MKL1888:Quarantäne
[495] Quarantäne (Kontumaz), zeitweise Beschränkung der persönlichen Freiheit und der Verfügung über das Eigentum, welche Personen oder Sachen auferlegt wird, von denen man die Einschleppung ansteckender Krankheiten befürchtet. Gelegentliche Absperrungen gegen den Aussatz kommen bereits in den ältesten Zeiten vor; als ständige Einrichtung erscheint die Q. [496] zuerst im 14. Jahrh. in italienischen Städten zur Abwehr der Pest; die Bezeichnung Q. stammt von den 40 Tagen (quarante giorni), während welcher Venedig die ankommenden Schiffe bei Pestgefahr unter Sperre legte. Anfangs mit barbarischer Strenge durchgeführt, wurde die Handhabung der Q. im Lauf der Zeit durch Einführung zweckmäßiger Einrichtungen mehr und mehr gemildert, und nachdem schon im 16. Jahrh. eine starke Opposition, welche die Ansteckung durch ein Kontagium leugnete, sich geltend gemacht hatte, hob England 1720 zu gunsten des Handels die Q. im eignen Land auf, während es dieselbe in Gibraltar und auf Malta rigorös durchführte. Gegenwärtig sind die Ansichten über die Q. durchaus geteilt. Französische Ärzte befürworten dieselbe, während die Engländer bei Auftauchen der Cholera in Ostindien die Q. verbieten, die Truppen nicht zernieren und isolieren, sondern auseinander ziehen und dislozieren. Auf Anregung Frankreichs trat 1851 in Paris die erste und 1866 in Konstantinopel die zweite internationale Sanitätskonferenz zusammen, welche die Absperrung im Prinzip empfahl. Österreich hatte bereits 1849 eine orientalische Sanitätskommission eingesetzt und berief 1874 die dritte internationale Konferenz nach Wien, auf welcher alle europäischen Staaten die Errichtung einer ständigen internationalen Sanitätskommission befürworteten. Man schlug vor, die Quarantänen auf ein thatsächlich durchführbares Maß einzuschränken und dieselben im allgemeinen durch ein zweckmäßiges Inspektionssystem zu ersetzen. Die vierte internationale Konferenz, welche 1885 in Rom tagte, beschäftigte sich hauptsächlich mit der Cholera, und ein technisches Komitee befürwortete internationale Maßnahmen gegen die Verbreitung der Seuche im Orient und die Einschleppung nach dem Occident auf dem Seeweg, namentlich auch eine Besserung der hygieinischen Verhältnisse und eine ärztliche Begleitung, Überwachung und wiederholte Inspektion der Pilgerzüge (ähnlich die Beschlüsse des internationalen Gesundheitsrats in Konstantinopel vom 3. März 1885). Die Q. wird gegenwärtig nur gegen Pest, gelbes Fieber und Cholera angewandt und stützt sich auf die Überzeugung, daß durch absolute Absperrung die Übertragung des Krankheitskeims unmöglich gemacht wird. Die Gegner der Q. wenden dagegen ein, daß eine absolute Absperrung unmöglich und daher unnütz sei, während die durch die Q. dem öffentlichen Verkehr zugefügten Nachteile unerträglich und schlimmer seien als die zu bekämpfende Krankheit. Für die praktische Ausführung ist von jeher wie noch heute die Seequarantäne fast ausschließlich von Bedeutung geblieben, während die schwierigen und kostspieligen Landquarantänen sehr selten vorgekommen sind und nur in sehr bedingter Weise verteidigt werden. Von den Seehäfen aber kommen hauptsächlich die des Orients im Mittelmeer, im Roten und Kaspischen Meer in Betracht, weil sie die hauptsächlichsten Ausbruchsthore der für Europa gefährlichsten Seuchen bilden. Vgl. v. Sigmund, Cholera, Pest und Gelbfieber vor den jüngsten internationalen Sanitätskonferenzen (Wien 1882); Uffelmann, Darstellung des auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege in außerdeutschen Ländern bis jetzt Geleisteten (Berl. 1878); Soyka u. a., Zur Ätiologie der Infektionskrankheiten (Münch. 1881). Eine Zusammenstellung der wichtigsten zur Zeit geltenden Quarantänevorschriften der meisten Staaten Europas und Nordamerikas gab Wernich in Eulenburgs „Realencyklopädie der gesamten Heilkunde“ (2. Aufl., Wien 1884 ff.).
[757] Quarantäne. Bei den einander entgegenstehenden Ansichten über den Wert der Quarantänemaßregeln ist eine einheitliche Regelung nicht erreichbar gewesen. Die weniger bedrohten, Seehandel treibenden Nationen, England an der Spitze, haben ein Aufsichts- und Revisionssystem mit Desinfektion unter Zurückdrängung der Sperrmaßregeln vorgezogen, während die Mittelmeerstaaten an dem ältern Sperr- und Quarantänesystem festgehalten haben. In Österreich sollen alle Schiffe mit einem Sanitätspatent ankommen; eine Landung darf nur bei wirklichen Seesanitätsämtern stattfinden. Sind Schiffe gezwungen, an einem andern Punkte zu landen, so sind sie an jedem Verkehr mit der Küste zu hindern. Schiffe, Personen, Waren, Effekten, Tiere sollen nicht in Verkehr treten, bevor sie nicht gereinigt sind und eine Kontumazzeit durchgemacht haben. Diese wird als Observationsreserve bezeichnet, wenn das Schiff mit allem, was darauf ist, eine Zeitlang außer freiem Verkehr bleibt; sie heißt eigentliche, strenge Kontumaz, wenn neben der Isolierung noch eine weitere Sanitätsbehandlung des Schiffes, der Personen und Waren nötig ist. Die Dauer der Kontumaz bestimmt das Ministerium des Innern; über die Verhängung von Observationsreserve oder strenger Kontumaz entscheiden die Seesanitätsbehörden. Bei einem Patent, welches aussagt, daß an Bord des Schiffes Pest oder Gelbfieber bestehen oder in den letzten 21 Tagen bestanden haben, ist das Schiff bei Ankunft sofort zu besichtigen, alsdann können die gesunden Passagiere nach Ablegung ihrer Effekten ins Lazarett sich begeben. Kranke werden aus dem Schiffe entfernt, im Lazarett isoliert, es wird ein Wächter aufs Schiff gestellt und eine sechstägige Lüftung des letztern vorgenommen. Nach Ablauf dieser Zeit findet eine neue ärztliche Besichtigung statt, worauf eventuell die Waren und Effekten der gesunden Passagiere ausgeladen werden können. Die eignen Effekten des Schiffsvolkes und Schiffes werden an Bord gelüftet und durch Chlor desinfiziert. Vor der Zulassung zum freien Verkehr wird das Schiff jedenfalls vollständig ausgeladen und in allen seinen innern Räumen durch Waschen mit Lauge (und Räucherungen) desinfiziert. Die neuere Ordnung des Hafen- und Seesanitätsdienstes an der österreichisch-illyrischen und dalmatischen Küste (1871) und die Anordnungen aus Anlaß der Choleragefahr (1872) neigen bereits mehr dem Inspektions- u. Revisionssystem zu. Hinsichtlich des Gelbfiebers verkürzt eine neuere Verordnung (1880) die Quarantänierungszeit für gesunde Passagiere beträchtlich. Deutschland, welches seine Vorsichtsmaßregeln naturgemäß in der Hauptsache der Cholera entgegenzustellen hat, wendet ein gemischtes System an, welches mehr Fühlung mit Revisionssystemen hat. Dies gilt sowohl für die speziell zur Verhütung der Cholera erlassenen als auch für die allgemeinern Hafeninstruktionen, welche auch Pest und gelbes Fieber, Pocken und typhusähnliche ansteckende Krankheiten berücksichtigen. Vgl. Revisionssysteme.