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Med. Topographie Gmuend:053

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Franz Joseph Werfer
Versuch einer medizinischen Topographie der Stadt Gmünd
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und frühzeitig ihren Kleiderluxus auf dieselben ausgedehnt, um ja recht bald den Eitelkeitstrieb in ihnen zu wecken, der doch gewiß, zumal bey Mädchen, nicht wohl ungeweckt bleiben würde. Auf gleiche Weise verhält es sich in Hinsicht der Bette, wo auf der einen Seite manche vor lauter Völle und Menge der Federkissen fast ersticken, und auf der andern viele aus Mangel derselben erfrieren möchten, woraus freylich letztere den Vortheil und Nutzen ziehen mögen, daß sie schon frühzeitig abgehärtet und tüchtig werden, jeder unfreundlichen Witterung und gar manchen künftigen, immerhin sie meistens treffenden Ungemach leichter trotzen zu können; dagegen jene vor jedem unfreundlichen Luftzug fleißig verwahrte, weichliche und verzärtelte Kinder leichter erkranken, und herangewachsen die ihnen dann nicht selten begegnende Beschwerden des Lebens mit doppelten Wehgefühl ertragen müßen; und da sie immer mehr zum Genuß als zur Entbehrung erzogen heranwachsen, um so drückender fällt dann auf sie der spätere Mangel, der ihrem meist geschäftlosen Leben so gerne folgt. Die warme Kopfbedeckungen sind wenig mehr üblich, und meistens wird jetzt den Kindern das Haar abgeschoren, und der Kopf unbedeckt gelassen; man bemerkt auch seitdem weniger Kopfausschläge bey Kindern, dagegen sieht man sie desto häufiger an einer Schärfe der Haut leiden, die daselbst Ausschläge bildet, was viele Eltern der Kuhpockenimpfung irrig zuschreiben; aber von den vielen und großen nachtheiligen Folgen, welche einige von der Gewohnheit des Kopfhaar abscheerens und Baarkopf gehens wollen gesehen haben; als Zahn- und Kopfschmerzen, Migraine,

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die bis zur Verzweiflung führen können, Blödigkeit des Gesichts, Geschwüre im innern Ohre, Taubheit, Drüsengeschwülste, bey Kinder zurückhaltendes Wachsthum, Stumpfheit des Geistes u. a. habe ich bisher noch nichts gehört und gesehen.

Die moralische Erziehung, welche auf das physische Wohl so bedeutenden Einfluß hat, hat bey vielen auch viele und große Gebrechen, zumal wo, wie häufig vergessen und nicht beachtet wird, den einzig wahren Grund und Boden aller guten Erziehung – Religion – schon von frühester Jugend an, wo das Herz noch so offen und empfänglich dafür ist, fleißig zu legen und zu pflegen. Oft und vielmal wird die Verzärtelung der Kinder von so manchen Eltern zu weit getrieben, welche statt den Körper schon in den ersten Jahren zur Ertragung der Arbeiten und Bürden des Lebens tüchtig zu schaffen, den Geist entnervt und abstumpft, nur Eigensinn, Störrigkeit und Lüsternheit gebühret, statt Gehorsam, Liebe und Entbehrung in das junge Gemüth zu pflanzen: und gewiß kann es keine gute Folgen haben, wenn, wie es hier häufig üblich ist, Kinder von sechs und sieben Jahren an schon zu den öffentlichen Tänzen und Ergötzlichkeiten bey Tag wie bey Nacht, in der Absicht denselben eine Freude zu machen, mitgeführt oder vielmehr hingetragen werden; denn wenn auch ihr noch unreifer Verstand nichts Arges und Unschickliches dabey sieht und auffaßt – wofür man indessen nicht immer gut stehen kann – so wird doch diese frühzeitige Gewöhnung an rauschende Ergötzlichkeiten dem Hang dazu eine noch weit größere Gewalt über ihre junge Gemüther bey der schon angebohrnen Ueberwiegenheit