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Merkwürdige Gespenster-Geschichte

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Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Merkwürdige Gespenster-Geschichte
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 164-169
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[164]
Merkwürdige Gespenster-Geschichte.

Verwichenen Herbst fuhr ein fremder Herr durch Schliengen, so ein schöner braver Ort ist. Den Berg hinauf aber gieng er zu Fuß wegen den Rossen, und erzählte einem Crenzacher folgende Geschichte, die ihm selber begegnet ist.

Als der Herr ein halbes Jahr vorher nach Dännemark reiste, kommt er auf den späten Abend in einen Flecken, wo nicht weit davon auf einer Anhöhe ein sauberes Schlößlein stand, und will übernacht bleiben. Der Wirth sagt, er habe keinen Platz mehr für ihn, es werde morgen Einer gerichtet, und seyen schon drey Scharfrichter bey ihm übernacht. So erwiedert der Herr: „Ich will denn dort in das Schlößlein gehen. Der Zwingherr, oder wem es angehört, wird mich schon hinein lassen und ein leeres Bett für mich haben.“ Der Wirth sagt: „Manch schönes Bett, mit seidenen Umhängen, steht aufgeschlagen in den hohen Gemächern; und die Schlüssel hab ich in Verwahrung. Aber ich will es euch nicht rathen. Der gnädige Herr ist schon vor einem Vierteljahr mit seiner Frau und mit dem Junker auf eine weite Reise gezogen, und seit der Zeit wüthen im Schlößlein die Gespenster. Der Schloßvogt und das Gesinde konnten nimmer bleiben; und wer seitdem in [165] das Schlößlein gekommen ist, der geht zum zweytenmal nimmer hinein.“ Darüber lächelt der fremde Herr; denn er war ein herzhafter Mann, der nichts auf die Gespenster hielt, und sagt: Ich wills versuchen. Trotz aller Widerrede, mußte ihm der Wirth den Schlüssel geben: und nachdem er sich mit dem Nöthigen zu einem Gespenster-Besuch versehen hatte, gieng er mit dem Bedienten, so er bey sich hatte, in das Schloß. Im Schloß kleidete er sich nicht aus, wollte auch nicht schlafen, sondern abwarten was geschieht. Zu dem Ende stellte er zwey brennende Lichter auf den Tisch, legte ein paar geladene Pistolen daneben, nahm zum Zeitvertreib den rheinländischen Hausfreund, so in Goldpapier eingebunden an einem rothen seidenen Bändelein unter der Spiegelrahme hieng, und beschaute die schönen Bilder. Lange wollte sich nichts spüren lassen. Aber als die Mitternacht im Kirchthurm sich rührte, und die Glocke 12 schlug, eine Gewitterwolke zog über das Schloß weg, und die großen Regentropfen schlugen an die Fenster, da klopfte es dreymal stark an die Thüre, und eine fürchterliche Gestalt, mit schwarzen schielenden Augen, mit einer halbellenlangen Nase, fletschenden Zähnen, und einem Bocksbart, zottig am ganzen Leib, trat in das Gemach, und brummte mit fürchterlicher Stimme: „Ich bin der Großherr Mephistopholes. Willkomm in meinem Palast! und habt Ihr auch Abschied genommen von Frau und Kind!“ Dem fremden Herrn fuhr ein kalter Schauer vom großen Zehen an über den Rücken hinauf, bis unter die Schlafkappe, und an den armen Bedienten darf man gar nicht denken. Als aber der Mephistopholes [166] mit fürchterlichen Grimassen und hoch gehobenen Knieen gegen ihn herkam, als wenn er über lauter Flammen schreiten müßte, dachte der arme Herr: In Gottes Namen, jezt ist’s einmal so, und stand herzhaft auf, hielt dem Ungethüm die Pistole entgegen, und sprach: „Halt, oder ich schieß!“ Mit so etwas läßt sonst nicht jedes Gespenst sich schrecken, denn wenn man auch schießen will, so gehts nicht los, oder die Kugel fährt zurück und trifft nicht den Geist, sondern den Schütz. Aber Mephistopholes hob drohend den Zeigefinger in die Höhe, kehrte langsam um, und gieng mit eben solchen Schritten, als er gekommen war, wieder fort. Als aber der Fremde sah, daß dieser Satan Respekt vor dem Pulver hatte, dachte er: Jezt ist keine Gefahr mehr, nahm in die andere Hand ein Licht, und gieng dem Gespenst, das langsam einen Gang hinabschritt, eben so langsam nach, und der Bediente sprang, so schnell er konnte, hinter ihm zum Tempel hinaus, und ins Ort, dachte, er wolle lieber bey den Scharfrichtern übernacht seyn, als bey den Geistern. – Aber auf dem Gang, auf einmal, verschwindet der Geist vor den Augen seines kühnen Verfolgers, und war nicht anderst, als wär er in den Boden gesunken. Als aber der Herr noch ein paar Schritte weiter gehen wollte, um zu sehen, wo er hingekommen, hörte auf einmal unter seinen Füßen der Boden auf, und er fiel durch ein Loch hinab, aus welchem ihm Feuerglast entgegen kam, und er glaubte selber, jezt geh es an einen andern Ort. Als er aber ungefähr zehen Fuß tief gefallen war, lag er zwar unbeschädigt auf einem Haufen Heu, in einem unterirdischen Gewölb. [167] Aber sechs curiose Gesellen standen um ein Feuer herum, und der Mephistopholes war auch da. Allerley wunderbares Geräthe lag umher, und zwey Tische lagen gehauft voll funkelnder Rößleins-Thaler, einer schöner als der andere. Da merkte der Fremde wie er daran war. Denn das war eine heimliche Gesellschaft von Falschmünzern, so alle Fleisch und Bein hatten. Diese benutzten die Abwesenheit des Zwingherrn, legten in seinem Schloß ihre verborgene Münzstöcke an, und waren vermuthlich von seinen eigenen Leuten dabey, die im Haus Bericht und Gelegenheit wußten; und damit sie ihr heimlich Wesen ungestört und unbeschrieen treiben konnten, fiengen sie den Gespensterlärmen an, und wer in das Haus kam, wurde so in Schrecken gesezt, daß er zum zweytenmal nimmer kam. Aber jezt fand der verwegene Reisende erst Ursache, seine Unvorsichtigkeit zu bereuen, und, daß er den Vorstellungen des Wirths im Dorf kein Gehör gegeben hatte. Denn er wurde durch ein enges Loch hinein in ein anderes finsteres Gehalt geschoben, und hörte wohl, wie sie Kriegsrecht über ihn hielten, und sagten: „Es wird das Beste seyn, wenn wir ihn umbringen.“ Aber Einer sagte noch: „Wir müßen ihn zuerst verhören, wer er ist, und wie er heißt, und wo er sich herschreibt.“ Als sie aber hörten, daß er ein vornehmer Herr sey, und nach Koppenhagen zum König reise, sahen sie einander mit großen Augen an; und nachdem er wieder in dem finstern Gewölb war, sagten sie: „Jezt steht die Sache schlimm. Denn wenn er vermißt wird, und es kommt durch den Wirth heraus, daß er ins Schloß gegangen ist, und ist nimmer herausgekommen, so [168] kommen über Nacht die Husaren, heben uns aus, und der Hanf ist dieß Jahr wohl gerathen, daß ein Strick zum Henken nicht viel kostet.“ Also kündigten sie dem Gefangenen Pardon an, wenn er ihnen einen Eid ablegte, daß er nichts verrathen wolle, und drohten, daß sie in Koppenhagen wollten auf ihn Achtung geben lassen; und er mußte ihnen auf den Eid hin sagen, wo er wohne. Er sagte: Neben dem wilden Mann linker Hand in dem großen Haus mit grünen Läden. Darnach schenkten sie ihm Burgunder-Wein ein zum Morgentrunk, und er schaute ihnen zu, wie sie Rößlein-Thaler prägten bis an den Morgen. Als aber der Tag durch die Kellerlöcher hinab schien, und auf der Straße die Geißeln knallten, und der Kühhirt hürnte, nahm der Fremde Abschied von den nächtlichen Gesellen, bedankte sich für die gute Bewirthung, und gieng mit frohem Muthe wieder in das Wirthshaus, ohne daran zu denken, daß er seine Uhr und seine Tabackspfeife, und die Pistolen habe liegen lassen. Der Wirth sagte: „Gottlob, daß ich Euch wieder sehe, ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können. Wie ist es Euch gegangen?“ Aber der Reisende dachte: Ein Eid ist ein Eid, und um sein Leben zu retten, muß man den Namen Gottes nicht mißbrauchen, wenn mans nicht halten will. Deswegen sagte er nichts, und weil jezt das Glöcklein läutete, und der arme Sünder hinausgeführt wurde, so lief alles fort. Auch in Koppenhagen hielt er nachher reinen Mund, und dachte selber fast nicht mehr daran. Aber nach einigen Wochen kam ab der Post ein Kistlein an ihn, und waren darin ein paar neue, mit Silber eingelegte Pistolen [169] von großem Werth, eine neue goldene Uhr mit kostbaren Demant-Steinen besetzt, eine türkische Tabackspfeife, mit einer goldenen Kette daran, und eine seidene mit Gold gestickte Tabacksblase, und ein Brieflein drinn. In dem Brieflein stand: „Dies schicken wir Euch für den Schrecken, so Ihr bey uns ausgestanden, und zum Dank für Euere Verschwiegenheit. Jetzt ist alles vorbey, und Ihr dürft es erzählen, wem Ihr wollt.“ Deßwegen hats der Herr dem Crenzacher erzählt, und das war die nemliche Uhr, die er oben auf dem Berg herauszog, als es in Hertingen Mittag läutete, und schaute, ob die Hertinger Uhr recht geht, und sind ihm hernach im Storken zu Basel von einem französischen General 75 neue Dublonen darauf geboten worden. Aber er hat sie nicht drum geben.