Zum Inhalt springen

MKL1888:Wullenweber

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Wullenweber“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Wullenweber“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 16 (1890), Seite 760
Mehr zum Thema bei
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Wullenweber. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 760. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Wullenweber (Version vom 10.07.2023)

[760] Wullenweber, Jürgen, Bürgermeister von Lübeck, hanseat. Staatsmann, geb. 1492 zu Lübeck, ward Kaufmann und Führer der demokratisch-protestantisch gesinnten Bürgerschaft und, nachdem er an dem Zug nach Norwegen gegen Christian II. von Dänemark teilgenommen, 1533 zum Bürgermeister erhoben, in welcher Stellung er sich der reformatorischen Bewegung zugethan, dabei als Feind alles aristokratischen Wesens zeigte und sich namentlich die Aufgabe stellte, die sinkende Macht der Hansa durch Unterjochung der Dänen und Ausbreitung der Demokratie und des Protestantismus unter der Hegemonie Lübecks als Beherrscherin der Ostsee wieder zu heben. Ein Volksaufstand brachte die Vertreter der Patrizierherrschaft aus dem Rat, worauf Graf Christoph von Oldenburg mit der lübischen Flotte und einem Landheer 1534 die Unternehmungen gegen Dänemark begann. Als der Krieg gegen Dänemark indes eine ungünstige Wendung nahm, begab sich W. selbst nach Seeland. In seiner Abwesenheit gelangte in Lübeck die aristokratische Partei wieder zu Macht und Einfluß. Zwar siegte seine Beredsamkeit auf einem Hansetag zu Lübeck, so daß die Fortführung des dänischen Kriegs beschlossen wurde; während er aber auf einer Sendung an den Herzog Heinrich von Mecklenburg abwesend war, lief in Lübeck ein kaiserliches Exekutorialmandat des Reichskammergerichts zu Speier vom 7. Juni 1535 ein, welches die Stadt mit der Reichsacht bedrohte, wenn nicht binnen 45 Tagen die alte aristokratische Verfassung wiederhergestellt sein werde. Dies geschah auch im August 1535. W. legte hierauf nach seiner Rückkehr 26. Aug. seine Würde nieder. Als er bald darauf mit Erlaubnis des Lübecker Rats nach dem Land Hadeln reisen wollte, um dort einen Haufen herrenloser Knechte zu werben und nach Dänemark zum Entsatz des in Kopenhagen belagerten Herzogs Albrecht von Mecklenburg zu führen, ward er von dem Erzbischof Christoph von Bremen verhaftet und dessen Bruder, dem Herzog Heinrich dem jüngern von Braunschweig, einem erklärten Feinde des Luthertums, überliefert, welcher ihn zu Steinbrück bei Wolfenbüttel gefangen hielt. Die Folter erpreßte ihm die widersinnigsten Selbstanklagen, wie: er habe Lübeck demokratisch machen und ein Wiedertäuferreich gründen, den Norden aber unter seine Anhänger Mynter und Meyer teilen wollen, während er in Briefen an seinen Bruder in Hamburg seine Unschuld beteuerte. Auf dem Tollenstein bei Wolfenbüttel ward öffentliches Gericht über W. gehalten und er 24. Sept. 1537 zur Strafe des Vierteilens verurteilt, welche der Herzog in die des Schwerts verwandelte. Diese wurde 29. Sept. d. J. an ihm vollzogen; sein Leichnam wurde gevierteilt und aufs Rad gelegt. Vgl. Waitz, Lübeck unter Jürgen W. und die europäische Politik (Berl. 1855–56, 3 Bde.). Gutzkow und Heinrich Kruse benutzten den Stoff zu einem Trauerspiel, Ludwig Köhler zu einem Roman.