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Malerische Wanderungen durch Kurland/Die Stadt und Burg Goldingen

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Talsen, Postenden, Rönnen an der Abau, das Rönnensche Pastorat und die Kirche daselbst. Fahrt nach Goldingen Malerische Wanderungen durch Kurland
von Ulrich von Schlippenbach
Privatgut Willgahlen, die Freysassen in den Kurisch Königen Dörfern; die Peterskirche; Privatgut Wangen
{{{ANMERKUNG}}}
[267]
Die Stadt und Burg Goldingen.

Die Menschen der Vorzeit waren kraftvolle, mächtige Erscheinungen, stark wie Felsen, brausend, jede Fessel verachtend, wie ein [268] stürzender Strom; und so bauten sie gern ihre Häuser und Festen an solchen Orten, wo sie die Natur mit sich selbst in Übereinstimmung fanden – an schroffen Höhen, neben reißenden Strömen, da, wo sich das Erhabene mit dem Schauerlichen begegnete — wo Felsen über Abgründe emporstrebten, wie der Muth über die Gefahr. Hier, im Anblick der tobenden Rummel, des am Felsenufer der Windau aufgethürmten Schlosses, noch in seinen Ruinen, wie ein ausgebrannter Vulkan, drohend, drang sich jene Bemerkung meiner Seele auf. Die Alten sahen gewiß bey Anlegung ihrer Festen nicht so sehr auf Sicherheit allein, als auf Erhabenheit der Aussicht und auf eine Größe, die sie in sich selbst fühlten; wie gleichgestimmte Instrumente die Akkorde einander nachhallen, so harmoniren das Menschenherz und die Natur. Der Heldenmuth lockt das Echo der Stimme in starker Brust aus schroffen Felsen und Höhen. Liebe und Schwermuth ruft ihre Laute in sanften Schatten auf liebliche Rasenplätze am murmelnden Bache aus; der Gram sucht die finstern Dunkel tiefer Wälder, [269] und die Schwäche flieht in Ebenen, um die nahende Gefahr in der Ferne zu erspähn.

Lange, lange stand ich hier und sah in den über die Felsen herabstürzenden Strom und auf die Ruinen mir gegenüber. Aus beyden hallte der Spruch Horazens mir entgegen.

Immortalis ne speres, monet annus et almum
                                             quae rapit hora diem.
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Damna tamen celeres reparant caelestia Lunae
                                             nos, ubi decidimus.
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                                             Pulvis et umbra sumus.


Diese Rummel — wie man den Wasserfall der Windau, unter den alten Mauern des Schlosses, nennt — gewährt ein prächtiges Schauspiel. Die Windau bey Goldingen — schon ein ansehnlich breiter Strom — fließt durch ein hohes Ufer ruhig, still und ernst — wie ein Held, der der Gefahr entgegen geht — bis dann, kurz vor dem Felsen, die Wogen mit einer Gewalt, die allenthalben Furchen in die Felsensteine gerissen, gegen 20 Fuß hoch sich hinabstürzen[1]. Das Becken unter [270] dem Felsen, von der Gewalt des herabfallenden Wassers ausgehölt, empfängt den Strom und hat seinem Sturz ein weiches Bette schneeweißen aufschwellenden Schaumes bereitet; ein Wolkenstreif aus dem Staube der zerschlagenen Wassertropfen, von Sonnenstrahlen mit wechselndem Schimmer geschmückt, zieht sich, wie eine Guirlande gefärbten Äthers, über die stürzende Flut; die Ufer hallen das Brausen bebend zurück und das Felsenbette trägt den Strom, der wieder Kräfte gesammelt, endlich ruhig seiner Bestimmung entgegen, bis dahin, wo ihn das Meer in seinen Schooß empfängt und darein verhüllt.

Ihr Mächtigen der Erde! Hieher den Blick! So stürzt ein Strom! Vermögt ihr der Flut zu gebieten, die auch euch fortreißt und einst in das Meer — das ernste, stille der Ewigkeit — verhüllt? Was hilft es euch dort, einst Felsen mit eurer Kraft zerschlagen [271] zu haben? Dort, wo in die unendliche Flut verloren, euch die kleinste Welle als Bruder begrüßt.

Zur Sommerszeit stehen zwischen den vom Strome eingegrabenen Felsenspalten Gerüste von Holz, an welchen Netze herabhängen. Die Fische, die aus der Ferne das gewaltige Brausen des Stromes herbeylockt, werden, indem sie den Felsen hinanspringen wollen und zurückfallen, in den aufgestellten Netzen gefangen.

Um des Felsens Höhe zu erspringen,
Da, wo das Geräusch der Fluten ruft,
In dem fremden Element zu ringen,
Wagen sich die Fischchen in die Luft.

Von der Morgensonne hell beschienen,
Glänzen sie im kurzen Augenblick;
Doch nur zu gewagt ist ihr Erkühnen —
Und gefangen fallen sie zurück.

Wer mit Palmen seine Stirn zu kränzen
Nach der ungemess’nen Höhe ringt,
Denke an des Fischchens kurzes Glänzen,
Das so muthig in die Netze springt.

Oft sieht man zu gleicher Zeit an mehreren Stellen solche aerostatische Versuche der Fische; ich glaube indeß, daß es nur sehr wenigen gelingt, den Felsen zu erspringen, [272] und dieß allenfalls da, wo die Spalten so tief ausgehölt sind, daß das Wasser nicht zu hoch fällt; eben deshalb soll auch die Windau unter der Rummel viel fischreicher, als diesseits derselben seyn. Jene sonderbare Art des Fischfanges ist als eine Seltenheit Kurlands merkwürdig, und hat zu dem Sprichworte Veranlassung gegeben, daß in Kurland die Fische in der Luft gefangen werden. Die Fischer wohnen am Strom, dem alten Schlosse gegenüber, in Bauerhäusern, die das Malerische der Gegend vermehren. Hier, wo ein Blick den leeren wüsten Palast und die bewohnte kleine Hüte zusammenstellt — doch Hütten kann man immer für das caput mortuum gesunkener Paläste ansehen, die zurückbleiben, wo jene fallen, — hier stehen die Bauerhäuser zwar bewohnt, aber im Vergleich der Ruinen so unansehnlich da, wie eine durch Schwachheit gesunkene Nation neben den Gräbern ihrer großen, mächtigen Väter. Es gewährt viel Unterhaltung, wenn man von der Höhe die schwarzen Fischerböte betrachtet, in denen alle Morgen und Abend dicht über und unter der Rummel [273] die Fischer herbeyrudern, um den Fang zu sammeln. Oft sollte man glauben, es würden die Kähne von der Flut fortgerissen oder unten vom stürzenden Wasser zerschlagen; doch, so viel ich weiß, sind keine Beyspiele vorhanden, daß irgend einer der Fischerbauern hier zu Schaden gekommen wäre. Im Frühling und Herbst, wo das Wasser viel höher ist, passiren, Flösse, die mit Getreide beladen sind, die Rummel, um nach der Stadt und dem Hafen Windau zu gelangen; doch ist diese Fahrt auch bey sehr hohem Wasser immer mit Gefahr verbunden.

Das Ufer der Windau, worauf die Schloßruine liegt, besteht aus bloßem Fels und ist sehr hoch; doch sieht man an mehreren Stellen, daß Mauern bis unten in den Fluß hinabgereicht haben. Die Ruine des alten Schlosses war noch vor wenig Jahren die größte und schönste in Kurland, aber mit jedem Jahre werden mehr Steine aus ihr gebrochen, und bald wird nur ein großer Schutthaufen davon übrig seyn — was der prächtigen Aussicht wegen zu bedauern ist. Die mehrsten massiven Häuser in Goldingen sind von [274] diesen Bruchstücken des Alterthums errichtet. Jezt stehen von den Ringmauern sehr wenige mehr da, nur einige Wände des Hauptgebäudes starren in die Höhe. An der Wasserseite, wo es bey der Nähe des Ufers am wenigsten möglich war, die Steine auszubrechen, hat sich die Hauptwand selbst bis auf einige Spuren, als Verzierung an den Ecken gemalter Quadern, erhalten. Mit meinem Freunde, Herrn Dr. Hennig, der manche interessante Nachricht aus der Vorzeit Goldingens gesammelt hatte und sie mir mittheilte, besuchte ich zuletzt diese Ruinen. Wir gingen lange über die Schutthaufen in der Mitte der Ruine, und dachten der Vergangenheit, wo ihre Züge immer mehr und mehr unkenntlich werden, und schon ein ziemlich starker Baum da wurzelt, wo ehemals kraftvolle Männer und Mauern gestanden. Beym Ausgraben des Schuttes ist ein Keller entdeckt worden, der tiefer in die Erde einen Gang gehabt hat. Dieser ist verschüttet worden, weil die daraus hervordringende Luft dumpf und stockend gewesen seyn soll. An eine weitere Untersuchung des Ganges wurde jedoch dabey nicht [275] gedacht. Vor einigen Jahren stand auch ein kleines hölzernes Häuschen hier, in welchem einige Alterthümer aus den Zeiten, als Kurlands Herzoge hier wohnten, aufbewahrt wurden. Doch auch das kleine Häuschen ist nicht mehr vorhanden, nur auf dem Boden des neuerbauten steinernen Hauses eines sogenannten Schloßwachtmeisters, fanden wir noch einiges übrig. Die Reste eines alten herzoglichen Ehebettes, sagte man uns, wären verbrannt; — wo einst die fürstliche Liebesglut aufloderte, den Altar dieser hohen Flamme hat gemeines Feuer verzehrt. Jezt standen hier noch ein paar Figuren von Holz, welche ehemals, vergoldet, vielleicht einem Fürstenthrone zur Seite gestanden hatten. Ein kleiner Engel, der sich am besten erhalten hatte — wie das den Kleinen immer am leichtesten ist — trug die von Holz geschnitzte, schwer vergoldete Fürstenkrone auf seinem Haupte, welche wahrscheinlich ehemals in der Kirche über dem Fürstenstuhl geruht hat; die Krone verdeckte das Haupt des Engels, so daß von ihm wenig zu sehen war. Die schwere Krone hatte das Haupt [276] des Engels verhüllt; man hätte ihn für einen weinenden halten können, nur ein gefallener war er hier nicht. Keine scherzende Bemerkung drängte sich in meine Seele. Trümmer der Vorzeit, an die sich die Geschichte eines Landes deutend lehnt, sind heilig, sind, wie die Töne des Alphorns dem Schweizer, herzergreifend. Es ist auch dem glücklichsten Manne erlaubt, sich an die Träume seiner Kindheit mit Wehmuth, mit innigem Gefühl zu erinnem; und so sieht man noch gern, wenn man auch ein schönes Ziel der Wanderschaft erreichte, auf den Weg zurück, den man abgelegt und der wie jeder seine Steine und seine Blumen hatte. Ich führe den Leser wieder zu den Ruinen zurück; und hier, an die Denkmäler der Vorwelt gelehnt, möge er etwas von der alten Geschichte dieser Stadt und Feste hören.

Das Schloß Goldingen ist im Jahr 1248 vom Herrmeister Diedrich Gröningen erbaut worden[2]; doch hat schon früher eine Festung auf Altgoldingen gestanden, [277] wo sich jezt eine Hoflage befindet. Die Stadt ist wahrscheinlich mit dem Schlosse zu gleicher Zeit gegründet worden. Ihre ersten Erbauer waren freye, eingewanderte Deutsche, die an dem Ufer der Windau, wo früher ein Tannen- und Fichtenwald stand, sich anzubauen begannen. Zu welcher Zeit das Schloß den Namen Jesus Born (Jesus Bronnen) erhielt, meldet Arndt[3] — der davon spricht — mit keinem Wort. Der Name indessen, welcher im Geschmacke des damaligen religiösen Zeitalters, die Rummel zu einem göttlichen Bronnen machte, verlor sich bald, und das Schloß ward, wie die Stadt, Goldingen genannt. Die Stadt selbst war mit Gräben und Ringmauern umgeben, hatte vier Thore und galt nach damaliger Weise für eine gute Festung; was viele vom Adel bewog dort zu wohnen und Krüge anzulegen. Eine handschriftliche Chronik, aus welcher ich Auszüge erhielt, nennt mehrere Familien, als: die Altenbockum, Stromberge, Brinkener, Osten, Schlippenbachen, Brüggen, Franken, [278] Platers, Goes, Nettelhorst etc., welche hier wohnten. Gleich nach der Erbauung Goldingens durch den Herrmeister Gröningen, und als diese Stadt als Festung fertig war, ließ der Herrmeister den noch ungetauften Kurländern bekannt machen, daß sie sich taufen lassen und dem Orden ergeben, widrigenfalls aber mit Feuer und Schwert dazu gezwungen werden sollten. Die Kuren wollten diese scharfe und feurige Bekehrungsweise nicht gelten lassen, es kam zu heftigen Gefechten, und als die Ritter siegten, begaben sich die Kuren unter die Herrschaft des Litthauischen Fürsten Mendog, der — wie Kelch sagt— auch noch damals ein Unchrist war. Gröningen überwand indessen auch diesen und brachte Kurland völlig unter seine Botmäßigkeit.

Goswin von Hericke gab im Jahr 1355 der Stadt Goldingen das erste Privilegium, und erweiterte die Gränze derselben‚ verlieh ihr auch, wegen ausgezeichneter treuer Dienste, ein eigenes Wappen, die heilige Jungfrau Katharina, mit fliegendem Haar, in der rechten Hand ein Schwert, in der linken ein [279] Rad haltend, mit der Bewilligung in grünes Wachs zu siegeln, was damals nur ein Vorrecht der obern Gerichte war und an einigen Orten auch noch ist. Eine Jungfrau mit fliegendem Haar, Rad und Schwert, besonders wenn das jung erst richtig ist, bleibt doch immer eine arge Brennnessel, wäre sie auch eine Heilige! Einer alten könnte man eher das fliegende Haar für sich, und Rad und Schwert für andere verzeihen. — Ich glaube, die Heilige muß schon ziemlich bey Jahren gewesen seyn, als man sie hier in grünes Wachs zu drücken begann. Dieses Wappen, eine mit Rad und Schwert bewaffnete Jungfrau, wird noch jezt von der Stadt gebraucht, und hat sich hier vollkommen erhalten.

Das Schloß Goldingen ward früher zu einer Komthurey bestimmt, und das Wappen derselben — wie man solches in gelbem Wachs vom Jahr 1347 findet — war der barmherzige Samariter, wie er die Wunden des Menschen von Jericho auswäscht. Was die heilige Katharina mit ihrem Schwerte wund geschlagen hatte, konnte auch nur der Barmherzige heilen. Schon im Jahr 1328 muß die [280] Stadt ansehnlich und die Konsumtion groß gewesen seyn, weil Eberhard von Monheim sonst nicht nöthig gehabt hätte, das Schloß mit Fischen aus Memel zu versorgen, denn er verordnete im gedachten Jahre:

„daß, damit das Schloß Goldingen keinen Mangel an Fischen leide, die Fischer zu Memel ein groß Schock und eine Gespe von eingesalzenen Streckföten um 3 Mark preußischer Pfennige, und das 100 Hechte für 2 Mark verkaufen sollen, welche die Goldinger aber mit eigenem Salze einsalzen müssen“[4].

Arnold von Vietinghoff, acht und zwanzigster Ordensmeister, verlieh dagegen der Stadt im Jahr 1362 völlige Gerichtsbarkeit und verordnete, „daß Todschläger nirgends Sicherheit finden sollten, als allein auf dem Kirchhofe in der Vorburg und im Schlosse, und ward diese Verordnung gegeben am Freytage vor vocem jucunditatis[5]. Damals waren also die Streckföten weniger als [281] die Todschläger im Schlosse geborgen. War dieß nicht zu sehr ad vocem jucundidatis nach damaliger Weise? Bis zum Jahr 1434 schweigen die handschriftlichen Quellen, die ich besitze, und bemerken alsdann, daß im gedachten Jahre, als Franz Kersbrock Ordensmeister war, die Rathmänner der Stadt die Bursprache (die Stadt-Polizey-Ordnung) entworfen haben.

Bis zur Aufebung des deutschen Ordens in Kurland, finde ich von Goldingen, außer daß der Herrmeister Herrmann von Brüggeney der Stadt im Jahr 1439 einen Wochenmarkt verlieh, nichts erhebliches bemerkt.

Gotthard Kettler hatte als Herrmeister, Goldingen nebst mehreren andern Städten und Schlössern an Polen versetzt, löste sie aber als Herzog größtentheils wieder ein. Er verordnete auch, auf angebrachte Klage der Goldingenschen Bürgerschaft, daß der Adel nicht, wie früher geschehen, in der Stadt uneingeschränkten Handel und Krügerey treiben durfte, ohne Antheil an den Stadtabgaben zu nehmen; was zu mancherley Zwistigkeiten [282] Anlaß gab[6]. Während der Regierung Gotthard Kettlers hatte Goldingen im Jahr 1563 in einer Zeit von wenig Stunden 43 Häuser durch den Brand verloren, und litt in den Jahren 1585 noch dazu sehr von den durchziehenden polnischen Truppen des Kardinals Radziwill, gegen welche der Adel des Stiftes Pilten siegreich Krieg führte, und sie bey Zerenden aufs Haupt schlug. Als im Jahr 1587 Gotthard Kettler starb, und seine Söhne Friedrich und Wilhelm gemeinschaftlich Kurland erbten, wollten sich anfangs die beyden Brüder dergestalt theilen, daß Wilhelm in Kurland und Friedrich in Semgallen herrschte. Wilhelm bezog daher nach der Lehnsempfängniß das Schloß Goldingen im Jahr 1607 und hielt daselbst seinen Hof.

Die handschriftlichen Nachrichten der alten Stadtchronik erwähnen, daß im Jahr 1600 hundert Schweden in Windau gelandet und die Stadt geplündert, auch im Jahr 1601 den Hauptmann Barstroff und den Windauschen Bürgermeister Jung auf dem [283] Markte zu Goldingen enthaupten lassen — was aber eine Irrung in der Jahrzahl seyn muß; denn im Anfange der Regierung der beyden Prinzen waren, so viel ich weiß, keine Kriege in Kurland selbst, und es mag also vom Jahr 1617 die Rede seyn, wo Herzog Wilhelm, nach der Ermordung der beyden Brüder von Nolden, zu den Schweden geflohen war, und schwedische Truppen hierauf in Windau und Dünamünde landeten, welche selbst den Polen, die sich Kurlands annahmen, gefährlich hätten werden können, wenn Herzog Wilhelms Bevollmächtigter, Woldemar Fahrensbach, eben so unbestechlich als tapfer gewesen wäre. Damals muß die Windau noch bis Goldingen schiffbar gewesen seyn; denn als im Jahr 1601 im August ein so tiefer Schnee fiel, daß er das ganze Land bedeckte, und es so stark fror, daß die Äpfel auf den Bäumen und das Getreide auf dem Felde verdarb, entstand eine solche Hungersnoth, daß viele tausend Menschen starben. Die Stadt Goldingen und deren damals sehr wohlhabende Einwohner, ließen zwar große Braukessel voll Speisen für die Armen [284] bereiten, und die Goldingenschen Kaufleute verschrieben sich mehrere Schiffsladungen Getreide aus Danzig und Dänemark, die auf der Windau ankamen, demungeachtet vergrößerte sich die Noth und in einer hierauf im Jahr 1601 entstandenen pestartigen Krankheit, starben in Goldingen und dessen Kirchsprengel allein über 4000 Menschen. Auch eines reichen Kaufmanns, Namens Gossing, wird hier erwähnt, der alle Jahre gegen 12 Schiffe abgeladen habe. Damals, als jene Hungersnoth wüthete, galt das Loof Roggen 8 bis 9 Mark rigisch, den Thaler zu 6 Mark gerechnet. In den Jahren 1603 bis 1607 aber waren die Lebensmittel dagegen auch so wohlfeil, daẞ man die Last Roggen (48 Loof) für 16 bis 18 Mark verladete.

Es wird dem Leser nicht unangenehm seyn, die Marktpreise der damaligen Zeit mit den jezt gewöhnlichen in Kurland zu vergleichen.

1 Loof Roggen galt 1606 9 Gr. 1806 10 Guld.
1 Gerste   —   — 9   — 6
1 Buchweizen   —   — 6   — 8
1 gemästeter Ochse   —   — 15 Mk.   — 25 Thlr.
1 Schaal   —   — 3   — 7 Guld.
1 Auerhahn   —   — Gr.   — 5
1 Birkhuhn   —   — 2   — 2
1 Fuder Holz   —   — 6 Schill.   — 2

[285] Zur Probe genug, um den unglaublichen Unterschied zu bemerken, und so sich das Steigen der Landgüter zu erklären.

In der großen Schlacht bey Kirchholm, den 17. Sept. 1605, wo die Polen nur allein durch den Beystand des Herzogs Friedrich von Kurland und seiner Mannschaft, einen mächtigen Sieg über die Schweden errungen, fochten viele Goldinger und theilten die Ehre des Siegs mit ihrem Landesherrn.

Der Herzog Wilhelm, von dem Kelch[7] erzählt, daß er, als er in Rostock studirte, schon als Student Rector Magnificus gewesen, und deshalb vielleicht auch als Herzog sich wieder einiger burschikosen Streiche schuldig machte — vermählte sich 1609 mit einer Prinzessin des Herzogs von Preußen, und den 12. Februar des folgenden Jahres geschah die Heimführung, wobey Goldingens sämmtliche Einwohnerschaft aufgeboten war, die Pracht dieser fürstlichen Heimführung zu vermehren. Den 24. Oktober 1610 ward Herzog Jakob zu Goldingen geboren, seine Mutter [286] aber, die Herzogin Sophia, starb im Kindbette und wurde in Goldingen, in der Schloßkirche, begraben. — Im Jahr 1615 stieg das Wasser der Windau so hoch, daß es zum Schloßthore hinein und eine Elle hoch in den Schloßhof drang. Wer die Höhe der Ufer kennt, kann sich von der Größe der Flut einen Begrif machen, die ungeheuer gewesen seyn soll. Da die Stadt niedriger als das Schloß liegt, so muß nothwendig auch jene gänzlich überschwemmt gewesen seyn.

Eine andere Flut des Elends, gewiß drückender als eine solche, welche nur die Natur sendet, ergoß sich über Goldingen im Jahr 1617 in den Gräueln, welche der Bevollmächtigte des geflüchteten Herzogs Wilhelm, Fahrensbach, verübte, der unter andern auch die Schlösser Edwahlen und Allschwangen in Brand stecken ließ. Als die Polen, die zur Hülfe des Herzogs Wilhelm in Windau und Dünamünde gelandeten Schweden wieder vertrieben, ward Kurland in Starosteyen getheilt, und so erhielt z. B. Magnus Ernst Dönhoff die Starostey Goldingen, und eben derselbe Wolmar Fahrensbach, [287] den man durch Bestechung gewonnen, seinen Herrn, den Herzog Wilhelm, um sein Land zu bringen[8] erhielt vom Könige von Polen mehrere neuerrichtete Starosteyen, als Ämter. Herzog Friedrich, der hierauf im Jahr 1618 die Belehnung des Herzogthums Kurland allein empfing, mußte viele tausend Gulden daran wenden, um sich von den Starosteyen wieder zu befreyn. Er errichtete 9 Oberhauptmannschaften, und der erste Oberhauptmann zu Goldingen war Otto von Grotthuß. Es ist wahrscheinlich, daß der Herzog Friedrich abwechselnd in Goldingen und Mitau residirte; denn die vor mir liegende handschriftliche Chronik bemerkt, daß er den 24. Januar 1636 in Goldingen angekommen, so wie auch wieder im Jahr 1639 von dem Rath und der Bürgerschaft mit schwarzen Mänteln empfangen worden sey, die auch seinem Wagen vorausgegangen. Desgleichen erzählen jene Nachrichten, daß es den 17. July 1623 in Goldingen, auf dem Markte und im Schlosse, Blut geregnet und [288] man solches auf Papier gelegt und dem Herzoge zur Besichtigung präsentirt habe. Wäre es doch möglich, alles Blut, was mächtige Fürsten regnen lassen, auf Papier zu sammeln und ihnen vor Augen zu halten! Und sollte der Himmel endlich nicht selbst Blut weinen über die Menge desselben, die unter ihm unschuldig vergossen wird? Trotz des blutigen Zeichens erhielt jedoch in demselben Jahre die Stadt das erneuerte Privilegium, von allem eingeführten Getreide eine gewisse, damals sehr ansehnliche Akcise erheben zu dürfe.

Im Jahr 1631 war abermals, nach einem dürren Sommer, während welchem viele Wälder abbrannten und ein so dichter Rauch, bis zum Herbst, übers Land zog, daß man kaum vor sich sehen konnte, eine epidemische Krankheit im Lande, die auch in Goldingen viele hundert Menschen hinrafte.

Die Herzoge Jakob, Friedrich und Kasimir residirten öfters in dieser Stadt. Doch muß schon 1643 Mitau als Hauptresidenz betrachtet worden seyn, weil man damals die Gebeine der Prinzessin Sophie, der [289] Gemahlin des Herzogs Wilhelm, welche bis dahin in Goldingen beygesetzt waren, unter Begleitung von Deputirten aus allen Städten – wobey jedoch Goldingen als die älteste den Vorrang hatte — nach Mitau in das fürstliche Erbbegräbniß brachte.

Herzog Jakob, der den Goldingern ihre Privilegien bestätigte, hatte Ursache mit ihnen zufrieden zu seyn; denn, als er im Jahr 1639 zur Lehnsempfängniß nach Wilna zog, erhielt er von der Stadt Goldingen, auf seine Bitte um Unterstützung, einen freywilligen Zuschuß von 1860 polnischen Gulden — damals eine solche beträchtliche Gabe, daß der Herzog sich in einem besondern Schreiben dafür bedankte. In diesem Dankgefühl mag er denn auch, gleich nach seiner Verheirathung im Jahr 1645, den 23. Oktober, mit seiner Gemahlin Louise Charlotte, Prinzessin von Brandenburg, nach Goldingen gekommen seyn, um dort bis zum 30. Oktober frohe Feste zu feyern, wobey der junge fürstliche Ehemann sich hervorgethan, wie die Handschrift sagt — „nach dem Ringrennen unser Herzog gut Glück gehabt.“

[290] Herzog Jakob hatte als Bedingung beym Lehnsempfange versprechen müssen, eine katholische Kirche in Goldingen und eine in Mitau erbauen zu lassen. Zu der hiesigen wurde im Jahr 1641 der erste Stein gelegt, nachdem zuvor die Messe unter einem Zelte gehalten worden war.

Im Jahr 1659 hatte das Schloß Goldingen — in welchem der schwedische General Douglas, als er von dem polnischen General Polybinsky verfolgt wurde, Infanterie und Artillerie zurückgelassen — eine harte Belagerung von den Polen auszustehen; und da der Kommandant, Oberst Spens, nicht hinlängliche Vorräthe an Proviant besorgt hatte, so litt die Besatzung bald einen solchen Man- gel, daß alle Pferde geschlachtet wurden, um den Einwohnern zur Nahrung zu dienen. Das Schloß ergab sich mit Kapitulation, welche aber, trotz der feyerlichen Versicherung, nicht gehalten ward. Karl der Zwölfte, König von Schweden, belagerte das Schloß und eroberte es in kurzem. Man zeigt noch jezt das Haus, in welchem Karl sich damals aufgehalten haben soll. Voltaire scheint [291] sich, in seiner Geschichte Karls, über die schnelle Einnahme der kurischen Städte zu wundern und sagt:

C’ était plûtot un voyage, qu’une conquête.

Die Stadt litt während der Belagerungen sehr, und verarmte gänzlich.

Ein höchst sonderbares Sittengemälde der damaligen Zeit geben die Bemerkungen jener, über Goldingen sprechenden, alten Handschriften. So z. B. finde ich folgende Notizen.

„Den 28. May 1629 ist Ernst Rosenthal, Pastor zu Frauenburg, zwischen der Schloßpforte gerichtet worden; er hat einen unhöflichen Mund auf Ihro fürstlichen Gnaden gebraucht, dito auch Wach gehalten“[9].

„Den 25. Januar 1630, dem lettischen Pastor Hinrich wurde durch Urtheil und Recht verboten, eine Kanzel im Lande zu [292] besteigen, darum ‚ daß er seine Frau zu Tode geschlagen.“

Der einen unhöflichen Mund gehabt, wurde also viel strenger bestraft, als derjenige, der seine Frau — wahrscheinlich wohl auch des unhöflichen Mundes wegen? — tod schlug. Freylich mußte einem solchen Manne durch Urtheil und Recht die Kanzel verboten werden, damit die Lehre, die seine That bekundete, nicht zu allgemein und des Mordens in Stadt und Land nicht zu viel würde.

Ein anderer, der Pastor zu Talsen war, hatte zehn Jahre später zwar das Beyspiel wirklich nachgeahmt und seine Frau erschossen, mußte es aber mit dem Leben büßen, da ihm das Verdienst der ersten Erfindung abging und er wahrscheinlich künstlichere Waffen als der erste gebraucht hatte, der vielleicht geglaubt haben mochte, seine Frau würde eben so viel Schläge aushalten, als eine mäßige Kanzel.

Wie wenig man aber damals auch dem geistlichen Stande dergleichen Unhöflichkeiten übersehen hat, davon sind noch ein paar [293] Beyspiele angeführt, wo nämlich im Jahr 1636 das fürstliche Konsistorium zwey Prediger, die über dasselbe Wacht gehalten, abgesetzt. — Auch heißt es an einer Stelle: „1642, den 11. May, hatte Detmer Tiedemann und Christopher Wiedemann einen Umgang gehalten und Geld eingesammelt für den Organisten, weil er von einem edlen Rathe war abgeschaft worden, weil er ein böses Maul gehabt.“ Sollte heut zu Tage nicht der Rath einer jeden Stadt zu viel zu thun haben, wenn er sich mit solchen Dingen befaßte? Doch damals war manches merkwürdig, was es jezt lange nicht mehr ist. So bemerkt meine Chronik weiter: „1642 den 2. Februar, auf Marie Lichtmeß, ist wieder nach dem neuen Kalender gepredigt worden, und hat Herr Daniel eine sehr klägliche Predigt gehalten, daß ihrer viele geweint haben.“ — —

Bey der Preistabelle, die ich oben angeführt, hätte ich noch eine Rubrik mit dem, was damals ein Magister gekostet, anfüllen können; wo man dann die Bemerkung gemacht hätte, daß hier allein der Preis nicht [294] gestiegen sey. Denn es heißt an einer Stelle jener mehrerwähnten Chronik:

„1638 den 26. May haben die Handwerker dem Herrn Pastor Daniel Haffstein 100 Floren verehrt, daß er hat sollen Magister werden, darnach die Kaufleute ihm auch gegeben 108 Floren.“ —

Doch genug. Ich wünsche nicht, den Leser mit diesen Fragmenten aus der Vorzeit, zu ermüden. Wie der Tod bey den Griechen, hatte jenes Zeitalter, so wie jedes, seinen schwarzen und weißen Genius. —

Die ehrwürdigen Ruinen stehen noch, wie die Schatten der Vergangenheit, da, nachdem diese selbst schon so fern ist, und nicht mehr deutlich erspäht werden kann. Doch auch in diesen Riesenschatten verkündet sich eine hohe Gestalt. Aus einer Fensteröffnung in der Mauer, nach der Rummel hin, sah ich im Wasserfall einen herzergreifenden Kommentar zu dem Sturz der Ruinen um mich her, über die sich auch ein mächtiger Strom daher wälzte. Dann und wann fiel ein Stein aus der vom Regen locker gewordenen Mauer, wie ein Sandkorn aus dem [295] Stundenglase der Zeit. Die Steine, die hier herabfallen, schlagen auf die Erde, wie im Menschen die Pulsschläge, einer nach dem andern so lange, bis auch der letzte dahin ist und nur Schutt und Asche zurückbleiben.

Hoch stürzet die Woge vom Felsen herab,
Hin zu dem verschlingenden Meere;
So stürzen auch Zeiten darnieder ins Grab —
So fallen auch mächtige Heere.
Doch ewig und stark, wie des Himmels Dom,
Entspringt aus der Quelle der mächtige Strom.

Es fielen der Thränen so viel in die Flut —
So viele der blutigen Tropfen:
Sie löschte der Herzen heißbrennende Glut,
Erstarrte ihr bebendes Klopfen,
Und fort — ach! auf ewig weit fortgespült
Ist, was eine Seele hier göttlich gefühlt.

Es wanken die Mauern — und stürzen sie ein,
Die Gräber der mächt’gen Erbauer.
Ruinen verschwinden, es löst sich der Stein
Und schlägt seine Stütze, die Mauer;
Und was nur geschaffen die menschliche Kraft,
Wird fort, von den Fluten der Zeit hingerafft. —

Laß stürzen, laß fallen! Nicht schwindet der Quell,
Aus göttlicher Höhe entsprungen;
Tief unten im Strome da wird es uns hell,
Hat er uns erst selber verschlungen.
Zum Meere, zum Meere, dahin geht sein Lauf:
Das nimmt die gesunkenen Herzen mit auf.

[296] Über einen, nur von wenigen Stachelbeersträuchen bedeckten Platz, wo ehemals der fürstliche Garten war, und keine andere Blume mehr sprießt, als — die vielleicht heimliche Liebe pflückt, (aus der jedoch statt der Rosen auch wohl Dornenbüsche dem unvorsichtigen Sammler aufkeimen) — bitte ich den Leser, mich in die Stadt Goldingen selbst zu begleiten, um diese — von deren Vorzeit ich schon früher sprach — auch in der Gegenwart zu beschauen.

Im Jahr 1805 hatte Goldingen 1352 Einwohner, zwey Kirchen und 134 Wohnhäuser, von welchen bloß acht gemauert waren. Da aber die Stadt im Winter von einem großen und wohlhabenden Theil des kurländischen Adels bewohnt wird, so steigt mit jedem Jahr die Anzahl guter Gebäude, mit der Zahl der Bewohner, um ein Beträchtliches. Überhaupt scheint Goldingen in mancherley Hinsicht vor den übrigen Städten Kurlands, wenn ich auch die schöne Gegend nicht mitzähle, wichtige Vorzüge zu haben, denen die Lage in der Mitte der Provinz vorzüglich beyzuzählen ist. Trotz dem, daß [297] der Ort im Winter der belebteste in Kurland ist, mangelt es nicht an Quartieren. Lebensmittel, Holz und Heu etc. kosten hier bey weitem nicht so viel, wie z. E. in Liebau und Mitau. Und doch soll es vor wenig Jahren, als die Stadt weniger besucht war, noch wohlfeiler darin gewesen seyn.

Man dürfte es kaum glauben, daß ein so kleines Städtchen so viel abwechselnde Wintervergnügungen haben könnte, als es hier wirklich der Fall ist. Ich habe Assembleen in mehreren Häusern beygewohnt, bey denen wohl hundert und mehrere Personen sich anwesend befanden. Jeden Abend ist außerdem eine zahlreiche Gesellschaft in dem geräumigen Klubbenhause versammelt. In allen Straßen sieht man brillante Equipagen; und durch keinen Hofzwang, durch kein Ceremoniel gefesselt, lebt man hier nur frohe Tage. Ein schon seit mehreren Jahren bestehendes, gutes Liebhabertheater, auf welchem fast alle vierzehn Tage eine oder mehrere Vorstellungen gegeben werden, trägt viel dazu bey, den hiesigen Aufenthalt zu verschönern. Und jezt ist auch ein Liebhaberkoncert [298] errichtet worden, von dem sich — da mehrere geschickte Dilettanten der Musik in Goldingen leben — viel Gutes erwarten läßt. Sollte man es für möglich halten, daß es hier so glänzende Bälle geben kann, als man sie selbst in kleinen deutschen Residenzen selten findet? Und doch ist es so. Ich habe selbst zu Neujahr 1806 einer Maskerade beygewohnt, auf welcher sich gegen 400 Personen befanden, und außer vielen einzelnen Masken, vier prächtige Quadrillen und mehrere Aufzüge von Charaktermasken erschienen, die zum Theil schön und gut gewählt waren.

Die Gesellschaften sind gemischt. Frohe gesellschaftliche Unterhaltung verbindet die Stände, und die drückende Fessel der Konvenienz hat Freude und ein gebildeter Umgang gelöst. — Goldingen hat ein Oberhauptmannsgericht, dessen Gerichtskreis 8 Kirchspiele umfaßt — in einem Flächeninhalt von 4000 Quadratwersten, auf welchem 47208 männliche, und 46601 weibliche Bewohner leben. Es gehören zu dieser Oberhauptmannschaft die Städte Goldingen, Liebau, Windau, [299] Grobin, der Flecken Durben, 52 Kronsgüter, 104 Privatgüter, 26 Pastorate, 9 Kronsforsteyen, und 4990 Bauergesinde. Auch ein Hauptmannsgericht, das ehemals in Frauenburg seinen Sitz hatte, und dessen Gerichtszwange die freyen Leute und Kronsbauern auf dem Lande sortiren, ist hieher verlegt worden.

Eine besondere Eigenheit der hiesigen Stadtverfassung ist, daß — den Bürgermeister ausgenommen, den die Bürgerschaft aus dem Rathe wählt — die übrigen Rathsherren, von dem Magistrate selbst, aus der Bürgerschaft beyder Zünfte ergänzt, und nicht, wie in andern Städten, von der Stadtgemeinde gewählt werden.

Seit einem Jahr ist hier auch eine vollständige Kreisschule errichtet worden, die mit mehreren sehr geschickten Lehrern besetzt ist. Unter diesen nenne ich, als meinen nähern Bekannten und Freund, den Herrn Dr. Hennig, der sich schon durch mehrere literärische Arbeiten von Werth bekannt gemacht hat. — Fabriken giebt es hier, so viel ich weiß, keine; aber desto bessere Handwerker. [300] Die Becker, Tischler und Goldschmiede in Goldingen‚ sind als die besten in Kurland, bekannt.

Von Merkwürdigkeiten dieser Stadt selbst, kenne ich keine. Die lutherische Kirche besuchte ich, und fand daselbst ein ziemlich gutes Gemälde, das über das vorspringende Gewölbe des hintern Theils der Kirche hängt, und das jüngste Gericht vorstellt[10]. Besonders hatte eine weibliche Figur, die von einem braunrothen Teufel fortgetragen wird, ein schönes, sanftes Kolorit — das hier leider! vom Teufel geholt wird.

Man sieht es übigens dem starken, gewiß bombenfesten Gewölbe, und den massiven Säulen, auf denen es ruht, beym ersten Blick an, daß das Gebäude sehr alt seyn muß. Die Orgel der Kirche ist nicht besonders groß, hat aber sehr gefällige Stimmen. Mit vielem Vergnügen hörte ich Herrn Dr. Hennig’s schönes Orgelspiel; seine Fertigkeit ist selten. Die Orgel ist unter den Instrumenten [301] der König, schon deshalb, weil so viele Unterthanen als Pfeifen vorhanden sind, ein starker Hauch sie beherrscht, und nicht allein die Hände, sondern auch die Fußtritte die folgsamen Töne hervorbringen. Doch auch die erhabenen, feyerlichen Akkorde geben diesem Instrumente vor allen andern den Rang.

Die Aussicht vom Kirchenthurme ist herrlich; man übersieht von da den schönen Strom der Windau, die Stadt und eine rundum sehr angebaute Gegend, die, in der Ferne, eine Reihe von Hügeln umschließt.



  1. Es hat irgend jemand, der die Schönheiten der Natur gern nach Füßen berechnet haben will, bemerkt, die Rummel wäre nicht so hoch; da aber der Felsen, auch so viel ihn Wasser deckt, doch als solcher in Anschlag kommt, so kann mit Recht die Richtigkeit des angegebenen Maßstabes versichert werden.
  2. Arndt nennt Diedrich von Heimburg als Erbauer.
  3. Arndt 2ter Theil, Seite 46.
  4. Arndt, Seite 87, 2ter Theil.
  5. Arndt, Seite 106, 2ter Theil.
  6. Friebe, Geschichte Lief- Ehst- and Kurlands. Seite 178. 2ter Theil.
  7. Seite 451.
  8. Friebe, Geschichte Kurlands, S. 109. 4. Theil.
  9. Der Ausdruck Wachhalten kömmt mehreremale vor, aus dem Zusammenhange vermuthe ich, daß es so viel heißt, als: „heimliche Ränke schmieden.“
  10. Bey einer neuerdings vorgenommenen Ausweissung der Kirche ist dies Gemälde abgenommen worden.