MKL1888:Weltschmerz
[528] Weltschmerz, der gemischte Gemütszustand, der aus der pessimistischen Überzeugung entspringt, daß nicht die eudämonistische, nach welcher Glückseligkeit, sondern die tragische Weltordnung, nach welcher Unseligkeit die Bestimmung jedes gefühlsfähigen Wesens ist, das Gesetz dieser wirklichen Welt sei. Derselbe ist Humor (s. d.), weil er aus Mitleid mit leidenden Thoren und Spott über thörichte Leidende gemengt ist, welche in ihrem vertrauensseligen Optimismus das Gegenteil erhofft haben; tragischer Humor, weil die Unseligkeit Bestimmung, unverschuldet über jeden verhängtes Leiden ist; Welthumor, weil beides, das fatalistische Unglück und die optimistische Thorheit, universell, allen gefühlsfähigen Wesen gemeinsam, also Welteigentum ist. Das Mitleid im W. umfaßt neben allen menschlichen jedes (auch das geringste) lebendige, ja in dichterischer Beseelung selbst jedes leblose Wesen; der Spott im W. trifft den naiv-kindischen wie den religiös-gläubigen und den philosophischen Optimisten. Jenes setzt das hingebendste, nicht bloß menschen-, sondern wesenfreundlichste Herz, dieser den überlegensten, kritisch vernichtenden Verstand voraus. Der echte W., die Frucht einer pessimistischen, aber echten Überzeugung, ist ein Martyrtum, das nur von den edelsten Gemütern (Buddha, Lord Byron) oder von den kühnsten Köpfen (Voltaire, Schopenhauer) getragen wird; der unechte W., der unter der Maske des Weltleides mit dem eignen persönlichen (mit jenem verglichen, unbedeutenden) Leid (Liebesleid) schönthut (Heine), aber noch mehr der geheuchelte, der mit erlogenem Leid (heinesierende Lyriker) oder mit angenommenem Pessimismus prahlt (Schopenhauerianer aus Mode), sind widerliche Entartungen. S. auch Humor und Pessimismus. Vgl. Bienengräber, Über Schmerz und W. (Heidelb. 1880).