem Nervenleiden befallen wird, bis hinaus zur Großmutter, welche noch immer hie und da ihr altgewohntes Migräneanfällchen bekommt. Wie bei den meisten Nervenerkrankungen giebt sich auch bei der Migräne eine erbliche Familienbelastung kund, welche in einer von den Eltern auf die Kinder und Kindeskinder übergehenden Schwäche der Nervenapparate besteht und es zu Wege bringt, daß unter bestimmten, die allgemeine Nervosität begünstigenden und fördernden Einflüssen auch jenes specielle Nervenleiden zur Entwicklung gelangt und in die Erscheinung tritt.

Solche die Entstehung der Migräne fördernde Momente giebt es viele und mannigfache. in der Jugend das langdauernde Stubenhocken in den ungenügend gelüfteten Kinderzimmern oder in den von Kindern überfüllten Schulräumlichkeiten, die Ueberbürdung mit geistigen Arbeiten, welche das Gehirn und das gesammte Nervensystem allzu sehr in Anspruch nehmen; weiter in den Jahren der körperlichen Entwicklung, bei den heranwachsenden Mädchen unzweckmäßige Art der Ernährung und mangelhafte Bewegungsweise, wodurch dem Körper kein hinlänglich kräftiges, sauerstoffreiches Blut zugeführt wird; bei den jungen Männern aber das viele Tabakrauchen, welches die Nerven überreizt, das anhaltend lange Studiren bis tief in die Nacht hinein oder auch, was gleichfalls in den Jünglingsjahren nicht selten sein soll, das nächtliche Kneipen, durch welches die Nervenkraft gar rasch abgenutzt und aufgerieben wird, endlich auf der Höhe der Lebensjahre die mannigfachen Angriffe, welche das Nervensystem im Getümmel der Arbeit, in der Thätigkeit des Berufes wie in den Vergnügungen der Gesellschaft, kurz allenthalben und immer während des hastigen Lebenserwerbes und raschen Lebensgenusses der Gegenwart zu erdulden hat.

So kommt es, daß das Migräneleiden in jedem Lebensalter vorkommen kann, zumeist aber in dem jugendlichen Lebensabschnitte und in den Jahren bis zu Fünfzig vorherrscht, und leicht begreiflich ist es auch, daß das Weib, dessen Erbübel ja die Schwäche ist, am häufigsten davon betroffen wird. Wenn das Leben seine Höhe überschritten hat, die Nerven ruhiger und abgestumpfter geworden sind, dann werden in der Regel auch die Migräneanfälle viel seltener und treten minder quälend auf.

Die Ursachen, welche den unmittelbaren Anstoß zur Auslösung eines Migräneanfalles bei den mit diesem Leiden behafteten Individuen geben, sind sehr mannigfacher Art. Bei dem einen Nervenschwachen bringt eine unerwartete tiefe Gemüthsbewegung, ein heftiger Schreck, ein großer Aerger den Migräneanfall hervor. Bei der anderen nervösen Person wird zuweilen eine reichlichere Mahlzeit, eine leichte Ueberladung des Magens durch den Eintritt jenes Anfalles gebüßt; wiederum in anderen Fällen, besonders bei reizbaren Damen, genügt schon irgend ein beliebiger unangenehmer Eindruck, welcher das Auge, Ohr oder die Nase trifft, um Migräne herbeizuführen.

Der Anfall selbst bietet zumeist ein Bild großer, ja man kann bisweilen sagen, unerträglicher Qualen. Gewöhnlich beginnt er mit einem Gefühle von Eingenommensein des Kopfes, der Empfindung eines dumpfen Schmerzes und peinlichen Druckes in [523] der Schläfengegend der einen Seite, vorwiegend auf der linken Körperhälfte. Von hier strahlt der Schmerz allmählich gegen die Augengegend aus und macht sich im Auge selbst geltend, während zugleich die Intensität der schmerzhaften Empfindung zunimmt und sich als tiefes Bohren, spannendes Drücken, quälendes Hämmern im Kopfe kundgiebt. Die Empfindlichkeit der Nerven für die Sinneseindrücke ist dabei so krankhaft gesteigert, daß jeder Lichtstrahl die Augen blendet, jedes leiseste Geräusch das Ohr peinlich berührt und jede Bewegung im Zimmer ein tiefes Wehe verursacht. Der von Migräne Befallene möchte sich deshalb am liebsten von der Außenwelt ganz abschließen, er sucht einen stillen Raum aus, den er sich verdunkelt, vergräbt seinen Kopf tief in die Bettkissen und will nichts als Ruhe, Ruhe. Zu den peinlichen Kopfschmerzen gesellen sich häufig während des Anfalles noch Uebelkeiten, Magenschmerz, gasiges Aufstoßen und Erbrechen einer wässerigen, galliggefärbten Flüssigkeit. Dieser qualvolle Zustand, welcher manche Aehnlichkeit mit der Empfindung der Seekrankheit hat, dauert bald längere, bald kürzere Zeit, meistens aber einige Stunden, zuweilen einen ganzen Tag, bis allmählich der Schmerz an Stärke einbüßt, die Druckgefühle nachlassen und ein wohlthätiger Schlaf den ermüdeten Körper umfängt. Aber noch am nächsten Tage verrathen oft das blasse Aussehen, die dunklen Ränder um die Augen, die schlaffen Gesichtszüge, die allgemeine Schwäche den Sturm, welchen der Migräneanfall von gestern hervorgerufen.

Ueber das eigentliche Wesen der Migräne herrscht in den ärztlichen Anschauungen noch nicht volle Klarheit; so es ist sogar noch streitig, wo der Sitz des Schmerzes bei Migräne eigentlich sei. Während die einen den sogenannten dreigetheilten Nerven und seine oberflächlichen Verzweigungen für die eigentliche Quelle des Schmerzes halten, nehmen andere an, daß der Schmerz innerhalb des Schädels selbst in den Nerven der Hirnhäute sitze. Zur Aufhellung der Vorgänge bei diesem Leiden haben Beobachtungen beigetragen, welche von mehreren Forschern bezüglich des Verhaltens der Blutgefäße der betroffenen Kopfhälfte angestellt wurden. Man hat nämlich in einigen Fällen eine Verengerung der Blutschlagadern auf der entsprechenden Kopfseite, auf welcher der Schmerz tobte, beobachtet und damit einhergehend eine auffällige Blässe dieser Gesichtshälfte, eine merkliche Kühle der betreffenden Partie und Erweiterung der Augenpupille. In anderen Fällen wiederum bemerkt man im Gegensatze zu der eben hervorgehobenen Erscheinung, daß eine Erweiterung der arteriellen Blutgefäße der betroffenen Kopfhälfte eintritt und hiermit in Verbindung eine starke Röthung und Schwellung dieser Gesichtsseite, vermehrte Schweiß- und Thränenabsonderung, Erhöhung der Temperatur, Verengerung der Augenpupille. Als Ursache der Zusammenziehung der Muskelfasern der Blutgefäße im ersten Falle betrachtet man eine Reizung der im Halssympathicus (der Halspartie des sogenannten sympathischen Nervensystems) verlaufenden gefäßverengenden Nervenfasern und die Erschlaffung der Gefäßmuskelfasern; im zweiten Falle sieht man als solche Ursache eine Lähmung der gefäßverengenden Nervenfasern an.

In vielen Fällen von Migräne scheint das Bauchgangliensystem der Ausgangspunkt der Reizung der Nervenfasern zu sein. Schon in alten Zeiten war es den Aerzten bekannt, daß Störungen der Magenverdauung, der Darmthätigkeit wie der Leberfunktion zu dem Auftreten von Migräneanfällen in einer gewissen Beziehung stehen. Diese Anschauung wurde später als nicht richtig wieder verlassen; aber in der jüngsten Zeit haben sich die Beobachtungen gehäuft, welche den Zusammenhang von Unterleibsstörungen mit der Erregung von Migräne darthun, gleichwie ein solches ursächliches Verhältniß zwischen Leiden der Verdauungsorgane und anderen Neurosen (Nervenleiden) nachgewiesen worden ist. Man müßte dann die Migräne als eine sogenannte reflektorische Nervenerregung betrachten, welche ihr veranlassendes Moment in den krankhaften Zuständen des Magens und Darmkanales, speciell in Darmträgheit hat, indem durch Veränderungen der nervösen Apparate im Darme krankhafte Erregungen dem centralen Nervensysteme auf dem Wege des sympathischen Nerven mitgetheilt werden, welche schmerzhafte Empfindungen (Migräne) auslösen und zugleich eine Reizung oder auch eine Lähmung der im Halssympathicus verlaufenden gesäßverengenden Nervenfasern bewirken.

In der That konnte ich in einer beträchtlichen Reihe von Fällen einen innigen Zusammenhang zwischen chronischer Darmträgheit und Migräne nachweisen und vermochte durch Behebung des ersteren Leidens eine Heilung der letzteren zu erzielen. Namentlich bei Männern und Frauen, welche infolge diätetischer Sünden, zu reichlicher üppiger Kost, sitzender Lebensweise, anstrengender geistiger Arbeiten oder übermäßiger Sinnenreizung die Erscheinungen der Unterleibsblutvölle boten und dabei an halbseitigen Kopfschmerzanfällen litten, welche durch lange Zeit den verschiedensten örtlichen und allgemeinen Behandlungsmethoden trotzten – gelang es, bei dem Gebrauche geeigneter abführender Mittel mit Durchführung zweckmäßiger diätetischer Maßregeln baldige Heilung zu erzielen. In einigen dieser Fälle deuteten auch Unbehaglichkeitsgefühle und schmerzhafte Empfindungen, welche in der Magengrube, in der Blinddarmgegend oder im ganzen Unterleibe dem Ausbruche des Migräneanfalles vorhergingen, auf den angegebenen Zusammenhang hin. Es sei hierbei hervorgehoben, daß sich die Anwendung jener die Unterleibsthätigkeit regelnden Mittel nutzlos erwies, den beginnenden Anfall zu unterdrücken, daß aber ihr methodischer längerer Gebrauch in der Weise, daß dann der Darm regelmäßig und ausreichend seine Schuldigkeit that, auch eine Wiederkehr der Migräneanfälle verhütete. In anderen Fällen ist der Grund der Migräneanfälle ein viel tieferer, in einer Veränderung der Blut- und Säftebestandtheile gelegen. So kann Blutarmuth und Bleichsucht, gleichwie sie den Boden liefern, auf welchem die verschiedensten Nervenleiden üppig gedeihen, auch die Ursache der Migräne bilden. Oder es kann – und ob dies der Fall ist, vermag nur die genaue ärztliche Untersuchung zu entscheiden – die gichtische und rheumatische Krankheitsanlage sich durch periodisch auftretende Kopfschmerzen bekunden, welche das Gepräge der Migräne tragen. Endlich ist die Migräne zuweilen, wenn auch selten, nicht ein selbständiges Nervenleiden, sondern das Symptom einer eigentlichen Erkrankung des Gehirnes.

Die Behandlung der Migräne wird nach dem eben Erörterten ganz besonders auf die Darmfunktion Rücksicht nehmen müssen und, wo sich eine Trägheit des Magens und des Darmes erweisen läßt, auch dahin anregend zu wirken bestrebt sein. Gegen die so außerordentlich häufige Darmträgheit muß man nicht sogleich mit dem schweren Geschütze der arzneilichen Rüstkammer anrücken; oft genug, ja man kann wohl sagen in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle, kommt man mit einer gehörigen konsequenten Regelung der Lebensweise und richtiger Veränderung der Kost, ohne eigentliche Arzneimittel zum Ziele. Die Menge der Speisen bei jeder Mahlzeit muß, entsprechend den Verdauungskräften, geregelt und besonders jedes „zu viel“ vermieden werden. Betreffs der Art und Beschaffenheit der Nahrungsmittel müssen bei chronischer Darmträgheit alle jene Speisen sorgfältig vermieden werden, welche geeignet sind, die regelmäßige Darmentleerung zu beeinträchtigen. Alle groben, schwer verdaulichen, viel Rückstände hinterlassenden Speisen sind als verboten zu betrachten: so besonders Hülsenfrüchte – Erbsen, Linsen, Bohnen – grobe Mehlspeisen, harte, zähe Fleischarten, Kartoffeln, gewisse Fruchtarten, wie Mispeln, Kastanien. Wo auf eine geringe Absonderung der Darmsäfte als Ursache der Darmträgheit geschlossen werden muß, sind solche Nahrungsmittel zu wählen, die viel flüssige Bestandteile enthalten; daher ist Suppe mittags und abends zu genießen, Milch, weißer Kaffee, leicht verdauliche Gemüse, wie Spinat, gelbe Rüben, Blumenkohl, Obst, Kompotte sind empfehlenswert, weiches, junges, mürbes Fleisch mit reichlicher Zuthat von Sauce auszuwählen. Die betreffenden Personen sollen das Bedürfniß der Stuhlentleerung, wenn es sich geltend macht, niemals unterdrücken und müssen sich vielmehr an eine gewisse Regelmäßigkeit dieser Körperfunktion gewöhnen. So ist es sehr zweckdienlich, des Morgens gleich nach dem Erwachen einen Versuch zu unternehmen, den Darm an seine Pflichterfüllung zu mahnen. Thun es die Patienten, so wird ihnen die Freude zu theil, die langgewohnten Flaschen mit Arzneien und Schachteln mit Pillen bei Seite schieben zu können.

Nicht zu vernachlässigen ist dabei eine angemessene körperliche Bewegung, längeres Spazierengehen, Reiten, Turnen. In hartnäckigen Fällen habe ich von zweckmäßiger Massage in Verbindung mit Anwendung des elektrischen Stromes günstige Wirkungen gesehen. Brunnenkuren mit auflösenden Mineralwässern (Marienbad, Karlsbad, Kissingen, Homburg) haben, da sie aus die Darmthätigkeit mächtig fördernd einwirken und in angenehmster Weise eine günstige Veränderung ungeeigneter Lebensgewohnheiten gestatten, oft ausgezeichnete Heilerfolge bei gewissen Fällen von Migräne aufzuweisen.

[524] Bei schwächlichen, blutarmen, in ihrer Ernährung herabgekommenen Individuen, wo die schlechte Blutbeschaffenheit, die zarte Organisation des Körpers und die Mangelhaftigkeit des Nervensystems als veranlassende Momente der Migräne betrachtet werden müssen, ist es zur Behandlung der letzteren unumgänglich notwendig, auf das Grundübel durch blutkräftigende und nervenstärkende Mittel einzuwirken. Eisenpräparate, kräftigende Kost, Aufenthalt in Gebirgsluft oder an der See, kalte Waschungen des Körpers, Seebäder, Stahlbäder, Eisenmoorbäder u. s. w. werden in solchen Fällen passend angewendet, ihre treffliche Wirksamkeit entfalten. Dabei wird mit der körperlichen Kräftigung auch zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des Nervensystems eine passende geistige Diät einhergehen: Vermeidung jeder Aufregung, Anstrengung und Ueberreizung der Nerven.

Wenn in einer nervös veranlagten Familie eines der Eltern an Migräne leidet, muß man, um den Ausbruch dieser Nervenanfälle bei den Kindern zu verhüten, ganz besonders darauf bedacht sein, von frühester Jugend an das kindliche Nervensystem zu kräftigen, es vor Verweichlichung und Verwöhnung zu wahren, andererseits aber geistige Ueberbürdung zu meiden. Besondere Vorsicht in dieser Richtung ist bei Kindern um die Zeit der zweiten Zahnung und in der Periode der Entwickelung des Jünglings und der Jungfrau nothwendig, weil in diesen Lebensabschnitten eine vorzugsweise Neigung zur Ausbildung von Nervenleiden mannigfacher Art sich geltend macht.

Um den Ausbruch des Migräneanfalles zu verhüten oder den bereits aufgetretenen Anfall zu mildern, ist eine große Anzahl von Arzneimitteln, so besonders Chinin, Coffein, salicylsaures Natron, Amylnitrit u. a. m. empfohlen worden. Diese anzuwenden, muß immer dem Arzte vorbehalten werden und kann nicht Sache des Laien sein, der leicht Unheil stiften könnte. Ich betone dies besonders, weil es in letzter Zeit modern geworden ist, sich einfach eines der in den Zeitungen gepriesenen Gegenmittel gegen die Migräne anzuschaffen und im Bedarfsfalle nach Belieben anzuwenden. Ein solches Mittel ist beispielsweise das Amylnitrit, von dem man 1 bis 3 Tropfen auf ein Tuch oder Watte gießt und dasselbe vor die Nase hält. In der That erfolgt hierauf zuweilen ein sofortiges Verschwinden des Schmerzanfalles; allein die Anwendung dieses Mittels ist durchaus nicht gefahrlos; die Einathmung von 1 bis 2 Tropfen desselben erzeugt sogleich stärke Röthung des Gesichtes und der ganzen oberen Körperteile, womit sich Hitzegefühl, eine rauschähnliche Empfindung von Schwere im Kopfe, Steigerung der Herzthätigkeit und Pulsfrequenz verbinden, welche zuweilen Bewußtlosigkeit, Ohnmacht sowie plötzlichen Stillstand des Herzens zur Folge haben.

Nicht selten gelingt es, durch einfache Mittel eine gewisse Linderung im Schmerzanfalle herbeizuführen. So verschafft zuweilen die Anwendung von Kälte, das Auflegen eines feuchtkalten Tuches oder eines mit Eisstückchen gefüllten Gummibeutels auf den Kopf Milderung des Schmerzes, in anderen Fällen ist solche Wirkung nur durch Wärme zu erzielen. Oefter empfinden die vom Migräneanfalle Betroffenen es wohltuend, wenn man ihnen ein Tuch recht fest um den Kopf herumbindet und dadurch einen kräftigen, tiefen Druck bis auf die Schädelknochen ausübt. Auch der Genuß einer Taste starken schwarzen Kaffees oder recht heißen Thees und die hierdurch erfolgende reichliche Schweißerregung vermag manchmal Erleichterung zu verschaffen. Es giebt allerdings auch Migräneanfälle gewisser verwöhnter Damen, welche ebenso rasch wie sicher durch ein – neues Kleid oder eine Ballkarte zu kuriren sind; doch diese Art nervöser Anfälle gehört nicht in den Rahmen meiner Betrachtung, welche es nur mit Krankheiten, nicht aber mit Ungezogenheiten zu thun haben will.