MKL1888:Wassersucht
[437] Wassersucht (Hydrops), im allgemeinen jede krankhafte Ansammlung von wasserähnlicher Flüssigkeit an irgend welcher Stelle des Körpers. Befindet sich das Wasser in den Gewebsmaschen, so nennt man den Zustand H. anasarca oder Ödem; ist es frei in die natürlichen Höhlen des Körpers ergossen, so bezeichnet man die W. je nach dem Orte der Ansammlung als Bauchwassersucht (H. ascites), Brustwassersucht (Hydrothorax), Gehirnwassersucht (Hydrocephalus), Kniegelenkwassersucht (Hydrops genu), Hodenwassersucht (Hydrocele) etc. Die Sackwassersucht (H. saccatus, cysticus) ist eine abnorme Wasseransammlung in pathologisch neugebildeten Säcken und Höhlen und kommt am häufigsten im Bauchfell und in den Ovarien vor. Eine Ansammlung von wasserähnlicher Flüssigkeit in sonst offenen Höhlen des Körpers, deren Ausführungsgänge verschlossen sind, wird falsche W. genannt; es gehören dahin: die W. der Gallenblase, der Gebärmutter, der Muttertrompete, des Wurmfortsatzes, des Thränensackes, der Nieren, des Harnleiters, der Schleimbeutel und einzelner Follikel, wodurch Wasserblasen, Balggeschwülste etc. entstehen. Die Quelle aller hydropischen Flüssigkeiten ist einzig und allein das Blut. Ihre Zusammensetzung ist der des Blutserums entsprechend, mit mehr oder weniger großen Abweichungen rücksichtlich des Verhältnisses der einzelnen Bestandteile zu einander. Sie sind entweder klar und farblos, wie Wasser, oder gelblich, grünlich gefärbt, trübe und flockig; entweder dünnflüssig, wie Wasser, oder dicker, klebrig und schleimig. Sie reagieren gewöhnlich alkalisch, selten neutral, noch seltener sauer. Wahre W. entsteht nur durch abnorme Ausschwitzung von Blutwasser aus den Venen, welchem Vorgang ein veränderter Zustand der Gefäßwandungen, entweder mit Zunahme des Blutdrucks oder mit veränderter Beschaffenheit des Bluts (Hydrämie, Urämie, Leukämie) verbunden, zu Grunde liegt. Je nachdem diese Ursachen die Gesamtmasse des Bluts oder nur einzelne Körperteile betreffen, unterscheidet man allgemeine W. von der W. einzelner Höhlen oder einzelner Gewebe (Anasarka).
1) Die Krankheiten, welche allgemeine W. bedingen, sind zunächst mancherlei schwere chronische Ernährungsstörungen, bei welchen ein dauernder Eiweißverlust [438] ohne genügenden Wiederersatz stattfindet. Dahin gehören Lungenschwindsucht, langwierige Eiterungen, Skorbut, erschöpfende Blutverluste u. a. In zweiter Reihe stehen Überhäufung des Bluts mit Harnstoff oder andern Substanzen bei chronischer Nierenentzündung, ferner Klappenfehler des Herzens, welche eine dauernde Erhöhung des Blutdrucks im Gefäßsystem, Stauungen im venösen und kapillaren Kreislauf hervorrufen und so beim Nachlassen der Herzkraft die allgemeinsten hydropischen Ergüsse in Höhlen und in die Gewebe zur Folge haben.
2) Örtliche W. wird entweder durch chronische Entzündung und Ausschwitzung wässeriger Flüssigkeit bedingt, z. B. die Gehirnwassersucht, der Wasserbruch, die Kniegelenkwassersucht etc., oder sie entsteht infolge örtlicher Kreislaufshindernisse, z. B. durch Druck einer Geschwulst, eines Exsudats auf einen Venenstamm, durch Erschwerung des Pfortaderkreislaufs bei Leberkrankheiten (Cirrhose), durch Thrombenbildung in einem Gefäß, wobei dann die W. stets die jenem verschlossenen Gefäß angehörende Gewebsprovinz allein befällt. Zuweilen kommt W. mehrerer Organe oder des ganzen Körpers angeboren vor, wo entweder chronische Leiden der Eltern, namentlich häufig Syphilis, den Grund abgeben, oder wo fötale Entzündungen des Mutterkuchens oder der Eihäute Erschwerungen des Blutumlaufs auch ohne allgemeine Krankheiten der Mutter bedingt haben. Vielerlei Mißbildungen beruhen auf solcher embryonalen Hydropsie, z. B. der Wasserkopf, der Wirbelspalt, Blasenspalt, angeborne Luftröhrenerweiterung u. a. m. Die Erscheinungen der W. beginnen bei den allgemeinen Störungen, z. B. den Herzfehlern, an den entferntesten Punkten der Peripherie, wo im normalen Zustand die Zirkulation schon die meisten Hindernisse zu überwinden hat, und es erfolgt daher zuerst Anschwellung der Knöchel und Füße, der Augenlider, dann allmählich Erguß in die freie Höhle des Brustraums, des Herzbeutels, des Bauchraums, in die ganze Körperhaut. Die W. ist stets nur ein Krankheitssymptom, aber meist von der größten Wichtigkeit, wenn sie örtlich, wie z. B. beim Wasserbruch, für das betreffende Organ, wenn sie allgemein, für den Gesamtorganismus. Eine höhere Entwickelung der W. wird wohl selten wieder unschädlich gemacht; im höchsten Grade der W. wird das Bestehen des Organismus aufgehoben durch den Mangel an Zufuhr eines für die Ernährung seiner Organe tauglichen Bluts. Die Kennzeichen der W. an der äußern Haut sind: Geschwulst von weicher, teigiger Beschaffenheit, von nicht erhöhter Temperatur, gewöhnlich ohne Schmerz, entweder blaß oder unbedeutend gerötet, glänzend. Die Haut ist meist trocken, die Epidermis schelfert sich ab. Wassererguß im Bauchraum charakterisiert sich durch Aufgetriebensein des Bauchs, Hervortreten des Nabels; Wassererguß im Brustraum kann nur durch genaue physikalische Untersuchung der Brust erkannt werden. Die Behandlung hat ins Auge zu fassen: die Bekämpfung des der hydropischen Ausscheidung zu Grunde liegenden Moments und die Wegschaffung und Unschädlichmachung des hydropischen Exsudats. Bei W. aus hydrämischer Blutbeschaffenheit kommt es vor allem darauf an, die Mischung des Bluts zu verbessern, namentlich durch Entfernung der blutentmischenden Ursachen, z. B. in der Säuferdyskrasie, dem Skorbut, bei schlechter Lebensweise. Leichtverdauliche, nahrhafte Speisen und Getränke, bittere und aromatisch-bittere Mittel, welche den Appetit und die Verdauung befördern, das Eisen in seinen verschiedenen Präparaten sind hier angezeigt. Die organischen Veränderungen der einzelnen Organe, wodurch W. bedingt wird, sind der Heilung durch Kunsthilfe meist nicht zugänglich, so insbesondere die organischen Herzkrankheiten, die Leberentartungen, die Lungenkrankheiten etc. Die Wegschaffung des hydropischen Exsudats sucht man je nach den vorhandenen primären Erkrankungen zu erreichen entweder durch gesteigerte Thätigkeit der Nieren (harntreibende Mittel) oder vermehrte Thätigkeit des Darms (künstlich durch Drastika erzeugte Diarrhöen), oder durch vermehrte Ausdünstung der Haut, Steigerung der Schweißsekretion (heiße Bäder, nasse Einwickelungen, schweißtreibende Mittel). Wenn durch eine sehr bedeutende Wasseransammlung große Lebensgefahr, z. B. Erstickung, befürchtet wird, so entleert man das Wasser künstlich durch die Paracentesis, namentlich bei der Bauchwassersucht; die Hilfe ist aber fast nie von langer Dauer, weil die wassererzeugende Ursache fortdauert. Bei bedeutender Spannung der Haut in der Hautwassersucht entleert man Wasser durch Schröpfköpfe oder Einschnitte; doch hat man hier die leicht sich dazu gesellende Entzündung zu fürchten, welche selbst in Brand übergehen kann.
In der Botanik und Gärtnerei heißt W. ein krankhafter Zustand der Bäume und Sträucher bei lange anhaltender Nässe und unterdrückter Transpiration, wobei die Blätter abfallen, obgleich sie noch grün und anscheinend gesund sind, die Früchte keinen Wohlgeschmack bekommen und sogar faulen, ehe sie reif sind, auch die Triebe nicht gehörig verholzen und weich bleiben, so daß sie im Winter zu Grunde gehen.