MKL1888:Münzabnutzung
[627] Münzabnutzung. Die französische Münzgesetzgebung kennt nicht die Bestimmung der deutschen Münzgesetze vom 4. Dez. 1871 und 9. Juli 1873, nach welchen Kurantmünzen, deren Gewicht infolge der Abnutzung durch den Gebrauch um mehr als einen bestimmten Prozentsatz unter das Normalgewicht gesunken ist, nicht mehr als vollwichtig gelten und darum für Rechnung des Reiches eingezogen werden. Solche Münzen werden bei allen Kassen des Reiches und der Bundesstaaten zum Nenngehalt angenommen; dagegen dürfen öffentliche Kassen sowie Geld- und Kreditanstalten derartige bei ihnen eingegangene unterwichtige Geldstücke nicht wieder ausgeben. Jener Prozentsatz ist auf 0,5 bei 10- und 20-Markstücken, auf 0,8 bei 5-Markstücken festgesetzt. Schon seit einer Reihe von Jahren sind denn auch ansehnliche Beträge an Goldstücken, deren Gewicht sich unter das noch zulässige (Passiergewicht) vermindert hatte, wieder eingezogen worden und zwar bis Ende 1889 für 2,2 Mill. Mk. Die einzuziehende Menge wird, da die Abnutzung erst nach einer Reihe von Jahren eine genügend starke ist, mit der Zeit steigen, bis sie später im Durchschnitt einer durchschnittlichen Jahresausprägung gleichkommt, vermindert um einen Bruchteil, welcher auf Ausfuhren, Umschmelzungen und verloren gegangene Münzen entfällt. So wurden eingezogen 1880 für 152,000 Mk., 1888 für 241,000 Mk. und 1889 für 404,000 Mk. In 1–2 Jahrzehnten wird sich der Betrag auf einige Millionen stellen. Eine Gewähr für die Einziehung bietet die vorhandene große Anzahl an Geld- und Kreditanstalten. Nun spricht die französische Münzgesetzgebung zwar auch von einem „noch gesetzlichen Gewicht“, aber es fehlt in ihr die Bestimmung über die Einziehung allzu stark verschlechterter Münzen. Für Ausfuhr und Einschmelzung wurden seither immer die schwerern Münzen ausgesucht; die leichtern erhielten sich dagegen im Verkehr. Infolgedessen hat sich die im Umlauf befindliche Münze in Frankreich immer mehr verschlechtert. Ein erheblicher Teil der Goldstücke weist nicht mehr das noch gesetzlich zulässige Gewicht auf.
In der Absicht, Abhilfe zu schaffen, hat die französische Regierung das Münzwesen ihres Landes in der neuern Zeit zum Gegenstand von eingehenden Untersuchungen gemacht. 1884 wurden 100,000, 1888: 50,000 und 1889: 10,000 20-Frankstücke, welche in ganz Frankreich eingesammelt worden waren, auf Gewicht und Feingehalt geprüft. Gleiches geschah mit andern Münzen im J. 1888. Da das Prägungsjahr der untersuchten Münzen bekannt war, so konnte auch bestimmt werden, wie hoch sich die durchschnittlich jährliche Abnutzung stellte.
Der Feingehalt wurde aus leicht erklärlichen Gründen als normal befunden. Dagegen war das Gewicht sämtlicher Münzen zusammengenommen zu gering bei den Stücken (in Prozenten) von
20 | Fr. | in | Gold | 0,34; | 5 | Fr. | in | Silber | 0,63; | 0,5 | Fr. in Silber | 3,16 |
10 | „ | „ | „ | 0,71; | 2 | „ | „ | „ | 1,12; | 10 | Centimes | 3,88 |
5 | „ | „ | „ | 1,21; | 1 | „ | „ | „ | 1,89; | 5 | „ | 4,37 |
Bei den 100- und 50-Frankstücken war der Verlust ein viel geringerer, bei jenen 0,04, bei diesen 0,1 Proz. Diese Stücke gingen aber nicht so rasch von Hand zu Hand wie die kleinern Münzen. Sehr erheblich dagegen war der Verlust bei den 40-Frankstücken, welche nur in den Jahren 1803–39 ausgeprägt worden waren. Dies rührt wohl, da diese Stücke kaum im Verkehr mehr abgenutzt worden sind, nur daher, daß das Gewicht derselben schon bei der Ausgabe aus der Münzstätte der untern Grenze des Remediums nahe stand.
Nachdem das Gewicht jeder einzelnen Münze sowie das durchschnittliche der einzelnen Jahrgänge bestimmt worden war, wurden die gesamten Stücke nach ihrem Gehalt in Klassen eingeteilt. Werden die [628] 20-Frankstücke, deren Gewicht den für die Ausprägung festgesetzten Höchstbetrag von 6,4645 g überschreitet, als schwer, diejenigen, deren Gewicht zwischen 6,4387 g und 6,4645 g (Fehlergrenzen für die Ausprägung) beträgt, als gut, die übrigen, soweit ihr Gewicht nicht unter die tolérance de fabrication (0,993 des Normalgewichts) gesunken ist, als noch gut, und die dann noch verbleibenden Stücke, deren Gewicht kleiner als 6,4045 g ist, als leicht bezeichnet, so waren von den 1884, 1888 und 1889 untersuchten Münzen:
Jahr | in Prozenten der Anzahl | |||
schwer | gut | noch gut | leicht | |
1889 | 0,84 | 34,45 | 57,42 | 7,29 |
1888 | 0,84 | 36,12 | 51,88 | 7,86 |
1884 | 0,17 | 48,46 | 43,10 | 6,97 |
mittleres Gewicht in Tausendteilen des normalen | ||||
1889 | 1004,0 | 999,4 | 995,5 | 990,3 |
1888 | 1004,1 | 999,3 | 995,7 | 990,1 |
1884 | 1003,4 | 999,3 | 995,6 | 990,3 |
Von andern 1884 und 1888 untersuchten Münzen waren
bei den Stücken zu | in Prozenten der Menge | |||
schwer | gut | noch gut | leicht | |
10 Fr. Gold | 0,99 | 7,42 | 45,21 | 46,38 |
5 „ „ | 1,64 | 9,00 | 25,46 | 63,90 |
5 „ Silber | 1,54 | 29,27 | 56,96 | 12,23 |
2 „ „ | 0,32 | 16,25 | 84,43 | – |
1 „ „ | 0,41 | 9,52 | 90,07 | – |
0,5 „ „ | 0,32 | 17,95 | 72,39 | 9,34 |
Von den 5- und 10-Frankstücken wurde demnach ein erheblicher Bruchteil als zu leicht befunden. Nach den Bestimmungen der deutschen Münzgesetze würden gut zwei Drittel der französischen 10-Frankstücke und ein noch größerer Bruchteil der 5-Frankstücke einzuziehen und umzuschmelzen sein. Nun ist freilich die Hauptmünze des Verkehrs das 20-Frankstück. Von sämtlichen bis Ende 1887 in Frankreich ausgeprägten Goldmünzen machten aus die
100 | Frankstücke | 0,7 | Proz. |
50 | „ | 0,5 | „ |
40 | „ | 2,4 | „ |
20 | „ | 82,9 | „ |
10 | „ | 11,1 | „ |
5 | „ | 2,4 | „ |
Von den untersuchten 20-Frankstücken waren 7,3 Proz. nach französischer Auffassung zu leicht, 47,8 Proz. noch gut. Nach den Bestimmungen der deutschen Münzgesetzgebung würden etwa 30 Proz. als zu leicht befunden werden.
Ein sehr wertvolles Material bieten nun noch die französischen Untersuchungen zur Bestimmung der jährlichen Abnutzung der Münzen und damit der Zeitdauer, binnen welcher das Gewicht unter das Passiergewicht zu sinken pflegt. Nach Feer-Herzog ist die Abnutzung der 20-Frankstücke jährlich 0,2 pro Mille. Hiernach würde die Umlaufszeit der deutschen 20-Markstücke auf etwa 12,5–37,5, im Mittel für normal ausgeprägte Münzen auf 25 Jahre anzunehmen sein. Nach den uns von der französischen Regierung gebotenen Zahlen würde sich jedoch die Abnutzung nicht so hoch stellen. Untersucht wurden Münzen aller Prägungsjahre von 1803 ab bis zur Gegenwart. Nun war aber die Abnutzung der Münzen, welche aus der Zeit 1803–47 stammten, eine verhältnismäßig geringere als die der Münzen der Zeit von 1847 bis 1889. Dies rührt wohl daher, daß die Goldmünzen in den ersten 4–5 Jahrzehnten dieses Jahrhunderts sorgfältiger behütet wurden und weniger oft von Hand zu Hand gingen als in der spätern Zeit. Erst mit den 40er Jahren wird die Gewichtsverminderung von Jahr zu Jahr eine derartige, daß von hier ab das Vorhandensein gleichbleibender Bedingungen für die Abnutzung unterstellt werden darf. Unter dieser Voraussetzung berechnet sich eine durchschnittlich jährliche Abnutzung von 0,13 pro Mille, d. h. von 1 kg Gold würden jährlich 0,13 g verloren gehen, oder bei einer im Umlauf befindlichen Münzmenge von 2 Milliarden Frank stellt sich der jährliche Verlust auf 260,000 Frank.
Ist, was nicht unwahrscheinlich, die Abnutzung der deutschen 20-Markstücke die gleiche wie die der französischen 20-Frankstücke, so würde sich die Umlaufszeit derselben auf 18–54 Jahre, im Mittel (für die normal ausgeprägten Münzen) auf 36 Jahre stellen. Bei den bis jetzt eingezogenen Münzen wäre die Abnutzung eine überdurchschnittliche gewesen. Zur Bestimmung der wirklichen Abnutzung deutscher Münzen werden die jährlich stattfindenden Einziehungen in Zukunft ein wertvolles Material liefern.