MKL1888:Trojanischer Krieg
[860] Trojanischer Krieg, der zwischen Griechen und Kleinasiaten bei Troja nach der gewöhnlichen Annahme von 1193 bis 1184 v. Chr. geführte Krieg. Die Sage berichtet über denselben: Als Paris, der zweite Sohn des Königs Priamos von Troja, das Recht der Gastfreundschaft verletzend, des Königs Menelaos von Sparta Gemahlin, die von Aphrodite ihm bestimmte schöne Helena, entführt hatte, verweigerte Priamos der an ihn geschickten Gesandtschaft deren Herausgabe. Darauf ward von den griechischen Fürsten der Rachezug gegen Troja beschlossen. Die hervorragendsten unter den Helden, welche sich zu Aulis in Böotien versammelten, waren: Menelaos und dessen Bruder Agamemnon, Odysseus, Diomedes, Achilleus, Patroklos, Nestor, Aias der Oilier und Aias der Telamonier, Philoktetes und Idomeneus. Agamemnon ward zum Oberanführer gewählt, und nach einigem durch Windstille verursachten Aufenthalt (s. Iphigenie) segelte die Flotte ab nach Kleinasiens Küste. Unterdes hatten aber auch die Trojaner ihre Stadt befestigt. Ihre Bundesgenossen waren Makedonier, Thraker, Assyrer, Äthiopier und ihr vornehmster Held Hektor, des Priamos ältester Sohn. Neun Jahre lang währte der Kampf ohne Entscheidung, und die Griechen unternahmen während dessen zahlreiche Plünderungszüge in Kleinasien. Im 10. Jahr brach der Zwist zwischen Agamemnon und Achilleus aus, infolge dessen sich dieser eine Zeitlang vom Kampf zurückzog und die Griechen wiederholte Niederlagen erlitten. Schon rieten im Lager der Griechen viele zum Rückzug, aber nach Achills Wiedereintritt in den Kampf und dem Fall Hektors kam für Troja dennoch der Tag des Untergangs. Infolge eines Orakelspruchs schlichen sich Diomedes und Odysseus in die Stadt und entwendeten aus dem Tempel der Athene das ihr geheiligte Bild (Palladium), das Schutzheiligtum der Stadt, wodurch das Glück von den Trojanern wich. Hierauf ließen die Griechen auf des Odysseus Rat ein kolossales hölzernes Pferd erbauen, in dessen hohlem Bauch sich eine auserlesene Schar verbarg. Die übrigen Griechen begaben sich auf ihre Schiffe und fuhren in der Nacht davon. Als nun am andern Tag die Trojaner das Griechenlager verlassen sahen, strömten sie scharenweise aus der Stadt, sich wundernd über das seltsame Ungeheuer, bis ihnen ein im nahen Schilf aufgefundener Grieche, Sinon, berichtete, daß die über den Raub ihres Heiligtums erzürnte Göttin Athene den Trojanern zum Ersatz dies Pferd geschenkt habe. Des warnenden Laokoon Schicksal beschwichtigte jeden Argwohn, es ward ein Stück der Mauer um Troja eingelegt, der Koloß nach der Stadt gezogen und neben dem Tempel der Athene aufgestellt. In der Nacht entstiegen die Griechen dem Bauch des Pferdes, und die griechischen Schiffe kehrten zurück. Ein allgemeines Blutbad begann, die Stadt ward angezündet und geplündert. Nur einer kleinen Schar von Trojanern unter der Anführung des Äneas gelang es, sich durch die Flucht zu retten und in Italien eine neue Heimat zu begründen. Viele der heimkehrenden Griechen fanden unterwegs ihren Untergang; andre, namentlich Odysseus, erreichten erst nach mancherlei Irrfahrten ihr Vaterland; noch andre fanden in der Heimat ihre Herrschersitze von andern eingenommen, weshalb entweder sie selbst oder ihre Söhne in fremden Ländern Kolonien gründeten. Dies ist der Inhalt der Sage, wie sie uns in den Homerischen Gedichten, vor allen in der Iliade, welche aber nur den Zorn des Achilleus und den Tod Hektors erzählt, dann in den Epen der Kykliker und nach diesen in Vergils Äneide überliefert ist. Die griechischen Historiker haben den Trojanischen Krieg für wirkliche Geschichte gehalten und ihn als festen Punkt angenommen, an den sie ihre Zeitrechnung anknüpften. Auch neuere Gelehrte nehmen wenigstens einen historischen Kern der Sage an, während die Ansicht mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat, daß der Krieg nur ein Spiegelbild der Kämpfe ist, welche die Äolier und Achäer um 1050 v. Chr. bei der Kolonisation der kleinasiatischen Küste mit den den Griechen stammverwandten Dardanern am Hellespont zu bestehen hatten; an den Thaten ihrer Vorfahren, welche sie in ihren Gesängen verherrlichten, ermutigten und stärkten sich nicht nur die Hellenen in dem langwierigen Kampf, sondern sie glaubten auch durch die Annahme einer frühern Eroberung Trojas durch ihre Väter ein Anrecht auf die begehrten Länder zu erwerben. Vgl. E. Rückert, Trojas Ursprung, Blüte, Untergang (Gotha 1846), und die Litteratur zu Troja; ferner Schneider, Der troische Sagenkreis in der ältesten griechischen Kunst (Leipz. 1886).