MKL1888:Luftfeuchtigkeit
[592] Luftfeuchtigkeit (Sättigungsdefizit). Die atmosphärische Feuchtigkeit wurde bis jetzt ausschließlich als absolute und relative Feuchtigkeit bestimmt. Die erstere wird als die Spannkraft des Wasserdampfes am Orte der Beobachtung angegeben und vermittelst eines Psychrometers oder eines Taupunkthygrometers in Millimetern Quecksilberdruck bestimmt. Außerdem kann sie auch statt dessen als Gewicht des Wasserdampfes in 1 ccm Luft ausgedrückt werden. Dabei findet es sich zufälligerweise, daß die Spannkraft des Wasserdampfes in Millimetern Quecksilberdruck und das Gewicht des Wasserdampfes in 1 ccm Luft in Grammen ungefähr denselben Zahlenwert besitzen. Die relative Feuchtigkeit gibt das Verhältnis zwischen dem in der Luft vorhandenen Wasserdampf und der bei der augenblicklichen Temperatur möglichen Dampfmenge an und wird stets in der Weise bezeichnet, daß die vorhandene Dampfmenge in Prozenten der möglichen Dampfmenge ausgedrückt wird. Zu diesen beiden Formen für die atmosphärische Feuchtigkeit ist in neuerer Zeit noch eine dritte hinzugekommen, nämlich die Angabe des Sättigungsdefizits, auf welches zuerst Buys-Ballot, später Wild hingewiesen, und das von Flügge und Deneke bei Untersuchungen über die hygienischen und therapeutischen Wirkungen der L. in Betracht gezogen ist. Das Sättigungsdefizit gibt diejenige Dampfmenge an, welche bei den vorhandenen Temperaturverhältnissen die Luft noch aufzunehmen im stande ist, und drückt dieselbe ebenso wie die absolute Feuchtigkeit in Millimetern Quecksilberdruck aus. Dasselbe wird daher durch die Differenz der möglichen und der wirklich vorhandenen Dampfmenge angegeben. Trotzdem die Feuchtigkeitsverhältnisse der atmosphärischen Luft durch jede der genannten drei Größen bestimmt werden, so haben dieselben doch sowohl meteorologisch als auch klimatologisch eine verschiedene Bedeutung, welche sich zunächst durch die Unterschiede ihres Ganges in der täglichen und jährlichen Periode kenntlich macht.
Die absolute Feuchtigkeit zeigt in der täglichen Periode nur eine geringe Schwankung und schließt sich in ihrer Jahresperiode dem Gange der Temperatur ziemlich genau an. In Norddeutschland hat sie im Januar ihren kleinsten, im Juli ihren größten Wert und zeigt beim allmählichen Fortschreiten vom Minimum zum Maximum anfangs einen langsamern Anstieg als beim Abstieg zum Minimum. Der mittlere Dampfdruck hat für die vier Jahreszeiten verschiedene Werte. Eine bedeutendere Veränderung tritt ein beim Übergang vom Frühling zum Sommer, eine geringere vom Sommer zum Herbst und die kleinste vom Winter zum Frühling. Das Jahresmittel der absoluten Feuchtigkeit schwankt in Norddeutschland etwa zwischen 6,1 und 7,8 mm, und zwar nimmt ihre Größe im allgemeinen von W. nach O. ab, während die jährliche Amplitude, d. h. die Differenz zwischen dem größten und kleinsten mittlern monatlichen Dampfdruck, im O. größer ist als im W.
Abweichend hiervon zeigt die relative Feuchtigkeit in der täglichen Periode eine bedeutende Schwankung, und zwar ist sie in der wärmern Tageszeit kleiner und in der kältern Tageszeit größer. Auch in der jährlichen Periode ist der Gang der relativen Feuchtigkeit weniger gleichmäßig als der der absoluten. Ihr mittlerer Wert ist im Sommer am kleinsten, im Winter am größten, das Maximum fällt auf den Dezember oder Januar, das Minimum meistens auf den Mai. Das Anwachsen vom Minimum zum Maximum erfolgt an den meisten Orten anfangs langsamer und tritt erst später, etwa vom September an, ziemlich rasch auf. Das Jahresmittel hat an den Küsten und in deren Nachbarschaft den größten Wert und nimmt in Norddeutschland von W. nach O. ab. Die Amplitude der jährlichen Schwankung nimmt umgekehrt von W. nach O. zu und ist überhaupt da am kleinsten, wo das Jahresmittel den größten Wert hat. In der Höhe ist das Jahresmittel größer und die jährliche Schwankung kleiner als in der Ebene.
Für das Sättigungsdefizit ist die tägliche Periode noch nicht hinlänglich zu bestimmen möglich gewesen, doch kann bereits ausgesprochen werden, daß dasselbe am Abend größer als am Morgen ist und sich überhaupt an den Gang der Temperatur anzuschließen scheint. Wenigstens in der jährlichen Periode schließt sich dasselbe nach den Untersuchungen von Hugo Meyer in Norddeutschland ebenso wie die absolute Feuchtigkeit dem Gange der Temperatur ziemlich genau an. Der kleinste Wert tritt im Winter (im Dezember oder meist im Januar, also im kältesten Monat) ein, der größte fällt in den Sommer, in den Juli, also in den wärmsten Monat. Wird die Trockenheit des Klimas nach der Größe des Sättigungsdefizits bestimmt, so ist der Sommer die trockenste, der Winter die feuchteste Jahreszeit, der Frühling ist trockner als der Herbst. Die Jahresamplitude ist im Binnenland größer an der Küste, im O. größer als im W. und außerdem in der Ebene größer als an höher gelegenen Orten. Aus allem diesen ergibt sich, daß das Sättigungsdefizit vorzugsweise von der Temperatur abhängig ist, und zwar in der Weise, daß der höhern Temperatur auch ein größeres Sättigungsdefizit entspricht. Abweichungen hiervon treten an einzelnen Orten auf, finden aber hier ihre Erklärung in den Verhältnissen der Bewölkung und der herrschenden Winde, indem einer größern Bewölkung ein kleineres Sättigungsdefizit entspricht und durch vorherrschende trockne Winde das Sättigungsdefizit erhöht und durch feuchte Winde erniedrigt wird.
Klimatologisch besitzt die absolute Feuchtigkeit ein viel geringeres Interesse als die relative und erscheint außerdem auch als Ausdruck für die Wirkung der atmosphärischen Feuchtigkeit auf den Organismus als nicht brauchbar. Die Luft kann nämlich als trocken bezeichnet werden und doch mehr Wasserdampf enthalten als ein andres Mal, wo sie als feucht gelten muß, wenn nur die Temperatur in beiden Fällen sehr verschieden ist. So fand z. B. Rohlfs in der Libyschen Wüste (Oase Kufra) 14. Aug. bei einer Lufttemperatur von 38,9° den Stand des feuchten Thermometers auf 18,9°, so daß die absolute Feuchtigkeit = 4,5 mm, die relative = 9 Proz. und das Sättigungsdefizit = 47 mm war. Trotzdem die Luft von einer selten vorkommenden Trockenheit [593] war, hatte die absolute Feuchtigkeit doch einen Wert, der gleich dem der feuchten Winterluft im westlichen Europa ist, wobei aber die relative Feuchtigkeit 80 bis 90 Proz. beträgt.
Die relative Feuchtigkeit übt sowohl auf die Vegetation als auch auf Menschen und Tiere einen eingreifenden Einfluß aus. Sie bestimmt das, was man die Evaporationskraft des Klimas nennt, und welche die Stärke der Verdunstung bedeutet, mit der das Wasserbedürfnis der Organismen proportional ist. Freilich ist dabei die relative Feuchtigkeit allein nicht maßgebend, sondern es müssen außerdem auch noch die Temperaturverhältnisse berücksichtigt werden. So ist eine relative Feuchtigkeit von 30 Proz. bei 25° Luftwärme weder klimatisch gleichwertig mit einer von 30 Proz. bei −10°, noch übt sie in diesen beiden Fällen dieselbe Wirkung auf den Organismus aus. Auch in Bezug auf die Evaporationskraft der Luft kann aus der relativen Feuchtigkeit allein ohne Berücksichtigung der vorhandenen Temperatur nicht geschlossen werden, und wenn oben gesagt ist, daß in der Jahresperiode der Mai die geringste relative Feuchtigkeit besitzt, so kann die oft daraus abgeleitete Folgerung, daß der Mai der trockenste Monat ist und nicht der Juli, sich eben nur ergeben, wenn die gleichzeitig herrschende Temperatur unberücksichtigt gelassen wird.
Um die Wirkung der Feuchtigkeitsverhältnisse auf den Organismus unabhängig von der Lufttemperatur bestimmen zu können, ist von Flügge das Sättigungsdefizit in die Hygiene eingeführt und von Deneke weiter benutzt worden, doch ist auch bei ihm derselbe Wert für verschiedene Temperaturen nicht gleichwertig. So sind unsre heitern Wintertage bei strengem Frost und frischen nördlichen oder östlichen Winden als trocken zu charakterisieren, während im Sommer die Tage mit hoher Temperatur und schwüler Luft als feucht zu bezeichnen sind. Trotzdem ist das Sättigungsdefizit an den erstern kleiner als an den letztern und würde ebenso wie die relative Feuchtigkeit erst einen richtigen Einblick in die Feuchtigkeitsverhältnisse der Luft geben, wenn gleichzeitig auf die Temperatur Rücksicht genommen wird. Nichtsdestoweniger kann nicht geleugnet werden, daß die Einführung des Sättigungsdefizits einen Fortschritt bedeutet, und daß es zweckmäßig sein dürfte, dasselbe namentlich bei den Untersuchungen über die Wirkung der Luftfeuchtigkeit auf den Organismus in Betracht zu ziehen.
Welche Bedeutung das Sättigungsdefizit auch in klimatologischer Beziehung besitzt, ist aus der Anwendung ersichtlich, welche Hugo Meyer bei einer Untersuchung des Föhn zu Bludenz von demselben gemacht hat. Wenn auch die Temperatursteigerung beim Winterföhn größer ist als beim Sommerföhn, so wirkt dieser doch viel stärker austrocknend als jener. Nach der Abnahme der relativen Feuchtigkeit, welche beim Winterföhn größer als beim Sommerföhn ist, könnte man glauben, daß die Evaporationskraft beim Föhn im Winter größer sein müßte als im Sommer. Das Sättigungsdefizit beweist aber gerade das Gegenteil, denn dieses besitzt beim Sommerföhn die größern Werte. Trotzdem folgt daraus aber durchaus nicht, daß der Föhn im Sommer dem Menschen lästiger sein muß als im Winter, was in der That in den meisten Fällen nicht der Fall ist, weil sich in der wärmern Jahreszeit der Körper an ein höheres Sättigungsdefizit und an größere Schwankungen desselben gewöhnt hat und daher für seine Wirkungen weniger empfänglich sein wird.