MKL1888:Richter
[810] Richter (hebr. Schofetim), in der luther. Bibelübersetzung Bezeichnung derjenigen Personen, welche in dem Zeitraum von Josuas Tod bis auf Samuel, von ca. 1450 bis etwa 1100 v. Chr., da die Hebräer eines gemeinsamen Oberhaupts entbehrten, entweder durch Wahl und Aufruf oder aus freiem Entschluß von Zeit zu Zeit an die Spitze des israelitischen Volkes oder einzelner Stämme desselben traten. Ihre Namen sind: Othniel, Ehud, Schamgar, Barak, Gideon, Abimelech, Thola, Jair, Jephtha, Ibzan, Elon, Abdon, Simson, Eli, Samuel. Auch eine Richterin, Deborah, welche, mit Barak vereint, gegen die Feinde zog, wird genannt. Die Thaten der einzelnen Schofetim sind in dem alttestamentlichen Buch der R. (die Elis und Samuels im 1. Buch Samuelis) nur fragmentarisch erzählt. Kommentare zu demselben lieferten Studer (2. Aufl., Bern 1842), Bertheau (2. Aufl., Leipz. 1884), Keil (2. Aufl., das. 1874).
Richter (Judex), die mit der Ausübung der staatlichen Gerichtsbarkeit betraute Person; insbesondere der zur Ausübung der Rechtspflege in einem bestimmten Bezirk und in einem bestimmten Umfang berufene Beamte (Berufsrichter, Beamtenrichter). Die Zuständigkeit der Gerichte und der bei denselben thätigen Richterbeamten ist in jedem geordneten Staatswesen durch Gesetz und Verordnung normiert (s. Gericht); für das Deutsche Reich ist dies namentlich durch das Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Jan. 1877 geschehen. Doch werden die Verwaltungsrechtspflege und die freiwillige Gerichtsbarkeit durch die Reichsgesetzgebung nicht berührt. Dagegen enthält das Gerichtsverfassungsgesetz die Garantien für die Unabhängigkeit des Richterstandes, indem es zugleich die Voraussetzungen für die Fähigkeit zum Richteramt festsetzt. In letzterer Beziehung wird dreijähriges Studium der Rechtswissenschaft auf einer Universität verlangt und Ablegung zweier Prüfungen, zwischen denen ein dem Vorbereitungsdienst gewidmeter Zeitraum von mindestens drei Jahren liegen muß. Übrigens ist auch jeder ordentliche öffentliche Rechtslehrer an einer deutschen Universität zum Richteramt qualifiziert. Überhaupt ist jeder, der in einem Bundesstaat die Fähigkeit zum Richteramt erlangt hat, zu jedem Richteramt im ganzen Umfang des Deutschen Reichs befähigt; nur für die Mitglieder des Reichsgerichts wird noch erfordert, daß sie das 35. Lebensjahr vollendet haben. Das Gerichtsverfassungsgesetz schreibt ferner die Ernennung der R. auf Lebenszeit vor; die R. sollen einen festen Gehalt mit Ausschluß von Gebühren beziehen, auch darf denselben wegen vermögensrechtlicher Ansprüche aus ihrem Dienstverhältnis, insbesondere auf Gehalt, Wartegeld oder Ruhegehalt, der Rechtsweg nicht verschlossen werden. Ebenso ist der Grundsatz der sogen. Inamovibilität der R. sanktioniert, durch die Bestimmung nämlich, daß R. wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus den Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andre Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden können, abgesehen von unfreiwilligen Verletzungen infolge einer Veränderung in der Organisation der Gerichte oder ihrer Bezirke. Diese sämtlichen Vorschriften beziehen sich jedoch nur [811] auf die Berufsrichter, also nicht auf die Handelsrichter, welche aus dem Handelsstand zu Beisitzern in die Handelskammern der Landgerichte gewählt werden, und deren Amt ein Ehrenamt ist, ebensowenig auf die Gewerbtreibenden, welche Mitglieder der Fabrik- und Gewerbegerichte sind, und auf diejenigen, welche als Schöffen oder Geschworne fungieren; auch auf die zur Verhütung von Prozessen bestellten Schiedsmänner oder Friedensrichter finden diese Vorschriften keine Anwendung. Die Grunde, welche einen R. in Ansehung einer einzelnen Untersuchungs- oder Zivilprozeßsache unfähig machen, sind in der deutschen Strafprozeßordnung und in der Zivilprozeßordnung aufgeführt; so ist z. B. ein R. in einer Untersuchung unfähig, in welcher er selbst der Verletzte, in einer Prozeßsache, in welcher er selbst Partei, in einer Rechtssache, in der er als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist, etc. Auch kann ein R. wegen Besorgnis der Befangenheit aus allen Gründen abgelehnt werden, welche geeignet sind, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung, § 22 ff.; Zivilprozeßordnung, § 41 ff.; Gerichtsverfassungsgesetz, § 1–11.
Richter, 1) Joseph, dramat. Dichter und Publizist, geb. 16. März 1748 zu Wien, ist historisch merkwürdig dadurch, daß er der erste Theaterdichter war, welcher eine Tantieme und zwar die Einnahme der dritten Aufführung seiner Stücke erhielt. Auch ist er der Gründer einer im österreichischen Dialekt geschriebenen Zeitschrift: „Eipeldauer Briefe“ (gegründet 1785), die nach ihm von Gewey, Bäuerle, Gleich, Weiß und Anton Langer (unter dem Titel: „Briefe des Hans Jörgel“) fortgesetzt wurde und eine reiche Quelle für interne Sittengeschichte und den Volksdialekt bildet. R. polemisierte auch gegen den Hanswurst. Von seinen eignen Stücken, für die Gegenwart ohne Wert, wurden die „Zimmerherren in Wien“ und das Schauspiel „Das Räubermädchen von Baden“ noch im ersten Viertel des 19. Jahrh. auf Wiener Vorstadtbühnen gegeben. R. hatte fremde Länder besucht und in Frankreich den Encyklopädismus kennen gelernt, den er auch durch sein „ABC-Buch für große Kinder“ nach Wien zu verpflanzen suchte und zwar mit vielem Erfolg. Er war rastlos in der Polemik gegen alle, welche Kaiser Joseph bekämpften; starb 16. Juni 1813. Seine „Sämtlichen Schriften“ erschienen in 12 Bänden (Wien 1813).
2) Jean Paul Friedrich, gewöhnlich mit dem Schriftstellernamen, den er selbst gewählt hatte, Jean Paul genannt, der gefeiertste unter den deutschen Humoristen, wurde 21. März 1763 zu Wunsiedel geboren. Sein Vater, dort Rektor und Organist (die Mutter war aus Hof gebürtig, Tochter eines wohlhabenden Tuchmachers), erhielt, als Jean Paul zwei Jahre zählte, die Pfarrstelle des unweit Hof lieblich gelegenen Dorfs Joditz, und hier verbrachte der Dichter seine Kindheitsjahre in stiller, häuslicher Beschränkung, meist sogar von der Dorfschule fern gehalten. Aus jener Zeit stammte die Neigung Jean Pauls zum Stillleben, zum „geistigen Nestmachen“, der er sein ganzes Leben lang treu blieb. In dem nahen Schwarzenbach, wohin der Vater 1776 versetzt wurde, besuchte der Knabe zuerst regelmäßig die öffentliche Schule, blieb aber im übrigen meist auf selbstgewählte Bildungsmittel angewiesen. Er las schon damals in regellosem Durcheinander alles, was ihm vorkam; in Exzerptenhefte, welche bald zu Foliantendicke anschwollen, trug er, wie er das bis ins Alter fortgetrieben hat, die mannigfaltigsten Notizen ein. Das unermeßliche Detail aus den verschiedenartigsten Wissensgebieten, welches er in dieser Art zusammenhäufte, diente ihm später nicht eben vorteilhafterweise zur Verwertung in seinen Schriften. Um Ostern 1779 bezog er das Gymnasium in Hof. Bald darauf starb sein Vater. Die Mittellosigkeit der Mutter wurde zwar anfangs für Jean Paul wenig fühlbar, weil seine Familie Unterstützung bei den Hofer Großeltern fand. Als aber nach kurzer Zeit auch diese starben, ohne daß von ihrem Vermögen etwas an Jean Pauls Mutter kam, kehrte bei dieser bitterste Armut ein, unter welcher auch der Dichter lange Jahre schwer zu leiden hatte. Schon während seiner Gymnasialzeit regte sich in Jean Paul schriftstellerische Produktionslust. So schrieb er 1780 eine Anzahl Aufsätze über philosophische und naturwissenschaftliche Gegenstände. Unter den ihm damals bekannten Schriftstellern wirkte Hippel am stärksten auf ihn. 1781 ging er nach Leipzig, um Theologie zu studieren; es war ihm jedoch mit seiner Brotwissenschaft von Anfang an kein rechter Ernst. Unter den Professoren, welche er hörte, fesselte ihn der Philosoph Platner eine Weile; bald aber zog er sich fast ausschließlich auf litterarische Privatstudien zurück. Jetzt wurde Rousseau sein Lieblingsautor, auch von den englischen Humoristen und Satirikern fühlte sich das wahlverwandte Element in ihm mächtig angezogen. Zu den elf großen Quartbänden von Exzerpten, die er nach Leipzig mitgebracht, gesellte sich hier eine weitere stattliche Reihe. Jean Paul trug mit bienenartiger Emsigkeit unglaubliche Massen von Notizen zusammen; in zierlicher Schrift wurden Sammlungen witziger Einfälle, interessanter Begebenheiten, Anekdoten u. dgl. angelegt und fortgeführt; ein besonderes Buch, welches den Titel „Thorheiten“ trug, füllte sich mit Stoff zu künftigen Satiren. Als aber gegen Ende 1781 die materielle Bedrängnis immer höher stieg und die Hoffnung auf Gelderwerb durch Unterricht fortwährend unerfüllt blieb, beschloß er, aus schriftstellerischen Arbeiten den Lebensunterhalt für sich und die Seinigen zu gewinnen. Er arbeitete zunächst, angeregt durch des Erasmus „Encomium moriae“, ein (bis jetzt ungedrucktes) „Lob der Dummheit“ aus, in welchem diese redend eingeführt wird und ihr Eigenlob verkündigt. Das Buch fand keinen Verleger. Dagegen gelang es Jean Paul, einen solchen für eine Sammlung einzelner satirischer Aufsätze zu finden, die anonym unter dem Titel: „Grönländische Prozesse“ (Berl. 1783) erschien und Satiren über Schriftsteller, Theologen, Weiber, Stutzer, den Ahnenstolz u. dgl. enthielt. Der Stil des Buches ist schon echt Jean-Paulisch, insofern es darin von oft sehr gesuchten, oft aber auch überaus treffenden Gleichnissen wimmelt und die Antithese bereits als eine bis zum Übermaß gebrauchte Form der Diktion dort vorherrscht. Es weht ein Geist freisinniger Auflehnung gegen alles Dumme und Schlechte durch das Buch; aber schon hier, wie in allen spätern Werken Jean Pauls, ist zu merken, daß der Verfasser die Welt und das Leben mehr aus Büchern als aus unmittelbarer Erfahrung kannte. Die „Grönländischen Prozesse“ fanden bei Publikum und Kritik kühle Aufnahme, der Verleger Voß hatte keine Lust zu weitern Experimenten mit dem jugendlichen Autor; dennoch arbeitete dieser rüstig fort und schrieb neue satirische Aufsätze. Aber mitten in dieser Thätigkeit sah er sich von der Not gedrängt, seinen Gläubigern durch heimliche Entfernung von Leipzig auszuweichen. Im November 1784 traf er, fast erstarrt vor Kälte und mit erfrorner rechter Hand, in Hof ein, wo jetzt seine Mutter in den beschränktesten Umständen lebte. Unter mannigfaltiger Störung und Entbehrung setzte [812] er dort seine Studien und Arbeiten fort. Versuche, durch Vermittelung berühmter Schriftsteller (er wandte sich an Herder, Wieland, Lichtenberg u. a.) einen Verleger zu gewinnen, schlugen fehl. Zu Anfang 1787 bot sich endlich dem Dichter wenigstens ein Unterkommen als Hauslehrer dar, er übernahm den Unterricht eines jüngern Bruders seines Freundes Örthel zu Töpen. Seine dortige Stellung war jedoch unbehaglich, und schon im Sommer 1789 kehrte er nach Hof zurück. Inzwischen schrieb er neue Satiren unter dem Titel: „Auswahl aus des Teufels Papieren“ (Gera 1789), die ebensowenig Aufsehen erregten wie Jean Pauls Erstlingsbuch. Im März 1790 übernahm dieser aufs neue ein Lehramt. Einige Familien zu Schwarzenbach beriefen ihn zum Unterricht ihrer Kinder, und jetzt betrieb der Dichter sein Amt in angenehmen persönlichen Verhältnissen mit wahrhaft begeisterter Freudigkeit. Die Sonntagsbesuche in Hof gewährten erquickliche Erholung, und in dem damals mit seinem dortigen Freund Otto immer inniger geschlossenen Herzensbund erwuchs ihm ein köstlicher Besitz für sein ganzes späteres Leben. Um jene Zeit beschloß der Dichter, sich zuerst in einer größern Schöpfung, einem pädagogischen Roman, zu versuchen. Ehe derselbe aber in Angriff genommen wurde, entstanden einige kleinere Humoresken: „Die Reise des Rektors Fälbel und seiner Primaner“, „Des Amtsvogts Freudels Klaglibell über seinen verfluchten Dämon“ und das „Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wuz in Auethal“. Sogleich nach Vollendung des „Wuz“ begann R. den beabsichtigten großen Roman. Während der Arbeit zwar verflüchtigte sich der ursprüngliche Plan, die „Unsichtbare Loge“ (Berl. 1793, 2 Bde.) blieb unvollendet; „eine geborne Ruine“ nannte der Dichter selbst sein Werk, in welchem neben einzelnen unvergleichlich schönen Stellen bereits die ganze Unfähigkeit Jean Pauls zu plastischer Gestaltung, die maßlose Überwucherung der phantastischen Elemente und alles, was sonst den reinen Genuß an seinen Dichtungen stört, zu Tage trat. Gleichwohl bildet das Erscheinen des Buches in Jean Pauls Leben einen Wendepunkt günstigster Art. Das verhältnismäßig hohe Honorar, das es eintrug, endete zunächst die materielle Not des Dichters; nicht minder wirkte es geistig befreiend und ermutigend auf ihn. Im Herbst 1792 legte er seine Hand an einen neuen Roman, den „Hesperus“ (Berl. 1795), der sich gleich der „Unsichtbaren Loge“ eines großen Erfolgs beim Publikum erfreute. Seit dem Frühling 1794 wieder in Hof bei der Mutter weilend, schrieb er in den nächstfolgenden Jahren: „Das Leben des Quintus Fixlein“ (Bair. 1796), ein humoristisches Idyll wie das Leben Wuz’, nur in breiterer Anlage; die „Biographischen Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin“ (Berl. 1796), ein Romantorso mit satirischem Anhang; die „Blumen-, Frucht- und Dornenstücke, oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten Siebenkäs“ (das. 1796–97, 4 Bde.), in gewissem Sinn die beste Schöpfung des Dichters, welcher in den Persönlichkeiten des sentimentalen Siebenkäs und des satirischen Leibgeber die entsprechenden Elemente seiner eignen Natur zu verkörpern versuchte. Noch während der Arbeit an dem letztgenannten Roman empfing Jean Paul eine briefliche Einladung nach Weimar, von weiblicher Hand geschrieben. In der Ilmstadt, meldete die Briefstellerin, die sich Natalie nannte (welchen Namen der Dichter alsbald einer Gestalt im Siebenkäs anheftete), seien die besten Menschen von Jean Pauls Werken entzückt. Ohne Verzug folgte dieser dem Ruf. Seine Aufnahme übertraf alle seine Erwartungen; vor allen andern begegnete ihm Charlotte v. Kalb (die pseudonyme Briefschreiberin) mit glühender Verehrung. „Sie ist ein Weib wie keines“, berichtete Jean Paul an Freund Otto, „mit einem allmächtigen Herzen, mit einem Felsen-Ich, eine Woldemarin.“ Zurückhaltender empfingen Goethe und Schiller den Hesperusverfasser, der sich in Weimar meist im Kreis des ihm wahlverwandten Herder bewegte. In jene Zeit fallen die Anfänge des „Titan“, die Abfassung des „Jubelsenior“ (Leipz. 1797) und die Schrift „Das Kampanerthal, oder: Die Unsterblichkeit der Seele“ (Erfurt 1798). Im Sommer 1797 trat eine neue weibliche Gestalt auf die Lebensbühne des Dichters, Emilie v. Berlepsch, eine junge und schöne Witwe, mit der Jean Paul eine Reihe wunderlich exaltierter Szenen durchmachte. Fast hätte eine (vermutlich unglückliche) Heirat den dramatischen Abschluß gebildet. Im Oktober 1797 führte eine Reise nach Leipzig den nun berühmt Gewordenen auf den Schauplatz seiner einstigen Kümmernis, und jetzt drängten sich die Bewunderer um ihn. 1798 folgte auf Einladung der Herzogin Amalie ein abermaliger Besuch in Weimar. Nach einem kurzen Aufenthalt in Hildburghausen (Frühjahr 1799), wo er vom Herzog den Titel eines Legationsrats erhielt, ging Jean Paul nach Berlin, in der Absicht, sich dort dauernd niederzulassen. Im Mai 1801 verheiratete er sich daselbst mit der Tochter des Tribunalrats Meyer, aber eine vom König erbetene Versorgung blieb versagt. Von den damals entstandenen Werken sind hervorzuheben: „Palingenesien“ (Gera 1798, 2 Bde.); „Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf“ (das. 1799) und die „Clavis Fichtiana“ (Erfurt 1800), eine Satire auf den Fichteschen Idealismus. In Berlin behagte es dem Dichter nicht auf die Dauer; bald nach seiner Hochzeit nahm er seinen Wohnsitz in Meiningen, wo er zum Herzog Georg in vertraute Beziehungen trat und den „Titan“ (Berl. 1800–1803, 4 Bde.) vollendete. Schon im Mai 1803 verließ er Meiningen wieder und siedelte sich nach kurzem Aufenthalt zu Koburg in Baireuth an, wo er bis zu seinem Tod wohnen blieb. Das nächste größere Werk des fortan in nur selten unterbrochener idyllischer Zurückgezogenheit lebenden Dichters war ein philosophisches, die „Vorschule der Ästhetik“ (Hamb. 1805, 3 Bde.; Tübing. 1813), ein Buch voll geistreichster Einfälle, aber auch voll konfuser Theoreme. Danach folgte die Abfassung der „Flegeljahre“ (Tübing. 1804–1805, 4 Bde.). Auch in diesem Roman, welcher zu den genialsten Schöpfungen Jean Pauls gehört und ihm selbst die liebste blieb, hat er die eigne Doppelnatur, die Gemütsinnigkeit und die humoristische Neigung seines Wesens, jene in dem weich gestimmten Walt, diese in dessen Zwillingsbruder Vult, zur Darstellung bringen wollen. In der „Levana, oder Erziehungslehre“ (Braunschw. 1807, 3 Bde.; Stuttg. 1815, 4. Aufl. 1861) sollten die in der „Unsichtbaren Loge“, im „Titan“ und in den „Flegeljahren“ in Romanform dargelegten Grundsätze theoretisch ausgeführt wiederkehren. Während der Zeit der französischen Fremdherrschaft schrieb Jean Paul zu eigner und seines Volkes Erheiterung die Humoresken: „Des Feldpredigers Schmälzle Reise nach Flätz“ (Tübing. 1809) und „Doktor Katzenbergers Badereise“ (Heidelb. 1809; Bresl. 1823), zwei Erzählungen von derbster Komik. Aber auch in ernsthaftern, wenngleich an satirischen Schlaglichtern reichen Schriften suchte er den gesunkenen Mut der Nation aufzurichten, so in der „Friedenspredigt in Deutschland“ [813] (Heidelb. 1808) und den „Dämmerungen für Deutschland“ (Tübing. 1809). Das letztere Buch, gedruckt in der Zeit, als Davoût das Baireuther Land besetzt hielt, legt auch deshalb ein schönes Zeugnis für Jean Pauls männlichen Mut und edlen Sinn ab, weil er es veröffentlichte, nachdem ihm soeben durch den ganz von dem französischen Imperator abhängigen Fürst-Primas v. Dalberg eine Jahrespension von 1000 Gulden ausgesetzt worden war. Nachdem dieselbe mit dem Großherzogtum Frankfurt 1813 zu Ende gegangen, bezog der Dichter seit 1815 einen gleichen Jahrgehalt von dem König von Bayern. Aus den spätern Lebensjahren Jean Pauls sind zu verzeichnen als bedeutendere Schriften: „Das Leben Fibels“ (Nürnb. 1811), „Der Komet, oder Nikolaus Marggraf“ (Berl. 1820–22, 3 Bde.), die beiden letzten größern Arbeiten des Dichters in der komischen Gattung; ferner das Buch „Selina, oder: Über die Unsterblichkeit der Seele“ (Stuttg. 1827, 2 Bde.) und endlich das Fragment einer Selbstbiographie, das unter dem Titel: „Wahrheit aus Jean Pauls Leben“ (Bresl. 1826) erschien und die Jugenderinnerungen des Dichters enthält. Einen tiefen Schatten warf auf Jean Pauls Lebensabend der Tod seines einzigen Sohns, der 1821 als Student in Heidelberg starb. Seitdem kränkelnd und über Jahresfrist des Augenlichts fast ganz beraubt, beschloß er sein Dasein 14. Nov. 1825 in Baireuth, wo König Ludwig I. von Bayern 1841 sein Erzstandbild (von Schwanthaler) errichten ließ.
Jean Paul nimmt eine eigentümliche und schwer zu definierende Stellung innerhalb unsrer klassischen Litteraturperiode und zwischen den sich drängenden Richtungen seit dem Beginn des 19. Jahrh. ein. Unzweifelhaft vom besten Geiste des 18. Jahrh., von dem in heißen Kämpfen und mannigfachen Irrungen gewonnenen „Ideal der Humanität“, beseelt, schloß er sich doch in seiner Darstellungsweise weit mehr an die frühern Schriftsteller als an Lessing, Goethe oder Schiller an. Die Engländer, vor allen Swift und Sterne, die Franzosen Voltaire und Rousseau, die ostpreußische Schriftstellergruppe Hamann, Hippel und Herder beeinflußten die Entwickelung seines Talents und führten ihn im Verein mit seinem eignen Naturell und seinem persönlichen Schicksal auf wunderliche Abwege. Gemeinsam mit unsern großen Dichtern blieben R. die Überzeugung von der Entwickelungsfähigkeit des Menschengeschlechts und ein freiheitlicher Zug, der allein hinreicht, ihn von den eigentlichen Romantikern zu trennen. R. gelangte niemals zu einer Entwickelung im höhern Sinn des Wortes. Der Abstand zwischen seinen frühsten und spätesten Werken ist ein beinahe unwesentlicher; in seiner Empfindung bewahrte er neben der jugendlichen Frische die jugendliche Unreife, das „ewige Jünglingstum“. Die Widersprüche des unendlichen Gefühls und des beschränkten realen Lebens bildeten den Ausgangspunkt aller seiner Romane; aus denselben gingen die weichen, wehmut- und thränenvollen Stimmungen hervor, über die er sich dann durch seinen unter Thränen hell lachenden Humor erhob. In einer empfindungsreichen, ja empfindelnden Zeit, wo Tausende und aber Tausende den gleichen Drang, die gleichen Widersprüche in sich fühlten, ohne ihre Empfindung, wie Jean Paul, vertiefen, ihr Mißgefühl durch Humor überwinden zu können, mußte der Dichter den größten Erfolg haben; die schreienden Mängel seiner Darstellung wurden geleugnet; ja, sie scheinen in den meisten Kreisen gar nicht empfunden worden zu sein. R. gelangte nur in dem Idyll und in den besten Episoden seiner größern Romane zu wirklich künstlerischer Gestaltung; meist wurden bei ihm Handlung und Charakteristik unter einer wuchernden Fülle von Einfällen, reflektierenden Abschweifungen, Episoden und fragmentarischen Einschiebseln verdeckt und erstickt. Verhängnisvoller noch als sein verschwimmendes Stimmungsleben und seine Neigung zur breitesten Ausdehnung alles Episodischen ward für ihn die oben schon erwähnte Vielleserei, in der er ein Gegengewicht gegen die Enge seiner Verhältnisse gesucht hatte, und in ihrer Folge die leidenschaftliche Bilderjagd und Citatensucht. Alle diese Mängel vereint drückten seinem Stil mit endlosen Perioden und unzähligen Einschachtelungen den Charakter des Manierierten auf, den der Dichter nur da abstreift, wo er von seinem Gegenstand aufs tiefste ergriffen und in innerster Bewegung ist. Gegenüber dem Enthusiasmus, welcher R. eine Zeitlang zum gefeiertsten Schriftsteller der Nation erhob, heftete sich die spätere Kritik wesentlich an die bezeichneten Unvollkommenheiten seiner Erscheinung. Es kam eine Zeit und Stimmung, in der der Enthusiasmus für Jean Paul auf eine Linie mit dem für die verächtlichsten Modeschriftsteller gesetzt ward und die hohen, unvergänglichen Vorzüge des Dichters völlig in Vergessenheit zu geraten drohten. Während in seinen ausgedehntern Werken, der „Unsichtbaren Loge“, dem „Hesperus“, dem „Titan“ und „Komet“, nur einzelne glänzende Beschreibungen, humoristische Episoden oder jene zahlreichen „schönen Stellen“ noch zu fesseln vermögen, die für Jean Pauls Werke geradezu verhängnisvoll geworden sind, gewähren alle in ihren Hauptteilen idyllischen oder entschieden humoristischen Dichtungen einen weit reinern Genuß und lassen, wenn auch nicht völlig frei von der Manier, doch das Talent und die tiefern Eigentümlichkeiten besser hervortreten. Im „Vergnügten Schulmeisterlein Wuz“, im „Quintus Fixlein“, in „Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten Siebenkäs“, im größern Teil der „Flegeljahre“ treten Jean Pauls Vorzüge entscheidend zu Tage. Unter ihnen steht die liebevolle, reine Teilnahme des Dichters an allen Mühseligen und Beladenen, an den Armen, Bedrückten und Bedrängten im Vordergrund. R. weiß ohne jede tendenziöse Bitterkeit mit rührender Treue alle Leiden und Freuden der Armen, die unerschöpfliche Fülle des Herzensreichtums, der Liebe und Opferfreudigkeit, die gerade bei ihnen vorhanden ist, darzustellen. Sein Blick für das Köstliche im Unscheinbaren, das Große und Ewige im Beschränkten ist tief und beinahe untrüglich, seine Schilderungen des Kleinlebens sind von unvergänglichem Reiz. Auch seine Naturliebe verleiht allen seinen Werken Partien von bestrickendem Zauber. Seine scharfe Beobachtung des Komischen wirkt unwiderstehlich, und alle diese Vorzüge erwecken lebhaftes Bedauern, daß der liebenswürdigen und idealen Natur des Dichters das Erreichen klassischer, künstlerisch vollendeter Form versagt blieb. Richters Werke erschienen gesammelt in erster, aber ungenügender Ausgabe in 60 Bänden (Berl. 1826–38), besser in 33 Bänden (das. 1840–1842; 3. Ausg. 1860–62, 34 Bde.) sowie in Auswahl in 16 Bänden (2. Ausg., das. 1865); ferner in der Hempelschen Ausgabe, mit Biographie von Gottschall (das. 1879, 60 Tle.; Auswahl 31 Tle.) und in Kürschners „Deutsche Nationallitteratur“ (hrsg. von Nerrlich, Stuttg. 1882 ff.). Nach des Dichters Tod erschien noch „Der Papierdrache“ (hrsg. von E. Förster, Frankf. 1845, 2 Bde.). Von seinen Briefen sind zu nennen: „Jean Pauls Briefe an Friedr. Heinr. Jacobi“ (Berl. 1828); „Briefwechsel Jean Pauls [814] mit seinem Freund Chr. Otto“ (das. 1829–33, 4 Bde.); „Briefwechsel zwischen Heinrich Voß und Jean Paul“ (hrsg. von Abr. Voß, Heidelb. 1833); „Briefe an eine Jugendfreundin“ (hrsg. von Täglichsbeck, Brandenb. 1858). Die „Briefe von Charlotte v. Kalb an Jean Paul und dessen Gattin“ gab Nerrlich heraus (Berl. 1882). Aus der zahlreichen Litteratur über R. heben wir hervor: Spazier, Jean Paul Friedrich R., ein biographischer Kommentar zu dessen Werken (Leipz. 1833, 5 Bde.); die Fortsetzung von „Wahrheit aus Jean Pauls Leben“ von Otto und Förster (Bresl. 1826–33, 8 Hefte); Förster, Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Jean Paul (Münch. 1863, 4 Bde.); Henneberger, Jean Pauls Aufenthalt in Meiningen (Meining. 1863); G. Wirth, R. als Pädagog (Brandenb. 1863); Planck, Jean Pauls Dichtung im Licht unsrer nationalen Entwickelung (Berl. 1868); Vischer, Kritische Gänge (neue Folge, Bd. 6, Stuttg. 1875); Nerrlich, Jean Paul und seine Zeitgenossen (Berl. 1876).
3) Adrian Ludwig, Maler und Zeichner, geb. 28. Sept. 1803 zu Dresden, erhielt den ersten Unterricht in der Kunst von seinem Vater Karl August R., einem geschickten Kupferstecher, an dessen landschaftlichen Stichen R. mitarbeitete, und nahm sich dann vornehmlich Chodowieckis Radierungen zum Muster. Nachdem er 1820 den Fürsten Narischkin auf einer Reise durch Frankreich als Zeichner begleitet hatte, verweilte er von 1823 bis 1826 in Italien und erwarb sich bereits 1824 durch eine Gebirgslandschaft vom Watzmann allgemeine Anerkennung. Er schloß sich an die neudeutschen Meister, vornehmlich an J. Schnorr, an, welcher ihm als Vorbild für seine ideal aufgefaßten, meist stilisierten Landschaften diente. Nachdem er in die Heimat zurückgekehrt war, erhielt er 1828 eine Anstellung an der Zeichenschule zu Meißen, wo er zehn Jahre thätig war, und wo er sich zuerst an dem „Landprediger von Wakefield“ und an den 1835 erschienenen „Deutschen Volksbüchern“ in der Illustration versuchte, welche fortan den Schwerpunkt seiner künstlerischen Thätigkeit bildete und zugleich seine Volkstümlichkeit begründete. Er hat durch seine gemütvolle Schilderung des deutschen Lebens, seinen liebenswürdigen Humor und die Fülle seiner Phantasie als Illustrator wahrhaft epochemachend gewirkt. Wir nennen unter der Fülle seiner Zeichnungen, die zugleich den deutschen Holzschnitt wesentlich fördern halfen, die Sammlungen: Erbauliches und Beschauliches, das Vaterunser, der Sonntag, Gib uns unser täglich Brot, Fürs Haus, neuer Strauß fürs Haus, Goethe-Album, die Illustrationen zu Horns Schriften, zu Nieritz’ Volkskalender, Jeremias Gotthelfs Schriften, Musäus’ „Volksmärchen“, Groths „Quickborn“, Schillers „Glocke“ etc. Eine Auswahl von kleinern Holzschnitten aus den Bildern zu Hebels alemannischen Gedichten, zu Volks- und Studentenliedern, zum „Vicar of Wakefield“, Horns „Spinnstube“, verschiedenen Märchenbüchern etc. findet sich im „Richter-Album“. Er hat auch eine Anzahl Blätter, meist italienische Landschaften, radiert. Von seinen Landschaften in Öl, welche an einer etwas spröden Technik leiden, sind hervorzuheben: Gewittersturm am Monte Serone (1830, Frankfurt a. M., Städelsches Institut); Erntezug in der römischen Campagna (1833, Museum zu Leipzig); Schreckenstein bei Aussig (1835, ebendaselbst); die Überfahrt am Schreckenstein (Dresdener Galerie); Landschaft im Riesengebirge (1839, Berliner Nationalgalerie); der Brautzug im Frühling (1847, Dresdener Galerie). Er hat auch zahlreiche Aquarelle und Entwürfe für dekorative Malereien ausgeführt. 1836 ward er an die Dresdener Akademie berufen, wo er 1841–76 als Professor der Landschaftsmalerei wirkte. Er trat dann mit einem ihm vom deutschen Kaiser ausgesetzten jährlichen Ehrensold in den Ruhestand und starb 19. Juni 1884 in Dresden. Vgl. Richters Selbstbiographie: „Lebenserinnerungen eines deutschen Malers“ (5. Aufl., Frankf. 1887); Hoff, A. L. R., Maler und Radierer (Dresd. 1877); Wessely, A. L. R. zum achtzigsten Geburtstag (Wien 1883).
4) Ämilius Ludwig, ausgezeichneter Lehrer des Kirchenrechts, geb. 15. Febr. 1808 zu Stolpen bei Dresden, widmete sich in Leipzig dem Studium der Rechte, besonders des Kirchenrechts, praktizierte seit 1829 daselbst als Advokat, betrat gleichzeitig mit kirchenrechtlichen Vorlesungen die akademische Laufbahn und erwarb sich 1835 durch das „Corpus juris canonici“ (Leipz. 1833–39, 2 Bde.) und die „Beiträge zur Kenntnis der Quellen des kanonischen Rechts“ (das. 1834) eine außerordentliche Professur. 1838 ward er als ordentlicher Professor für Kirchenrecht und Zivilprozeß nach Marburg, im Mai 1846 nach Berlin berufen, hierher zugleich als Hilfsarbeiter im Ministerium der geistlichen Angelegenheiten. 1850 wurde er zum Mitglied des neuerrichteten evangelischen Oberkirchenrats, 1852 zum Oberkonsistorialrat, 1859 zum Geheimen Oberregierungsrat und vortragenden Rat ernannt. Er starb 8. Mai 1864 in Berlin. Sein Hauptwerk ist das epochemachende „Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts“ (Leipz. 1842; 8. Aufl., hrsg. von Dove und Kahl, 1877–86). Unter seinen übrigen gelehrten Arbeiten sind außer den von ihm 1836 begründeten, später von Schneider bis 1848 fortgesetzten „Kritischen Jahrbüchern für deutsche Rechtswissenschaft“ hervorzuheben: „Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts“ (Weim. 1846, 2 Bde.); „Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung“ (Leipz. 1851) und eine Ausgabe der „Canones et decreta concilii Tridentini“ (das. 1853) mit einem aus den Beschlüssen der sogen. Congregatio concilii gezogenen Apparat, welcher die Disziplin der römischen Kirche zur Anschauung bringt. Richters „Beiträge zum preußischen Kirchenrecht“ (Leipz. 1865) gab Hinschius heraus. Vgl. Hinschius, Zur Erinnerung an Ä. L. R. (Weim. 1865).
5) Hermann Eberhard, Mediziner, geb. 14. Mai 1808 zu Leipzig, ließ sich 1831 in Dresden als Arzt nieder, wurde 1838 Professor an der dortigen chirurgisch-medizinischen Akademie, 1849 wegen angebliche Teilnahme an dem Maiaufstand zur Untersuchung gezogen, 1851 zwar freigesprochen, aber auf Wartegeld gesetzt. Er starb 24. Mai 1876. R. suchte für die Therapie eine naturwissenschaftliche Grundlage zu gewinnen, bemühte sich um eine zeitgemäße Medizinalreform und bekämpfte unermüdlich das Geheimmittelunwesen. Von seinen zahlreichen Schriften sind hervorzuheben: „Grundriß der innern Klinik“ (4. Aufl., Leipz. 1860, 2 Bde.); „Organon der physiologischen Therapie“ (das. 1850); „Die schwedische nationale und medizinische Gymnastik“ (Dresd. u. Leipz. 1845); „Blutarmut und Bleichsucht“ (2. Aufl., das. 1854); „Arzneitaschenbuch zur Pharmacopoea germanica“ (Dresd. 1868); „Das Geheimmittelunwesen“ (Leipz. 1872–75, 2 Bde.); „Über Milch- und Molkenkuren“ (das. 1872). Mit Winter redigierte er seit 1850 Schmidts „Medizinische Jahrbücher“.
6) Ernst Friedrich, Komponist und Musiktheoretiker, geb. 24. Okt. 1808 zu Großschönau bei Zittau, besuchte das Gymnasium der letztern Stadt, bezog [815] dann die Universität Leipzig und wandte sich hier bald der Musik ausschließlich zu. Nachdem er unter Weinligs Leitung gründliche Kompositionsstudien gemacht, wurde er Dirigent der Singakademie, 1845 Lehrer der Komposition am Konservatorium, daneben 1851 Organist an der Peterskirche, übernahm später die Organistenstelle an der Nikolaikirche und ward 1867 als Nachfolger M. Hauptmanns zum Kantor an der Thomasschule in Leipzig sowie zum Professor der Musik ernannt. Seine Kompositionen, zum größten Teil geistliche Werke (darunter eine große Messe und ein Oratorium: „Christus der Erlöser“, viele Motetten etc.), gehören zu den gediegensten ihrer Gattung. Einen noch größern Erfolg als diese hatten seine theoretischen Werke: „Die Grundzüge der musikalischen Formen“ (Leipz. 1852); „Katechismus der Orgel“ (3. Aufl., das. 1885); „Lehrbuch der Harmonie“ (17. Aufl., das. 1886; auch ins Französische, Russische und Englische übersetzt); „Lehrbuch des einfachen und doppelten Kontrapunkts“ (6. Aufl., das. 1887); „Lehrbuch der Fuge“ (5. Aufl., das. 1886). Den größten Einfluß aber übte R. durch seine praktische Lehrthätigkeit, und ein großer Teil der jüngern Komponistengeneration hat ihm vor allem die Ausbildung zu danken. Er starb 9. April 1879 in Leipzig.
7) Gustav, Maler, geb. 3. Aug. 1823 zu Berlin, war Schüler der Akademie und Holbeins in Berlin, dann Cogniets in Paris, wo er sich von 1844 bis 1846 aufhielt, verweilte 1847–49 in Rom und kehrte dann nach Berlin zurück, wo er im nordischen Saal des Neuen Museums drei Friesbilder (Balder, die Walküren und Walhalla) ausführte. 1861 ging er im Auftrag König Max’ I. von Bayern nach Ägypten, um Studien für das von diesem für das Maximilianeum in München bestellte Bild des Pyramidenbaues zu machen. In Konstantinopel malte er das Porträt des Sultans; 1873 hielt er sich in der Krim auf. Er machte sich durch das Bildnis seiner Schwester zuerst einen Ruf, welchen die Erweckung von Jairi Töchterlein (1856, Nationalgalerie in Berlin) noch vergrößerte. R. entfaltete schon hierin, allerdings noch mehr im Sinn der Düsseldorfer, eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Farbenschönheit und bildete dann später sein Kolorit noch reicher aus, so daß er den besten französischen Koloristen gleichkam. An dem großen Bilde des Pyramidenbaues, an welchem die einzelnen, vortrefflich modellierten Figuren ein größeres Interesse beanspruchen als die Gesamtheit der etwas theatralisch aufgebauten Komposition, arbeitete er bis 1873. Im übrigen war nicht die Historienmalerei, sondern das Bildnis sein Hauptgebiet, auf welchem er sein lebenlang durch den Glanz der Farbe, die Zartheit der Modellierung und durch seelenvolle Auffassung in Deutschland unübertroffen dastand. Insbesondere gelangen ihm weibliche Porträte, von denen das der Königin Luise (1879, Museum zu Köln), der Kaiserin Augusta (1878), der Fürstin Karolath (1872) und der Gräfin Károlyi hervorzuheben sind. Unter seinen männlichen Bildnissen sind die hervorragendsten: Kaiser Wilhelm I. in ganzer Figur und im Brustbild, Fürst Pleß und Eduard Hildebrandt. Sehr populär wurden seine Studienköpfe, Brustbilder und Familiengruppen (die Ägypterin, der neapolitanische Fischerknabe, die Odaliske, Mädchen aus der Krim, Evviva!, Mutterglück, Löwenritt). Er war königlicher Professor und Ritter des Ordens pour le mérite und starb 3. April 1884 in Berlin.
8) Hieronymus Theodor, Hüttenchemiker, geb. 1825 zu Dresden, widmete sich der Pharmazie, bezog aber schon 1843 die Bergakademie in Freiberg, wurde Assistent Plattners und, nach mehreren technisch-wissenschaftlichen Reisen, Hüttenchemiker bei den Freiberger Hüttenwerken. Seit 1856 lehrte er an der Bergakademie Lötrohrprobierkunde, 1857 ward er Assessor im Oberhüttenamt, 1871 Professor der Metallurgie und Probierkunde und 1875 unter Ernennung zum Oberbergrat Direktor der Akademie. R. lieferte zahlreiche und wichtige chemische Arbeiten für die Freiberger Hütten, an deren neuerer Entwickelung er lebhaften Anteil nahm. 1864 entdeckte er das Indium, welches er mit Reich auch näher studierte. 1867 wurde er für diese Entdeckung von der Leipziger Universität zum Dr. phil. hon. causa ernannt. Er lieferte eine vollständige Umarbeitung von Plattners „Vorlesungen über Hüttenkunde“ (Freiberg 1860–1863, 2 Bde.) und gab auch die 4. und 5. Auflage von dessen Werk über das Lötrohr heraus.
9) Eugen, deutscher Politiker, geb. 30. Juli 1838 zu Düsseldorf als Sohn eines Militärarztes, studierte in Bonn, Heidelberg und Berlin die Rechte, war 1859–64 Regierungsreferendar, dann Regierungsassessor in Düsseldorf, trat 1864, als seine Wahl zum Bürgermeister von Neuwied nicht bestätigt wurde, aus dem Staatsdienst und siedelte nach Berlin über, wo er journalistisch thätig war. Seit 1867 Mitglied des norddeutschen, seit 1871 des deutschen Reichstags, seit 1869 des preußischen Abgeordnetenhauses (in beiden Häusern seit 1874 für den Wahlkreis Hagen in Westfalen), ist er eins der Häupter der Fortschritts-, jetzt deutschen freisinnigen Partei. Ein gewandter, schlagfertiger Redner und besonders in Finanzsachen wohlunterrichtet, übte er auf seine Partei und durch die von ihm redigierte Parteikorrespondenz auf die fortschrittliche Presse einen herrschenden Einfluß aus. Als Vertreter des extremsten Individualismus bekämpfte er alle auf Stärkung der Staatsgewalt gerichteten Bestrebungen, die Verstaatlichung der Eisenbahnen, die Vermehrung der Einnahmen durch hohe Zölle, die Beschränkung der Gewerbe- und Handelsfreiheit und die soziale Reformgesetzgebung der Reichsregierung. Dabei nahm seine durchaus negative Opposition gegen den Fürsten Bismarck mehr und mehr einen persönlichen Charakter an, und er verkündete den Sturz des Reichskanzlers wiederholt offen als sein Ziel. Zu diesem Zweck verbündete er sich mit den Ultramontanen, den Sozialdemokraten und allen antinationalen Elementen, verleugnete seine frühere Haltung in der kirchenpolitischen Frage und erreichte es in der That, daß er mit Windthorst in dem 1884 gewählten Reichstag die Mehrheit beherrschte. Obwohl sein Auftreten in der Fortschritts-, später deutschen freisinnigen Partei wiederholt bei den gemäßigten Elementen auf Widerspruch stieß, so wußte er diesen doch immer unschädlich zu machen, besonders durch seinen Einfluß auf die Presse, wie er denn auch 1885 ein eignes Blatt, die „Freisinnige Zeitung“, gründete. Während er aber einerseits den Bruch mit den Nationalliberalen zu einem unversöhnlichen machte, so schädigte er auch seine eigne Partei, wie der Ausfall der Landtagswahlen seit 1882 und der Reichstagswahlen 1887 bewies. Er schrieb: „Das preußische Staatsschuldenwesen und die preußischen Staatspapiere“ (Bresl. 1869); „Das neue Gesetz, betreffend die Konsolidation preußischer Staatsanleihen“ (das. 1870); „Praktische Anleitung zur Gründung und Errichtung von Konsumvereinen“ (Berl. 1867) u. a.
10) Karl Thomas, Nationalökonom und Dichter, geb. 4. Nov. 1838 zu Leitmeritz, studierte in Wien, befaßte sich dann in Paris mit der Quellenforschung zu seinem umfangreichen Werk „Das Staats- und [816] Gesellschaftsrecht der französischen Revolution“ (Berl. 1865–66, 2 Bde.). Nach Wien zurückgekehrt, war er eine Zeitlang Sekretär der Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft, habilitierte sich 1868 als Dozent der Nationalökonomie an der Universität in Prag und wurde 1872 zum ordentlichen Professor ernannt. 1873 ward ihm die Redaktion des offiziellen Weltausstellungsberichts übertragen; die Frucht dieser Thätigkeit war seine Schrift „Die Fortschritte der Kultur“ (Prag 1875). Von seinen nationalökonomischen Schriften sind hervorzuheben: „Kunst und Wissenschaft und ihre Rechte im Staat“ (Berl. 1863) und „Einleitung in das Studium der Volkswirtschaft“ (Prag 1871). Als Dichter (unter dem Pseudonym Karl Thomas) war R. sehr fruchtbar. Von seinen zahlreichen dramatischen Arbeiten wurden das Trauerspiel „Samson“ und mehrere Lustspiele an größern Bühnen aufgeführt; er veröffentlichte in Zeitschriften epische und lyrische Gedichte („Katharina Wilms“, „Das Wasser kommt“, „Die Blinde“), in Lindaus „Nord und Süd“ die Novellen: „Die Großmutter“ und „Die Braut“. R. starb 15. Okt. 1878.
11) Hans, bedeutender Musikdirigent, geb. 4. April 1843 zu Raab in Ungarn, trat 1853 als Chorknabe in die Wiener Hofkapelle, studierte darauf 1860 bis 1865 am Konservatorium der Musikfreunde Klavier und Komposition und wurde 1868 auf Empfehlung R. Wagners, bei dem er ein Jahr lang in der Schweiz geweilt hatte, zum Chordirektor an der Münchener Oper ernannt. Im J. 1870 leitete er die erste Aufführung des „Lohengrin“ in Brüssel, wirkte 1871–75 als Kapellmeister am Nationaltheater zu Budapest und wurde, nachdem er 1875 ein großes Orchesterkonzert zu Wien mit außerordentlichem Erfolg dirigiert hatte, als Nachfolger Dessoffs Kapellmeister der Hofoper und zugleich Dirigent der Philharmonischen Konzerte in Wien. 1878 erhielt er die zweite Kapellmeisterstelle der Hofkapelle. R. dirigierte 1876 die Nibelungenaufführungen in Baireuth und 1877 abwechselnd mit Wagner die Wagner-Konzerte in London. Seit 1879 veranstaltete er jährlich Orchesterkonzerte in den Hauptstädten Großbritanniens.
[704] Richter, Jean Paul Friedrich, Schriftsteller. Vgl. noch P. Nerrlich, Jean Paul, sein Leben und seine Werke (Berl. 1889).
[783] Richter, 9) Eugen, deutscher Politiker, wurde im Mai 1890 bei der Neubildung des engern Ausschusses der deutsch-freisinnigen Fraktion des Reichstags und des preuß. Abgeordnetenhauses nicht wieder zum Vorsitzenden gewählt, weil ein gemäßigterer Teil der Partei mit seiner politischen Haltung nicht einverstanden war. Doch trat R. deshalb nicht aus der Partei aus, erklärte aber zu gleicher Zeit, daß er sein Verhalten nicht ändern könne und wolle, worauf eine Versöhnung zu stande gebracht wurde. Von seinen Schriften ist noch das weitverbreitete „Abc-Buch für freisinnige Wähler“ (6. Jahrg., Berl. 1890) anzuführen.
Richter, 1) Karl, Schulmann und pädagog. Schriftsteller, geb. 8. Jan. 1837 zu Somsdorf bei Tharant, genoß seine Seminarbildung in Dresden, bekleidete seit 1857 eine Lehrerstelle seines Heimatsortes und trat 1859 in den städtischen Schuldienst zu Leipzig, in dem er 1875 Direktor der Fortbildungsschule für Knaben, 1876 Direktor einer Bürgerschule ward. Von ihm erschienen: „Die Seelsorge des Unterrichts“ (Leipz. 1862); „Der Anschauungsunterricht in den Elementarklassen“ (3. Aufl., Leipz. 1887); „Die Emanzipation der Schule von der Kirche und die Reform des Religionsunterrichts“ (das. 1870); „Die Reform der Lehrerseminare“ (1869); „Kindergarten und Volksschule in ihrer organischen Verbindung“ (1876); „Biblische Geschichten“ (mit Reimer, 1886); „Die Herbart-Zillerschen formalen Stufen des Unterrichts“ (1888); „Adolf Diesterweg“ (Wien 1890). Auch besorgte er eine Neuausgabe von Diesterwegs „Wegweiser zur Lehrerbildung“ (6., nach der Ausgabe letzter Hand bearbeitete Auflage, Frankf. 1890) und ist Herausgeber der „Pädagogischen Bibliothek; Sammlung der wichtigsten pädagogischen Schriften älterer und neuerer Zeit“ (Leipz., seit 1870).
2) Albert, Schulmann und pädagog. Schriftsteller, geb. 7. Febr. 1838 zu Lichtensee bei Großenhain, besuchte 1853–57 das Friedrichstädter Seminar zu Dresden und trat demnächst in den städtischen Schuldienst zu Leipzig, wo er als Direktor einer Bürgerschule für Mädchen wirkt. Er schrieb außer zahlreichen Beiträgen zu Zeitschriften: „Die Konzentration des Unterrichts“ (Leipz. 1865), „Ziel, Umfang und Form des grammatischen Unterrichts in der Volksschule“ (2. Aufl., das. 1886), „Der Unterricht in der Muttersprache und seine nationale Bedeutung“ (1872), „Schule und Leben; pädagogische Anregungen“ (1873), „Bilder aus der deutschen Kulturgeschichte“ (2. Aufl. 1884); „Martin Luther; sein Leben und seine Werke“ (2. Aufl. 1883); „Deutsches Lesebuch für Oberklassen“ (3. Aufl. 1884); „Die Kulturgeschichte in der Volksschule“ (Gotha 1887); „Quellenbuch, für den Unterricht in der deutschen Geschichte“ (2. Aufl., Leipz. 1888); „Die Heldensagen des Mittelalters“ (5. Aufl. 1889, 2 Bde.); „Deutsche Redensarten“ (1889) u. a. In Kehrs „Geschichte der Methodik“ (2. Aufl.) bearbeitete er den Geschichtsunterricht. Seit 1874 leitet er die Zeitschrift „Der praktische Schulmann“ (1852 von Körner begründet), seit 1887 den 1846 von Nacke begründeten „Pädagogischen Jahresbericht“ und die „Neudrucke pädagogischer Schriften“ (Leipz., seit 1890).
3) Gustav, Philolog und Historiker, geb. 29. Juni 1838 zu Naumburg a. S., studierte Philologie und Geschichte in Jena und Bonn und verfolgte seit Ostern 1862 die Laufbahn eines Gymnasiallehrers in Posen, Schulpforta und Weimar, wo er als Oberlehrer und Professor wirkte, bis er im Herbst 1876 zum Direktor des neuen Gymnasiums zu Jena berufen wurde. R. nahm lebhaften Anteil an dem Bestreben, die Unterrichtsmethode in höhern Schulen zu bessern, was ihn mit H. Perthes (s. d.) und später mit O. Frick (s. Bd. 17) zusammenführte und zum Anschluß an den Deutschen Einheitsschulverein bewog. Außer einzelnen Vorträgen und Aufsätzen in Zeitschriften veröffentlichte er: „De L. Annaeo Seneca tragoediarum auctore“ (Bonn 1862); „Zeittafeln der deutschen Geschichte im Mittelalter mit Erläuterungen aus den Quellen“ (Halle 1881); „Annalen der deutschen Geschichte im Mittelalter mit durchgängiger kritischer Erläuterung aus den Quellen“ (mit Kohl; Halle 1873–90, Abt. 1–3); „Das alte Gymnasium in Jena“ (Jena 1888 und 1889, zwei Programme); „Das höhere bürgerliche Schulwesen in seiner geschichtlichen Entwickelung“ (Hannov. 1889); „Das Jenaer Lutherfestspiel“ (Jena 1889), ferner eine Ausgabe von Senecas Tragödien (mit Peiper, 2. Aufl., Leipz. 1891). Mit Frick begründete er die pädagogische Zeitschrift „Lehrproben und Lehrgänge aus der Praxis der Gymnasien und Realschulen“ (Halle, seit 1882).