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MKL1888:Nadelholzzone

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Nadelholzzone“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 657658
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Nadelholzzone. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 657–658. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Nadelholzzone (Version vom 03.03.2024)

[657] Nadelholzzone, der vorwiegend von winterharten Zapfenbäumen (Koniferen) gebildete Waldgürtel, welcher sich zwischen der arktischen Baumgrenze und der Laubholzzone mit mehr oder weniger zusammenhängenden Beständen ausbreitet (s. Waldpflanzen). Südlich von der Baumgrenze herrschen in Europa, Sibirien und Kanada je nach Florengebieten gesonderte Arten von Lärchen, Fichten und Kiefern vor. Die Südgrenze der Zone verläuft in der Alten Welt vom südlichen Skandinavien über den Oberlauf der Wolga nach Sibirien (unter 55° nördl. Br.) bis zum Amur und folgt in Amerika ungefähr dem 50. Breitengrad. Weiter südlich hören in der Laubholzzone (s. d.) Koniferen keineswegs auf, aber die schon in der N. mit einzelnen Arten auftretenden Laubbäume nehmen südwärts an Mannigfaltigkeit und Ausbreitung ihrer Bestände derartig zu, daß ihnen gegenüber die Nadelhölzer nur eine untergeordnetere Rolle spielen. Von den zahlreichen Koniferen wärmerer Gebiete unterscheiden sich die nordischen Nadelhölzer biologisch durch ihre Widerstandskraft gegen Winterkälte, bei welcher die südlichern Formen zu Grunde gehen. Der oft sehr reichliche Harzgehalt scheint eine hervorragende Schutzrolle zu spielen; auch die immergrüne Benadelung, mit der eigentümliche, anatomische Einrichtungen (s. Immergrüne Gehölze) Hand in Hand gehen, leistet sowohl gegen niedrige Temperaturen als gegen anhaltende Dürre Widerstand; übrigens wirft die am weitesten nach Norden vordringende Nadelholzgattung, die Lärche (Larix), ihre Nadeln alljährlich ab. Larix europaea ist nach Willkomm in der mitteleuropäischen N. ursprünglich nicht einheimisch, sondern dorthin erst aus den Alpen und Karpathen gelangt; hier steigt sie bis 3000 m und höher empor und bildet teils allein, teils in Gesellschaft von Fichten und Zirbelkiefern die obere Grenze der Baumregion. Die ebenfalls sehr frostharte Larix sibirica geht in Sibirien bis gegen 69° nordwärts und greift mit einem westlichen Ausläufer ihres Verbreitungsgebietes über den Ural bis an die Petschoramündung und die Nordspitze des Onegalandes; eine dritte, in Kamtschatka und Daurien wachsende Lärchenart (L. dahurica) erreicht bei 72° ihren nördlichsten Punkt. Die beiden Hauptcharakterbäume der europäischen N. sind die Fichte (Picea excelsa L.) und die Kiefer (Pinus silvestris L.). Erstere erreicht ihre Nordgrenze in Norwegen bei 67° und im östlichen Finnmarken bei 69°, letztere geht bei Alten in Norwegen bis 70°; weiter östlich in Rußland fallen die Nordgrenzen beider Bäume im allgemeinen zusammen, indem sie auf der Halbinsel Kola sich an dem Südufer des Flusses Ponoj entlang ziehen und dann weiter nach Osten ungefähr dem Polarkreis folgen. Die von der gewöhnlichen Fichte nur als Varietät zu unterscheidende sibirische Fichte (Picea obovata) kommt im nördlichen Norwegen stellenweise mit der Hauptform vermischt vor, bildet auf Kola größere Bestände und verbreitet sich jenseit des Urals bis an das Ochotskische Meer. Kiefer und Fichte machen sehr verschiedene Ansprüche an Bodenmischung und Belichtung; erstere zieht rein sandigen, durchlässigen Boden vor und ist in hohem Grade lichtbedürftig, während die Fichte feuchtern, lehmigen Untergrund liebt und starke Beschattung verträgt; letztere ist daher im stande, andre lichtbedürftige Baumarten zu verdrängen. Je nach Standort und klimatischen Einflüssen entwickelt sich die Kiefer in verschiedenen Formen, von denen die niedrige, kurznadelige Moorkiefer, die dickschäftige, struppige Strandkiefer und die im Engadin sowie in Lappland auftretende Engadiner Kiefer (f. Frieseana Wich.) am meisten hervorragen. Ein ähnliches Auftreten einer Varietät unter ganz verschiedenen Breiten, aber ähnlichen Lebensbedingungen, wiederholt sich auch bei der Fichte, deren hochnordische Form (f. medioxima Nyl.) im Oberengadin wiederkehrt.

In Skandinavien und Finnland geht an Stelle der Nadelhölzer die nordische Weißbirke am weitesten nach Norden, die Wälder bestehen jedoch vorherrschend auch hier aus Fichten und Kiefern; die ärmliche Waldbodenflora wird von Heidekraut und niedrigen Beerensträuchern (besonders Vaccinum) gebildet, denen sich als charakteristische Staude häufig die auch in den Alpen einheimische Linnaea borealis beigesellt. Im nordöstlichen Rußland ändert sich die Waldvegetation insofern, als hier bereits sibirische Elemente westwärts vom Ural übertreten. Im Norden der russischen N. greift die Tundra mit ihrer kärglichen Pflanzendecke (s. Arktische Flora) vielfach zwischen die Wälder ein, im S. bildet die Eichenzone die Grenze. Auch in den Nadelholzwäldern Nordsibiriens breiten sich große Tundrenflecke aus, die eine Reihe hochnordischer Pflanzen, wie Ledum palustre, Betula nana u. a., beherbergen. Die Waldzone des nordamerikanischen Kontinents beginnt auf der Halbinsel Alaska mit spärlichen Waldinseln (von Picea sitchensis) und spannt sich von da in weitem Bogen durch das Mackenziegebiet um die Hudsonsbai bis Labrador und Neufundland. Die nördliche Grenze der Nadelhölzer wird von der Weißfichte oder „white spruce“ (Picea alba) gebildet; etwas südlicher folgt die amerikanische Lärche (Larix americana). Von Laubhölzern geht auch hier eine Birkenart (Betula papyracea) am weitesten nach Norden. Bedeutende Bestände bildet auch die Schwarzfichte oder „black spruce“ (Picea nigra) von Neufundland bis zum nördlichen Kolumbien und bis zur Eismeerküste; bis zur Mündung des Mackenzie geht eine Kiefernart (Pinus Banksiana). An der Nordgrenze der amerikanischen N. greift vielfach die Tundraformation in den Wald ein, die Südgrenze wird wie in Osteuropa von Eichenwaldungen umsäumt. In pflanzengeographischer Hinsicht ist für die N. der nördlichen Halbkugel das zirkumpolare Vorherrschen der Gattungen Pinus, Larix, Picea und Betula besonders hervorzuheben, das mit dem arktotertiären Ursprung der borealen Wälder in Beziehung steht (s. Waldpflanzen); auf der östlichen und westlichen Halbkugel sind es die nämlichen Gattungen, welche hervorragend winterharte Baumformen bis an die hochnordischen Tundren vorgeschickt haben. Teils sind die nördlich am weitesten vordringenden Waldelemente bereits in der Pliocänzeit vorhanden gewesen (wie Pinus silvestris, Larix europaea, Picea excelsa), teils mögen sie aus tertiären Stammformen erst nach der Eiszeit entstanden sein. Die Nadelhölzer der südlichen Halbkugel lassen sich nicht zu einer klimatisch und pflanzengeographisch bestimmt umgrenzten Zone zusammenfassen und werden daher [658] dem australen Gürtel immergrüner Gehölze (s. d.) angeschlossen.