MKL1888:Pflanzenschutz
[707] Pflanzenschutz. In jedem Florengebiet beobachtet man im Laufe der Zeit mehr oder minder tiefgreifende Veränderungen, neue Pflanzen bürgern sich ein (Adventivflora), während andre verschwinden. Dies Verschwinden erklärt sich zum Teil aus der Konkurrenz der Arten (Kampf ums Dasein), häufiger aus Veränderungen der Lebensbedingungen, welche durch die Kulturarbeit des Menschen herbeigeführt werden. Regulierung von Flußläufen, Trockenlegung von Sümpfen etc. kommen hier namentlich in Betracht. Nicht minder belangreich ist aber die Verwüstung, welche zu gunsten der Liebhaberei ausgeführt wird. Der Touristenschwarm, welcher jährlich die Schweiz heimsucht und auf Alpenpflanzen lüstern ist, hat es dahin gebracht, daß z. B. das Edelweiß an denselben Orten, an denen es früher gemein war, selten geworden ist. Hierzu hat die ruchlose Art des Sammelns viel beigetragen. Anstatt die Blumen abzuschneiden, werden sie abgerissen, wobei meist die ganze Pflanze zu Grunde geht. Gärtner, welche Alpenpflanzen sammeln, graben ohnehin die Pflanzen aus, und gerade den seltensten Arten wird von Botanikern, namentlich von Mitgliedern der botanischen Tauschvereine, in so rücksichtsloser Weise nachgestellt, daß das Aussterben derselben mit Sicherheit vorauszusehen, hier und da bereits eingetreten ist. Besonders die Orchideen erliegen vielerorts brutaler Sammelwut. Endlich kommen auch die Kräutersammler in Betracht, welche ein wahres Raubsystem befolgen. Gegenüber diesen Übelständen hat zuerst die Regierung des Kantons Graubünden das Ausgraben von Edelweiß verboten und damit die jährliche Ausfuhr von Tausenden von Edelweißstöcken (besonders nach Amerika) lahmgelegt. Einige alpine Gemeinden sind noch weiter gegangen, das Bergdorf Arosa z. B. hat das Ausgraben aller Alpenpflanzen verboten. Auch in der ebenen Schweiz hat man derartige Schutzmaßregeln getroffen; Winterthur schützte Pyrola umbellata, welche in den Kiefernwäldern von Andelfingen bis vor kurzem ihren einzigen schweizerischen Standort besaß. Im Departement Savoyen ist das Sammeln des Alpenveilchens (Cyclamen europaeum) verboten worden, da infolge der enormen Mengen, welche auf die Märkte von Chambéry und Aix les Bains kommen, diese schöne Pflanze dort immer mehr zu verschwinden droht. 1883 bildete sich in Genf eine Gesellschaft für P., welche sich der Unterstützung des schweizerischen Alpenklubs erfreut. Sie legte in Genf einen Garten zur Kultur von Alpenpflanzen an und verkauft diese wie auch Samen zu billigen Preisen, um den Sammlern eine bequeme Bezugsquelle zu bieten, welche sie von der Verwüstung der Alpenmatten abhalten soll. Da aber die Pflanzen in diesem Garten unter völlig veränderten physikalischen Verhältnissen ihren Habitus ändern, so daß sie für den Botaniker, dem daran liegt, die typische [708] Form zu besitzen, kaum noch brauchbar sind, so hat die Gesellschaft alpine Gärten angelegt, in welchen die Pflanzen unter natürlichen Verhältnissen wachsen. Der erste dieser Gärten wurde am Großen St. Bernhard in Betrieb gesetzt. Eine wichtige Aufgabe besteht für die Tauschvereine darin, das Sammeln von Orchideen mit Knollen, von Zwiebelgewächsen mit Zwiebeln einzuschränken und seltene Pflanzen, die an einem Standort durch menschliche Eingriffe in Gefahr geraten, an passendere Stellen zu verpflanzen.