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MKL1888:Vischer

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Vischer“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 228229
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Vischer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 228–229. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Vischer (Version vom 23.05.2024)

[228] Vischer, Nürnberger Bildhauer- und Erzgießerfamilie im 15. und 16. Jahrh., welche durch drei Generationen im Erzguß eine umfangreiche Thätigkeit geübt und ihn in Deutschland vom Handwerk zur Kunst erhoben hat:

1) Hermann, der ältere, kam 1453 als Rotgießergeselle nach Nürnberg und erwarb daselbst das Meisterrecht. Von seinen Arbeiten ist nur eine, das mit Apostelfiguren geschmückte Taufbecken in der Pfarrkirche zu Wittenberg von 1457, nachweisbar.

2) Peter, der ältere, Sohn des vorigen, geboren um 1455 zu Nürnberg, wurde 1489 Meister und 1494 vom Kurfürsten Philipp von der Pfalz nach Heidelberg berufen, kehrte aber bald wieder nach Nürnberg zurück, wo er, später von fünf Söhnen unterstützt, vielseitig thätig war. Seine beglaubigten Hauptwerke, in deren architektonischem Aufbau noch die Formen der Gotik neben denen der Renaissance vorkommen, während sich in den figürlichen Teilen bereits der realistische Geist der Renaissance neben hohem Schönheitsgefühl geltend machen, sind in der Reihenfolge ihrer Entstehung: das Grabmal des Bischofs Johannes IV. im Dom zu Breslau (1496); das großartige, reiche Grabmal des Erzbischofs Ernst im Dom zu Magdeburg (1497); das berühmte Grabmal des heil. Sebaldus in der Sebalduskirche zu Nürnberg (vgl. die Figur des Apostels Paulus auf Tafel „Bildhauerkunst VI“, Fig. 9), welches V. mit Hilfe seiner Söhne von 1508 bis 1519 ausgeführt hat, seine bedeutendste Schöpfung; ein großes Prachtgitter, welches die Gebrüder Fugger in Augsburg bestellten, aber der Rat von Nürnberg ankaufte, später durch Hans V. vollenden und 1540 im großen Saal des Rathauses zu Nürnberg aufstellen ließ (1806 abgebrochen und dann verschollen); ein Relief mit der Krönung Mariä im Dom zu Erfurt (ein zweites Exemplar in der Schloßkirche zu Wittenberg, 1521); die Grabplatte für Margareta Tucherin im Dom zu Regensburg (1521, die Begegnung Christi mit den Schwestern des Lazarus) und für die Familie Eisen in der Ägidienkirche zu Nürnberg (1522, Grablegung Christi); das Epitaph für den Kardinal Albrecht von Brandenburg in der Stiftskirche zu Aschaffenburg (1525); das Grabmal des Kurfürsten Friedrich des Weisen in der Schloßkirche zu Wittenberg (1527); das Epitaph der Herzogin Helene von Mecklenburg im Dom zu Schwerin. Außerdem werden ihm noch mit großer Wahrscheinlichkeit das Grabmal des Grafen Eitel-Friedrich II. von Zollern und seiner Gemahlin in der Stadtkirche zu Hechingen, die Grabmäler der Grafen von Henneberg in der Kirche zu Römhild und das Standbild König Arthurs am Grabmal Kaiser Maximilians in der Hofkirche zu Innsbruck zugeschrieben. V. starb hochbetagt 7. Jan. 1529. Eine Ausgabe seiner Werke veranstaltete W. Lübke (Nürnb. 1878, 2 Bde. mit 48 Tafeln).

3) Hermann, der jüngere, ältester Sohn des vorigen, geboren in den letzten Jahren des 15. Jahrh., arbeitete in der Werkstatt seines Vaters, bildete sich aber auch zugleich im Zeichnen und Modellieren aus, so daß er seinem Vater als Künstler zur Seite stehen konnte. Nachdem die Gebrüder Fugger bei seinem Vater das große Prachtgitter für ihre Grabkapelle bestellt hatten, welches sie nach italienischen Vorbildern ausgeführt wünschten, ging V. 1515 nach Italien, um Studien dazu zu machen. Ihm schreibt man im wesentlichen den Entwurf zu diesem Gitter zu. V. starb, noch sehr jung, 1516.

4) Peter, der jüngere, zweiter Sohn des ältern Peter V., geboren in den letzten Jahren des 15. Jahrh., arbeitete in der Werkstatt des Vaters und bildete sich daneben als Künstler aus. Er scheint viel Phantasie und Erfindungstalent gehabt, sich auch eine gewisse klassische Bildung angeeignet zu haben. Er begleitete seinen Bruder Hermann nach Italien. In den letzten zwölf Jahren war er die eigentliche Seele der Vischerschen Gießhütte. Von seinen selbständigen Arbeiten sind bekannt: zwei kleine nackte Frauengestalten, eine jede neben einer Vase (Tintenfaß) stehend (in Stanmore Hill[WS 1] in England), zwei Reliefs, beide Orpheus und Eurydike darstellend (im Museum zu Berlin und in Pariser Privatbesitz), eine Statuette des Apollon als Bogenschütze, wozu sein Bruder Hans 1532 ein Postament gefertigt hat, jetzt im Germanischen Museum zu Nürnberg. V. starb 1528.

5) Hans, der dritte Sohn des ältern Peter V., arbeitete gleichfalls in der Werkstatt seines Vaters, war aber vorzugsweise Techniker und überwachte das Gießen, Ziselieren und Montieren der großen Werke. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er die Werkstatt und vollendete zunächst nach den von seinem Bruder Peter hinterlassenen Modellen und Zeichnungen einige größere Werke, so: das Epitaph der Margareta Riedingerin (Madonna mit Kind) in der Stiftskirche zu Aschaffenburg, das Grabdenkmal des Kurfürsten von Brandenburg, Johann Cicero, im Dom zu Berlin, einen Leuchter in der Wenzelskapelle des Doms zu Prag, das Grabmal des Kurfürsten Johann I., des Beständigen, in der Schloßkirche zu Wittenberg. Selbständig fertigte er das Grabmal des Bischofs Siegmund im Dom zu Merseburg u. a.

6) Jakob und Paul, die jüngsten Söhne des ältern Peter V., arbeiteten als Gesellen in der Werkstatt ihres Vaters. Vgl. R. Bergau, Peter V. und seine Söhne (in Dohmes „Kunst und Künstler“, Bd. 2).

Vischer, 1) Friedrich Theodor (von), berühmter Ästhetiker der Hegelschen Schule, geb. 30. Juni 1807 zu Ludwigsburg, ward, im Stift zu Tübingen [229] zum Theologen gebildet, 1830 Pfarrvikar in Horrheim bei Vaihingen, 1833 Repetent zu Tübingen, habilitierte sich 1836 selbst und wurde 1837 zum außerordentlichen, 1844 zum ordentlichen Professor für Ästhetik und deutsche Litteraturgeschichte daselbst ernannt, aber infolge seiner freimütigen Antrittsvorlesung (Tübing. 1844) sofort auf zwei Jahre suspendiert. 1848 in das Frankfurter Parlament gewählt, hielt er sich daselbst zur Linken, ging mit dem Reste desselben auch nach Stuttgart und folgte 1855 einem Ruf an das Polytechnikum in Zürich, gegen Ende 1866 einem gleichen an das Polytechnikum in Stuttgart, wo er bis 1877 wirkte. Er starb 14. Sept. 1887 in Gmunden am Traunsee. V. gehört (neben seinen Freunden und Geistesverwandten Strauß, Schwegler, Zeller u. a.) zu den durch Geist und Gelehrsamkeit hervorragendsten Vertretern der Hegelschen Schule, in deren Sinn er seine Fachwissenschaft, die Ästhetik, als Gehalts- im Gegensatz zu der innerhalb der Herbartschen Schule durchgeführten Formästhetik bearbeitete. Außer dem Hauptwerk: „Ästhetik, oder Wissenschaft des Schönen“ (Stuttg. 1847–58, 3 Bde.), erschienen von ihm: „Über das Erhabene und Komische“ (das. 1837); „Kritische Gänge“ (Tübing. 1844, 2 Bde.; neue Folge, Stuttg. 1860–75, 6 Hefte), eine Sammlung kleinerer, meist kritischer Abhandlungen (der 5. u. 6. Band enthält die Selbstkritik seiner „Ästhetik“); „Goethes Faust. Neue Beiträge zur Kritik des Gedichts“ (das. 1875); der Roman „Auch Einer; eine Reisebekanntschaft“ (das. 1878, 4. Aufl. 1889); „Mode und Cynismus“ (das. 1878, 3. Aufl. 1887); „Altes und Neues“ (das. 1881–82, 3 Hefte; neue Folge 1889) und „Lyrische Gänge“ (das. 1882, 2. Aufl. 1889). Unter dem Pseudonym Mystifizinsky schrieb er: „Faust. Der Tragödie dritter Teil“ (Stuttg. 1862, 4. umgearb. Aufl. 1889), eine Satire auf den zweiten Teil des Goetheschen „Faust“; unter dem Namen Schartenmeyer: „Der deutsche Krieg 1870/71, ein Heldengedicht“ (4. Aufl., Nördling. 1874) und anonym die beißenden „Epigramme aus Baden-Baden“ (Stuttg. 1867). Auch verschiedene, zum Teil sehr populär gewordene satirische Gedichte werden als sein Werk bezeichnet. – Sein Sohn Robert, geb. 22. Febr. 1847, Professor der Kunstgeschichte an der technischen Hochschule zu Aachen, schrieb: „Über das optische Formgefühl“ (Stuttg. 1875); „L. Signorelli und die italienische Renaissance“ (Leipz. 1879); „Studien zur Kunstgeschichte“ (Stuttg. 1886). Vgl. Keindl, Fr. Th. V., Erinnerungsblätter (Prag 1888); v. Günthert, Fr. Th. V. (Stuttg. 1888); Frapan, Vischer-Erinnerungen (das. 1889).

2) Wilhelm, schweizer. Philolog und Historiker, geb. 30. Mai 1808 zu Basel, empfing seine Vorbildung im Fellenbergschen Institut in Hofwyl, studierte 1825–32 Philologie und Geschichte an den Universitäten Basel, Genf, Bonn, Jena und Berlin, wurde 1832 Lehrer am Pädagogium in Basel und 1835 außerordentlicher Professor der griechischen Sprache und Litteratur an der Universität daselbst und machte 1852–53 eine Reise nach Italien, Sizilien und Griechenland und 1862 eine zweite nach Griechenland und Kleinasien. Seit 1834 auch Mitglied des Großen Rats, wurde er 1867 in die Regierung gewählt, wo er als Präsident des Erziehungskollegiums das Erziehungswesen leitete, trat aber 1873 wegen Krankheit zurück und starb 5. Juli 1874. Er schrieb: „Erinnerungen und Eindrücke aus Griechenland“ (Basel 1857), „Geschichte der Universität Basel“ (das. 1860) und zahlreiche wertvolle Aufsätze historischen, archäologischen und epigraphischen Inhalts, die mit Vischers Lebensabriß von Gonzenbach als „Kleine Schriften“ von Gelzer und A. Burckhardt gesammelt herausgegeben wurden (Leipz. 1877–78, 2 Bde.).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Stam-|nore Hill