MKL1888:Saga
[168] Saga (Plural Sögur, altnord.), eine Erzählung, s. v. w. unser „Sage“, doch ohne den Nebenbegriff des Ungeschichtlichen; personifiziert als zweite der Göttinnen in Snorra Edda. Eine kleinere Erzählung heißt Tháttr. Die reiche Sagalitteratur, in wohl ausgebildeter einheimischer Prosa, ist die eigenartigste und bedeutendste Schöpfung der altnordischen Litteratur. Wir unterscheiden geschichtliche Sagas (norwegische Königsgeschichten und Isländersagas) und mythisch-romantische. Die Islendinga sögur sind zum Teil kirchlichen, zum Teil weltlichen Inhalts. Letztere sind litterarisch die wichtigsten und interessantesten, sie bilden den Ausgangspunkt der Saga-Erzählung und Saga-Schreibung, die wir also Island verdanken (s. Nordische Sprache und Litteratur). Die geschilderten Ereignisse fallen meist in die Zeit von Islands Besiedelung (874) bis gegen 1030; die Niederschrift fällt zum Teil noch ins 12., hauptsächlich aber ins 13. Jahrh. Die Fortpflanzung des Stoffes während der zwischenliegenden 2–3 Jahrhunderte geschah nicht etwa durch fast wortgetreue Überlieferung, so daß die Sagaschreiber in der Hauptsache Überliefertes niedergeschrieben hätten, vielmehr sind wohl nur die Thatsachen und Genealogien (daher im wesentlichen chronologische Übereinstimmung) sowie die meisten Skaldenstrophen alt überliefert. Dagegen ist die Ausschmückung, wie Dialoge, wunderbare Züge, sich erfüllende Träume u. dgl., meist Eigentum des Sagaschreibers, wie denn auch die Sagas hierin ausgeprägte Stileigentümlichkeiten zeigen. Mittelpunkt der S. ist meist ein bedeutender Mann (häufig ein Skalde) oder ein ganzes Geschlecht. Die Darstellung mit ihrem schlichten Stil ist höchst ansprechend, nicht selten ergreifend. Wie der Dialog von der täglichen Umgangssprache, so gewähren uns die Sagas überhaupt ein getreues Bild vom Leben auf Island. Vgl. Weinhold, Altnordisches Leben (Berl. 1856); Kaalund, Familienleben auf Island (in „Aarböger“ 1870); Möbius, Über die ältere isländische S. (Leipz. 1852); Döring, Über Typus und Stil der isländischen S. (das. 1877); Heinzel, Beschreibung der isländischen S. (Wien 1880). Nach Stil und Charakterzeichnung steht allen voran die „Njáls-S.“ (beste Ausg. von Gislason, Kopenh. 1875 ff.); sehr nahe steht ihr die kleine, kunstvoll abgerundete „Gunnlaugs-S.“ (das. 1775, Christ. 1862, Halle 1886; auch in Möbius’ „Analecta Norroena“, 2. Aufl., Leipz. 1877; moderne Bearbeitung von Edzardi, Hannov. 1875; wortgetreue Übersetzung von E. Kölbing, Heilbr. 1878). Zu den bedeutendern Isländer-Sagas gehören ferner: die „Egils-S.“ (s. Skalden), die „Bjarnar-S.“ (Kopenh. 1847), [169] die „Eyrbyggja-S.“ (Leipz. 1864), „Laxdœla-S.“ (Kopenh. 1826; Textausg., Akureyri 1867); „Flóamanna-S.“, „Vatnsdœla-S.“ und „Hallfredhar-S.“ (letztere drei hrsg. von Vigfusson und Möbius in „Fornsögur“, Leipz. 1860); ferner „Bandamanna-S.“ (Kopenh. 1850, Lund 1874), „Fóstbrœdhra-S.“ (Kopenh. 1822, Textausg. 1852), „Gull-Thóris-S.“ (hrsg. von Maurer, Leipz. 1858), „Grettis-S.“ (auch „Gretla“, Kopenh. 1853–59), wichtig wegen ihrer Beziehungen zum angelsächsischen „Beowulf“; „Víga-Glúms-S.“ (das. 1786 u. 1880), „Hrafnkels-S.“ (das. 1839; Textausg., das. 1847), „Hænsa-Thóris-S.“ u. a. Die ganze Insel umfassen: „Islendingabók“ und „Landnámabók“ (s. Nordische Sprache und Litteratur), ferner „Sturlunga-S.“ (vom Geschlecht der Sturlunge), auch „Große Isländer-S.“ genannt, verfaßt von Sturla Thordharson (gest. 1284), erweitert von Thorstein Snorrason um 1350 (Kopenh. 1817–20, 2 Bde.; neue Ausg. von Gudbr. Vigfusson, Oxf. 1878, 2 Bde.). Eine Gesamtausgabe der wichtigern „Islendinga sögur“ erschien Kopenhagen 1829–30 (besser 1843–47); dänische Übersetzungen sind von N. M. Petersen („Historiske Fortällinger om Isländernes Färd“, 2. Aufl., das. 1862–68) und Horn („Billeder af Livet paa Island“, das. 1871–74, 2 Bde.) veröffentlicht. – Kirchliche Isländer-Sagas sind die „Kristni-S.“ (von der Einführung des Christentums bis gegen 1120), ferner die Bischofsagas: „Hungr-vaka“ (Kopenh. 1778), „Jóns-S.“, „Laurentius-S.“ u. a. (Gesamtausgabe von Vigfusson: „Biskupa sögur“, das. 1858, 2 Bde.).
Von Island kam die Sagaschreibung nach Norwegen, wo die „Norges konunga sögur“ zunächst noch von Isländern verfaßt wurden. Das Hauptwerk ist hier Snorris „Heimskringla“ (s. Snorri); außerdem sind besonders die Sagas von Sverrir (1184–1202) und seinen Nachfolgern (hrsg. von Unger: „Konunga sögur“, Christ. 1870–73) und die Sagas von Olaf I. Tryggveson (995–1000), die auf die lateinischen Werke der Mönche Odd und Gunnlaug zurückgehen (erstere hrsg. von Munch, das. 1853), ferner die größere und kleinere S. Olafs II., des Heiligen (erstere das. 1853, letztere das. 1849), u. a. zu nennen. Die Geschichte der nordischen Inselgruppen behandeln die „Orkneyinga-S.“ (Kopenh. 1780; neue Ausg. von Vigfusson, Lond. 1887) und „Fœreyinga-S.“ (Kop. 1833), die Amerikas (Vínlands) und Grönlands „Eiríks tháttr“ u. a.; ferner die Geschichte Dänemarks die „Knytlinga-S.“ und die „Jómsvíkinga-S.“ (Stockh. 1815, Kopenh. 1824, Lund 1875 u. 1879). Gesamtausgabe: „Fornmanna sögur“ (Kopenh. 1825–37, 12 Bde.); dänische Übersetzung: „Oldnordiske Sagaer“ etc., lateinische in „Scripta historica Islandorum“ (das. 1828–1846, 12 Bde.).
Mythische Sagas, die alte Heldensagen behandeln, sind zunächst die die Lieder-Edda teilweise ergänzende „Völsunga-S.“, Prosabearbeitung der Völsungenlieder der Edda nach einer bessern und vollständigern Handschrift (hrsg. von Bugge, Christ. 1865; deutsche Übersetzung von A. Edzardi, Stuttg. 1880; vgl. Symons, Über die Völsunga-S., in Pauls und Braunes „Beiträgen“, Bd. 3; Müllenhoff in Haupts „Zeitschrift“, Bd. 23), und „Norna-gests-tháttr“ (hrsg. von Bugge, Christ. 1864; beide zusammen auch von E. Wilken, Paderb. 1878); ferner die „Thidhreks-S.“ (oder Wilkinasaga), eine Zusammenfassung deutscher Heldensagen, deren Mittelpunkt Dietrich von Bern, nach niederdeutschen Quellen, um 1250 (hrsg. von Unger, Christ. 1853; vgl. Raßmann, Niflunga-S. und Nibelungenlied, Heilbr. 1877), und „Blómstrvalla-S.“ (hrsg. von Möbius, Leipz. 1855). Unter den Sagas, welche einheimische Stoffe behandeln, sind die „Hervarar-S.“ (Kopenh. 1847; hrsg. von Bugge, Christ. 1873) und „Halfs-S.“ (hrsg. von Bugge, das. 1864) besonders wichtig, weil sie vielfach alte Lieder und Strophen oder deren Prosaauflösung enthalten. Wir nennen noch „Hrolfs-S. Kraka“ und „Ragnars-S. Lodhbrókar“, die Sagas von Thorsteinn Vikingsson und Fridhthjófr (moderne Bearbeitung von Tegnér); ferner gibt es Sagas von Örvar-Oddr (hrsg. von Boer, Leiden 1888), Ketill Hängr, Ann, Hrómundr, den „Sörla tháttr“ (Hildensage), „Göngu Hrólfs-S.“, „Gautreks-S.“ etc. Gesamtausgabe von Rafn („Fornaldar sögur Nordhrlanda“, Kopenh. 1829–30, 3 Bde.). Übersetzungen: dänisch von Rafn („Nordiske Kämpe-Historier“, 1821–26, 3 Bde.); schwedisch von Liljegrén (Stockh. 1818, 2 Bde.); deutsch von v. d. Hagen („Nordische Heldenromane“, Bresl. 1814–28, 5 Bde.). Die romantischen Sagas sind Bearbeitungen ausländischer (meist französischer) Ritterromane, wie: „Tróju manna-S.“, „Breta sögur“ (nach Gottfr. v. Monmouth), beide herausgegeben in „Annaler“ (1848 u. 1849); „Streng-leikar“ (Kopenh. 1859); Sagas von Alexander und Karl d. Gr., Ivents-, Ereks-, Tristrams-, Parcevals-, Flóres-, Magus-, Bärings-, Flovents-S. etc., zum Teil herausgegeben und bearbeitet von Kölbing in „Riddara-sögur“, Straßb. 1872, und Cederschiöld (in „Fornsögur Sudhrlanda“, Lund 1884). Hierher gehören endlich die Legenden: „Heilagra manna sögur“ (hrsg. von Unger, Christ. 1877, 2 Bde.), „Postola sögur“ (hrsg. von Unger, das. 1874), „Osvalds-S.“ (in „Annaler“ 1854), „Barlaams-S.“ (Christ. 1851). Hauptwerk über die Sagas ist P. E. Müllers „Sagabibliothek“ (Kopenh. 1817–28, 3 Bde.), zum Teil übersetzt von Lachmann (Berl. 1816) und von Lange (mit Zusätzen, Frankfurt a. M. 1832).