Meine Seele erhebet den Herrn/a) Lehrerin der „Kleinen Schule“
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1857 | Berufung des Vikars Lotze von der Missionsanstalt als Konrektor an die Diakonissenanstalt. Berufung eines eigenen Anstaltsarztes, Dr. Enzler. Eröffnung der Pfründeanstalt im Dorf. Erscheinen des ersten „Korrespondenzblattes der Diakonissen von Neuendettelsau“. Im Spätsommer längere Erkrankung Löhes. |
1858 | 2. Febr. Einsegnung von Fräulein Rehm zur Oberin. Beginn der Paramentik und der Hostienbereitung. Beginn des Betsaalbaues. |
1859 | Beginn der Anstaltsgärtnerei. 24. Dez. Erste Christvesper im Betsaal. |
1860 | Pfingstsonntag: Erster Hauptgottesdienst im Betsaal. Pfingstmontag: Erste Abendmahlsfeier. |
17. Juli–17. September 1860 Suspension Löhes. |
Schon seit 1855 hatte Löhe auf Bitten befreundeter Familien auch unkonfirmierte Töchter aufgenommen, um ihnen Erziehung in kirchlichem Sinn und gute Allgemeinbildung zuteil werden zu lassen. Zugleich war ihm diese „Kleine Schule“ das Übungsfeld für die Diakonissen, die er zu Lehrerinnen ausbilden wollte. Von Seiten des Staates gab es damals weder Höhere Mädchenschulen noch Lehrerinnenbildungsanstalten. Das Schulwesen der Diakonissenanstalt umfaßte bald die „Kleine“ oder „Rote Schule“ für Kinder, die „Grüne Schule“ für konfirmierte Mädchen und die „Blaue Schule“ für angehende Diakonissen. Die Benennungen kamen von dem farbigen Band, das die Schülerinnen oben am schwarzen Sonntagskleid trugen. Die Grüne Schule war in der Anfangszeit eng mit der Blauen Schule verbunden. Am Aufbau des Schulwesens war neben Löhe auch Konrektor Lotze beteiligt, der vorher an einem Knabeninstitut in Thüringen Erfahrungen gesammelt hatte.
Alle Hausbewohner waren in „Riegen“ eingeteilt, d. h. in Gruppen, deren Glieder sich inbezug auf äußere Ordnung und auch innerlich fördern sollten.
Schon bei der Einweihung des Mutterhauses hatte ein „Liebesmahl“ im Betsaal stattgefunden, ein einfaches Abendessen, das die Hausgenossen und Freunde der Anstalt mit Armen aus der Gemeinde vereinte und bei dem angesichts des Altars mit den brennenden Kerzen Lob- und Danklieder gesungen, Bibelworte und geistliche Gedichte vorgetragen wurden. Dieses erste Liebesmahl in Erinnerung an die apostolische Zeit wurde noch manchmal wiederholt, vor allem an Gründonnerstagen.
Im Spätsommer 1857 erlitt Löhe während einer Wochenpredigt eine leichte Berührung. 1858 und 1859 gebrauchte er Karlsbad. Aus verschiedenen Anlässen kam es 1858–1860 zu Spannungen zwischen ihm und der Kirchenleitung. Zwei dieser Anlässe waren die „Salbung“ und die Kinderbeichte; der letzte Anlaß, eine Trauungsverweigerung, führte 1860 zu zweimonatlicher Suspension.
| Die Salbung nach Jak. 5, 14–15 hatte Löhe 1856 einer Kranken im Diakonissenhaus auf deren Bitte erteilt. Einige geistliche Gehilfen Löhes, die vorher belehrten Kirchenvorsteher und einige Diakonissen waren dabei zugegen; man sah nicht das Öl, sondern das Gebet als das Wesentliche an und stellte die Heilung Gott anheim. Die Ordnung jener Feier wurde durch Inspektor Bauer als ein liturgischer Versuch in Nr. 12 des Korrespondenzblattes der Gesellschaft für Innere Mission 1857 veröffentlicht. Weitgehende Entrüstung über das „katholisierende“ Vorgehen Löhes veranlaßte das Kirchenregiment, ihm eine Wiederholung der Salbung ausdrücklich zu untersagen. Das öffentliche Urteil über Löhes Verfahren lautete verschieden. (Siehe Deinzer, Wilhelm Löhes Leben, 2. Band, S. 470.)Die Kinderbeichte war keine allgemeine Einrichtung. Löhe hatte nur gelegentlich im Unterricht gesagt, daß jeder bußfertige und gläubige Mensch absolviert werden könne, auch wenn er noch nicht konfirmiert sei. Geistlich geweckten Kindern in den Schulen des Diakonissenhauses hatte er dann auf ihre Bitte hin Beichte und Absolution gewährt, weil kein Schriftgrund dagegen vorliegt. Auf seine Vorstellungen hin wurde ihm im März 1859 von der Kirchenbehörde gestattet, zu handeln wie bisher. (Siehe Deinzer, Wilhelm Löhes Leben, 2. Band, S. 476 ff.)
Der Osterfriede ziehe ein in Ihr Herz und Haus!
Meine liebe Mutter, ich bin nun schon über acht Tage eingesegnet und habe Ihnen noch gar nicht geschrieben, noch gar nichts erzählt von dem schönen Tage, fast dem schönsten meines Lebens. Nun beginnt ein neuer Lebensabschnitt für mich, eine Zeit des fröhlichen Dienens und Arbeitens im Herrn. Und was ist das für eine Gnade hier dienen zu dürfen, wo man, indem man das wenige, was man hat, andern gibt, selbst so viel empfängt! O liebste Mutter, wie hab ich solche Gnade verdient! Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und aller Treue, die der Herr an mir getan hat. Ich habe mich nun mit allem, was ich bin und habe, in Seinen Dienst gestellt. All meine Arbeit ist nun ein Opfer, das ich Ihm bringe. Als Priester steh ich vor meinem Gott und tue mit allem, was ich tue, eitel priesterlich Werk. Meine Füße sind nun gestellt auf den schmalen Weg, und den werd ich nimmer verlassen, so lange ich lebe. Meine Seele hab ich schon verlobt, und Sein soll sie sein in Ewigkeit.
Die Feierlichkeit der Aussegnung war die gewöhnliche. Wir empfingen auch das heilige Abendmahl. Vier Schwestern wurden mit mir ausgesegnet, eine zu gleichem Berufe wie ich, und drei, um in der hiesigen Blödenanstalt zu dienen. Die Rede, die Herr Pfarrer an uns hielt, werde ich Ihnen einmal schreiben oder vielleicht erzählen. Unter anderm sagte er auch: „Ihr tut zum Teil dieselben Werke, die ihr vor eurer Einsegnung auch getan, aber dennoch ist ein großer Unterschied. Bisher tatet ihr sie freiwillig, nun bringt ihr sie als Opfer dar. Wenn ein Bäcker seine mit Teig bedeckten Hände aufhebt, so kann er auch sprechen: Siehe da, mein Gott, ich bin auch ein Priester, ich bringe Dir diese meine Arbeit zum Opfer“ etc.
Wie schön war es, daß ich gerade am Palmensamstag eingesegnet wurde und Marie am Sonntag konfirmiert! Der Herr gieße Seinen reichen Segen aus auf uns beide! Gewiß hat auch der selige Vater und Ludwig für uns gebetet. Die darauffolgende Nacht habe ich unsern lieben seligen Ludwig im Traum gesehen.
| Die heilige Passionswoche ist nun vorüber, und schon ist der zweite Ostertag da. Möge Segen triefen in unser aller Herzen von der schönen heiligen Festzeit. Wir haben seit vorigen Dienstag alle Tage Predigt, mehreremal täglich zweimal. Solch ein Gedränge in unserm Kirchlein habe ich noch nicht gesehen wie in diesen Tagen. Das ganze Dorf ist voll. Die Leute müssen auf Stroh schlafen.Nun haben wir noch drei Wochen Ferien. Obwohl ich viel zu tun habe, wird mir doch die Zeit schrecklich lang vorkommen, um so mehr als unser Haus ziemlich leer wird...
Wir singen bei allen unsern Hausgottesdiensten Psalmen in zwei Chören. Es liegt in den Psalmentönen eine Einfachheit und Hoheit, die selbst ein für Musik stumpfer Mensch herausfühlt. Zu einer Harfe lauten sie gewiß noch einmal so schön; daher wir dieses Instrument in unserer Anstalt sehr vermissen... Gegenwärtig handelt Herr Pfarrer in den sonntäglichen Predigten nicht die Evangelien ab, sondern andere Gegenstände, die die Gemeinde notwendig wissen muß und die zu erwähnen sonst wenig Gelegenheit ist: das erste, was da vorgenommen wurde, ist der Hausgottesdienst, von welchem denn auch die beiden letzten Predigten handelten. „Aus dem Gottesdienst fleußt christliches Leben, und aus dem Leben fleußt wiederum der Gottesdienst“, so hieß ein Satz der Predigt: eine Wahrheit, die sich gewiß tausendfach bestätigen läßt. Es ist wirklich eine wichtige, einflußreiche Sache um den Hausgottesdienst.
Die günstige Witterung, welche wir jetzt haben, erlaubt es wieder vielen Fremden, Dettelsau zu besuchen. Da spürt man oft des Sonntags den Mangel einer größeren Kirche, weshalb Herr Pfarrer seit einigen Wochen eine Sammlung zur Erweiterung unseres Kirchleins veranstaltet hat. Es sind schon fast 100 fl. beisammen und wäre sehr zu wünschen, daß die Summe rasch zunähme. Möchtest Du vielleicht so gut sein und in Kreisen, denen Dettelsau kein Dorn im Auge ist, dies bekannt machen?
Von Deinen nächsten Ferien mußt Du einige Tage hier zubringen. ...Mit Dir sei die Gnade des Herrn!
Herzallerliebste Mutter, Friede sei mit Ihnen! Ich muß sehr um Entschuldigung bitten, daß ich diesmal so lange nichts habe von mir hören lassen, aber es war mir wirklich kaum möglich, eine Zeit zum Briefschreiben zu erübrigen, zumal in den letzten Wochen, da sich die Arbeit durch Krankheit zweier Lehrerinnen etwas gemehrt hat. Daß ich mich, wenn auch nicht brieflich, doch anderswie mit Ihnen beschäftigt habe, können Sie denken. Ich freue mich diesmal gar sehr auf die Ferien, die ich vielleicht in Eichstätt diesmal zubringen darf, besonders macht mich der Gedanke recht fröhlich, mit Ihnen fleißig Psalmen singen zu können. Wir singen solche täglich beim Abendgottesdienst, und wir vermissen dabei nur die Harfe (Davids Kinor), die hier durch kein anderes Instrument, auch nicht durch den bescheidensten Ton der Physharmonika ersetzt wird. Es gibt nichts Einfacheres und zugleich Erhabeneres als den Psalmengesang.
Nun stehen wir schon im vollen Sommer, die Erntezeit beginnt schon; das Herz geht einem auf, wenn man hinausgeht, sonderlich hier, denn die hiesige Gegend hat in der Tat etwas Eigentümliches, was mir eigentlich erst in der letzten Zeit auffällt. Die ganze Umgebung scheint zu unserm Hause und zu dessen Ziel zu passen. Sie werden es gewiß auch finden, wenn Sie einmal hieher kommen.
Freilich muß die Hoffnung, die ich hiemit ausspreche, immer geringer werden, weil mein oftmaliges Bitten noch gar keinen Anklang gefunden hat. Nur jetzt, gerade jetzt wenn jemand von den Deinigen hier wäre, denke ich oft um des gegenwärtigen Unterrichtes willen, den Herr Pfarrer gibt und der von einer Herrlichkeit und Hoheit ist, daß, wenn man da zuhört, man mit fortgerissen und emporgezogen wird. So habe ich noch nie die vier ersten Kapitel des 1. Buches Mose angeschaut, wie ich sie jetzt anschaue; solche Höhe und Tiefe habe ich nie darin gefunden, wie jetzt nach diesen Stunden. Mir ist nur leid, daß ich sie nicht aufschreiben kann und Ihnen schicken, denn ich habe keine Zeit, aber vielleicht kann ich mir in den nächsten Ferien das Heft von Doris Braun, die die beste Nachschreiberin ist, entlehnen. Es war ganz rührend, wie| neulich drei Pfarrer, die in der Stunde waren, mit größtem Eifer aufschrieben.Vorigen Mittwoch feierten wir das Gedächtnis der Maria Magdalena, die ich nun auch mit ganz anderen Augen anschaue als bisher. Sie ist wirklich nach Maria, der Mutter Gottes, das größte Weib des Neuen Testaments: die Letzte am Kreuz, die Erste am Grabe, zeigt sie eine so glühende Liebe zum Herrn, daß darin keine ihr gleichkommt. Sie ist die Erste unter der Sonne, die den Auferstandenen sehen darf, und erscheint uns überhaupt als eine vom Herrn Hochbegnadigte. Heute feiern wir Jakobus des Größeren Todestag; obwohl eigentlich erst morgen sein Todestag ist, wurde doch heute (Freitag) der Gottesdienst gehalten. Der nächste Sonntag ist wieder ein sehr reicher Tag: da ist zuerst hier Gottesdienst mit Predigt, dann in Reuth, dann in Reuth Christenlehre und zuletzt um 5 Uhr ist hier Vesper.
Herr Pfarrer hat gegenwärtig sehr zahlreiche Besucher. Die Schwester seiner seligen Frau ist hier mit drei Kindern. Schade, daß Marianne nicht hier ist, die muß nämlich in Reichenhall eine Kur für ihre Augen gebrauchen. Sie darf dieselben nicht im geringsten anstrengen, muß eine Brille tragen. Nun ist sie schon, glaube ich, fünf Wochen fort und ist noch keine Aussicht da, daß sie bald zurückkehren könnte. Gewiß keine Kleinigkeit, so lange vom Vater getrennt zu sein.
Liebste Mutter, eine herzliche Bitte: daß Sie und das ganze Eichstätter Pfarrhaus fleißig möchten beten für unsern teuern Herrn Pfarrer, sonderlich um noch lange Erhaltung seines Lebens. Er spricht so viel von Müdwerden und Altwerden, daß es einem könnte bange werden; doch der Herr wird’s versehen.
Auch meiner, liebste Mutter, vergessen Sie nicht im Gebet. Mich will oft mein Beruf drücken, weil ich meine Untüchtigkeit und den geringen Erfolg sehe; das ist Mangel an Gottvertrauen und viel Hochmut. Beten Sie auch für mich um rechte Geduld und Sanftmut.
Unsere griechischen Studien haben seit vierzehn Tagen wieder begonnen, nachdem sie seit Ostern ausgesetzt waren;| es ist freilich nur eine Stunde, die wir wöchentlich haben, doch meint Herr Pfarrer, daß wir’s lernen könnten und also einen Beweis liefern, daß das weibliche Geschlecht keineswegs so dumm und unfähig ist, wie man gewöhnlich denkt... Die herrliche Aussicht, das Neue Testament einmal griechisch lesen zu können, hält immer den Mut aufrecht...Friede sei mit Ihnen und mit Ihrer dankbaren Therese.
Beten Sie recht, daß die Prüfungen gut vorübergehen. Mir ist noch recht bange.
Liebste Mutter, Friede und Gnade sei mit Ihnen! Mein Versprechen, Ihnen gleich nach meiner Ankunft zu schreiben, will ich nunmehr erfüllen und kann Ihnen da, was mich anlangt, nur Gutes berichten, nicht so über unseren teueren Herrn Pfarrer, dessen Gesundheit vor acht Tagen einen bedeutenden traurigen Rückfall erlitten, so daß er Anordnungen für seinen Tod traf. Gottlob, jetzt geht es besser, doch darf er noch nicht aufstehen. Ich hatte das Glück, ihn auf einige Augenblicke zu sehen, da ich ihm von Adolf Trauben brachte. Er war sehr freundlich, fragte mich, ob ich mich ganz erholt habe, und sagte, daß ich sehr gut aussehe usw. So müssen wir nun den Kurs ohne ihn beginnen! Ich begrüßte unser liebes Haus und seine Bewohner vorgestern abend mit solch wallendem, freudevollem Herzen, als wäre ich lange getrennt gewesen, aber nun mußte ich diese Nachricht hören, und dazu, daß auch Marianne krank sei, kaum ein Wort zu sprechen vermöge, auch daß Käthe Hommel (Lehrdiakonissin) zu Bett liege usw. Das waren keine erfreulichen Eindrücke, und nun die vielen neuen Gesichter, die man mit dem Gedanken, daß sie künftige Schülerinnen sind, ansehen muß. Es ist jetzt nicht schön im Haus. Doch bin ich fröhlich und will auch getrost sein.
Zum Schluß noch meinen herzlichen Dank für die mir erwiesene Liebe während der Ferien. Ich werde bald wieder schreiben, da sich jetzt über die Stunden noch gar nichts berichten läßt. Himmelhohe Mädchen, mehrere Köpfe größer als ich, kommen in unsere Schule, zum Teil schon mit sehr guten Kenntnissen versehen, wenigstens dem Anschein nach. Ursache genug, daß es einem bange werden könnte.
Mit herzlichen Grüßen
Meine liebste Mutter, „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und Seine Güte währet ewiglich.“ ...Kaum kann ich mir’s denken, daß, seitdem ich Ihnen den letzten Geburtstagsbrief geschrieben, schon ein volles Jahr vergangen sein soll. Ich denke, es wird Ihnen auch so gehen, und dieselben Gefühle von dem raschen Dahinfahren unseres Lebens, die beim Rückblick auf ein vergleichsweise kurzes Leben wie das meinige aufsteigen, müssen in erhöhtem Maße wiederkehren beim Rückblick auf ein langes Leben wie das Ihrige. ...Nah und fern denken an diesem Tage dreizehn Kinder Ihrer in fürbittender Liebe und freuen sich, daß sie an einer solchen Mutter das vierte Gebot erfüllen durften und dürfen.
„Alle eure Wünsche, die ihr in dem Herrn tut, lasset fortan zu Gebeten werden“, sagte Herr Pfarrer einmal, und so soll auch mein Geburtstagswunsch ein brünstiges Gebet sein. ...
Unser teurer Herr Pfarrer kommt nun wieder täglich ins Haus und will, wie er sagt, nach seinen schwachen Kräften etwas zum Ganzen beitragen, nämlich durch äußerst strenge Visitationen.
Obgleich nun aber Herr Pfarrer dies tun kann, so ist dennoch seine Gesundheit noch sehr delikat; aber wir danken Gott, daß es so weit ist. Denken Sie, am vorigen Sonntag haben wir eine Predigt von ihm gehört, die er diktiert hat und die Herr Konrektor Lotze vorlas. Sie handelte von der ersten Auferstehung und wird gedruckt werden. Heute las Herr Konrektor einen Vortrag über die Buße vor; wird auch gedruckt werden. Letzterer hat einen ganz gewaltigen Eindruck auf uns gemacht. So sorgt der treue Hirte für seine Schafe, auch wenn er sie nicht selbst weiden kann.
Nun hat jede von uns Lehrerinnen etliche von den sechsunddreißig Kindern zur speziellen Aufsicht in Bezug auf äußere und innerliche Reinlichkeit bekommen. Die ganze Einrichtung wird immer anstaltsmäßiger, immer mehr tritt das Familiäre zurück.
Ich habe, glaube ich, noch gar nicht gesagt, daß Marianne auch am Sterben gelegen und noch sehr krank ist. Das geht| natürlich dem lieben Herrn Pfarrer tief zu Herzen. Da helfe der Herr nach Seiner Gnade!...
Geliebte Mutter, herzlichen Dank für Weihnachtsgeschenk und Geburtstagswunsch! Ich war sehr erfreut und bitte nur um Entschuldigung, daß ich nicht gleich in den Feiertagen geschrieben habe. Ich muß mich wundern, wie wenig ich in den letzten Tagen, obwohl doch keine Stunden waren, getan. Es ist doch recht gut, daß man an eine bestimmte und zwar reichliche Beschäftigung gebunden ist, denn außerdem wird der Mensch kraft der ihm angeborenen Trägheit sehr leicht verleitet, wenig oder nichts zu tun, wenigstens mir geht es so. Heut ist, liebe Mutter, ein wichtigerer Tag für mich, als der 22. Dezember war; vielleicht haben Sie daran gedacht, daß heute der 2. Januar ist, also mein geistlicher Geburtstag, mein Tauftag. ...
Neujahrswunsch und Festbeschreibung bin ich Ihnen noch schuldig, und das soll auch jetzt folgen. Herr Pfarrer wünschte denen, die ihm gratulierten aus unserem Hause, daß sie alles, was in diesem Jahre kommen möge, für gut hinnehmen, weil es ja alles aus der Hand des Herrn kommt. Das ist denn auch mein Wunsch für Sie, geliebte Mutter. Wie leicht ist an der guten Hand Jesu Christi der Übergang vom alten ins neue Jahr! Wir haben (das Lehrerinnenkollegium) das neue Jahr wachend angetreten, denn eine Dame im Hause, Fräulein von Lepel, lud uns im Jahre 1857 zu sich, um ihren Geburtstag, der am 31. Dezember war, feiern zu helfen. Es wurde da auch der vom Silvesterabend unzertrennliche Punsch getrunken, eine seltene Erscheinung im Diakonissenhaus.... Nun soll das Schönste kommen: die Beschreibung unserer Weihnachtsfeier, nicht ausführlich, weil ich sie schon etlichemale für die, denen ich es schuldig bin, gemacht habe und noch etliche Male machen muß, doch einiges davon. Am schönsten war wohl der heilige Christtag selber, an welchem wir das heilige Abendmahl empfingen in der festlich geschmückten Kirche und der| liebe Herr Pfarrer zum ersten Mal wieder den Abendgottesdienst hielt, an welchen er einige Worte, zu uns geredet, anschloß. Ich kann nicht sagen, was dies für einen Eindruck auf uns machte, zum ersten Mal wieder eine längere Rede aus seinem Munde, noch dazu unter solchen äußerlich glänzenden Umständen (denn der Saal war prachtvoll geschmückt) zu hören. Ein Kandidat, der an der hiesigen Knabenanstalt arbeitet, sagte bei seiner Rückkehr: Nein, man meinte doch, man sei im Paradies gewesen. Unser Zeichenlehrer, Herr Schramm, hatte auch alles aufgeboten, den Saal so schön wie möglich zu schmücken. Er hatte wieder vier Apostel gemalt und mit denselben Herrn Pfarrer und uns überrascht. Alles war mit Kränzen umgeben und mit zahlreichen Lichtern besetzt. Am schönsten war die in der Mitte des Saales hängende Dornenkrone, ganz mit Efeugirlanden umschlungen und mit roten Rosen und weißen Winden besetzt. Ähnlich waren auch die Uhr und der siebenarmige Leuchter geziert. Am dritten Feiertag war erst die Bescherung der gesamten Bevölkerung des Hauses, nachdem die vorhergehenden Abende den Kranken unserer Anstalt und den Bewohnern des Pfründhauses im Dorf beschert worden war, auch die Armen des Dorfes am Heiligen Abend Bibeln und Gesangbücher empfangen hatten. Es war an jenem Abend ein großer Jubel, besonders unter unseren kleinen Kindern. Tagelang vorher war an einer prächtigen Krippe gearbeitet worden, in deren Hintergrund künstlich gemachte Felsen standen und ein ganzer Wald angebracht worden war, aus dem viele Engelsköpfe und goldene Sterne hervorschauten. In einem anderen Zimmer prangte der hohe Baum, den Herr Pfarrer selbst bewunderte, so schön war er. Goldene und silberne Nüsse, glänzende Glaskugeln schimmerten in lieblicher Abwechslung mit allerlei bunten Blumen, die wir selber gefertigt hatten. Bei alldem hatte ich an diesem Fest wieder eine besondere Freude, denn, denken Sie nur, der gütige Herr Korhammer schickte mir eine Fünf-Gulden-Banknote zu einer Bescherung für Arme... Das Beste, was ich von irdischen Gaben in diesen Tagen von hier bekam, hab ich noch nicht erwähnt, das ist nämlich eine Löhesche Postille. Die Kinder schenkten mir dieselbe zum Geburtstag. In herzlicher Liebe
Liebste Mutter, in allen meinen bisherigen Briefen habe ich nichts erwähnt von der in Eichstätt oft besprochenen Harfe. Heute höre ich zufällig von einem Kinde, daß unser Herr Konrektor Harfe spielen kann. Ich weiß, daß ein Wunsch sowohl Herrn Pfarrers als des übrigen Hauskollegiums durch den Besitz einer Harfe befriedigt würde. Darum bitte ich Sie recht herzlich, die in Leipzig befindliche, wenn es irgend möglich ist, der Anstalt zu schenken und vielleicht auch die Harfenschule zu schicken. Es ist ja freilich ein Opfer, das Sie damit unserem Hause bringen, aber wenn Sie die Wohltaten ins Auge fassen, die eines Ihrer Kinder in demselben empfangen und noch empfängt, so wird Ihnen das Opfer nicht zu groß vorkommen.
Gestern abend beendigte Herr Pfarrer das Diktat über Kirchenschmuck mit einem Plan für einen zu gründenden Paramentenverein, welcher sich mit Fertigen von Altarbekleidungen etc. befaßt. Jedes Vereinsmitglied muß, so diktierte Herr Pfarrer, 1. spinnen, 2. stricken und Strümpfe stopfen und 3. weißnähen können. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mich spinnen gelehrt haben.
In dankbarer Liebe
Sie trat vor den Altar, begleitet von zwei Diakonissen, kniete da nach einer kurzen Ansprache von Herrn Pfarrer an sie nieder und ließ sich unter herrlichen Gebeten zuerst von Herrn Pfarrer, dann von Herrn Konrektor, dann von Herrn Inspektor die Hände auflegen. An diese Einsegnung schloß sich die von drei anderen Diakonissen an, unter welchen Doris Braun und die oben genannte Margarete Schmieg. Die Ordnung dieser Feier war die gewöhnliche, die Du ohne Zweifel kennst. Das war ein herrlicher Tag, von dem ich wohl noch mehr erzählen könnte, wenn nicht meine Zeit so sparsam zugemessen wäre. Ich darf ja hoffen, daß ich Euch bald recht viel mündlich erzählen kann. Ich freue mich sehr, sehr darauf, Euch wiederzusehen.
...Herr Pfarrer gibt uns gegenwärtig ein ganz kostbares Diktat über Kirchengeschichte. Ich werd’s zu Ostern mitbringen...
Geliebteste Mutter, Herr Pfarrer – was soll ich von seinem leiblichen Befinden sagen? – Ich weiß nur, daß er noch immer nicht predigen kann und daß man im Hause an allen Enden und Ecken spüren kann, daß er uns fehlt. Er diktiert zwar täglich, oft sehr lange, Kirchengeschichte und gibt damit uns und allen denen, die dies Diktat lesen werden, einen kostbaren Schatz, aber damit wird der frühere persönliche seelsorgerliche Einfluß nicht ersetzt. Mir ist es deshalb gar kein so großer Kummer, wenn ich verschickt werden sollte.
Ich bitte, daß Sie mich in Ihr herzliches Gebet einschließen, besonders beten Sie für mich um mehr Freudigkeit für meinen Beruf. Wenn es Gottes Wille wäre, möchte ich sehr gern das Lehren mit einem anderen Zweig des Diakonissenberufes vertauschen. Ich sehe wohl ein, daß bei meinem Widerwillen gegen das Lehren auch viel Hochmut ist, indem ich ja nicht| so viel leisten kann wie die anderen Lehrerinnen, aber es ist meine Abneigung doch auch nicht ohne wirklichen Grund. Ein tägliches Unterwerfen unter das süße Joch Jesu Christi, der uns ja immer an den rechten Ort stellt, hilft über das alles hinweg, helfe auch mir über meine Unzufriedenheit hinweg.Gott behüte Sie!
Meine liebste Mutter, das Examen ist gottlob recht gut vorübergegangen, besser, als ich es nach meinem Kleinmut, der sich am Ende meines letzten Briefes an Sie aussprach, verdiente. Streichen Sie jene Äußerungen als ungültig aus Kopf und Herzen aus, und seien Sie, wie immer, überzeugt, daß ich eine glückliche Diakonissin bin, von der es eitel Sünde und Undank ist, wenn sie blind wird für Gottes gnädige Führung und eben aus Blindheit dann aufhört, Gottes Gnade, die sich an ihr verherrlichen will, zu preisen. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen damals durch meinen Brief einen Kummer bereitet.
...Die herzlichsten Grüße von
Herzlich geliebte Ida, fast kommt es mir vor, als sei ich nur im Traum, nicht aber in Wirklichkeit bei Euch in Augsburg gewesen. Man lebt hier wieder in der gewohnten (nicht gewöhnlichen) Weise weiter, als sei keine Unterbrechung gewesen. Doch nein, man merkt’s an dem frischeren, mutigeren Angreifen, an dem vielen Ordnen, womit wir jetzt gleich den vollen Tag zubringen, daß Ferien vorausgegangen... Ich stelle nun manchmal Vergleiche an zwischen einem solchen Leben, das ich in den Ferien führte, und zwischen dem, das ich hier zu führen habe. Von dem Resultat solcher Vergleichungen will ich weiter nichts sagen, als daß ich mir mehr und mehr das oft ausgesprochene Wort unseres Herrn Pfarrers zu eigen mache, nämlich, daß starke Beine dazu gehören, um gute Tage zu tragen.
| Was mir den Aufenthalt hier auch durch irdische, rein menschliche Freude verzuckert, das ist die Gegenwart unserer Marie, die heute früh ihre Aufnahmeprüfung zu bestehen hatte, derzufolge sie in die zweite, das ist in diejenige Klasse eingetreten ist, deren Klassenlehrerin ich bin. Sie antwortete sehr naiv und veranlaßte dazwischen das ganze Kollegium zu einstimmigem Gelächter, wenn sie mir z. B. zum Exempel eines einfachen Satzes mit einem Objekt die Worte erwiderte: „Ich liebe dich“, oder als sie das Merkwürdige, was uns von den Patriarchen im 5. Kapitel des 1. Buches Mose erzählt ist, anführen sollte, schnell bei der Hand war mit der Antwort: „Sie zeugeten Söhne und Töchter – und starben.“Ihr Heimweh ist nach ihrem eigenen Urteil, das sie Herrn Pfarrer auf sein Befragen gab, nicht sehr arg und wird ohne Zweifel in dem Maße ganz verschwinden, in welchem sie die Ermahnung von Herrn Pfarrer befolgt: „Lern nur recht fleißig“; denn dann hat sie keine Zeit dazu. Als Herr Pfarrer sie gestern dem Herrn Konsistorialrat Ranke, der zur Kirchenvisitation hier war, vorstellen wollte, sagte er: „Die ist gezeichnet, das ist eine Stählin.“ Herr Konsistorialrat war dann sehr freundlich gegen uns, trug mir Grüße an Otto, Adolf und Mutter auf, welch letztere er eigens einmal habe kennen lernen wollen, weshalb er in Weiltingen habe halten lassen, weil sie die Muter so vortrefflicher Söhne sei; „denn die“, sagte er zu Herrn Pfarrer, „hat uns Kandidaten geliefert, wie’s kaum mehr gibt im Lande.“ Herr Pfarrer wandte sich dann zu mir und sagte: „Das reizt zur Nacheiferung. Soll ich nun in die Posaune blasen und auch Dein Lob anstimmen?“
Bei Gelegenheit des erwähnten hohen Besuches konnte natürlich die Besprechung der letzten großen Bewegungen von wegen der Salbung nach Jak. 5 nicht umgangen werden... Herr Pfarrer erklärte sich bereit, öffentlich anzuzeigen, daß er in diesem Punkte mit dem Oberkonsistorium nicht einig wäre, da nämlich Herr Konsistorialrat seinen Kummer darüber aussprach, daß so viele nun plötzlich ausbrächen in Vorwürfe über Katholisierung etc. – Wunderbar müßte meiner Meinung nach es den Gegnern doch auch vorkommen, daß nun Fräulein von Grünwald, die die Salbung im Glauben begehrte, wieder gehen kann, was ihr vorher trotz Anwendung aller ärztlichen| Mittel seit langen Jahren unmöglich war. Ich erfuhr das erst vor ein paar Tagen und sage am Schluß des Ganzen nur so viel: Wenn Jak. 5 nur ein für die apostolische Zeit gültiges Gebot soll gemeint sein, so kann man über manch andere Stelle auch in Zweifel geraten, ob sie nur für jene oder auch für unsere Zeit Geltung habe. Es heißt nicht: „Rufe die Wundertäter“, sondern „die Ältesten“, also ein Institut, das allezeit in den Gemeinden vorhanden sein soll. Mit einer römischen letzten Ölung hat doch diese Salbung gar nichts zu tun. In dankbarer Liebe
Meine liebste Mutter, Sie müssen mich für eine recht nachlässige Person halten, wenn ich Ihnen sage, daß ich erst gestern mit Herrn Konrektor Lotze über die Harfe gesprochen habe. Dieses Gespräch veranlaßt meinen diesmaligen Brief, denn Herr Konrektor war so entzückt über diesen Vorschlag, daß nicht viel fehlte, glaube ich, und er reiste zu Ihnen, um Ihr Schüler zu werden. Ich mußte ihm sogleich die Harfenschule bringen, aus welcher er ersah, daß er es sehr bald erlernen könnte. Nun aber ist die Schwierigkeit des Hierherkommenlassens noch immer dieselbe wie früher. Sie haben mir geschrieben, durch den Missionszögling Wachtel an den Harfenmacher schreiben zu lassen. Ich konnte aber zu Herrn Wachtel nicht gelangen, es ihm auch nicht zu wissen tun, und jetzt, da er fort ist, bleibt nichts anderes übrig, als sich direkt an Herrn Franke zu wenden. Ich würde das sogleich tun, allein ich weiß seine Adresse nicht. Darf ich Sie nun wohl bitten, mir entweder die Adresse zu schreiben oder, wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht, selbst Herrn Franke um Zusendung der Harfe zu bitten? Müssen denn die Saiten beim Verschicken heruntergelassen werden? Herr Konrektor wollte das nicht glauben. Könnte man nicht nötigenfalls Herrn Franke bitten, die Saiten mitzuschicken? (Natürlich würde das die Anstalt schon zahlen.) Ich möchte Sie recht herzlich bitten, mir gleich zu schreiben.
| ...Wir haben sehr schöne Pfingstfeiertage gehabt. Herr Pfarrer hat zweimal gepredigt!!! Das sind Freuden, die kaum größer sein könnten. ...Ich nahm mir vor, Ihnen einmal wieder einen recht langen Brief zu schreiben, allein dieses Mal geht es schlechterdings nicht. Ein ganzer Stoß von Aufsatzheften liegt vor mir und harrt der etwas schwierigen Korrektur.Gott nehme Sie in seinen gnädigen Schutz. Ihre in dankbarer Liebe brieferwartende
Meine liebe Mutter, ...Ich wollte nur, Sie wären hier gewesen und hätten mit uns gefeiert, denn schöner als hier kann es in diesen festlichen Tagen nicht leicht wo gewesen sein. Da wird man gespeist und erquickt mit dem Brot des Lebens. Am Sonnabend war in unserem Betsaal die Beichte. Am Pfingstsonntag gingen wir in die festlich geschmückte Kirche. Taufstein und Altar waren wunderschön mit Kränzen verziert, und überall standen Maienbäume. Der Introitus wurde abwechselnd von den Missionszöglingen und den Kunstsängerinnen unserer Anstalt gesungen. Das war wirklich ganz entzückend, und dann kam eine herrliche Predigt von Herrn Pfarrer. Diese war eine große Freude, denn, wenn uns auch alle Sonntage eine Predigt von Herrn Pfarrer vorgelesen wird, so ist es halt doch noch viel schöner, wenn man aus Herrn Pfarrers Mund sie hört. Er predigte nicht über einen gewissen Text, sondern über die Wirkung des Heiligen Geistes. Diese Wirkungen wurden in drei Gebieten dargestellt:
1. Bei den leiblichen Gaben wurde auf die Schöpfung hingewiesen, da der Heilige Geist über dem Chaos schwebte, wie eine Henne über ihren Küchlein, und der wüsten Materie Schönheit verlieh, dann auf die Erhaltung und endlich auf die Auferstehung der Toten. 2. Bei den außerordentlichen Gaben wurde auf das Pfingsten der Jünger hingewiesen und dann 3. bei den ordentlichen Gnadengaben wurde die ganze Gnadenführung des Heiligen Geistes an einer Christenseele von der Taufe an bis zu der Vollendung dargestellt. Schon am Anfang der Predigt sagte| Herr Pfarrer, daß es ein großer Fehler sei, daß man so selten zum heiligen Geist bete, nur immer zu dem Vater und dem Sohn. Der Schluß reihte sich wieder an den Anfang, und da sagte Herr Pfarrer mit feierlich ernstem Tone: „Ich ermahne euch alle, die ihr hier versammelt seid, kraft meines Amtes, daß keines hinweggehe, ohne den festen Entschluß gefaßt zu haben, fortan in Gemeinschaft mit dem heiligen Geist zu treten.“ Nach der Predigt feierten wir das heilige Abendmahl. Als wir an den Altar traten, kam uns ein herrlicher Duft entgegen, denn auf dem Altar standen herrliche Blumensträuße. Ich kann wirklich Gottes Gnade und Güte nicht genug rühmen und preisen. Alle Sünden hat er mir vergeben und mich mit seinem Leibe und mit seinem Blute gespeiset und getränket. O daß ich ein Herz voll Dankbarkeit gegen ihn hätte, denn so bald vergißt der Mensch die große Güte, die ihm der Herr erzeigt hat. Der Herr Jesus wolle mir ein Herz voll Dankbarkeit und Liebe zu ihm schenken und mich zu seinem Eigentum machen, daß ich ihm nur lebe und ihm auch sterbe. ...Man darf ja nicht glauben, daß es hier weniger Gelegenheit zur Sünde gäbe. O man darf ebenso wie anderswo immer auf der Hut sein, daß nicht der Feind hereinbricht und das Herz in seine Gewalt nimmt; nur werden einem hier eher die Waffen in die Hand gegeben, ihm zu widerstehen.Nun will ich aber in meiner Festbeschreibung fortfahren, will mich ja doch so kurz als möglich fassen, da bald der Abendgottesdienst beginnen wird und ich bis dahin meinen Brief fertig haben möchte.
Am Nachmittag des ersten Feiertags las Herr Konrektor eine Predigt von Herrn Pfarrer über die Epistel vor. Nach der Kirche waren wir zu Frau Pfarrer Rüger, einer recht liebenswürdigen Frau, die als Witwe mit ihrem Töchterchen hier lebt, eingeladen, und zwar tranken wir dort Kaffee (eine Seltenheit in Dettelsau). Am Abend war noch Abendgottesdienst von Herrn Pfarrer.
Am 2. Feiertag gingen wir nach Reuth, einem Filial von hier, wo wieder eine Predigt von Herrn Pfarrer vorgelesen wurde...
Liebe Mutter, herzlichen Dank für Ihre lieben Zeilen, die mir besonders von wegen der Nachricht über die Harfe sehr erwünscht waren, denn Herr Konrektor hat bald mich, bald Marie tagtäglich gefragt: Ist noch kein Brief da? Die Harfe soll natürlich besaitet werden, da es ja hier keine Gelegenheit dazu gäbe oder doch wenigstens dies Werk Schwierigkeiten machte. Ich denke, mehr als etliche Gulden wird es nicht kosten, und so viel will ich schon auftreiben, ohne der Anstalt Kosten zu machen, was übrigens auch nicht so viel auf sich hätte. Wenn Frau Kelber bald schreiben könnte und auch dem Harfenmacher bemerken, daß er sich ein wenig eilt, so wäre es sehr gut, damit die Sache nicht so lang hinausgezogen und Herrn Konrektors Ungeduld zu hart geprüft wird... Vorigen Sonntag war Herr Korhammer mit seiner Schwester und zwei Nichten hier. Es waren zwei schöne Tage. Herr Pfarrer hat gepredigt. Ich kann nicht sagen, wie ich mich freue, daß diese Familie so einen Zug nach Dettelsau hat. „Von so einem Besuch muß man wieder lange zehren“, sagte Herr Korhammer, dem der Abschied nicht wenig schwer wurde.
Die Harfe ist noch immer nicht da. Herr Konrektor fragt unzählige Male darnach. Ich kann es gar nicht begreifen, daß sie noch nicht da ist. In herzlicher Liebe
Du mußt mir’s nicht übelnehmen, wenn ich Dir einen so zusammengeflickten Brief schicke. Von einem Absatz zum andern ereignet sich so viel Neues, daß mein Schreiben tagebuchartig wird. Unterdes ist Fräulein von Hartlieb hier eingetroffen und hat mir gesagt, daß Ihr meinen Briefinhalt anders wünscht, mehr sich auf unser Leben, auf Tatsachen erstreckend. Es ist mir lieb, daß mir das gesagt worden ist, und ich werde dem Wink nachzukommen suchen. Das, was um einen her vorgeht, wenn’s nicht gerade von besonderem Einfluß ist, hält man oft nicht so wert, niedergeschrieben zu werden, als einige Gedanken aus einer Predigt, die einen soeben ganz hingerissen hat. Übrigens würde sich gezeigt haben, daß meine Briefe während Herrn Pfarrers Abwesenheit samt und sonders von der gewünschten Art gewesen wären...
Meine liebe Mutter,... bei unserer lieben Emma Merz geht es in letzter Zeit gar nicht gut. Der Herr Doktor verschrieb ihr gar keine Arznei mehr und sagt, es sei die Auszehrung. Sie sieht auch immer so schlecht aus und muß beinahe den ganzen Tag im Bett liegen.
...Heute morgen erhielt ich Briefe von Herrn Korhammer. ...Er hat 10 Gulden für den Betsaal beigelegt, für den ich bei allen opferwilligen Leuten betteln möchte, da er ohne Schulden gebaut werden soll. Nächsten Donnerstag wird mit großer Feierlichkeit der Grundstein gelegt werden, dann eine Fahne mit schwarzem Kreuz und der Inschrift: Oremus!| während des ganzen Baues aufgesteckt bleiben. ...Bitte, schicken Sie mir doch durch Margarete meinen Ring. Ich bin freilich ein rechter Plaggeist, aber ich habe ihn zu einem besonderen Zweck bestimmt in Verbindung mit andern wenigen Schmucksachen, die mir Minna im Frühjahr gegeben. Und der Zweck darf nimmer rückgängig gemacht werden.Herr Konrektor kann schon ziemlich gut Harfe spielen. Er will sich bei seinem demnächst erfolgenden Besuch in Eichstätt von Ihnen unterweisen lassen.
Die Freudenbotschaft, daß Herr Pfarrer vierzehn Tage eher kommt, als wir gedacht, hat Marie schon verkündigt! Das wird ein herrlicher Tag werden...
Liebe Ida, gegenwärtig liegen zwei Diakonissen – man kann sagen – in beständiger Todesgefahr. Die eine ist die Dir bereits durch mich bekannte Julie Kündinger, eine gewesene Lehrerin, die mit mir zugleich eingesegnet worden ist und länger als ein Jahr nun leidet, unter den fürchterlichsten Schmerzen schon öfter als einmal am Rande des Grabes war, aber dabei als eine rechte Jüngerin Jesu leidet. Die zweite ist die Dir ebenfalls nicht unbekannte Emma Merz [s. „Lebensläufe“ S. 13]: die begabteste, geistreichste im ganzen Haus, eigentümlich, aber von großartigem Charakter. Als ich das letzte Mal in Ferien war, verließ ich sie bettlägerig; ebenso traf ich sie wieder, und seitdem kränkelt sie mit wenig Unterbrechung, nimmt in den letzten Tagen zusehends ab, ist aber über ihren Zustand völlig im unklaren, denn sie glaubt niemand, daß die Gefahr so groß sei. Wir wünschen sehr, daß sie noch lebt, bis Herr Pfarrer kommt, den ihr Vater alsdann hieher begleiten wird. Gottlob, daß es nicht so lange ansteht bis dorthin, als wir anfangs gedacht; denn denke Dir, Herr Pfarrer wird wahrscheinlich schon am 25. August kommen. Ach, meine große Freude!
Liebe Ida, ...die wichtige Riegenwahl ist bereits vorgenommen. Marie ist Riegenmeisterin geworden, und ich stehe unter der Riege der Johanna Zwanziger. Daß die wieder hier ist, wird für das ganze Haus ein großer Segen sein, und mir ist’s eine ganz besondere Freude, da ich keiner so nahe stehe wie ihr und sie wie eine Mutter gegen mich ist.
Herr Pfarrer wird in diesem Semester hauptsächlich Exegese zum Gegenstand seines Unterrichts machen. Es ist ihm, sagt er, dabei eine besondere Freude, daß wir unsere griechischen Testamente zur Hand nehmen können. Es soll auch das Griechische in diesem Semester recht eifrig betrieben werden. Herr Konrektor wird uns Stunden geben. Ich zweifle, daß etwas Rechtes draus wird, wenn man nur so in Eile immer ein wenig lernen kann und nicht ordentlich studiert, kann das gewünschte Ziel schwer erreicht werden. Genug für diesmal!
Liebste Mutter, ...Daß es Dir gut hier gefallen, ist mir eine besondere Freude und vielleicht eine Berechtigung zu einer Hoffnung auf künftig wiederholten Besuch. Daß wir die Ferien vergnügt zugebracht, ist Dir bereits bekannt. Daß wir aber auch gerne wieder zurückkehrten, versteht sich von selbst. Wir haben gestern bereits angefangen, den vollen Stundenplan im Schwange gehen zu lassen. Es bewegen sich nun wieder die Räder des Wagens, der ein halbes Jahr fortrollen soll, aber sie knarren noch ein wenig, weil die Wagenschmiere fehlt, wie Doris gestern meinte. ...Herr Pfarrer wird nächste Woche erst kommen[1]. Vorigen Dienstag lief ein Brief von ihm ein. Marianne war sehr angegriffen von der Reise. Trotz der Rosen- und Veilchenfelder, die allenthalben unsere Reisenden umgaben, versicherte Herr Pfarrer doch, daß ihm der Himmel über den stillen Fluren von Dettelsau noch gefalle.
Meine liebe Johanna Zwanziger ist hier noch nicht ganz eingewöhnt. Ihr Beruf in Hohenleuben war ihr zu sehr ins| Herz gewachsen. Mir ist bange um ihre Gesundheit. Sie hat sich sehr abgearbeitet. Es ist doch das Geschlecht des 19. Jahrhunderts ein ganz delikates.Ich bleibe in dankbarer Liebe
Herzlich geliebte Mutter, der barmherzige Heiland schenke Dir den Geist der Freude und des Friedens! Das ist mein erster und bester Wunsch, ja mein Gebet für Dich zu Deinem Geburtstag, liebste Mutter. ...Ich möchte, daß einmal an einem solchen Tage alle Deine Kinder beisammen wären und Dir mündlich sagen könnten, was sie fühlen. Eine besondere Freude ist mir, daß Du in diesem vergangenen Lebensjahre einen sehnlichen Wunsch von mir befriedigt hast und nach Dettelsau gekommen bist.
Herr Pfarrer hat uns einen herrlichen Reisebericht gemacht und erst heute einen gewaltigen Umsturz in den Ansichten des Hauses durch denselben bewerkstelligt. Alles soll auf einmal französisch, italienisch und englisch parlieren lernen, denn „er habe es genug gekriegt, beständig mit einem Schafsgesicht und wie der Ochse am Berge stehen zu müssen“. Es gehöre ja freilich nicht zur Bildung, das steht fest nach wie vor, aber Nutzen schafft’s und deswegen soll’s geschehen.
Wir haben wieder ein reiches Semester vor uns. Gott hat uns allen in der wiederkehrenden Kraft unsers Herrn Pfarrers große Gnade geschenkt. In der nächsten Zeit folgen etliche Unterrichtsstunden über die Barmherzigkeit, „denn eine Diakonissin muß barmherzig sein“. Dann folgt biblische oder Kirchengeschichte. In den Wochengottesdiensten, die auch hauptsächlich uns und den Missionsschülern gehören, werden die Thessalonicherbriefe erklärt. Wir sollen dabei unsere griechischen Testamente haben, lesen auch in unsern griechischen Stunden nicht mehr das Evangelium Johannes, sondern diese Briefe – und Herr Pfarrer will uns, denk Dir nur, von der Kanzel herunter manchmal fragen. Mußten wir doch vorgestern beinahe lachen, als er plötzlich, auf der Kanzel stehend, – denn die hat er wieder betreten seit vorigen Sonntag –| herunter fragte: „Wie viele Kapitel hat der 1. Brief an Timotheus? Weiß es eine von den Kindern?“Heute ist der Vorabend des Todestages der heiligen Elisabeth, deren Bild, wie Du dich erinnern wirst, in unserem Saal hängt und deren Geschichte uns Herr Pfarrer heute erzählte – und zugleich ist der Vorabend Deines Geburtstags. Das freut mich sehr, ein solches Zusammenfallen der Tage.
Ich kann leider nicht mehr schreiben. Meine Stunden erfordern zum Teil viel Vorbereitung. Ich muß schier eine Gelehrte spielen und kann doch nichts. Einen fröhlichen Abschied vom alten und einen fröhlichen Anfang des neuen Lebens- und auch Kirchenjahres! An Jesu Hand ist immer fröhlich sein.
Liebste Schwester,... Wir sind nun eine geraume Zeit wieder ungestört unter dem Sonnenschein des Hirtenstabes von Herrn Pfarrer gewandelt. Da mußte aber der liebe Gott wieder etwas schicken, uns vor Sicherheit zu bewahren. Vorigen Sonntag (bei der vierten Predigt über die Lehre vom Ende) wird Herr Pfarrer plötzlich unwohl. Der Text war 2. Petr. 3. Eine gewaltige Mahnung, sich bereit zu halten, bildete den Schluß der Predigt, zu dem er rasch eilte, was das Ganze um so ergreifender machte. „Das ist eine Ohrfeige von ganz besondrer Art, das kannst Du glauben“, sagte gestern Herr Pfarrer zu mir, fügte aber hinzu: „Es tut mir aber alles nichts, gar nichts. Ist eine Demütigung für so einen alten Pfarrer.“
Ein wunderbares Diktat – ich kanns nicht anders nennen – wird uns gegenwärtig gegeben, ein langes, über Barmherzigkeit. Da möchte ich oft zappeln in den Stunden, tu’s auch. Diese Blicke in die Geschichte, die mir da gegeben werden! Es soll nur ein jeder Christenmensch, der kann, Geschichte studieren vom rechten Gesichtspunkt aus. Das treibt, wenn irgend etwas, zur Anbetung Gottes.
Liebste Schwester, Marie wird an Auguste ausführlich schreiben über unsere Festfeier, weshalb ich mich gegen Dich kurz fassen will, um so mehr, als die äußeren Schönheiten doch je länger je weniger Reiz für einen haben; ich freu mich wohl noch drüber, aber nimmer in dem Maße wie früher. Es ging mir in meinem bescheidenen Teile ähnlich wie Herrn Pfarrer, der vor Weihnachten einmal zu Herrn Marcius sagte: „Nicht wahr, wir Alten, wir freuen uns doch ganz anders auf Weihnachten als die Kinder; wir freuen uns darüber, daß Christus geboren ist.“ Ich wollte nur, es wäre diese Freude viel größer und ungetrübter bei mir. Herr Pfarrer lenkte in diesen Tagen unsere Gedanken u. a. auch dahin, daß wir der Einigkeit der streitenden und der triumphierenden Kirche auch in der Festfeier recht bewußt werden sollten.
Der äußere Schmuck in unserem Hause war großenteils sehr schön; besonders kunstvoll war die Krippe arrangiert, ein wahres Meisterstück unserer ideenreichen Doris Braun, auch von Bauersleuten als solches beurteilt: „Jetzt kann ich mir’s erst recht fürstellen, grad su muß gewesen sein“, sagte eine Bauernfrau.
Ich hab Dir neulich schon geschrieben, daß Herr Pfarrer wieder bedeutend unwohl geworden ist; er hat sich noch nicht davon erholt, und wir haben demnach in den Feiertagen viel entbehren müssen; denn obwohl er zweimal gepredigt, so war das so kurz, mit solcher Anstrengung und Mattigkeit, daß uns viel entging. ...Als ich neulich Herrn Pfarrer fragte, ob wir denn nicht bei einer andern Gelegenheit einmal hören dürften, was er uns bei der Predigt über den Jüngsten Tag schuldig geblieben (denn das ist doch keine Kleinigkeit, wenn einem so etwas vorenthalten wird), da hieß er mich hinausschauen zum Fenster und zeigte mir die dürren, aller Frische und alles Schmuckes beraubten Bäume, denen es doch kein Mensch ansähe, daß sie wieder grünen und blühen können. „So ist’s mit einer Predigt, bei der die Kraft fehlt. Da kann man ganz gut vorbereitet sein, – ich war auch gestern ganz wohl vorbereitet –, aber es fehlt die Kraft, zu sagen, was ich zu sagen hatte, und so bleibt die Predigt ein dürrer Stamm.“ Du mußt nicht denken, daß wir so gar habsüchtig sind und nicht zu fasten| wissen, wenn’s dem Herrn gefällt, uns den teuren Hirten wieder auf eine kleine Weile teilweise zu entziehen; wir sind eben in letzter Zeit wieder ein wenig verwöhnt worden. Alle Sonntage hat er gepredigt, alle Wochengottesdienste hat er gehalten (den ganzen ersten Thessalonicherbrief durften wir auslegen hören; das kann ich nicht beschreiben, was das für Stunden waren; wir konnten dabei auch unsere griechischen Testamente benutzen) und noch obendrein die täglichen Unterrichtsstunden im Haus, von denen Dir schon mein letzter Brief berichtete. Du mußt das Diktat einmal lesen. Das ganze Haus von Frau Oberin an bis zu unserm kleinen Sophiechen von Vitzthum schreibt „Von der Barmherzigkeit“. Herr Pfarrer gebot, alle Hefte ihm täglich auf seinen Tisch zu legen.Nun höre noch, wie mir Herr Pfarrer neulich zu meinem Geburtstag gratulierte. Es hatten an jenem Mittwoch schon die Ferien begonnen, und ich sah daher Herrn Pfarrer den ganzen Tag nicht; da kam er am andern Tag zu mir und sagte: „Das ist eine schöne Geschichte: gestern war dein Geburtstag, und ich habe gar nichts davon gewußt, erst am Abend hat man mir’s gesagt, und ich hätte dir doch gewiß alles Glück gewünscht. Ich bin nun endlich mit dem Kalender fertig geworden (Rosenmonate heiliger Frauen), und da sollst du den ersten davon haben zur Erinnerung an deinen diesmaligen Geburtstag. Da sucht dir deine heiligen Frauen heraus.“
Daß Leonhard bei Euch ist, freut mich. Sag ihm doch einmal gelegentlich, daß in Neuendettelsau bei Kloster Heilsbronn, sechs Stunden von Nürnberg, nicht so sehr weit von Erlangen, eine Blutsverwandte von ihm existiere mit Namen Theresia; vielleicht erinnert er sich.
Am ersten Feiertag empfingen wir das heilige Abendmahl in der festlich geschmückten Kirche, deren Altar insonderheit wunderschön geziert war, sogar mit frischen Blumen. Die geistliche Speise durchs Wort war freilich diesmal nicht so reichlich wie ehedem. Herr Pfarrer ist ja wieder sehr leidend. Das Zungenübel tritt wieder recht hervor und macht ihn gerade zum öffentlichen Sprechen untüchtig. Als wir ihm am Neujahrstage gratulierten (eine Deputation vom Diakonissenhaus), sprach er lange mit uns: er habe noch kein Jahr erlebt, in dem er so viel gearbeitet, in dem er so viel Kreuz getragen, in dem er so viel äußerliche Unterstützung von Gott empfangen und in dem er so viel Freude genossen. Er sei sehr viel Dank schuldig, besonders dem Diakonissenhaus für den Gehorsam, den es ihm entgegenbrachte; er sei ein glücklicher Pfarrer, weil er so viele treue Freunde und Beichtkinder habe.
Vor einiger Zeit haben wir Diakonissen alle Instruktionen fertigen müssen, nach welchen wir nun allmonatlich von Herrn Pfarrer visitiert werden. Jede Visitation wird mit Gebet eingeleitet. Die bereits Visitierten sind ganz entzückt, sagen, es sei herrlich, so visitiert zu werden, so eingehend Seelsorge an sich üben zu lassen. Nächste Woche werde wohl ich drankommen. Ach, da denke meiner ein wenig!
Geliebte Schwester, ...Sonntag vor acht Tagen war die Entlassungsfeierlichkeit unserer (wie dumm!), der hiesigen Missionszöglinge. Es ruht ein reicher Segen auf dem amerikanischen Werk. Auch die Diakonissensache gedeiht.... Wieder etwas Neues hab ich zu berichten, auf daß unsere Gemeinschaft die Meeresnatur nie verleugne, sondern in beständiger Wallung und Bewegung erhalten bleibe. Daß nur das Salz nie fehle! Daß nur die Bitterkeit und Ungenießbarkeit des Meerwassers nie geteilt werde!
| Also: vorigen Montag ist unter uns eine Akademie geboren. Stoß Dich nicht am Namen; er wird noch umgeändert. Herr Pfarrer will bloß Präsident sein, und die Diakonissen und Schülerinnen sollen da an den Bänken das Gehen lernen. Worin aber besteht dieses Gehen? Im Vortragen, Wiedererzählen von Gesehenem, Gelesenem, Gehörtem. Da wurden nun gleich in der ersten Stunde Comitees ernannt für verschiedene Geschäfte, eine beauftragt, den Bericht über die Mission in Paris (unter den Deutschen) zu lesen und das Wichtigste zu referieren, eine andere, Elisabeth Fry zu lesen und die gehörige Kritik darüber zu geben; andere sollen bis zum nächstenmal die Armenhäuser hiesiger Pfarrei visitiert, eine andere das hiesige Pfründhaus inspiziert und alle Mängel bemerkt haben... und über das alles nächsten Montag von 3–5 (das ist die festgesetzte Zeit, denke daran) Mitteilungen machen. Herr Pfarrer will nur darauf merken, daß niemand „purzelt“. Diese neue Idee und ihre Verwirklichung ist gewiß etwas sehr Praktisches und Lehrreiches.
Herzliebste Mutter, jetzt ist es eine wahre Freude, vor die Fenster zu schauen und das Hämmern und Schlagen und Klopfen und Schreien der Arbeitsleute zu hören, dazu den Gärtner eifrig bestrebt zu sehen, bald möglich den Diakonissen einen Garten herzustellen, den sie bisher so schwer vermißt. Mistbeete sollen auch alsbald angelegt werden. Woher aber Geld dazu? Herr Pfarrer weiß Rat. Die sieben Fastenpredigten werden gedruckt und vermittelst sonderbarer Metamorphose in Mistbeete verwandelt. Es waltet Gottes Segen bei unserm Werk, und ich, meine liebe Mutter, ich bin recht glücklich, Mitarbeiterin an demselben sein zu dürfen. Wenn auch manchmal der Beruf ein wenig drückt, meine Grundstimmung ist doch diese.
...Meine geliebtesten Stunden die Woche über sind Donnerstag und Samstag von 6–7, wo Herr Pfarrer Unterricht über Psychologie gibt. Nein, so etwas hab ich noch nicht gehört! Wir stehen jetzt bei der Dreiteiligkeit und Zweiteiligkeit des Menschen, haben die Stellen angeschaut, wo es heißt: Leib und Seele, und wo es heißt: Leib, Seele und Geist.
Heute gehört meine freie Zeit noch einem nötigen Brief und der Weiterführung einer akademischen Aufgabe, die ich bekommen: die Geschichte der Bibel.
Liebstes Mutterle, ich habe Dir eine Botschaft zu bringen, eine freudige wie immer. Vielleicht ist ihr Schall schon zu Dir gedrungen: Nächste Woche, so Gott will und wir leben, so uns der Himmel gütig zulächelt und nicht ein trübes, tränenreiches Gesicht macht, so Du, teure Mutter wieder in Eichstätt bist, so mit einem Wort, unser Plan hinausgeht,... sehen wir uns! Ist das nicht herrlich, wunderschön, ganz vortrefflich? Ja, der Herr Pfarrer hat halt doch ein wenig ein väterliches Herz gegen uns, wenn er uns gleich mit so harten Worten entlassen hat.
Nun will ich aber hübsch ordentlich nacheinander her erzählen, was ich eigentlich will. Diese einleitenden Sätze sollen nur den Freudensprung fürstellen, den ich Dir gar zu gerne vorgemacht hätte. Herr Pfarrer Wilhelm Löhe gab dieses Semester, wie Tochter Marie wohl berichtet haben wird, Lektionen über Missionsgeographie. Vor seiner Abreise schloß| er in diesem Unterricht gerade die Gebiete Heidenheim und Eichstätt ab. Öfters sagte er scherzweise: „Es wird nichts übrig bleiben, als daß ihr einmal so eine Studienreise nach Eichstätt zu dem ständigen Herrn Vikar Stählin und Frau Wilhelmine von Harsdorf macht.“ Wir hielten es für Spaß, er aber für Ernst, und bekundete denselben unmittelbar vor seiner Abreise gegen den Herrn Konrektor. So ist denn beschlossen, wir wollen die Arbeitsfelder Wunibalds, Willibalds, Walpurgis’ uns anschauen; nächsten Montag früh 4 Uhr machen wir uns auf, wandeln nach Gunzenhausen, von da nach Heidenheim. Dort übernachtet man, zieht von da nach Eichstätt und kommt dortselbst am Dienstagabend an! Ach, wie soll ich es denn machen, daß ich meine Freude ein wenig hermale!Ja und denk nur, die Tochter junior kommt auch. Ich hoff doch, daß Du in Eichstätt bist. Marie wäre außer sich.
Unterwegs singen, beten, erzählen etc. wir. Herr Konrektor betreibt, daß man mit reichem Stoff versehen ist. Ein Leiterwagen wird mitgenommen. Spiel- und Hesselberg werden bestiegen. – Grüße an die Geschwister.
Gelt, liebes Mutterle, Du kommst bis Dienstag wieder nach Eichstätt, daß ich Dich wiedersehe. O wie freu ich mich!
Doris Braun kommt am 1. Oktober wieder hieher, um hier zu bleiben. Wir freuen uns alle darüber. Sie kommt hieher als Probemeisterin, d. h. als Leiterin und Aufseherin derjenigen Schülerinnen, die Diakonissen werden wollen und ihre Probezeit also durchzumachen haben. Es entsteht das Amt erst mit ihrer Person, hat sich aber als ein durchaus nötiges erwiesen. Außerdem soll sie Assistentin der Frau Oberin werden. Hunderttausend Veränderungen stehen mit dem neuen Semester bevor. Und zu alle dem will Herr Pfarrer im nächsten Semester den gesamten Unterricht des Hauses einer gründlichen Revision unterziehen, auch die diesjährige Prüfungsordnung ganz anders formieren. „Immer derselbe Gang ist so langweilig.“ Das ist ganz charakteristisch für unser Leben. Nur immer Veränderung, nur immer im Zuge bleiben, nur der trägen Natur keine Zeit lassen auf dem weichen Bette der Gewohnheit einzuschlafen!
Unser Betsaal soll zu Weihnachten eingeweiht werden, wenn er fertig wird. Unser Paramentenverein wird da vollauf| zu tun bekommen, denn der Schmuck des Altars muß herrlich werden. Wenn ich nur recht schön sticken könnte, jetzt wüßte ich wozu; denn Krägen und dergleichen stickt eine Diakonissin nicht mehr. Der Paramentenverein dient bei uns zugleich als höhere Schule der weiblichen Arbeiten. Ist eine Schülerin so geschickt, daß sie von der gewöhnlichen Nähschule dispensiert werden kann, so avanciert sie in den Paramentenverein. Das ist gewiß recht schön und zeigt, wie auch dies Gebiet, auch solche scheinbar geringen Künste dem Herrn Jesus zu Füßen gelegt und zu Seiner Ehre verwendet werden können.Wozu schreibe ich Dir eigentlich so viel? Offenbar nur um das Papier auszufüllen. Denn Reden geht schneller, und das ist mir ja in Aussicht gestellt. Gelt, Du läßt mich Dein Moritzle recht fleißig herumtragen! Nein, wie ich mich freue auf alles, aber besonders auf die zwei kleinen Kinder, die ich so sehr, sehr liebe. ...Vorige Woche ging meine Stubengenossin Margarete Schmieg nach Fürth ab, um der dortigen Krippenanstalt vorzustehen. Ein rechter Diakonissenberuf. Nun residiere ich allein in meinem Stübchen. Solch eine Wohltat weiß man hier zu schätzen. Doris Braun hat in den ersten Wochen ihres Hierseins nach Hause geschrieben, sie schlafe hier auf dem Marktplatze.
Ich werde Dir viel von unsern interessanten psychologischen Stunden erzählen. Da wird man in der Tat und Wahrheit mit jeder Stunde um ein Stück gescheiter, obwohl, ja eben deshalb, weil Herr Pfarrer fast in jeder Stunde sagt und also auch uns sagen lehrt: Ich weiß gar nichts, bin ganz dumm, ich kann nur das Eine: bemerken und – mich wundern. Gestern z. B. kam in der Betrachtung der sieben Teile bei der Leiblichkeit des Menschen das Herz an die Reihe. Da wurden wir aufmerksam gemacht, wie oft in der heiligen Schrift das Herz vorkomme, wie es da immer als Zentrum des Wollens, Denkens und Empfindens erscheine, geradezu alles vertrete, während wir gewohnt sind, alle diese Dinge dem Kopf, dem Gehirn, sonderlich der grauen Substanz zuzuschreiben. – „Vielleicht ist das gerade unser Unsinn, unsere Verkehrtheit.“ ...
Nun trat Herr Pfarrer ans Pult und zeigte uns in einer kurzen Ansprache, daß die Dienerin Jesu nicht wird durch irgend eine äußere Geschicklichkeit und Gewandtheit, sondern allein durch ein gottverlobtes Leben. Deshalb habe man uns auch dies Bethaus gebaut. Er hielt uns dann vor, was alles wir in demselben zu erwarten hätten, und kam der Einwendung, daß er uns am Ende zu viel versprochen, durch die Bemerkung zuvor, daß, wenn sich’s um Gottes Wort handelt, die Wirklichkeit immer alle Verheißung und Erwartung übertrifft. Am Schluß sangen wir den 1., 10., 11. und 12. Vers von dem schönen Liede: „Ich steh an Deiner Krippe hier.“ Als wir zu dem Vers kamen: „Nehmt weg das Stroh, nehmt weg das Heu“, da sang wieder ein kleinerer Chor dreistimmig bis zu dem letzten Vers: „Zur Seiten will ich hier und dar viel weißer Lilien stecken“, wo wieder die ganze Hausgemeinde einfiel. – Es lautet freilich alles so trocken, wenn ich’s da nacheinander hererzähle, aber es war schön!... Zum erstenmal wurde in diesem Jahr dem ganzen Haus in einem Zimmer beschert, in unserm festlich geschmückten „Familienzimmer“, in dessen Mitte ein glänzender Baum durch die Dornenkrone mit seiner Spitze zur Decke emporstrebte und zwei große Engel mit weißen, sternbesäten Gewändern die Freude verkündigen halfen, „die allem Volk widerfahren ist“...
Herr Pfarrer Löhe hat mit uns zwei Geburtstagskindern (Schwester Gertrud Hahn feiert mit mir ihren Geburtstag) Kaffee getrunken, d. h. er seine Schokolade und wir, Frau Oberin und die übrigen Schwestern, das andere berühmte Getränk. Es war Zufall, daß Herr Pfarrer gerade im Hause war. Er gratulierte uns ein wenig komisch. Mir wünschte er, daß| ich in diesem Jahre recht freundlich gegen ihn werden möge, weil ich ihm ja den Tag zuvor bös gewesen sei. (Es bezog sich das nämlich auf eine von mir vor einer Lehrstunde eingereichte flehentliche Bitte, nicht so hart und streng zu sein. Es bezog sich nämlich die Strenge hauptsächlich auf mich und ich wollte mich ihr ganz gerne unterwerfen, wenn sie nicht so öffentlich ausgeübt würde.) Es ist unser Herr Pfarrer ein gewaltiger Mann. Er kann einen recht hinunter- und hinaufziehen. ...Er tadelt immer an mir, daß ich keinen Dettelsauer Brief schreiben könne, d. h. ganz strikte bei der Sache bleiben, nicht mehr und nicht weniger, als nötig ist, verhandeln. Ich bemühte mich nun es recht zu machen, bekam aber dann die Weisung, das Bemühen gehen zu lassen. Er sei vom singenden Vortrag auch nicht auf diese Weise kuriert worden. ...Denk’ Dir, ich nehme nun Stilstunden mit den Roten, und Herr Pfarrer ist so barmherzig, mir meine Aufsätze zu korrigieren. Da kann man aber lernen! Es ist zu interessant, diese Korrektur! Neulich hat er mir darunter geschrieben: „Es ist eine gewisse Manier im Stile; die wollen wir doch, wenn wir können, fassen und austun.“Ich wünsche Euch viel Segen für das Jahr 1860.
Liebe, gute Schwester, jetzt möchte ich Dir wieder einmal recht viel Eingehendes von uns schreiben, und damit dies geschieht, meinen Brief ein wenig tagebuchartig einrichten. Da mußt Du halt ungleichen Stil, ungleiche Schrift und Tinte entschuldigen.
Heute (Montag, den 13.) war, wie gewöhnlich, nachmittag von 3–5 Akademie. Das ist’s, was diesen Tag auszeichnet. Es hat nämlich bei uns fast jeder Tag etwas Besonderes. Der Hauptgegenstand der Besprechung war diesmal die Armenpflege. Es existieren in unserer Gemeinschaft jetzt zwei Armenvereine: der eine besteht aus Gliedern, die im Dorfe leben, also Bauern, sodann Frau Direktor Alt, Fräulein Förderreuther etc., der 2. aus Bewohnerinnen des Diakonissenhauses. Um Kollisionen zu vermeiden, schied man die Territorien.| Wir haben außer der zu uns gehörigen Blöden- und Pfründenanstalt auch die beiden Filiale Reuth und Haag übernommen. Es ist ein ziemlicher Eifer da, die Kranken und Armen zu besuchen und ihre Nöte zu erkunden. Von dem einen Drittel unserer Klingelbeuteleinlage werden Unterstützungen gespendet. In der letzten Zeit dringt Herr Pfarrer besonders darauf, daß man die Bücher der Armen ins Auge fasse; oft haben sie Verkehrtes, oft fehlt alles. Man ließ dieser Tage etliche „Brastberger“ (dieses Predigtbuch empfiehlt Herr Pfarrer für die Bauern. Luthers Postille verstünden sie nicht) und „Starkenbücher“ kommen. Dieses Gebetbuch sei den Bauern nützer als die Samenkörner. Obwohl die Gebete in beiden Büchern in gar keinen Vergleich zu stellen sind, sich wie Feuer und Wasser zueinander verhalten, so ist doch das Starkenbuch in unsern Zeiten, unter unseren Leuten vorzuziehen; denn es hat den großen Vorteil, daß jedem Gebet eine Betrachtung vorausgeht, durch welche man sich in die Gebetsstimmung hineinlesen kann. Und das braucht so ein Weib, das eben sein Vieh gefüttert hat und nun beten will. Die Gebete in den Samenkörnern setzen alle eine inwendige Sammlung und Feier der Seele schon voraus.Vorigen Freitag hatten wir abends Abendmahl in der Dorfkirche. Immer noch zögert die Erlaubnis vom Konsistorium, daß wir unsere eigenen Abendmahlstage haben dürfen. Wahrscheinlich ist die Beichtstuhlgeschichte an dem Verzug schuld. Hast Du schon davon gehört? Jedermann weiß, daß Herr Pfarrer Privatbeichte hält. Das ist bis jetzt immer in der Sakristei, zuweilen auch in seinem Haus geschehen. Um nun eine bessere Einrichtung zu diesem Zweck zu treffen, ließ Herr Pfarrer einen Beichtstuhl machen, und darüber sind nun die Herren ungehalten, obwohl doch der Beichtstuhl nicht etwas der lutherischen Kirche Fremdes ist. Herr Pfarrer hat ihn jedoch alsbald wieder herausnehmen lassen, weil’s ja doch nicht auf die bequemere Einrichtung, sondern auf die Sache selbst ankommt. ...Den Tag vorher, Donnerstag, feierten wir die Hochzeit unseres Gärtners (Herr Neupert). Bei dem Mahle floß manch schönes Wort aus Herrn Pfarrers Munde. Die Sängerinnen hatten allerlei schöne Sachen eingeübt. Als nun eine Pause eintrat, erhob sich mit einem Male Herr Pfarrer und sagte in herausforderndem Tone: „Wer dem Gärtner nicht gut ist, der hat’s mit mir zu tun.“ Und diesen Satz behauptete er, indem er aus der Heiligen Schrift nachwies, wie hoch man die Gärtnerei achten müsse...
Heute vormittag predigte uns Herr Pfarrer über 2. Tim. 3. Schon seit mehreren Wochen wählt er immer die Texte aus den Timotheusbriefen. Die Herren unseres Ortes haben nämlich alle Donnerstag abend Kapitel, und da lesen sie die Pastoralbriefe. Jeder hat eine andere Ausgabe des griechischen Testaments, einer die Vulgata etc., und wir genießen auf die angedeutete Weise eine Frucht dieser Zusammenkünfte. ...Die beiden letzten Predigten (vor acht Tagen war der Text 2. Tim. 1, 14 ff.) waren besonders wichtig. Sie zeigten uns die Not und das Elend der gemischten Kirche und wie das in der Welt nicht anders sein könne. Daran schlossen sich ernste Mahnungen an die Unzufriedenen unter uns, die unglücklich über die Enttäuschung sind, in der sie sich finden, weil sie gehofft,|Teure Mutter, ...ach, wie schön muß jetzt der Garten sein! Wie gerne möchte ich die Morgen- und Abendstündchen darin zubringen! Es geht einem ordentlich das Herz auf, wenn man in der jetzigen Jahreszeit in der freien Natur herumstreifen kann. Das habe ich neulich empfunden, als Herr Korhammer so freundlich war, mich zu einer Tagespartie einzuladen, die am Fronleichnamstag ausgeführt wurde. Wir waren schon um 3/46 Uhr auf den Beinen und gingen nach dem drei Stunden von hier entfernten Diedorf, wo wir den ganzen Tag sehr vergnügt zubrachten. Und der Heimweg, ach, der reizende Heimweg! Es kann gar keine schöneren Wälder geben als die, durch welche wir da gekommen sind. Ich hatte einen Strauß gepflückt, den ich fast nicht umfassen konnte. Bei solchen Partien will mich vorher immer die Zeit reuen, aber das ist wirklich dumm, denn man arbeitet nach einer solchen Unterbrechung wieder zehnmal leichter.
Ach! der Gedanke, daß ich schon nach anderthalb Monaten das Institut verlassen soll, wird mir immer schwerer. Nur ein Vierteljahr wenn mir noch drein gegeben würde! Hätte ich doch die Zeit besser benützt!...
Inniggeliebte Mutter, ich komme soeben von unserm Gärtchen, wo ich ein recht vergnügtes Stündchen zugebracht habe, indem ich nämlich in meiner englischen Bibel las, mit der mich neulich Herr Korhammer beglückte und die, in schön gepreßtes Leder gebunden und mit Goldschnitt verziert, fast die schönste Zierde meiner kleinen Bibliothek macht.
...Unser Examen ist heuer am 13. August (in sechs Wochen). Wie will ich diese wenigen Wochen noch benützen, um so viel als möglich noch von dem Unterricht im Institut zu profitieren! Ich fühle mich glücklich in dem Gedanken, einmal, und zwar recht bald, meinen eigenen Unterhalt verdienen zu können und dadurch einen Teil Ihrer Sorgen hinwegzunehmen. Freilich will es mir manchmal bitter scheinen, der Aussicht,| Lieder, Passionslieder. Vor etlichen Wochen hat er uns den Vorschlag gemacht, für jede Katechismusstunde etliche Verse zu lernen, aber so, daß keine besondere Zeit darauf verwendet wird, während des Brotessens und dergleichen. – Wir lernten nun so schnell, daß wir in kurzer Zeit die Lieder vom ersten bis zum letzten, so viel in unserm Gesangbuch stehen, konnten, und heut hat uns Herr Pfarrer examiniert. Es war recht komisch, als er zum Anfang bemerkte, daß ja Leute zugegen seien, die er nicht aufsagen lassen dürfe (Respektspersonen), es sollten sich doch die melden, die vom Aufsagen verschont sein wollten. Da steht unter Lachen die ganze Kompagnie, voran die jüngsten Schülerinnen, auf. – Es geschieht das, glaube ich, auch nur in Dettelsau, daß gestandene Leute jeden Tag ihr Lied lernen und sich dann verhören lassen. Du müßtest lachen, wenn Du sehen könntest, mit welchem Eifer Doris und ich vor der Stunde schnell noch in ein Zimmer gehen und uns da verhören oder uns wenigstens wie die Schulkinder fragen: „Kannst du dein Lied? Auch alle Verse anfangen?“Morgen ist Dein Geburtstag, meine liebste Schwester. Wir werden ihn sehr feierlich begehen. Frühmorgens gehen sie („wir“ darf ich arme Kreatur ja da nicht sagen) ins Pfarrhaus und stimmen schöne dreistimmige Gesänge an. Sara Hahn treibt seit einiger Zeit Heimlichkeiten mit einem großen Bogen, auf den sie mit prächtiger Malerei und Zierschrift den 20. Psalm setzt. Sonst hat sich der Herr alles verbeten; nicht einmal gratulieren soll man ihm, „wenn man ihm nicht etwas ganz Besonderes zu wünschen hätte“. Aber Du läßt Dir doch gratulieren, liebe Ida, sintemal mein Wünschen nicht ein leeres sein soll, sondern zum Gebet werden soll. Ein Jahr des Segens tue sich Dir auf. Euer ganzes Haus sei Gottes Hütte, in der es Ihm gefällt. An Deinen Kindlein schenke Er Dir große Freude und verleih Dir Weisheit, Seine Weisheit zum schweren Geschäft der Erziehung. Von meinem Dank, den ich Dir, meine liebste Schwester, schuldig bin, will ich jetzt schweigen, aber meinem Heiland will ich ihn zu Füßen legen und Ihn bitten, daß Er mit vollen Händen Dir heimzahle, was Du an mir getan...
Gottes Gnade sei mit Dir!
Herzlich geliebte Ida, habet schönen Dank für Eure viele, erfolgreiche Bemühung. Unsere Freude war groß, als die meisterhaft gepackten Herrlichkeiten ausgepackt wurden. Es ruht ein offenbarer Segen auf unserm Unternehmen. Wir haben jetzt 330 Gewinste beisammen, und weil viele wertvolle Sachen dabei sind, so halten wir es für ganz recht, statt 5000 Lose 6000 zu verbreiten. Wir haben schon mehr als einmal die Erfahrung gemacht, daß hier gewöhnlich die Baukosten im voraus zu gering angeschlagen werden. So geht es gewiß auch mit den 500 fl. für das Leichenhaus, zu welchem bereits der Riß vorliegt...
Unsere Gebetsvereinigung zur Mittagszeit wird uns immer süßer, so daß wir bitten wollen, daß wir auch für die Zeit nach der Passion so etwas haben möchten.... Neulich hätte ich beinahe meinen Mesnerinnendienst verloren. Andere zuerst, dann ich selber sahen, daß die Arbeit über die Kräfte ging, d. h. daß sie eben nicht ordentlich getan werden konnte. Es hieß, der Betsaal erfordere eine ganz eigene Person, die sonst keinen Beruf hätte. Es schmerzte mich in der Tat, diesen schönsten der Dienste fahren lassen zu müssen. Ich sehne mich nämlich oft sehr nach einem äußerlichen, so recht weiblichen Dienen. Es ist einmal die weibliche Natur für das immerwährende Lehren nicht angetan. ...Nun ist’s aber glücklicherweise so gekommen, daß auf unsere Bitte die Mesnerarbeit statt unter zwei unter vier verteilt wurde. Das ist Dir eine Lust, wenn wir zuweilen alle vier in unserm Gotteshause wirtschaften. Doris ist auch dabei.
Gestern abend kam Herr Pfarrer in unser Kapitel. Da war er wieder so väterlich gegen uns. Es gab nämlich einiges zu schlichten, und wir, wenigstens etliche von uns, hatten mehrere Tage zuvor seine Strenge zu fühlen. Ich hatte einen schweren Tag, bis ich mich entschlossen, Herrn Pfarrer zu schreiben, und schon nach einer Stunde bekam ich von ihm Antwort; zwar zog sich eine ernste Weise durch den ganzen Brief hin, wie es auch nötig war, dennoch konnte ich ganz fröhlich sein, nachdem ich die ernsten, liebevollen Worte gelesen. – „Ihr solltet ein Bau sein, der nicht alsbald zu stürzen droht, wenn| er mit dem Finger der Wahrheit und der väterlichen Liebe berührt wird.“ Es wurde gestern abend wieder die Wahl einer Kapitelsoberin vorgenommen, weil das Jahr vorüber ist. Wir alle wollten, daß unsere Frau Oberin Kapitelsoberin würde, weil etwas Unnatürliches drin zu liegen scheint, daß eine Schwester im Beisein der Frau Oberin das Kapitel leitet. Allein es ging der Wunsch nicht durch, und so wurde die bisherige Oberin neu gewählt...
Meine liebste Mutter, ...wir haben eine schöne Festzeit erlebt. Am Gründonnerstagabend war wieder Liebesmahl, wobei ungefähr neunzig Personen in unserem Familienzimmer waren. Es wimmelte in diesen Tagen von Gästen, so daß unser Betsaal oft ganz gefüllt war beim Gottesdienst. Am Ostersonntag schallte es schon früh halb fünf Uhr durch unsere Schlafböden: „Der Herr ist auferstanden, Halleluja!“ Und Schlag sechs Uhr war alles im Betsaal versammelt, um die Ostergesänge anzustimmen. Herr Pfarrer selbst kam heraus und hielt den Gottesdienst. Wir Mesnerinnen hatten den Altar schön geschmückt mit frisch aufgeblühten Camelien etc. und Lichtern.
...Gestern und heute gingen schon mehrere unserer Kinder auf Ferien, etliche um nicht wieder zurückzukehren. Es wird doch durch das viele Abschiednehmen das Gefühl dafür nicht so abgestumpft, als man denken könnte, besonders nicht gegenüber Kindern, die man eine Zeitlang hat leiten dürfen, wo einem beim Abschied auch alle Untreue einfällt, deren man sich schuldig weiß.
Mir war in Deinem lieben Brief die Stelle besonders rührend, wo Du schriebst, wie Du in früheren Jahren oft für uns gebetet. Habe Dank, tausend Dank, Du liebe, gute Mutter, für jedes Gebet, das Du auch für mich zum Heiland gerichtet hast und noch richten wirst. Habe überhaupt Dank für alles! ...Mit der innigsten kindlichen Liebe bin ich
Mein gutes Mutterle, ...das neue Semester hat begonnen. Ich bekomme vortreffliche Schülerinnen. Es ist, als ob uns der liebe Gott für das vorige Halbjahr entschädigen wollte. Ich bin voll Mut und Freude. Herzliche Grüße
Meine liebste Mutter, ...seitdem ich Dir nicht mehr geschrieben habe, hat sich unter uns viel ereignet. Nach langem, sehnsüchtigem Warten kam endlich vom Konsistorium die Erlaubnis, daß wir unsere eigenen vollständigen Gottesdienste haben und auch Abendmahl in unserem Betsaal halten dürfen. Am Pfingstmontag war das erste Abendmahl, das sollte zugleich der Tag der feierlichen Weihe unseres Bethauses sein. Wir haben nun in der Tat alles, was wir nur wünschen können. Und denk Dir dabei meine Privatgefühle als Mesnerin, als wir zum erstenmal den Wein eingießen, die Brote zum erstenmal zurechtlegen durften. Überdies predigt Herr Pfarrer jetzt wieder jeden Sonntag. An den Trinitatissonntagen will er uns über die Nachfolge Jesu predigen. In der ersten dieser zusammenhängenden Predigten, am vorigen Sonntag also, erklärte er uns zuerst die verschiedenen Arten der Nachfolge und sagte uns dann einzelne Sprüche, in denen uns Tugenden Jesu genannt werden, welchen wir nachstreben sollen. Aber mit einem Male unterbrach er diese Reden und sagte in einem Tone, der sich nur aus dem beichtväterlichen Verhältnis Herrn Pfarrers zu uns erklären ließ: „Ich will euch zeigen, worinnen ihr vor allem Jesu nachfolgen sollt: ihr sollt ihm in der Demut folgen.“ Und nun wurde Jesu Demut vorangestellt und dagegen unsere Demut, d. h. unser Hochmut in einzelnen aus unserem Leben gegriffenen Beispielen gestraft.
Am andern Tag hielten wir Diakonissen Kapitel, und da schlugen wir einen Haufen Stellen nach, die alle von der Nachfolge Jesu in der Demut handelten.
| Gegenwärtig ist die Suspension unseres Herrn Pfarrers in der Schwebe. Ein ganz verhärteter Bösewicht der hiesigen Gemeinde, der in allen möglichen Sünden und Greueln lebte, ließ sich von seinem Weibe scheiden und heiratet nun eine andere. Da nun wohl nach den bei uns geltenden Ehegesetzen, nimmer aber nach Gottes Wort so etwas geschehen darf, verweigert Herr Pfarrer die kirchliche Einsegnung. Die kirchlichen Oberen drohten mit der Suspension. Wir erwarten nun, was geschieht.
Du brauchst von mir keinen Rat. Es ist alles gesagt, wenn ich Dir zurufe: Halt Dich fest, recht fest an Deinen Heiland. Nimms recht genau mit der Sünde, aber jammere und klage nicht immer über Dein Sündenelend, sondern senk Dich alle Tage tiefer in Seine heiligen fünf Wunden. –
Jetzt wollen wir wieder was anfangen, damit wir doch nie ruhen in guten Werken: wir wollen ein Rettungshaus gründen. Dazu betteln wir halt wieder Geld, wir sind ein Comitee von fünf Gliedern. Heut ist große Konferenz. Eine Rede über die „Rosenmonate“ hält Herr Pfarrer. Wir dürfen zuhören...
Ich will ein wenig davon erzählen, wie wir die Wartezeit ausfüllen. Denk Dir, Herr Pfarrer hat uns wieder eine neue Idee gegeben, nämlich ein Rettungshaus hier zu gründen. Wir sammeln nun mit Eifer dafür. In den Akademischen Stunden wird immer dafür gesorgt, daß unsere Hände nicht ruhen, sondern Werke der Barmherzigkeit wirken. Mir ist alles, was ich tun darf, große Freude. Meinem Beruf als Lehrerin gebe ich mich in diesem Semester mit besonderer Lust hin, da mir meine Klasse viel Freude macht, außerdem gehe ich jeden Sonntagnachmittag nach Bechhofen, um dort die Kinder um mich zu sammeln und mit ihnen heilsame Dinge zu treiben. Ferner habe ich mit Babette Dieterich eine große Arbeit unternommen, nämlich eine Liederkonkordanz zu schreiben, die es einem jeden Menschen ermöglicht, sobald ihm irgend ein Vers einfällt, das ganze Lied kennen zu lernen. Wir hoffen, damit auch einiges Geld zu verdienen, und Geld brauchen wir immerzu. Außerdem darf ich demnächst auch ein Velum (eine Kelchdecke) sticken, aus roter Seide mit Gold zu einer Altarbekleidung nach Amerika. Ich wollte, der Tag wäre nur ein paar Stunden länger...
In dankbarer, kindlicher Liebe
Liebes, gutes Mutterle, ...und nun laß Dir noch sagen, daß ich das neue Semester recht vergnügt angefangen habe. Ich lehre nun auch Mittelhochdeutsch, in welche Wissenschaft ich mich aber erst hineinarbeiten muß. Neulich habe ich Hostienbacken gelernt. Das ist mein erstes Backwerk, das ich bereitet habe.
Meine liebste Mutter, ich wünsche Dir so viel, was mir diktiert wird von dem Dank, den ich Dir schuldig bin. Ich wünsche Dir noch recht viele Geburtstage, von denen immer einer fröhlicher wird als der andere. Ich denke mir, das muß so sein, daß man je älter je fröhlicher wird. Hat man doch mit jedem Jahr aufs neue eine Zeit der Mühsal hinter sich und ist ein Stück leichter geworden zum eilenden Flug zu der Ewigkeit. Ich werde Dir an Deinem Geburtstag alles erbitten, was ich denke, das Du brauchst. Ich bete überhaupt in letzter Zeit ernstlicher für Dich und unsere Angehörigen, als ich es bisher getan. Ich habe mir eine feste Regel für mein Gebetsleben gemacht, wozu auch gehört, daß ich mir eine Zeit besonders für die Fürbitten bestimmt. Und weil ich das Verlassen dieser Regel zu fürchten habe, wenn es nur mir überlassen ist, so tut mir jemand die Barmherzigkeit, mich zu mahnen und von Zeit zu Zeit meine Selbstkontrolle, die ich darüber führe, anzusehen.
Du hast, liebe Mutter, an den Briefen, die ich Dir schreibe, ein ziemlich genaues Thermometer über mein inneres Leben. Du hast vielleicht manchmal gelächelt über die überschwenglichen Briefe, die ich in den ersten Semestern meines Hierseins geschrieben; es sind dafür dann später nüchternere gekommen, wie es ja nicht anders sein kann. Es werden ja die meisten Christen den Weg gehen, daß sie eine Zeit der ersten Liebesglut haben, dann vielleicht in ein entgegengesetztes Extrem verfallen, bis sie endlich zu der seligen Mitte einkehren. Ich sehne mich sehr nach dieser Zeit der Mitte. Was ich Dir vor einiger Zeit von meinem Wunsch, einmal von hier fortgeschickt zu werden, sagte, war dummes Zeug. Es können nicht immer die Rosen blühen, und wenn mich hier ein paar Dornen stachen, so wollte ich fort. Gott sei Dank, daß er mir meinen Willen nicht getan hat. Es gibt nichts Törichteres, als von hier selbst fort zu wollen.
Ich freu mich, daß die Jahre hingehen und daß ich älter werde. Wenn ich nur erst einmal fünfundzwanzig Jahre alt bin!
Gott schenke Dir ein neues Jahr des Segens und bezahle Dir tausendfältig all Deine Muttertreue!...
- ↑ Herr Pfarrer brachte Marianne zur Kur nach Cannes.
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