MKL1888:Quäker
[493] Quäker (engl. Quakers, „Zitterer“), religiöse Sekte in England, so genannt entweder von ihren heftigen Bewegungen und ekstatischen Zuständen, oder weil ihr Stifter am Schluß einer Rede vor dem Richter sprach: „Zittert vor dem Worte des Herrn!“ Sie selbst nennen sich nach Joh. 15, 15 „Freunde“ (Friends) oder „Bekenner (Kinder) des Lichts“. Ihr Stifter George Fox (s. d.) fand trotz der heftigen Verfolgungen, die ihn von seiten des Staats und des Klerus trafen, bald unter allen Klassen Anhänger. Nicht Schrift, sondern Geist, nicht der Christus für uns, sondern der Christus in uns wurde sein Losungswort. 1656–58 sollen 9000 Q. eingekerkert worden sein, vielfach die gerechte Strafe für ihre Extravaganzen empfangend. Seit 1660 begann der Verein seine Verfassung und seinen Kultus zu ordnen, während Robert Barclay (s. d.) die Lehre desselben systematisch darstellte. Noch dauerten unter der Restauration die harten Verfolgungen fort, denen erst die Toleranzakte von 1689 (s. Anglikanische Kirche) ein Ziel setzte. Bald bildeten sich viele Quäkergemeinden in mehreren Teilen von Großbritannien und Nordamerika, wo ihnen William Penn, der (geb. 1644, gest. 1718), nachdem er weite Reisen gemacht, am französischen Hof gelebt, 1668 dem Verein beigetreten war und in Wort und Schrift für seine Freunde gewirkt hatte, ein Asyl in Pennsylvanien eröffnete, das ihm die englische Regierung für eine Schuld, deren Bezahlung er forderte, mit der Bestimmung überließ, er könne das Gebiet nach seinem Belieben organisieren. Die Q. erkennen die Hauptdogmen der protestantischen Symbole an, berufen sich aber mehr als auf das Bibelwort auf das in dem Menschen wohnende „innere Licht“, das den innigen Beter außerordentlicher Offenbarungen teilhaft mache und rein übernatürlich wirke, ja nichts andres als Christus selbst sei. Das Quäkertum ist zu bezeichnen als die letzte und reinste Gestalt der gesamten spiritualistischen Bewegung seit der Reformation, als eine gegen die Dogmatik wie gegen alle historischen Elemente des Christentums gleichgültige Gestaltung desselben. Sie verwerfen jede bestimmte Liturgie und die Sakramente; mit bedecktem Haupt sitzen sie schweigend und der höhern Erleuchtung harrend in ihren schmucklosen Bethäusern, bis sich irgend ein Glied, Mann oder Weib, vom Geist ergriffen fühlt und dann vor der Versammlung auftritt. Kommt der Geist nach stundenlangem Warten zu niemand in derselben, so geht man still auseinander. Einen geistlichen Stand haben sie zwar nicht, doch haben sie später befähigte Redner vorzugsweise mit dem Predigen beauftragt. Sie kennen nur ein Christentum der praktischen Frömmigkeit in Form des Spiritualismus. Ihre Moral untersagt ihnen die Ablegung des Eides, weil Christus das Schwören verboten, die Leistungen von Kriegsdiensten und alle Vergnügungen, welche die Sinnlichkeit reizen, z. B. Theater, Glücksspiele, Jagd, Tanz, Schmäuse und Trinkgelage, Luxus jeder Art, ja selbst den Handel mit Luxusartikeln und Kriegsbedürfnissen; die Übung der schönen Künste gilt ihnen wenigstens für gefährlich. Zur Übung reiner Wahrheitsliebe und christlicher Einfachheit reden sie alle Menschen mit „Du“ an, verweigern den Gebrauch aller bloßen Ehrentitel und nehmen vor keinem den Hut ab. Ihre Kleiderordnung beschränkt den Anzug auf das Nötige und Bequeme, ohne Rücksicht auf die wechselnde Mode. Die Verfassung der Quäkergemeinden ist ganz demokratisch. Jede Gemeinde versammelt sich einmal im Monat, um Sittengerichte zu halten, zu beraten und etwanige Streitigkeiten Einzelner zu schlichten. Vierteljährlich treten Deputierte der Gemeinden eines Distrikts zusammen, um die Repräsentanten aller Distrikte zu jährlichen Versammlungen zu ernennen. Letztere sind die höchste Instanz, üben in Sachen der Disziplin, Verfassung und Sitte die gesetzgebende Gewalt aus. Die Sekte teilt sich in sieben Provinzen, die ihre Generalsynoden gleichzeitig halten. Jetzt ist der alte Bekehrungseifer der Q. ziemlich erloschen; dagegen haben sie sich durch ihre menschenfreundlichen Bemühungen und erfolgreichen Anstrengungen zur Abschaffung des Sklavenhandels (William Allen, Benezet) und zur Verbesserung des Gefängniswesens (Elisabeth Fry) große Verdienste erworben, und noch immer stehen sie als Muster häuslicher Tugend und bürgerlicher [494] Tüchtigkeit da. Ihre Zahl mag in Nordamerika jetzt 40,000, in der gesamten übrigen Welt 20,000 Seelen betragen. In Deutschland findet sich seit 1786 eine kleine Quäkergemeinde in Friedensthal bei Pyrmont. Übrigens teilen sich die Q. in mancherlei Sekten. In Nordamerika entstanden durch die Begeisterung des Freiheitskampfes die fechtenden oder freien Q., welche den Kriegsdienst für erlaubt erklärten. Diejenigen, die von der alten Strenge nachgelassen und manche Sonderbarkeiten abgelegt haben, werden nasse (nachgiebige) Q. genannt, die streng orthodoxen, deren Zahl sich übrigens fortwährend vermindert, heißen trockne (feste) Q. Eine tiefer gehende Spaltung entstand in Amerika seit 1828, wo sich von den rechtgläubigen Quäkern eine rationalistische Partei unter Elias Hicks (daher Hicksiten) absonderte und sich besonders in Pennsylvanien und New Jersey verbreitete. Im Gegensatz zu ihnen bildeten sich 1837 in Manchester die Evangelical Friends, welche die Bibel über das „innere Licht“ und die Vernunft stellen; nahe verwandt sind den Quäkern auch die Jumpers (s. d.) und die Shakers (s. d.). Vgl. Sewel, History of the rise of the quakerism (Lond. 1834, 2 Bde.); Gurney, Views and practices of the society of Friends (das. 1835); Rowntree, Quakerism past and present (das. 1859); Tallack, Friendly sketches in America (das. 1862); Derselbe, G. Fox, the Friends and the early Baptists (1868); Schmidt, Die Quäkergemeinde in Pyrmont (Braunschw. 1855); Weingarten, Die Revolutionskirchen Englands (Leipz. 1868); Bruno Bauer, Der Einfluß des englischen Quäkertums auf die deutsche Kultur (Berl. 1877); L. Ruffet, Georges Fox et les origines de Quakerisme (Genf 1880).