Maria Stuart (Die Gartenlaube 1875/2)
[39] Maria Stuart. (Mit Abbildung, S. 25.) Wo in deutschen Landen die Schottenkönigin Maria Stuart genannt wird, da zieht zugleich mit einer der erschütterndsten Epochen der Geschichte die rührendste Gestalt der Schiller’schen Dichtung an der Seele des Hörers vorüber. Wohl in keinem seiner Gebilde hat unser großer Dichter einen so bedeutsamen Tiefblick in das weibliche Herz, eine so vertraute Bekanntschaft mit dem innersten Leben desselben bekundet, wie in seiner Maria Stuart. Seine größte Kunst aber bewährt er in denjenigen Momenten der Dichtung, in denen sich das Schicksal der Gefangenen von Fotheringhay seinem ergreifenden Ende entgegenneigt. Unserem Herzen am nächsten tritt die [40] schöne Königin in den ihrem Tode unmittelbar vorangehenden Augenblicken. Stets wird ein edles Weib, wenn ihm die Möglichkeit des Handelns genommen ist, groß sein im Muthe des Leidens und hierin den Mann, auch den stärksten, übertreffen. Angesichts des gewissen Todes erhebt sich Maria wieder zu ihrer vollen königlichen Größe. Es ist nur Würde und Hoheit, nur Milde und Sanftmuth, was aus ihren Worten zu uns spricht, und die Schatten des nahen Todes verklären das herrliche Weib.
Diesen Moment hat der geniale Wilhelm von Kaulbach in seinem großartigen Bilde (aus der „Kaulbach-Galerie“ von J. Albert in München) zur Anschauung gebracht: Der Sheriff ist eingetreten, um die Königin auf dem letzten Gange zu begleiten. Ihre Frauen, unter ihnen die treue Kennedy, sind um sie versammelt und hängen sich im Schmerz der Trennung an die geliebte Gebieterin. Zu ihren Füßen knieet Melvil, während Burleigh, Paulet und der Sheriff sie in schweigender Erregung umstehen. Zu ihrer Linken im Hintergrunde neigt Lord Leicester, innerlich ergriffen und gedankenvoll, das Haupt. Eben hat Maria aus Melvil’s Hand das Crucifix empfangen – da bricht sie in die Worte aus:
„Nun hab’ ich nichts mehr
Auf dieser Welt – Mein Heiland, mein Erlöser!
Wie du am Kreuz die Arme ausgespannt,
So breite sie jetzt gütig aus, mich zu empfangen!“
Dies der Moment unseres Bildes. dann wendet die Königin sich zum Gehen und erblickt – Leicester:
„Ihr haltet Wort, Graf Leicester – Ihr verspracht
Mir Euren Arm, aus diesem Kerker mich
Zu führen, und ihr leihet mir ihn jetzt!
– – – – – – – – – –
Ihr durftet werben um zwei Königinnen.
Ein zärtlich liebend Herz habt Ihr verschmäht,
Verrathen, um ein stolzes zu gewinnen.
Knie’t zu den Füßen der Elisabeth!
Mög’ Euer Lohn nicht Eure Strafe werden!
Lebt wohl! – Jetzt hab’ ich nichts mehr auf der Erden.“
Kaulbach hat diese Scene mit einer Größe, mit einer Erhabenheit wiedergegeben, vor der wir die Feder in geziemender Resignation niederlegen. – Auch die übrigen Bilder dieser „Kaulbach-Galerie“, Gestalten aus den Schöpfungen Schiller’s, Shakespeare’s und Richard Wagner’s enthaltend, nehmen einen hohen künstlerischen Rang ein. E. Z–l.