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Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien/Der siebende Brieff

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« Sechster Brieff Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien Fortsetzung »
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[26]
Der siebende Brieff,
An einen guten Freund ausser Berlin.

[vom 16. Oktober 1706]

Darinnen nebst einigen neuen Umständen der Inhalt voriger Briefe grossen theils kürtzlich zusammen gefasset ist.

Immanuel!
In unserm Heylande JEsu Christo sehr werthgeschätzter Gönner und Freund!

NAchdem ich nebst meinem Mit-Collegen, Herrn Heinrich Plütschau, durch die grosse Gnade und Barmhertzigkeit Gottes nunmehro glücklich allhier angelanget bin, und auch schon einige Zeit unter hiesigen Malabarischen Heiden meinen Umgang gehabt, also, daß ich ziemlicher massen eines Theils die grosse Schwierigheit, andern Theils aber gleichwol auch die Möglichkeit des jenigen [27] End-Zwecks einsehen können, wozu wir eigentlich von Ihro Königlichen Majestät zu Dennemarck hieher gesendet worden: so hab ich diese grosse Gnade[1] GOttes unter andern auch demselben nicht verschweigen sollen sondern Ihm hiermit eine Gelegenheit, GOtt nebst uns zu preisen, geben wollen; in Hoffnung, daß zugleich auch andere wehrte Gönner und lieben Freunde daselbsten, sich zum Lobe GOttes hiedurch werden auffmuntern lassen. Wir wurden anfänglich recht niedergeschlagen, und funden, daß alles schon durch das ärgerliche Leben der Christen unter diesen Heiden verderbet worden sey; Uber diß konten wir auch gnugsam verspühren, daß unsere Ankunfft den meisten unter denen Christen, wegen unsers Vornehmens, theils gantz lächerlich vorkam, theils aber ihnen gantz zu wieder war; aber, diesen allen ungeacht, hielten wir doch beständig an im Bitten und flehen bey GOtt, daß selbiger uns eine Thüre öffnen möchte, und sich desto inniger mit seiner Gnade zu uns halten, je weniger Beystand wir von Menschen zu hoffen hätten. Hierauff ließ uns GOtt durch ein Exempel kräfftig getröstet und zugleich versichert werden, daß er sich durch uns allhier unter den Heyden nicht unbezeuget lassen wolle. So bald als wir allhier angelanget, kam ein junger Malabarischer Mensch auff unser Schiff, und fragte uns, ob wir ihn zu unsern Diener annehmen wolten. Wir erkenneten solches für eine Schickung Gottes, und nahmen ihn alsbald zu unsern Diener an. Dieser, nachdem er 8 Tage um uns gewesen und unsern Wandel gesehen hatte, fragte er, ob er nicht beständig bey uns bleiben könte, und dermaleinst auch zugleich mit nach Europa gehen. Wir sagten, daß wir solches wol thun wolten, wenn er sich resolvirte, ein Christ zu werden, und die Teutsche Sprache zu lernen. Hierzu war er gantz willig, verlangte aber vorhero im Christenthum wohl unterrichtet zu werden. Ein mehrers kan Derselbe kürtzlich aus denjenigen Brieffen ersehen, die ich hiervon nach Berlin geschrieben habe; wie er denn auch von vielen andern Umständen von dannen gute Nachricht erhalten wird. Wir hatten alle Tage starcken Zuspruch von denen Heyden, konten aber annoch sehr wenig mit ihnen reden, weil wir uns auff dem Schiffe keiner andern als nur der Dänischen Sprache befleißigen können. Weßwegen wir gleich anfänglich unsere meiste Zeit in Erlernung der Portugiesischen Sprache zubrachten, bis wir endlich nunmehro darinnen schon so weit gekommen sind, daß wir alles darinnen reden, und schrifftlich auffsetzen können, was da zur Beförderung unsers Amtes gereichen möchte. Nachdem haben wir auch die Malabarische Sprache angefangen; wozu wir einen eigenen Schulmeister mit einer kleinen Schule in unserm Hause halten, und hoffen durch die Gnade GOttes gleichfalls darinnen gute Progressen zu thun; haben auch schon eine kleine Instruction von dem Christenthum nebst dem Vater Unser und einem Gebeth um wahre Bekehrung erstlich ins Portugisische auffgesetzet, und nachmals in diese translatiren lassen: welches ich hiemit überschicken wollen. Hierbey haben wir fast täglich Gelegenheit gehabt, diesen Heyden auch mündlich das Evangelium zu verkündigen, wo nicht zu ihrer Bekehrung, dennoch zum Zeugniß, daß ihnen GOtt seine Gnade angebothen hat. Solcher gestalt ist diese kurtze Zeit über [28] beydes unter den Christen als auch Heyden eine starcke Bewegung der Gemühter vorgegangen, also, daß unsere Absicht dem Könige Tranjou auch nicht mehr verborgen seyn kan; indem uns ehmals ein Bedienter von ihm zusprach, mit welchem wir bißhero Briefe gewechselt haben, zu welchen ich auch heute meinen Diener Modaliapan um einer gewissen Sache abgesendet habe. Wir gaben vor wenig Tagen ein Memorial ein, daß uns alle Evangelische Einwohner alhier ihre Sclaven des Tages zwey Stunden möchten zukommen lassen, damit sie im Christenthum erstlich wohl unterrichtet, und hernachmal durch die Tauffe der Gemeinschafft JEsu Christi gewürdiget würden; worauff denn der Hr. Commendant uns selbsten besuchte, und in kurtzem selbige zu überschicken versprach; sintemal er weiß, daß wir einen Schrifftlichen Befehl haben, mit einer jeden Gelegenheit Seiner Königlichen Majestät nach Dennemarck zu schreiben, und Ihm alles nach unserm Gewissen zu berichten, was dieses Werck theils verhindern, theils auch befodern könte. Es sind viel Teutsche alhier, die uns offtmals ersuchet haben, daß wir alle Wochen ein mal predigen möchten, dergleichen uns auch anfänglich der Herr Commendant selbsten aufftrug; aber die Sache findet noch ihre Hinderung; weßwegen wir gesonnen sind, mit der Hülffe Gottes eine kleine Kirche für die Heyden in unserm Hause anzurichten, darinnen in der Portugisischen Sprache, wo nicht geprediget, doch fleißig catechisiret werden möchte: nachdem können wir denn gleichfalls, nach Verlangen, für die Teutschen wöchentlich ein oder zwey mal eine Versammlung anstellen: auff daß man solcher Gestalt Gelegenheit habe beydes unter den Christen, als auch Heyden von der Wahrheit zu zeugen. Und ob wir gleich dabey sehr viele Verfolgungen werden auszustehen haben, so wil dieses doch vielmehr eine erwünschte Beförderung, als eine Hinderung an diesem Wercke des HErrn seyn. Uber diß haben wir uns auch gäntzlich mit Leib und Seele dem HErrn auffgeopffert, und würden dahero in der Krafft des HErrn bereit seyn, die Verkündigung des Evangelii mit unserm Blute zu versiegeln, so uns anders GOtt dergleichen würdigen wolte. Ich gedencke offtmahls an die Worte, die ehmahls Derselbe zu mir redete, als ich mich dazumal schon resolvirte, in ferne Landen mich schicken zu lassen; aber nachmals wegen meiner Unpäßlichkeit verhindert wurde, da er sagte: Wenn man eine Seele unter dergleichen Völckern rechtschaffen zu GOtt führete, so wäre solches eben so viel, als wenn man in Europa hundert gewönne: indem diese täglich genugsame Mittel und Gelegenheit zu ihrer Bekehrung hätten; jenen aber dergleichen mangelten. Hiernächst muntert mich auch sehr auff, was mir der Herr N. bey meinem Abschiede in mein Stamm-Buch geschrieben hat, welches also lautet: Ideo nos facti sumus Christiani, ut plus de futura, quam de hac vita laboremus.[2] Dieses laß ich mir meine tägliche Erinnerung seyn, damit ich nicht müde werden möchte, mein Thun und Lassen beständig auff die unsichtbare Ewigkeit zu richten, und dabey die Welt so wohl in ihrer Herrlichkeit, als auch in ihrer Bitterkeit wenig zu achten. Hierinnen ist denn mit mir gleiches Sinnes mein lieber und getreuer Mitt-Bruder, Herr Heinrich Plütschau, und suchen einander stets [29] dessen zu erinnern, und in vereinigten Gemüthern an der Auffrichtung des Reiches JEsu Christi, so wohl in uns, als auch unter den Heyden zu arbeiten: sind auch versichert, daß GOtt unser Amt allhier nicht ungesegnet seyn, noch uns in unserm Vertrauen wird zu schanden werden lassen. Hierbey getrösten wir uns der gnädigen Verheissungen GOttes, und des Gebeths vieler gläubigen Seelen in Teutschland. Es sind aber diese Malabarische Heyden ein sehr kluges Volck, welche da mit grosser Weißheit wollen gewonnen werden. Sie haben eine accurate Analogie in ihren fabelhafften Glaubens-Sachen. Sie sind von dem zukünfftigen Leben weit kräfftiger überzeuget, als die Atheistischen Christen. Sie haben sehr viel Bücher, von welchen sie sagen, daß sie selbige gleichfals von ihren Göttern empfangen haben, als wie wir die heilige Schrifft. In selbigen sind lauter lustige Historien von ihren Göttern, und ihnen annehmliche Dinge von der zukünfftigen Welt enthalten, also, daß ihnen unser Wort Gottes lauter verdrießliche Sachen vorzutragen scheinet. Sie führen dabey ein sehr stilles, erbares und tugendsames Leben, darinnen sie es aus ihren bloß natürlichen Kräfften denen falschen Christen nicht wenig zuvor thun. Sie haben für ihren Göttern eine grosse Ehrerbietigkeit, also daß, da kürtzlich in der Translation vorkam, wie man Gottes Freunde und Kinder werden könte, unser Schulmeister solches verneinte, und an statt dessen setzen wolte, wie GOTT uns vergönnen möchte, seine Füsse zu küssen. Sie erkennen nur ein einiges Göttliches Wesen, aber solcher gestalt, daß es sich vervielfältiget habe, und theils im Himmel, theils auch auff Erden, zu deren beständigen Unterhaltung und glücklichen Regierung viel Götter eingesetzet. Wir giengen gestern ein wenig ins Land hinein spatziren, und kamen zu einer Pagoden, darinnen ihres grossen GOttes Isparæ Weib, als eine Göttin verehret wird; um selbiger stunden sehr viel aus Porcelin gemachte Götter: Wir, voll Göttlichen Eyfers, stiessen einige um, einigen schlugen wir die Köpffe ab, dabey den armen Leuten zu zeigen, daß solche ohnmächtige und nichtige Götzen wären, die weder sich selbsten, noch viel weniger ihren Dienern einige Hülffe thun könten. Hierauff antwortete uns ein Wathyjan oder Lehrer, daß diese keine Götter, sondern nur Gottes seine Soldaten wären. Wir brachten ihn endlich so weit, daß er es als eine Thorheit erkennen muste, dabey sagende: daß das einfältige Volck, mit Anschauung dergleichen Bilder, stets auff das Zukünfftige müsse gerichtet bleiben. Dergleichen Götzen-Bilder haben wir offte zu tausenden beysammen auff einem Platze gesehen. Ob man sie aber gleich hierinnen überzeuget, daß solches, samt ihrem gantzen Gottes-Dienste falsch sey, so wissen sie doch hinwiederum sehr vieles uns Christen zu zeigen, das mit ihrer Meinung von GOtt nicht bestehen kan; sonderlich haben sie wegen des so gar ärgerlichen Lebens der Christen einen ungemeinen Abscheu für das Christenthum, also daß sie meinen, es sey kein ärger und böser Volck in der Welt anzutreffen, als die Christen. Dahero sie auch offtmahls gefraget, ob sie denn in Europa eben ein so böses Leben führeten, als alhier in Ost-Indien? worauff, wenn wir die eigentliche Wahrheit bekennen solten, sie sich noch schwerlicher zum Christenthum würden bringen lassen. Sie essen und trincken mit keinen Christen, lassen selbige auch nicht in ihre Häuser kommen: und wenn [30] einer von ihnen ein Christe werden will, muß er hiemit zugleich alle seine Güter und gantze Freundschafft verlassen, und der Allerverachteste in ihren Augen seyn. Dieses sind lauter solche Dinge, die an ihrer Bekehrung eine grosse Hinderniß geben. GOtt aber kan durch seine Krafft überschwenglich thun, und hierinnen dasjenige möglich machen, was unsern Augen unmöglich zu seyn scheinet. Indessen wünschen wir, daß uns in äuserlichen zulängliche Mittel möchten zugeschicket werden, daß man hierzu nöthige Anstalten machen, und das Werck mit allem Ernst anfangen könte. Zum fördersten erkennen wir sehr dienlich zu seyn, das von dem Malabarischen hierzu erkaufften Kindern eine Schule angerichtet werde, darinnen solche Subjecta könten zubereitet werden, welche nachmals, wo nicht uns, doch unsern Nachkommen zu dienen tüchtig seyn möchten: wie wir denn schon hievon einen kleinen Anfang gemachet haben. Nebst diesem haben wir im Willens durch Göttlichen Beystand die gantze Christliche Lehre einfältig und deutlich in Portugiesischer Sprache auffzusetzen, und nachmals in die Malabarische translatiren zu lassen; damit durch Abschreibung und Vertheilung sehr vieler Exemplarien selbige unter diesen Heiden bekant werden, und sie hiedurch alle insgesamt eine gnugsame Uberzeugung bekommen möchten, daß GOtt ihre Bekehrung mit allem Ernst gesuchet, und nicht gewolt, daß sie in ihrem Unglauben verderben sollen, etc. Ich bitte, Herrn N, N. N. etc. und Herrn D. N. N. freundlich zu grüssen, desgleichen auch Herrn N. N. und alle andere, die am Wercke des HErrn daselbsten arbeiten. Mein lieber Mitt-Collega, Herr Heinrich Plütschau, wünschet ihnen insgesamt den Segen des HERRN in allen ihren Verrichtungen. Sie beten fleißig für uns! Der Gnade und Liebe JEsu Christi, Sie sammt und sonders ergebend, verbleibe ich, unter dem Schutz des Allmächtigen,


Dessen
In Ost-Indien zu Tranquebar, auf der Küste
von Coromandel. den 16. Octob. Anno 1706.
Zu Gebet und Liebe verbundener
Bartholomæus Ziegenbalg,
Diener des Göttlichen Worts unter den Heiden

  1. Guade Vorlage
  2. [WS: lat.: „Wir sind deshalb als Christen geschaffen, damit wir mehr für das zukünftige als das diesseitige Leben arbeiten.“]