MKL1888:Wassernetzalge
[974] Wassernetzalge (Hydrodictyon utriculatum Roth), eine im Süßwasser lebende, einfach gebaute Grünalge (Chlorophycee), die besonders durch ihre Fortpflanzung merkwürdig ist und in Form langer, schlauchförmiger, geschlossener Netze mit 5–6eckigen Maschen auftritt; letztere werden durch chlorophyllführende, zu 3–4 an den Ecken zusammenstoßende cylindrische Zellen gebildet. Nach ältern Untersuchungen von A. Braun, Kohn und Pringsheim besitzt die W. ungeschlechtliche und geschlechtliche Fortpflanzung und gilt als typisches Beispiel des sogen. Generationswechsels, indem zunächst einzelne vegetative Zellen in Tausende von ungeschlechtlichen Schwärmern (Zoosporen) zerfallen, die sich innerhalb der Mutterzelle hin und her bewegen und dann zu neuen Netzanfängen zusammentreten; nach Auflösung der Mutterzellhaut gelangen dieselben ins Freie und wachsen in einigen Wochen zu fortpflanzungsfähigen neuen Netzen heran. Die geschlechtliche Vermehrung beginnt innerhalb einer Mutterzelle mit der Bildung äußerst zahlreicher (bis etwa 100,000) kleiner Schwärmer, der sogen. Gameten, die durch Löcher der Zellwand heraustreten und sich paarweise oder auch zu mehreren vereinigen, wodurch als Geschlechtsprodukt eine kugelige, ruhende Zelle (Zygote) gebildet wird; diese wächst langsam längere Zeit hindurch, verdickt ihre Zellhaut und läßt aus ihrem Inhalt 2–5 Schwärmsporen hervorgehen, die schließlich auf ungeschlechtlichem Wege wieder junge, sehr einfach gebaute Netze erzeugen. Der Kreislauf zwischen ungeschlechtlichen, d. h. aus Zoosporen, und geschlechtlichen, aus Gameten entstandenen Generationen ist nun keineswegs ein regelmäßiger, vielmehr hat schon Pringsheim darauf aufmerksam gemacht, daß die Zahl der ungeschlechtlichen Generationen sehr unbestimmt erscheint, und A. Braun gab an, daß die Bildung von Zoosporen oder von Gameten durch äußere Umstände beeinflußt wird. Da die Frage nach der Abhängigkeit der Fortpflanzungsweise von äußern Bedingungen neuerdings durch Weismann, Heyer, H. Spencer, Düsing u. a. mehrfach, zum Teil in widersprechendem Sinn erörtert worden ist, stellte Klebs mit der W. während mehrerer Jahre zahlreiche Kulturversuche an, um an diesem einfachen und daher günstigen Objekt eine Reihe von Grundfragen zur Entscheidung zu bringen. Zunächst stellte er fest, daß man durch zweckmäßige Wahl der Kulturbedingungen im stande ist, in jeder lebenskräftigen Zelle der W. zu jeder beliebigen Jahreszeit die Neigung zur Zoosporenbildung mit vollkommener Sicherheit hervorzurufen; es genügt dazu die Kultur der Alge in einer Nährlösung, die zwischen 0,5–1 Proz. Nährsalze (1 Teil Kaliumnitrat, 1 Teil Magnesiumsulfat, 1 Teil Kaliumphosphat und 4 Teile Calciumnitrat) enthält. Durch Einwirkung der Salze wird die in den Algenzellen vorhandene Reservestärke sehr schnell verarbeitet und das Zellplasma verändert, so daß eine Wachstumshemmung eintritt, die jedoch bei der angegebenen Konzentration der Lösung keinen schädigenden Einfluß auf die spätere Fortentwickelung der Alge ausübt. Führt man dieselbe selbst nach wochen- oder monatelang fortgesetzter Einwirkung der Nährsalze langsam in frisches Wasser über, das jene wieder entfernt, so bilden sich in kürzester Zeit sehr zahlreiche Schwärmsporen aus. Naturgemäß sind noch eine Reihe andrer Bedingungen, wie geeignete Temperatur (über 8°, am besten etwa 25°), Vorhandensein von Sauerstoff, besonders auch die Einwirkung von Licht für die Entwickelung der Schwärmsporen notwendig; bei Algen, die aus Nährlösung in Wasser gebracht und einige Tage im Dunkeln gelassen wurden, unterblieb nämlich regelmäßig die Bildung der Schwärmer, während diese in beleuchteten Kulturen während derselben Zeit sich in großer Menge entwickelten.
Um die W. zur geschlechtlichen Fortpflanzung zu bringen, genügt in zahlreichen Fällen eine 6–8tägige Kultur in Rohrzuckerlösung (von 5 Proz.) am beleuchteten Fenster; von andern Kohlehydraten wurde z. B. auch Maltose geprüft, die jedoch merkwürdigerweise die Netze zu Zoosporenbildung anregt; Glycerin befördert unter Umständen Gametenbildung. Für letztere ist höhere Temperatur noch mehr unentbehrlich als für die Erzeugung der ungeschlechtlichen Schwärmer. Dagegen ist die geschlechtliche Vermehrung in hohem Grade von der Einwirkung des Lichts unabhängig, indem bei zahlreichen Dunkelkulturen der W. in Rohrzucker (5–10 Proz.) massenhafte Gameten auftraten. Aus der Gesamtheit seiner Versuche zog Klebs den Schluß, daß es nur von der Kulturweise abhängt, ob die W. Neigung zur geschlechtlichen oder ungeschlechtlichen Fortpflanzung annimmt. Hieran schließt sich die Frage, ob es möglich ist, Netze [975] mit hochgradiger Neigung zu einer bestimmten Vermehrungsart allein durch äußere Bedingungen in solche mit entgegengesetzter Tendenz zu verwandeln. Auch hierauf gaben die Versuche von Klebs eine befriedigende Antwort, indem es ihm gelang, Netze, die durch die oben angegebene Kulturmethode in Rohrzucker die Fähigkeit der Gametenbildung erworben hatten, durch nachträgliches Einsetzen in Nährsalzlösung (von 0,5 Proz.) wieder zur Zoosporenbildung zurückzuführen. Umgekehrt konnten Netze mit „ungeschlechtlich gestimmten“ Zellen dadurch in gametenbildende übergeführt werden, daß sie in Rohrzuckerlösung zunächst niederer Temperatur (bei 10°) und schwacher Beleuchtung, dann aber hoher Wärme (von 28°) und völliger Dunkelheit ausgesetzt wurden; die erstgenannten Bedingungen drängen die Neigung zu Zoosporenbildung zurück, die sonst nach Kultur in Nährsalzlösung monatelang festgehalten wird; durch Dunkelheit in Verbindung mit hoher Temperatur gewinnen dann die zur Gametenbildung führenden Ursachen den Vorsprung. Ungeschlechtliche Fortpflanzung tritt ein, wenn die Netze bei genügend hoher Temperatur, hellem, sonnigem Wetter und Vorhandensein frischen, nährsalzhaltigen Wassers in lebhaftem Stoffwechsel begriffen sind; geschlechtliche Vermehrung wird dagegen durch niedere Temperatur, zeitweilig geringe Lichtintensität oder Dunkelheit, Mangel an Nährsalzen oder Wasser, kurz durch Momente befördert, welche die Zoosporenbildung verhindern und zugleich starke Ansammlung organischer Substanz veranlassen. In biologischer Hinsicht erscheint die erstere Fortpflanzungsform für diejenigen Lebensverhältnisse des Organismus geeignet, die ihm lebhaftes Wachstum und ausgiebigen Stoffwechsel ermöglichen, während er sich bei mehr gehindertem Stoffumsatz vor dem Untergang durch Bildung widerstandsfähiger geschlechtlicher Ruhezellen schützt. Auch das Alter hat einen deutlich nachweisbaren Einfluß auf die Vermehrung der W., indem letztere zur Zeit starken Wachstums in der Regel nicht zur Fortpflanzung schreitet. Bei Zellen, die 1–20 Tage alt waren und eine Länge unter 0,5 mm besaßen, wurde überhaupt keine Fortpflanzung beobachtet; mit steigendem Alter erlangen auch kleinere Zellen, und zwar solche bis zu 0,1 mm Länge herab, die Fähigkeit der Vermehrung, während Zellen unter 0,1 mm gewöhnlich trotz noch so hohen Alters steril bleiben und Zellen von 0,5–10 mm je nach den äußern Bedingungen und unabhängig vom Alter sich fortpflanzen. Wachstum und Fortpflanzung scheinen voneinander unabhängige Prozesse darzustellen, die jedoch beide mit der Ernährung in engster Beziehung stehen, so daß Stillstand des Wachstums infolge äußerer Einwirkung den Eintritt der Fortpflanzung nach sich zieht, sofern die übrigen Bedingungen derselben günstig sind. Ein Generationswechsel der W. kann nach den Untersuchungen von Klebs nur noch in dem Sinne angenommen werden, daß aus ihren auf geschlechtlichem Wege erzeugten Zygoten zunächst immer eine oder zwei ungeschlechtliche Generationen entstehen müssen; im übrigen entscheiden ausschließlich die äußern Bedingungen darüber, ob ungeschlechtliche oder geschlechtliche Vermehrung eintritt. Ähnliches wurde auch bei andern Algen, z. B. durch Rostafinski und Woronin bei Botrydium granulatum nachgewiesen, dessen Geschlechtssporenbildung durch allmähliches Eintrocknen bei hellem Licht hervorgerufen wird. Auch die höchst mannigfaltigen Fortpflanzungsweisen von Volvox (s. d., Bd. 18) scheinen durch äußere Ursachen beeinflußt zu werden. In andern Fällen, z. B. bei Phyllobium dimorphum, einer im Blatt von Lysimachia lebenden Protokokkacee, entwickeln sich aus den Zygoten unter günstigen Lebensbedingungen geschlechtliche Sporen, unter ungünstigen dagegen ungeschlechtlich sich vermehrende Zellen. Vgl. A. Braun, Betrachtungen über die Erscheinung der Verjüngung in der Natur (Leipz. 1851); Kohn, Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte der mikroskopischen Algen und Pilze („Nova Acta Leopold. Carol. Acad.“, Bd. 24); Pringsheim, Über die Dauerschwärmer des Wassernetzes („Monatsbericht der Berliner Akademie“ 1860); Rostafinski und Woronin, Über Botrydium granulatum („Botanische Zeitung“ 1877); Klebs, Beiträge zur Kenntnis niederer Algen (ebenda 1881); Derselbe, Über die Vermehrung von Hydrodictyon utriculatum („Flora“ 1890).