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MKL1888:Silberbill

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Silberbill“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 18 (Supplement, 1891), Seite 862864
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Silberbill. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 862–864. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Silberbill (Version vom 28.12.2024)

[862] Silberbill, amerikanische. Unter diesem Namen wird das Gesetz vom 14. Juli 1890 verstanden, dessen Hauptbestimmung in der Anordnung von Silberkäufen durch die Vereinigte Staaten-Regierung im Ausmaß von 41/2 Mill. Unzen pro Monat besteht. Dieses neue Gesetz ist eine Weiterführung der bis dahin bestandenen sogen. Blandbill vom 28. Febr. 1878.

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre war infolge der deutschen Silberverkäufe, der Beschränkung und schließlichen Einstellung der Silberprägungen in den Ländern der lateinischen Münzunion und der Steigerung der Silberproduktion in Amerika das Silber erheblich im Preise gefallen. Die Silberminenbesitzer sahen sich hierdurch aufgefordert, den Möglichkeiten einer Hebung des Silberpreises nachzugehen. Sie fanden alsbald, daß der Bundesstaat Silberkäufer in großem Stile werden müsse, und leiteten im Lande eine großartige Agitation in diesem Sinn ein. Die Depression, welche der Börsenkatastrophe von 1873 gefolgt war, kam ihnen zu Hilfe. Man lechzte nach Erlösung. Die Silberleute verhießen sie. Die der Masse mangelnde Einsicht in Wesen und Unterschied von Geld und Kapital wurde dazu benutzt, um ein Gesetz zu schaffen, durch welches die Unionsregierung gehalten war, allmonatlich für einen Betrag von mindestens 2 Mill. Golddollar Silberdollars auszuprägen. Im Kongreß wurde die Bill durchgesetzt gegen den Einspruch der östlichen „Gläubiger“-Staaten, welche künftig Zinsen und Amortisationen der westlichen Schuldner in Silber bezahlt bekommen sollten, gegen das Veto des Präsidenten (man räumte es durch zwei Drittel Majorität weg) und die sachlichen Einwendungen, welche immer neu der damals als Finanzsekretär amtierende Karl Schurz dem Drängen der Silberleute entgegenstellte. Immerhin blieb es dem Präsidenten der Union vorbehalten, künftighin zwischen 24 Mill. Doll. Goldwert Minimum und 48 Mill. Maximum jährlich zur Prägung in Silber zu bestimmen. Von den Präsidenten seit 1878 hat nun keiner über 2 Mill. Golddollar monatlich prägen lassen. Aber da der Wert des Silberdollars dauernd sank, entsprachen zuletzt etwa 34 Mill. Doll. Silber einem Wert von 24 Mill. Doll. Gold. In Silber gerechnet sind die Prägungen derart im Laufe der Zeit sehr wesentlich gestiegen.

Der Verkehr hat sich mit den Silberdollars nicht befreundet. Eine verhältnismäßig geringe Menge ist im Umlauf; für den größern Teil sind Silbercertifikate ausgegeben, welche gleichsam als vollgedecktes Papiergeld statt der Silbermünze den Dienst versehen. Das Schatzamt war nämlich durch die Blandbill ermächtigt worden, gegen Hinterlegung von Silbermünze Depositenscheine in Beträgen von 10, 20, 50 Doll. zu emittieren. Am 1. Okt. 1888 waren nun von 306,751,000 geprägten Silberdollar nur 57,959,000 als Münze im Umlauf neben 218,562,000 Doll. in Silbercertifikaten.

Den gehegten Erwartungen entgegen hatte die Blandbill dem weitern Sinken des Silberpreises nicht Halt zu gebieten vermocht. Von Jahr zu Jahr, fast von Monat zu Monat bröckelte er ab. Zurückzuführen war diese Erscheinung durchaus nicht ausschließlich auf die sogen. Demonetisation des Silbers, sondern ebensosehr auf dessen maßlos vermehrte Produktion. 1871–75 hatte die Durchschnittsproduktion des Jahres 2 Mill. kg noch nicht erreicht, 1889 war sie 4,120,000 kg. Speziell die Vereinigten Staaten und Mexiko förderten 1871–75 nicht ganz 1,170,000 kg zu Tage gegenüber 2,800,000 kg im J. 1889. Gegenwärtig bestreiten diese beiden Gebiete also rund 68 Proz. der gesamten Silberproduktion der Erde gegen etwas über 58 Proz. in den Jahren 1871–75. Hieraus geht zweierlei hervor, erstens, daß die Schuld an dem Sinken des Silberpreises großenteils den Silberminenbesitzern selbst zufällt, zweitens, daß der Silberpreis auch auf seinem niedrigsten Stande noch hoch genug war, um jene zu steter Erweiterung der Produktion aufzufordern. Dies hinderte sie jedoch nicht, nachdem unter Präsident Harrison die republikanische Partei wieder zur Gewalt gelangt war, mit dem Begehren an den Kongreß heranzutreten, daß die Rate der jährlichen Silberkäufe der Bundesregierung erhöht werde. Ihre Agitation hat diesmal zu dem eingangs erwähnten Gesetz geführt. Aber es hat viel Mühe gekostet, sich zu einigen, und einigemal im Laufe der Verhandlungen schien es, als werde ein Gesetz vorerst überhaupt nicht zu stande kommen. Das Repräsentantenhaus hatte den monatlichen Ankauf von 4,500,000 Doll. in Aussicht genommen; der Senat hätte am liebsten eine andre Regelung gesehen, derzufolge die Münze gegen Übergabe von Silber zirkulationsfähige Certifikate, zum Tageskurs des Silbers berechnet, ausgeliefert hätte. Für eine derartige Bestimmung war aber das Repräsentantenhaus nicht zu gewinnen, und wahrscheinlich hätte auch [863] der Präsident sein Veto gegen dieselbe eingelegt. Schließlich kamen beide Häuser überein, nicht für 4,500,000 Doll., sondern 4,500,000 Unzen Silber monatlich durch das Münzamt ankaufen zu lassen.

Des Nähern bestimmt das neue Gesetz: Der Finanzminister ist beauftragt, von Zeit zu Zeit Silberbullion im Gesamtbetrag von 41/2 Mill. Unzen in jedem Monat zum Marktwert, der jedoch einen Dollar für 3711/4 Gran Feinsilber nicht übersteigen darf, anzukaufen und als Zahlung für solche Ankäufe Schatzamtsnoten in Appoints von 1–1000 Doll. auszugeben. Die derartig ausgegebenen Schatzamtsnoten sollen auf Verlangen in Münze einlösbar sein und, wenn eingelöst, von neuem emittiert werden können; doch soll der Betrag der ausstehenden Noten vollständig durch den Wert des dafür gekauften Silberbullion, bez. der daraus geprägten Standard-Silberdollars gedeckt sein; solche Schatzamtsnoten sollen ein gesetzliches Zahlungsmittel zur Bezahlung aller öffentlichen und Privatschulden sein; sie sollen an öffentlichen Kassen in Zahlung genommen werden. Wenn von Nationalbanken gehalten, sollen solche Noten als ein Teil ihrer gesetzlichen Reserve angesehen werden. Auf Verlangen der Inhaber solcher Schatzamtsnoten soll der Finanzminister dieselben in Gold und Silber nach seinem Ermessen einlösen. Der Finanzminister soll von dem unter diesen Bestimmungen angekauften Silberbullion bis zum 1. Juli 1891 monatlich 2 Mill. Unzen in Standard-Silberdollars prägen lassen; nach diesem Zeitpunkt ist die Prägung nur nach Maßgabe des Bedarfs für Zwecke der Einlösung von Schatzamtsnoten fortzusetzen.

Die wahrscheinliche Wirkung des Gesetzes ist nach drei Richtungen hin zu untersuchen. In erster Linie ist seitens seiner Urheber beabsichtigt, der weitern Verminderung des Silberpreises einen Riegel vorzuschieben und ihn womöglich auf den Stand der Wertrelation von 1 : 16 für Gold zu Silber zu heben, die dem amerikanischen Währungssystem zu Grunde liegt. Im Zusammenhang mit den vermehrten Silberkäufen und der eventuellen Steigerung des Silberpreises könnte sich aber zweitens nach der Ansicht von Autoritäten die Ausfuhr von Gold aus den Vereinigten Staaten und im Anschluß daran die Bildung eines Goldagios in Amerika, weiter die Umgestaltung der amerikanischen hinkenden Doppelwährung zu einer Silberwährung vollziehen. Allseitig werden endlich drittens von der S. stimulierende Wirkungen auf die amerikanische Volkswirtschaft erwartet, nur daß die einen diesen Stimulus eine künstliche Reizung, die im Zusammenbruch enden müsse, nennen, während die andern hoffnungsvoll auch in die fernere Zukunft sehen.

Eine Hebung des Silberpreises ist bereits erfolgt, als die Bill noch in Beratung stand und ihre Annahme wahrscheinlich wurde. Der Silberpreis stieg damals rapid von 42 auf 48 Pence pro Unze Standard. Um jedoch das von der amerikanischen Währung vorgesehene Wertverhältnis beider Edelmetalle zu erreichen, müßte er noch bis auf 58,93 Pence hinaufgehen. Selbstverständlich soll nun nicht an dieser Stelle eine Prognose der wahrscheinlichen demnächstigen Entwickelung des Silberpreises gestellt werden. Immerhin läßt sich aber beiläufig auf die Faktoren eingehen, die seine Entwickelung bestimmen dürften. Daß, wie anfangs mehrseitig geltend gemacht, ein Kartell der amerikanischen Silberminenbesitzer den Silberpreis dauernd regeln könne, ist nicht anzunehmen, da neben der Union auch Mittel- und Südamerika, Deutschland und andre Länder Silber produzieren und auf den Markt bringen, das Kartell überall dahin sich aber unmöglich erstrecken kann. Da überdies selbst der niedrige Silberpreis von 42 Pence pro Unze die heutigen Produktionskosten des Silbers reichlich ersetzte, so dürfte jeder Steigerung des Silberpreises noch eine viel weiter gehende Steigerung der Produktion sich anschließen. Weiter sind in einigen europäischen Ländern die Silbervorräte, welche zu halbwegs guten Preisen eingestandenermaßen abgestoßen werden wollen, außerordentlich umfangreich. Insbesondere kommen hierfür die Bank von Frankreich, die niederländische Bank, das Deutsche Reich und Belgien in Betracht. Aus diesen Gründen ist ein dauernd hoher Stand des Silberpreises als Konsequenz des Silbergesetzes unwahrscheinlich.

Im ganzen verlangt der Silbermarkt infolge der neugeschaffenen Nachfrage der Unionsregierung um 25 Mill. Unzen pro Jahr mehr Silber als bisher. Zum Preise von 42 Pence pro Unze Silber konnte man nämlich mit der von der Blandbill ausgeworfenen Summe von 2 Mill. Doll. pro Monat im Jahr ungefähr 29 Mill. Unzen Silber ankaufen, und in der That wurden im J. 1889 in den Vereinigten Staaten 29 Mill. Unzen in Standard-Silberdollars umgeprägt. Die Verfügung des neuern Gesetzes, den jährlichen Ankauf von Silber auf 54 Mill. Unzen zu erhöhen, ist also gleichbedeutend mit einer Vermehrung des Verbrauchs von Silber in den Vereinigten Staaten um 25 Mill. Unzen pro Jahr. Die Gesamtausbeute von Silber in der ganzen Welt pro Jahr betrug bisher nach den verläßlichsten Schätzungen gegen 130 Mill. Unzen.

Für die Frage 2 eines Goldagios in der Union kommen folgende Momente in Betracht: 1) Einen eigentlichen Goldumlauf gibt es auch heute in den Vereinigten Staaten fast nicht, trotzdem amtlich von seiten des amerikanischen Münzamtes der Goldbestand im Lande auf 690 Mill. Doll. veranschlagt wird. Einzig in den Pacificstaaten geht Gold im täglichen Verkehr von Hand zu Hand; aber kaum handelt es sich hier um einen Betrag von über 60–70 Mill. Doll. 2) Die Ausgabe neuer Silbercertifikate und ihr Gebrauch durch die Kaufmannschaft wird daher kein Gold überflüssig machen und in die Reservoirs der Banken leiten. 3) Für Zwecke der Goldbeschaffung zur Ausfuhr ist man in letzter Linie auf das Schatzamt, wo 100 Mill. Doll. niedergelegt sind, angewiesen. Die Summe der ausgegebenen Staatsnoten schwankt aber zwischen 300 und 347 Mill. Doll.; das Schatzamt würde daher, wenn ihm Noten zur Einlösung in Gold präsentiert würden, bald an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt sein. Es kann nun eine dreifache Politik treiben: a) Staatsnoten einziehen (eine Absicht dieser Art besteht aber nicht); b) seinen Einlösungsfonds durch Goldankauf stärken; c) die Einlösung in Gold verweigern und in Silber anbieten. Trifft das Schatzamt, was nicht unwahrscheinlich, vorerst überhaupt keine Vorkehrungen, so hängt es von der Zahlungsbilanz der Union ab, wann der Zeitpunkt, in dem es Entschlüsse zu fassen hat, an dasselbe herantritt. Die Zahlungsbilanz der Union bestimmt sich nach dem Verhältnis der Beträge, die die Union aus dem Ausland für dahin gelieferte Waren zu empfangen hat gegen die Beträge, die sie dahin zahlt für Einfuhren aus dem Ausland und Dienste, die dieses ihr leistet (Frachten), sowie für Zinsen von amerikanischen Werttiteln, die sich in den Händen europäischer Kapitalisten befinden. In den letzten Jahren erreichten die Edelmetall-Ein- und [864] -Ausfuhren der Vereinigten Staaten folgende Beträge in Millionen Dollar:

  Einfuhr Ausfuhr Plus- oder Minus-Einfuhr
1888/89 29 97 −68  
1887/88 59 46 +13
1886/87 60 36 +24
1885/86 39 72 −33
1884/85 43 42 +1
Durchschnitt pro Jahr  −13.

Bleibt also das bisherige Verhältnis des Warenumsatzes mit dem Ausland und der Schuldigkeiten an dasselbe weiter bestehen, so würde die Union im Durchschnitt 13 Mill. Doll. jährlich an dasselbe abzugeben haben. Dieser ganze Betrag würde aber, da die Union des Silbers bedarf, in Gold bestehen. Überdies würden noch, solange die inländische Silberproduktion dem Bedarf nicht nachgekommen ist, direkt Silbereinfuhren aus dem Auslande gegen Gold (weniger gegen Waren) erfolgen. Angesichts der enormen Schwankungen der einzelnen Jahre läßt sich aber nicht in dieser Weise rechnen, und der kritische Moment kann unter Umständen daher früher für die Union eintreten. Die Bildung eines Agios für Gold wird auch schon durch die Vermehrung der Zirkulation an sich begünstigt. Jahr für Jahr sollen dem Verkehr Silbercertifikate, bez. Schatznoten für 54 Mill. Doll. neu überantwortet werden. Mehr Geld bedeutet höhere Preise und teureres Leben; teurere Produktion verminderte Konkurrenzfähigkeit gegen das Ausland; weiter dann, da die Exportfähigkeit sinkt, die Importe immer vorteilhafter werden, ungünstige Handels- und Zahlungsbilanz und Goldexport. Die erwartete stimulierende Wirkung dürfte sich in erster Linie an der Börse äußern. Die vorläufige Überreizung muß aber unausweichlich in einer Krise enden.