MKL1888:Zimmerausstattung
[905] Zimmerausstattung. Die nach einheitlichen Stil- oder Geschmacksgrundsätzen geregelte Z. ist erst seit der Reform des Kunstgewerbes zu Anfang der 70er Jahre ein selbständiges Gebiet künstlerischer Thätigkeit [906] geworden. In Zeiten, in welchen ein festgeschlossenes Kunstleben alle Zweige des Handwerks beherrschte, ergab sich eine harmonische Ausstattung der Zimmer aus der Gewöhnung und Überlieferung. Edelleute und Patrizier besaßen eigne Häuser, in welchen die Familie Generationen hindurch seßhaft blieb. Mit der Architektur des Hauses zugleich wurde der Schmuck der Wände und Decken einheitlich hergestellt. Die guten Materialien, welche man anwendete, die sichere Handhabung traditioneller Muster verliehen dem Ganzen einen harmonischen Gesamtcharakter. Eine Verwirrung auf diesem Gebiet trat erst im 19. Jahrh. ein, als die Fabrik- und Maschinenthätigkeit dem geschlossenen Handwerk Abbruch that und ohne Rücksicht auf die besondern Stellen, an welchen ein Stück angewendet werden sollte, billige Massenartikel herzustellen anfing. Damit begann ein schneller Wechsel der Mode, dessen Begünstigung im Interesse der Fabrikanten und der von ihnen beschäftigten Arbeiter lag. Jeder einzelne Handwerker arbeitete für sich ohne Rücksicht auf die andern mit der Absicht, seinem Erzeugnis zum möglichst großen Erfolg zu verhelfen, und zerstörte hierdurch die Gesamtwirkung des mit solchen Stücken ausgestatteten Raumes. Das schnelle Wachstum der großen Städte mit ihren Mietwohnungen, der Übelstand, daß nur ein verschwindender Bruchteil der Bevölkerung jetzt noch auf eignem Grund und Boden wohnt, haben zu diesem Verfall der Z. das meiste beigetragen. In dem Miethaus der großen Städte nimmt man als Maßstab für die Bedeutung der Zimmer die Zahl der Fenster an und legt mehr Wert darauf, viele Zimmer als einige wirklich bewohnbare geschlossene Räume zu haben. Hierdurch entstehen kleine, von Thüren zerrissene, von unruhigem Licht durchsetzte Gemächer. Da die Ausstattung der Wände bei jedem Wechsel der Mieter erneuert werden muß, so treten an Stelle der alten Holzvertäfelungen, der Leder- und Stofftapeten billige Papiertapeten, bei welchen eine möglichst kräftige Wirkung für weniges Geld erstrebt wird. Die Verwahrlosung des Geschmacks in der Richtung eines groben Naturalismus verdarb die Tapeten noch mehr. Die Öfen wurden unter dem Einfluß Schinkels und seiner Schule nur aus weißen Kacheln unter Hinzuziehung von grauen oder gelben Bekrönungen und Zieraten von unglasiertem Thon angefertigt und sind bis jetzt noch in überwiegender Herrschaft geblieben. Ebenso wurden Thüren und Decken meist weiß gehalten. In diese kalte Umgebung kamen Teppiche von schreienden Farben und unruhigen Mustern und Möbel, welche durch glänzende Farben und stilwidrige Schnitzereien eine möglichst starke Wirkung hervorzubringen suchten. Die vordringliche Vergoldung der Bilder und Spiegelrahmen, das Einfügen einzelner bunt bemalter Porzellane von harten, hellen Farben vervollständigten diese Ausstattung.
Die Stilreform hat sich in erster Linie der Z. zugewendet. In Frankreich und England war eine Besserung dadurch erzielt worden, daß einzelne geschickte Leute in Paris und London große Magazine begründeten, in welchen alles, was zur Z. gehört, hergestellt oder wenigstens auf Lager gehalten wird, so daß die einheitliche Zusammenstellung von Tapeten, Teppichen, Stoffen und Möbeln möglich war. Viele dieser Magazine haben sich in der Folge so weit entwickelt, daß selbst Kunstwerke von Bronze, Majolika und andern edlen und künstlerisch bearbeiteten Materialien, persische, chinesische und indische Schmuckgegenstände sowie Antiquitäten, wie alte Gobelins, Waffen u. dgl., zur Dekoration von Zimmern genügend vorhanden sind. In Deutschland und Österreich hat sich diese Art der Veranschaulichung von Zimmerausstattungen durch private Unternehmer und kunstgewerbliche Vereinigungen ebenfalls sehr schnell eingebürgert und große Ausdehnung angenommen, nachdem die Architekten die Ausstattung von Innenräumen in einheitlichem, dem gesamten Bau entsprechendem Stil übernommen und zu einem Zweig ihrer künstlerischen Thätigkeit gemacht hatten. Die Wirkungen dieser Bemühungen sind zuerst auf den Ausstellungen in Wien 1873, in München 1876 und in Berlin 1879 in einer ganzen Reihe vollständig ausgerüsteter Zimmer zu Tage getreten, und danach haben alle lokalen und nationalen Kunstgewerbeausstellungen ein Hauptgewicht auf Vorführung von Zimmereinrichtungen gelegt.
In demjenigen Zweig der modernen Z., der an die Renaissance anknüpft, geht man darauf aus, vor allem eine ruhige und harmonische Wirkung zu erzielen. Zu dem Holzwerk der Thüren und Fenster, welchem man seine natürliche Farbe läßt, kommt, wenn die Mittel es gestatten, die Wandvertäfelung von mäßiger Höhe, welche dem untern Teil der Wand Schutz gegen Beschädigungen gewährt und für die Sitzmöbel einen ruhigen Hintergrund abgibt. Die Tapeten sind fast durchgehends durch die modernen Bestrebungen zu bessern Mustern gelangt. Flach gehaltene Muster von wenig hervortretendem Relief in neutralen Tönen sind vorherrschend. Der kalkigweiße Ofen mit seinen glatten Wänden weicht einem reichverzierten, mannigfach gegliederten Aufbau aus Kacheln und Architekturteilen von warmer, farbiger Glasur. Für die Teppiche und Stoffe sind vor allem die orientalischen Muster mit ihren reichen und doch harmonischen Färbungen maßgebend. Für die Möbel dringt man allseitig wieder auf echtes Material, eine solide, klare Konstruktion; das Holz tritt mit dem schönen Glanz seiner natürlichen Erscheinung auf, mit Schnitzerei geschmückt; der Sitz am Fenster wird aus dem übrigen Zimmer durch Schwellen und Bänke hervorgehoben, mit gestickten Kissen verziert; dem Fenster selbst wird durch eingesetzte farbige Stücke die vordringliche Helligkeit genommen; die Vorhänge an den Fenstern sind in licht goldigen Farben getönt; auch das Gold in den Umrahmungen der Bilder und Spiegel wird gebrochen und mit dunkeln Streifen versetzt. Alles geht darauf hinaus, ein behagliches und ruhiges Gesamtbild zu geben, in welches sich der Besitz an schönem verzierten Hausgerät harmonisch einordnet. Ein solches Zimmer mit dem großen Sofa und dem großen Familientisch vor demselben als Mittelpunkt, mit seinen für das Familienleben und den langen deutschen Winter bestimmten Vorratsschränken, seinem reichgeschmückten Ofen und dem für die Hausfrau gezierten Ehrensitz ist keine zufällige Liebhaberei, sondern hat seine innere Bedeutung und bleibende Berechtigung darin, daß es ein treues Abbild des deutschen Familienlebens gibt, in welchem die Wohnstube mit dem Familientisch den wirklichen Mittelpunkt des Lebens ausmacht. Neben diesen Bestrebungen, dem deutschen Wohnzimmer einen nationalen Charakter zu geben, hat sich in den neuesten Entwickelungsphasen des Kunstgewerbes, welche sich auch an den Barock- und Rokokostil angeschlossen haben, der Nachahmungstrieb insofern geltend gemacht, als für gewisse Räume Stileinrichtungen gewählt werden, welche dem Charakter derselben angemessen sind. So werden für Damenboudoirs und Tanzsäle Rokokoeinrichtung, für Herrenzimmer orientalische Ausstattung, [907] für Jagdzimmer gotische Stilformen u. dgl. gewählt, und selbst im japanischen, persischen und maurischen Geschmack werden Räume eingerichtet und dekoriert. Man begnügt sich damit, innerhalb eines Raums eine gewisse Einheitlichkeit zu erreichen, und läßt im übrigen dem individuellen Geschmack freien Spielraum. Vgl. Falke, Die Kunst im Hause (5. Aufl., Wien 1883); Hirth, Das deutsche Zimmer der Gotik und Renaissance etc. (3. Aufl., Münch. 1886); Mothes u. a., Unser Heim im Schmuck der Kunst (2. Aufl., Leipz. 1882); „Kojen der Berliner Gewerbeausstellung im J. 1879“ (Berl. 1880); Schwenke, Ausgeführte Möbel- und Zimmereinrichtungen der Gegenwart (das. 1884, 2 Bde.); „Die Tapezierkunst“ (das. 1887 ff.); für England: Eastlake, Hints on household taste (4. Aufl., Lond. 1877).