MKL1888:Ostergebräuche und Osterspiele
[477] Ostergebräuche und Osterspiele. Gleich dem Weihnachtsfest gilt Ostern als ein Freudenfest, besonders für die Jugend, weshalb die Kirche eine Reihe von alten Gebräuchen mehr oder weniger in Verbindung oder innerhalb der kirchlichen Feier hat fortbestehen lassen, die zum guten Teil aus heidnischen Zeiten stammen und ursprünglich angeblich einer Frühlingsgöttin Ostara gewidmet waren. Wie noch heute das Osterfest für viele, die in Handwerks- und Erwerbsbanden schmachten, die erste Begrüßung der neuerwachenden Natur auf dem „Osterspaziergang“ zu vermitteln pflegt, so begrüßte man ehemals das Fest der Frühlingsgöttin mit Tänzen, Aufzügen, dramatischen Spielen und Freudenfeuern; man stellte dabei bildlich den Abschied des nach vielen Kämpfen besiegten Winters durch den Kampf gegen eine Puppe dar, deren Ersäufung oder Verbrennung den Schlußeffekt des Festes bildete. Die hierzu dienenden Osterfeuer, die mit „neuem Feuer“ (s. Notfeuer) entzündet werden mußten und hier und da von allen Bergen leuchteten, wurden in veränderter Gestalt in den Kultus der griechischen und russischen Kirche aufgenommen, wo man, ähnlich wie in andern Gegenden zu Weihnachten, mit Lichtern zur Kirche geht, und am Heiligen Grab zu Jerusalem bildete das Osterfeuer seit langer Zeit den Gegenstand einer unwürdigen Täuschung. In Deutschland ist der Gebrauch der Osterfeuer meist auf den Sonntag Invokavit (s. Funkensonntag) verlegt, ebenso wie die Vertreibung des Winters und das sogen. Todaustragen meist mit dem Maifest (s. d.) verbunden wurden. Dagegen haben sich die symbolischen Speisen des alten Frühlingsfestes, welche, wie Osterei und Osterhase, meist Symbole der Fruchtbarkeit waren, bis heute erhalten, und namentlich die bunt gefärbten Ostereier geben Veranlassung zu zahlreichen Spielen der Jugend, wobei eben Eier die Gewinne darstellen. Der Osterhase der meist in Kuchenform gebacken und verzehrt wird, ist heute ein ziemlich unverständliches Symbol geworden; teilweise wird er durch das Osterlamm ersetzt, welches hier und da, aus Butter oder Kuchenteig geformt, mit zu den Gegenständen (Eiern, Mehl, Salz etc.) gehört, welche in katholischen Ländern noch heute in der Kirche zu Ostern eingesegnet werden. An die Stelle der ehemals üblichen Feuerweihe ist meist die Einsegnung in die Kirche gebrachter grüner Reiser und Sträuße aus „Weidenpalmen“, Stechginster und andern immergrünen Zweigen getreten. Diese Palmenweihe, die irrtümlich in vielen Gegenden auf den Palmsonntag verlegt wird, gehört ebenfalls zu den alten heidnischen Ostergebräuchen, denn die geweihten Zweige sollten nicht nur das Haus bis zur nächsten Erneuerung vor Blitz und Feuersgefahr schützen, sondern sie werden an vielen Orten auch mitsamt den Schalen der Ostereier und den Kohlen der Osterfeuer in den Ecken der Felder eingesteckt oder vergraben, um diese fruchtbar zu machen. Anderseits werden grüne getriebene Baumzweige namentlich im östlichen Deutschland als Symbol der Fruchtbarkeit und des Gedeihens, gerade wie bei den römischen Luperkalien zum Stäupen (Osterstiepe, Kindleinstreichen) derjenigen gebraucht, denen man Gutes wünscht. Früh am Ostermontag (an andern Orten auch am Palmsonntag) suchen sich Eltern und Kinder gegenseitig in den Betten zu überraschen, um die gesundheitbringenden Rutenstreiche einander auf den nackten Leib applizieren zu können. Die Kinder oder Bediensteten erhalten dafür ein besonderes Geschenk in Geld oder Leckereien (Schmack- oder Schmeckostern). Ein ähnliches Überbleibsel aus der Heidenzeit scheint der Gebrauch des Osterwassers zu sein, welches beim Aufgang der nach der Sage dabei dreimal vor Freuden aufhüpfenden Sonne [478] an einer gegen Morgen fließenden Quelle geschieht. Es muß geschehen, ohne daß dabei ein Wort gesprochen wird, und das hier und da in der Kirche mit eingesegnete Osterwasser soll sich dann das ganze Jahr frisch erhalten, heilbringend und verschönernd wirken. An den Osterfeiertagen werden dann in verschiedenen Gegenden bestimmte Osterspiele ausgeführt, in Italien Passionsspiele und Aufzüge, in Griechenland feierliche Reigentänze, in Siebenbürgen Hahnenschlag, in Rußland allgemeine Volksbelustigungen auf dem Anger, woselbst sich ein vollkommenes Jahrmarktstreiben entwickelt.