MKL1888:Schluß
[543] Schluß (Ratiocinatio), im allgemeinen diejenige Denkoperation, durch welche ein Urteil auf mittelbarem Weg, d. h. durch Vermittelung andrer Urteile, hervorgebracht wird. Das vermittelte Urteil heißt Schlußsatz (Konklusion), die vermittelnden heißen Vordersätze (Prämissen). Der S. ist ein echter (eigentlicher), wenn im Inhalt der Vordersätze der vollständige Grund des Inhalts des Schlußsatzes, ein unechter (uneigentlicher) dagegen, wenn in demselben nur ein Teilgrund des letztern enthalten ist. Jenes ist bei dem sogen. Deduktions- (Subsumtions-) S. der Fall, in welchem vom Ganzen auf den Teil (vom Allgemeinen auf das Besondere), dieses bei dem sogen. Induktions- (Generalisations-) S., in welchem vom Teil auf das Ganze (vom Besondern auf das Allgemeine) geschlossen wird. In jenem wird, da der vollständige Grund die Folge ganz, der Teilgrund dagegen dieselbe nur teilweise begründet, der Schlußsatz mit Notwendigkeit, in diesem dagegen höchstens mit Wahrscheinlichkeit erschlossen. Der echte S. ist, je nachdem er aus einer oder mehreren Prämissen schließt, ein unmittelbarer oder mittelbarer S.; der unechte S. ist, je nachdem von einem Teil des Umfanges auf den ganzen Umfang oder von einem Teil des Inhalts auf den ganzen Inhalt des Begriffs geschlossen wird, ein induktiver oder Analogieschluß. Der echte unmittelbare S. ist entweder Unterordnungs- (Subordinations-) oder Entgegensetzungs- oder Umkehrungs- oder Äquipollenz- oder Modalitätsschluß. Der echte mittelbare S. ist, wenn er nur zwei Vordersätze besitzt, ein einfacher S. (Syllogismus) und zwar entweder ein vollständiger oder ein unvollständiger (Enthymem), wenn er mehrere Vordersätze besitzt, ein zusammengesetzter S. (Schlußkette) und zwar entweder ein vollständiger oder ein abgekürzter (Kettenschluß, Sorites). Der einfache vollständige S. besteht aus dem Obersatz (propositio major), welcher die allgemeine Regel, dem Untersatz (propositio minor), welcher den besondern Fall, und dem Schlußsatz (conclusio), welcher die Folgerung aus der Regel für diesen Fall enthält. In dem Enthymem (s. d.) ist entweder der Ober- oder der Untersatz als selbstverständlich ausgelassen. Je nachdem an der Stelle des Obersatzes ein kategorisches, hypothetisches oder disjunktives Urteil (s. Urteil) steht, nimmt der S., dessen Urteile die Materie, ihre Verbindungsart untereinander die Form desselben ausmachen, die kategorische, hypothetische oder disjunktive Schlußform an. In der kategorischen Schlußform erfolgt die Beziehung des Prädikatsbegriffs (P, Oberbegriff, terminus major) auf den Subjektsbegriff (S, Unterbegriff, terminus minor) des Schlußsatzes durch einen Mittelbegriff (M, terminus medius), der mit dem Oberbegriff im Obersatz, mit dem Unterbegriff im Untersatz verbunden ist, nach dem Grundsatz: das Merkmal (P) des Merkmals (M) der Sache (S) ist selbst Merkmal der Sache (dem sogen. dictum de omni et nullo, s. Dictum), welcher selbst Notwendigkeit besitzt, mit Notwendigkeit. Je nach der Stellung des Mittelbegriffs 1) als Subjektsbegriff im Ober-, als Prädikatsbegriff im Untersatz, 2) als Prädikats-, 3) als Subjektsbegriff in beiden Prämissen, 4) als Prädikatsbegriff im Ober-, als Subjektsbegriff im Untersatz nimmt der kategorische S. vier Gestalten (Schlußfiguren), je nach der (allgemein oder besonders bejahenden, allgemein oder besonders verneinenden) Beschaffenheit der Prämissen, welche gültige Schlußsätze ergeben, 19 gültige Schlußarten (modi) an, von denen je vier auf die erste und zweite, sechs auf die dritte und fünf (nach andern nur drei) auf die vierte Figur kommen. Die Schemata der Schlußfiguren sind:
I. MP | II. PM | III. MP | IV. PM |
SM | SM | MS | MS |
SP | SP | SP | SP |
Die Schemata und Namen der Modi, wenn mit A (nach der Weise der alten Logiker) das allgemein, mit I das besonders bejahende, mit E das allgemein und mit O das besonders verneinende Urteil bezeichnet wird, sind in der ersten Figur: AAA (Barbara genannt), AII (Darii), EAE (Celarent), EIO (Ferio); in der zweiten Figur: AEE (Camestres), EAE (Cesare), AOO (Baroco), EIO (Festino); in der dritten Figur: AAI (Darapti), AII (Datisi), EAO (Felapton), EIO (Ferison), IAI (Disamis), OAO (Bocardo); in der vierten Figur: AAI (Baralip), AEE (Calemes), IAI (Dimatis) und (nach einigen) EIO (Fresison), EAO (Fesapo). In der hypothetischen Schlußform erfolgt die Beziehung des Nachsatzes des Obersatzes (B ist) auf den Vordersatz des Obersatzes (A ist), welche im Schlußsatz, unter Voraussetzung der allgemeinen Abhängigkeit des Nachsatzes vom Vordersatz, welche im Obersatz, aus der Annahme der Geltung des Vorder- oder Nichtgeltung des Nachsatzes, welche im Untersatz ausgedrückt ist, nach dem Grundsatz: mit dem Bedingenden ist das Bedingte gesetzt und mit dem Bedingten das Bedingende aufgehoben, welcher selbst Notwendigkeit besitzt, mit Notwendigkeit. Dieselbe läßt, je nachdem im Untersatz das Bedingende gesetzt oder das Bedingte aufgehoben erscheint, zwei Schlußarten (Modi) zu, in deren einem aus der Setzung des Vordersatzes des Obersatzes im Untersatz auf die Setzung des Nachsatzes des Obersatzes im Schlußsatz (modus ponens), in dem [544] andern aus der Aufhebung des Nachsatzes des Obersatzes im Untersatz auf die Aufhebung des Vordersatzes des Obersatzes im Schlußsatz geschlossen wird (modus tollens). Die Formel des ersten lautet: Wenn A ist, so ist B; nun ist A, also ist B. Die Formel des zweiten: Wenn A ist, so ist B; nun ist B nicht, also ist A auch nicht. In der disjunktiven Schlußform erfolgt die Beziehung zwischen dem Subjekt des Unter- und einem der beiden einander ausschließenden Glieder des Prädikats des Obersatzes im Schlußsatz nach dem Grundsatz, daß von je zwei einander vollkommen ausschließenden Gegensätzen jeder durch die Setzung des andern ausgeschlossen und durch die Aufhebung des andern gesetzt ist, welcher selbst Notwendigkeit besitzt, mit Notwendigkeit. Dieselbe läßt, je nachdem im Untersatz der eine der beiden einander vollkommen ausschließenden Gegensätze gesetzt oder aufgehoben wird, zwei Schlußarten zu, indem entweder aus der Setzung des einen Gegensatzes im Unter- auf die Aufhebung des andern im Schlußsatz (modus ponendo tollens), oder von der Aufhebung des einen im Unter- auf die Setzung des andern im Schlußsatz geschlossen wird (modus tollendo ponens). Die Formel des ersten lautet: A ist entweder B oder C; nun ist es B, also ist es nicht C. Die Formel des zweiten: A ist entweder B oder C; nun ist es nicht C, also ist es B. Wird an die Stelle des hypothetischen Obersatzes in der hypothetischen Schlußform ein hypothetisch-disjunktives Urteil (der Form: wenn A ist, so ist es entweder B oder C) gesetzt und modo tollente geschlossen, so entsteht die hypothetisch-disjunktive oder sogen. lemmatische Schlußform (gehörnter S., syllogismus cornutus), die je nach der Zahl der im Nachsatz des Obersatzes enthaltenen einander ausschließenden (zwei, drei, vier, unbestimmt vielen) Gegensätze Dilemma, Trilemma, Pentalemma oder Polylemma genannt wird. Ihre Formel lautet: wenn A ist, so ist entweder B oder C; nun ist weder B noch C, also ist auch A nicht. Der zusammengesetzte vollständige S. (Schlußkette) besteht aus einer Reihe von zwei oder mehreren Schlüssen, bei welchen der Schlußsatz des vorangehenden (Vorschluß, Prosyllogismus) Vordersatz des folgenden (Nachschluß, Episyllogismus) ist. Wird derselbe zusammengezogen, so daß der Vorschluß nur als Nebensatz der Vordersätze des Nachschlusses erscheint, so heißt er Epicherem (s. d.). Wird die Schlußkette abgekürzt, indem zuerst alle einzelnen Schlüsse derselben in Enthymeme verwandelt und dann so miteinander verbunden werden, daß sie einen gemeinschaftlichen Schlußsatz erhalten, so entsteht der Kettenschluß (Sorites, s. d.). Derselbe heißt ein gemeiner oder ordentlicher, wenn alle Unter- und Schlußsätze (bis auf den letzten) weggelassen und die Obersätze so untereinander verknüpft werden, daß das Prädikat des vorangehenden Subjekt des folgenden ist. Ein umgekehrter oder Goklenianischer (nach seinem Erfinder) heißt derselbe, wenn, mit Ausnahme des ersten, alle Obersätze weggelassen und die Untersätze derart verbunden werden, daß sie einen gemeinschaftlichen Schlußsatz ergeben. Die Formel des ersten lautet: A ist B, B ist C, C ist D, also A ist D; jene des zweiten: C ist D, B ist C, A ist B, also A ist D. Der unechte S., gleichviel ob induktiver oder Analogieschluß, unterscheidet sich von dem echten dadurch, daß die Grundsätze, nach welchen geschlossen wird, nicht, wie bei diesem, Notwendigkeit, sondern nur Möglichkeit, im besten Fall Wahrscheinlichkeit besitzen, also nicht, wie die beim echten S. angewandten, Notwendigkeit, sondern im besten Fall Wahrscheinlichkeit verleihen können. Die induktive Schlußform besteht darin, daß nach dem (höchstens wahrscheinlichen) Grundsatz, daß alle Teile des Umfanges eines Begriffs einander ähnlich seien, von dem, was in einem Teil des Umfanges stattfindet, geschlossen wird, daß es im ganzen Umfang stattfinde. Die Formel desselben lautet: Diejenigen A, welche B sind, sind M; diejenigen A, welche C sind, sind M; diejenigen A, welche D sind, sind M; folglich sind auch alle übrigen A, d. h. sind alle A M. Die Schlußform der Analogie besteht darin, daß nach dem (höchstens wahrscheinlichen) Grundsatz, daß sämtliche (wesentliche wie unwesentliche) Merkmale des Inhalts eines Begriffs einander bedingen, von demjenigen, das einen Teil der Merkmale eines Begriffsinhalts besitzt, geschlossen wird, daß es sämtliche Merkmale desselben besitze. Die Formel desselben lautet: Was die Merkmale A, B, C, M, N, O besitzt, ist A; X hat die Merkmale A, B, C, also ist es A. Der unechte S. ist erlaubt, solange er höchstens (wenn auch höchste) Wahrscheinlichkeit, unerlaubt, sobald er mehr als diese (absolute Gewißheit) in Anspruch nimmt (wie es nicht selten sowohl bei Induktions- als bei Analogieschlüssen geschieht). Zu unterscheiden vom echten sowohl als vom unechten S. ist der fehlerhafte S., der sowohl ein unabsichtlicher (Fehlschluß, Paralogismus) als ein absichtlicher (Trugschluß, Sophisma) sein kann. Derselbe findet überall dort statt, wo aus den Prämissen dasjenige nicht folgt, was daraus gefolgert wird, und zwar entweder weil die Materie (der Inhalt), oder weil die Form (die Verbindung der Prämissen) des Schlusses eine andre ist, als sie sein müßte, wenn der Schlußsatz durch dieselbe begründet werden sollte. Der Paralogismus begeht seinen Schlußfehler absichtslos, indem sich der Schließende selbst täuscht, das Sophisma absichtlich, indem der Schließende dadurch andre täuschen will. Ein bekannter Trugschluß ist der sogen. Hörnerschluß: Was du nicht verloren hast, das hast du noch; Hörner hast du nicht verloren, also hast du Hörner. Die (verschwiegene) falsche Voraussetzung ist hier, daß man auch das, was man nicht hatte, verlieren könne. Andre Sophismen sind: der Lügner, der Krokodilschluß, Achilles, Elektra, der Verhüllte, der Kahlkopf (Calvus), der Kornhaufe (Acervus) u. a.
Schluß (Tonschluß), s. Kadenz.