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MKL1888:Prosodīe

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Prosodīe“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Prosodīe“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 13 (1889), Seite 416
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Prosodīe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 416. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Prosod%C4%ABe (Version vom 30.01.2023)

[416] Prosodīe (Prosodik, griech.), die Lehre von der Geltung der Silben nach der Zeitdauer (vgl. Rhythmus). Die Länge und Kürze der Silben wird entweder durch ihren innern Gehalt oder durch die starke und leichte Betonung derselben bestimmt. Jenes ist die Quantität oder das Zeitmaß, dieses der Accent oder das Tonmaß der Silben. Der erste Bestimmungsgrund ist der antiken Poesie eigen, der letztere ist die vornehmste Richtschnur der neuern P. In der antiken Poesie erscheinen die Silben beim Gebrauch entweder kurz (◡), wenn zu deren Aussprache nur ein Zeitteil (mora), oder lang (—), wenn zu deren Aussprache zwei Zeitteile erforderlich sind, die sich entweder aus der natürlichen Länge einer Silbe ergeben, oder durch zwei oder mehrere Konsonanten hervorgerufen werden, welche einer von Natur kurzen Silbe folgen und die Stimme nötigen, zu ihrer Aussprache bei derselben ebenso lange wie bei der von Natur langen Silbe zu verweilen (z. B. aurum, mēns). Jene nennt man von Natur lange, diese durch ihre Stellung oder Position lange Silben. In der griechischen Sprache ist der Accent häufig das Erkennungszeichen, ob solche Silben von Natur lang oder kurz sind; in der lateinischen dagegen, wo Accente nicht gebräuchlich waren, muß die Beobachtung des dichterischen Gebrauchs die wahre Geltung lehren. Die neuern Sprachen sind, wie erwähnt, durchgängig accentuierend. Für die deutsche Sprache hatte man lange Zeit keine Bestimmungen, weil die Silben des Verses nicht gemessen, sondern gezählt wurden und seine Hauptmerkmale früher in der Allitteration und Assonanz, später im Reim bestanden, die für den Mangel größern Rhythmenreichtums entschädigten. Erst als Opitz, Ramler und Klopstock die Nachbildung antiker Rhythmen in der deutschen Sprache versuchten, verlangte auch die P. eine nähere Erörterung und Bestimmung. Die Grundlagen unsrer modernen Metrik und P., auf denen Spätere weiterbauten, legte M. Opitz mit seiner „Prosodia Germanica oder Buch von der Teutschen Poeterey“ (1624), worin er die Nachahmung der griechisch-römischen Versmaße empfahl und zeigte, daß man hierbei dem Wesen der deutschen Sprache gemäß für die antike Länge eine betonte und für die antike Kürze eine unbetonte Silbe zu setzen habe, sowie J. H. Voß in der „Zeitmessung der deutschen Sprache“ (Königsb. 1802), indem er die Bestimmung der Quantität nicht von dem innern Werte der Silben allein, sondern auch von äußern Gründen abhängen ließ. Als Fundamentalbestimmungen der deutschen P. sind folgende anzuführen: Die Silben der deutschen Wörter sind entweder lang, oder kurz, oder mittelzeitig (schwankend); der Ton liegt, wie schon Lachmann bemerkte, in der Regel auf der ersten Silbe. Lang sind alle einsilbigen Haupt- und Stammsilben, Substantive und Adjektive, alle einsilbigen Zeitwörter, Zahlwörter etc.; ferner alle Stammsilben auch in Zusammensetzungen, selbst wenn sie den Accent verloren haben. Kurz dagegen ist der bestimmte Artikel, es, er, du, sie, zu (vor dem Infinitiv), so (vor dem Nachsatz), die Präpositionen in, an, zu, die Vorsilben, die ein e haben, die Veränderungssilben in der Deklination und Konjugation, die ein tonloses e haben, die Ableitungssilben, die ein e haben. Mittelzeitig sind kurze Silben, welche durch ihre Stellung im Vers lang werden können, z. B. ein, und, ich, du, er, sie, bis, nach etc., die Vorsilben mit, voll, un, die Endungen ung, nis, lich, lig, icht, ei, lei etc. Nur lange Silben (und schwankende, wenn sie in ihrem Charakter als lange gebraucht werden) können den Reim bilden (Reim, Seim); die kurzen (Flexions-) Silben der Reime (Seim-es, Reim-es) sind nicht reimbildend, sondern nur mitbildend, d. h. sie allein können nicht reimen. Vgl. Metrik und die dort angeführte Litteratur.