MKL1888:Lotterie
[926] Lotterie (franz. loterie, von lot, Los), ein Glücksspiel, welches in einzelnen Ländern nur vom Staat selbst, in andern wenigstens unter Aufsicht desselben veranstaltet wird, und bei welchem man durch die Zahlung eines Einsatzes die Aufsicht auf einen Gewinn erwirbt. Man unterscheidet zwei Arten dieses Spiels: die alte holländische oder Klassenlotterie (auch schlechthin L. genannt) und die genuesische oder Zahlenlotterie (Lotto). Bei der Klassenlotterie ist die Anzahl und Größe sowohl der Einsätze (Lose) als auch der Gewinne planmäßig festgestellt. Um dem Publikum die Teilnahme zu erleichtern, werden nicht nur neben den ganzen Losen auch halbe, Viertel- und Achtellose (in Preußen nur Viertel, in Sachsen auch Zehntel) ausgegeben, sondern es wird auch die Ziehung aller zusammengehörigen Lose in mehrere Zeitabschnitte verlegt, so daß der Spieler den Betrag seines Loses ratenweise für jede Ziehung (Klasse) entrichten kann, ohne jedoch zur Fortsetzung des Spiels bis ans Ende gezwungen zu sein. Oft wird ihm, wenn sein Los in der ersten Ziehung herauskommt, ein Freilos für die nächste gegeben. Die nicht untergebrachten Lose spielen auf Rechnung der Unternehmer. In den auf bestimmte Tage festgesetzten Ziehungen werden sämtliche Nummern in ein Glücksrad, ebenso die Gewinne mit oder ohne Nieten in ein andres Glücksrad gethan. Nun wird zu gleicher Zeit, gewöhnlich von zwei Waisenknaben mit verbundenen [927] Augen, von dem einen eine Nummer aus dem einen Rad und von dem andern ein Gewinn oder eine Niete aus dem andern Rad gezogen. Oft werden in den ersten Klassen nur Gewinne gezogen, in der letzten aber Gewinne und Nieten, oft aber umgekehrt. Für die letzte Ziehung wird immer ein sehr ansehnlicher Gewinn als höchster aufgespart, der als großes Los die Erwartungen der Spielenden in Spannung erhält. Die in einer Klasse gezogenen Nummern werden durch gedruckte Listen, Lotterielisten, öffentlich bekannt gemacht. Zur Deckung der Unkosten, Bezahlung des Kollekteurs, und um einen Vorteil für die Unternehmung zu erhalten, wird von jedem Gewinn ein Abzug gemacht, der sich auf 15–16 Proz. zu belaufen pflegt. Diese Summe verliert notwendig die Gesamtheit der Spieler. Auch der Einzelne würde nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit ebensoviel verlieren, wenn er sich genügend lange Zeit hindurch am Spiel beteiligen könnte. Klassenlotterien als Staatslotterien bestehen in Preußen (190,000 Lose zu je 168 Mk., mit 6 Mill. Mk. Reingewinn für die Staatskasse), in Sachsen (100,000 Lose zu je 200 Mk. und 5 Mk. Schreibgeld, mit 41/2 Mill. Mk. Reingewinn für die Staatskasse), in Braunschweig (98,000 Lose zu je 120 Mk.), in Hamburg (veränderliche Anzahl von Losen, zur Zeit 100,000 zu je 120 Mk.) und in Mecklenburg-Schwerin (19,500 Lose zu je 120 Mk.). In mehreren Staaten ist das Spielen in fremden Klassenlotterien verboten. Die Veranstaltung einer Privatlotterie ist meist an staatliche Erlaubnis geknüpft, welche nur für wohlthätige, wissenschaftliche und künstlerische Zwecke und zwar unter der Bedingung erteilt zu werden pflegt, daß nur Wertgegenstände (keine Geldgewinne) ausgelost werden.
In rechtlicher Beziehung ist das Lotteriegeschäft eine Art Hoffnungskauf, zu dessen Erfordernissen gehört: daß eine L. ordnungsmäßig, namentlich unter obrigkeitlicher Erlaubnis, errichtet sei, wie denn das deutsche Reichsstrafgesetzbuch (§ 286) das Veranstalten von öffentlichen Lotterien und von öffentlichen Ausspielungen ohne Erlaubnis mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu 3000 Mk. bedroht. Der Lotterievertrag wird in der Regel durch Übernahme eines Originalloses gegen Berichtigung des planmäßigen Einsatzes abgeschlossen. Wer ein solches Los besitzt und zum Spielen behält, gilt für dessen Eigentümer. Werden Lose ohne Bestellung angeboten, so muß unzweifelhafte Annahme der Offerte vorliegen, entweder laut Offertbriefs oder in Gemäßheit eines bereits bestehenden Geschäftsverhältnisses. Die Zusendung unbestellter Lose erfolgt ganz auf Gefahr des Zusenders. Das bloße Liegenlassen solcher Lose verpflichtet den Empfänger nicht zur Zahlung des Einsatzes, berechtigt ihn aber auch nicht zum Bezug darauf gefallener Gewinne. Grundlage des Rechtsverhältnisses zwischen Unternehmung und Spieler ist der Ziehungsplan. Der Gewinner kann den Unternehmer oder auch den Kollekteur um Zahlung angehen; meist ist dieses Wahlrecht auf eine bestimmte Frist beschränkt, nach deren Ablauf nur noch der Kollekteur angegangen werden darf.
In die Kategorie der Klassenlotterie gehören auch die sogen. Lotterieanlehen oder Prämienanlehen, d. h. diejenigen öffentlichen Anlehen, deren Verzinsung und Tilgung, teilweise oder ganz, durch nach einem festgesetzten Ziehungsplan vorgenommene Verlosung von Gewinnen (Prämien, so werden jedoch auch überhaupt die Summen genannt, welche auf ein gezogenes Los entfallen, selbst wenn sie keinen Gewinn enthalten) bewirkt wird. Für letztere wird ein Teil der Zinsen oder die gesamte Zinssumme, seltener auch ein Teil des Kapitals selbst verwandt. Bei verbreiteter Neigung zum Glücksspiel finden diese Lotterien bereitwillige Aufnahme beim Publikum und bieten infolgedessen dem Staate den Vorteil, daß das Anlehen zu einem verhältnismäßig hohen Kurs begeben werden kann. Wenn sie auch viele Kapitalien einem regelmäßigen Zinsgenuß entziehen, so geben sie doch Gelegenheit, kleine Summen zu sparen, wenn nämlich, wie dies meist üblich ist, die kleinsten Gewinne noch über dem eingezahlten Satz stehen und selbst bis gegen Ende der Verlosung hin wachsen. In diesem Fall unterscheiden sich die Lotterieanlehen wesentlich von den gemeinen Lotterien, bei denen der Gewinn des einen nur durch den Verlust des andern ermöglicht wird, während ein teilweiser Verlust an Zinsen nicht so schwer empfunden wird. Auf der einen Seite wird dem Bedürfnis nach Verzinsung des Kapitals, auf der andern dem des Spiels genügt. In einigen Fällen werden auch den Losen Zinskoupons beigegeben und jährliche Zinsen entrichtet, statt daß alle Zinsen für die bei den jeweiligen Verlosungen stattfindenden Rückzahlungen aufgespeichert werden. Dies hat den Vorteil, daß auf diesem Wege größere Summen begeben werden können, weil niemand sein ganzes Kapital oder einen großen Teil desselben in Papieren anlegen wird, welche nicht regelmäßig Zinsen tragen. Bei fast allen Lotterieanlehen werden die Lose, oft Prämienlose genannt, in Serien geteilt (etwa Nr. 1–1000 als erste, 1001–2000 als zweite Serie etc.). Vor der Nummernziehung finden eine oder mehrere Serienziehungen statt. Da nun im voraus bestimmt ist, welche Nummern in jeder Serie enthalten sind, so steigen die in einer gezogenen Serie enthaltenen Nummern (Serienlose) im Kurs bis zu demjenigen Betrag, welchen man durch Division der für die ganze Serie zur Rückzahlung bestimmten Summe durch die Zahl der Nummern erhält; ja, sie kommen in der Zwischenzeit bis zur Ziehung der Nummern wenig mehr auf den Markt. In Deutschland fanden von jeher nicht allein die von Preußen, Baden, Kurhessen, Oldenburg, sondern auch die von fremden Ländern und Städten begebenen Prämienlose willige Abnehmer. Doch dürfen im Deutschen Reich nach dem Gesetz vom 8. Juni 1871 neue Inhaberpapiere mit Prämien nur auf Grund eines Reichsgesetzes und nur für Anleihen eines Bundesstaats oder des Reichs ausgegeben werden. Von ausländischen Prämienanlehen, die vor dem 1. Mai 1871 emittiert sind, dürfen diejenigen Stücke, die bis 15. Juli 1871 gegen eine Gebühr von 1/2–1 Mk. zur Abstempelung vorgelegt wurden, frei in Deutschland kursieren. England kennt die Prämienanlehen nicht; in Frankreich kommen sie nur bei Gemeinden vor. Bezüglich der an die Prämienpapiere sich anschließenden Heuer- oder Promessengeschäfte vgl. Heuer, S. 495.
Bei der Zahlenlotterie (Lotto) werden aus einem Glücksrad, in welchem sich die Zahlen von 1–90, die sogen. Nummern, einzeln in Kapseln verschlossen befinden, an festgesetzten Tagen je 5 Nummern gezogen, welche gewinnen, während alle andern verlieren, und zwar erhalten die Spieler, welche auf jene Nummern gesetzt hatten, ein Vielfaches ihres Einsatzes. Der Spieler kann entweder eine einzige Nummer (bez. mehrere einzelne) besetzen, indem er darauf wettet, daß sie überhaupt mit gezogen wird (simpler Auszug, estratto, estra), oder daß sie an einer bestimmten Stelle (etwa zuerst oder zu dritt oder zuletzt) herauskommt (auf den Ruf setzen), oder [928] er kann 2 (Ambe), 3 (Terne), 4 (Quaterne) oder gar 5 (Quinterne) Nummern besetzen und darauf wetten, daß eben diese 2, 3, 4 oder 5 Nummern zusammen gezogen werden. Die Nummern können zwar mit beliebig hohen Summen besetzt werden, doch behält sich die Lottokasse für den Fall der Überhäufung eine Beschränkung vor. Für alle diese Fälle stehen besondere Gewinne in Aussicht, die, wenn die Lottokasse auf jeden Vorteil verzichtete, sich umgekehrt zu dem Einsatz verhalten müßten wie die gegenseitigen Wahrscheinlichkeiten, zu gewinnen. Da nun das Glücksrad 90 Zahlen enthält, so ist die Wahrscheinlichkeit, eine gezogene Nummer zu erraten, = 1/90, oder es werden durchschnittlich 90 Nummern gezogen werden müssen, bis eine bestimmte herauskommt. Werden nun 5 Nummern gezogen, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß unter diesen eine besetzte Nummer sich befindet, 5/90 oder 1/18. Für den Spieler ist demnach nur ein Fall, für die Kasse aber sind 17 Fälle günstig, weshalb dieselbe eigentlich dem gewinnenden Spieler außer seinem Einsatz noch das Siebzehnfache desselben vergüten müßte. Bei einem bestimmten Auszug verringert sich die Wahrscheinlichkeit, zu gewinnen, für den Spieler auf 1/90, und er müßte demnach im Fall des Gewinnens das 90fache seines Einsatzes zurückerhalten. In Wirklichkeit wird aber weniger, in Österreich für den unbestimmten einfachen Auszug das 14-, für den bestimmten das 57fache gezahlt. In derselben Weise ergeben sich die Gewinne für die Amben, Ternen etc. Aus 90 Zahlen lassen sich nach der Kombinationslehre 4005 verschiedene Amben, 117,480 Ternen, 2,555,190 Quaternen und 43,949,268 Quinternen zusammensetzen. Da nun in den gezogenen 5 Nummern 10 Amben, 10 Ternen, 5 Quaternen und 1 Quinterne enthalten sind, so müßten die von der Lottokasse ausgesetzten Gewinne einschließlich des Einsatzes für eine Ambe das 4001/2fache, für eine Terne das 11,748fache, für eine Quaterne das 511,038fache und für eine Quinterne das 43,949,268fache betragen. Statt dessen aber gewähren die Lottokassen für Ambe, Terne und Quaterne je nur rund das 250-, 5000- und 64,000fache, während die Besetzung der Quinterne meist nicht gestattet ist. Die Gesamtheit der Spieler kann demnach im Durchschnitt nicht gewinnen, die Kasse aber nicht verlieren. Ziemlich verbreitet ist die Annahme, dem Spieler stehe doch ein sicherer Gewinn in Aussicht, wenn er nur beim Spiel ausharre und seinen Einsatz von Ziehung zu Ziehung erhöhe. Dieselbe ist nicht begründet. Denn um nur die Wahrscheinlichkeit für sich zu haben, daß die besetzte Nummer auch wirklich einmal gezogen wird, müßte die Erhöhung schon eine größere Zahl von Spielen hindurch stattfinden. Dies scheitert einmal an der Begrenztheit des Vermögens, dann aber auch daran, daß die Kasse sich vorbehält, zu hohe Einsätze auf eine Nummer zurückzuweisen. Große Summen werden im Lotto außerordentlich selten gewonnen. Wie hoch übrigens die Verluste des spielenden Publikums im ganzen sind, beweisen die erheblichen Einnahmen, welche die Lottokasse erzielt. In Bayern hatte, solange das (jetzt aufgehobene) Lotto dort bestand, nur ein einziges Mal (1853) die Kasse einen Verlust (70,000 Gulden), sonst stets einen jährlichen Reingewinn von mehr als 1 Mill. Guld. (1859 von 3,389,320 Guld.) gehabt. Heute besteht das Lotto noch in Österreich (1884: 40 Mill. Mk. Gesamt- und 151/2 Mill. Mk. Reineinnahme), in Ungarn (1884: 71/2 Mill. Mk. Gesamt- und 31/2 Mill. Mk. Reineinnahme) und in Italien (1884: 58 Mill. Mk. Gesamt- und 181/2 Mill. Mk. Reineinnahme).
Sowohl in volkswirtschaftlicher als in moralischer Hinsicht ist das Lotteriespiel, wie jedes andre Glücksspiel, verwerflich. Es veranlaßt für Tausende unvermeidliche Verluste und teilt dafür Gewinne aus, die, wenn sie klein sind, wieder auf die L. verwendet werden, wenn sie groß sind, in der Regel dem Gewinnenden keinen Segen bringen. Noch nachteiliger ist aber die moralische Wirkung. Die L. nährt die Aussicht und den Hang, ohne Mühe reich zu werden, sie fördert die Gewohnheit, auf unbestimmte Glücksfälle, statt auf Fleiß und Einsicht zu bauen, sie bietet dem Aberglauben Nahrung und führt nicht selten den unglücklichen Spieler selbst den Weg zum Verbrechen. Übrigens ist das Lotteriespiel um so verderblicher, je mehr es durch Kleinheit der Einsätze, Teilbarkeit der Lose etc. auch den Ärmern zugänglich ist, und je mehr es durch Häufigkeit der Ziehungen den Spieler geistig beschäftigt, also das Zahlenlotto viel mehr als die Klassenlotterie. Die Klassenlotterie kam schon gegen das Ende des Mittelalters auf, wurde jedoch anfangs und namentlich noch während des 16. Jahrh. gewöhnlich für wohlthätige Zwecke angestellt. So war in London die erste Ziehung 1569 und der Überschuß zum Unterhalt der Seehäfen bestimmt, in Paris 1572 zur Ausstattung armer Jungfrauen. Das Lotto stammt aus Genua, wo bei Ergänzung des Großen Rats aus je 90 Namen 5 gelost wurden; dies gab Veranlassung, auf die einzelnen Kandidaten Wetten anzustellen. Später wurde hieraus, indem man statt der Namen bloße Zahlen anwendete, das förmliche Lotto, welches aber erst im 18. Jahrh. auch außerhalb Genua Eingang fand. Frankreich und England haben indessen schon seit längerer Zeit dem Glücksspiel in jeder Form einen Riegel vorgeschoben; in Deutschland hat man einen wichtigen Schritt in dieser Beziehung durch Aufhebung der Spielbanken in Bädern gethan. Vgl. Bender, Das Lotterierecht (2. Aufl., Gießen 1841); Wild, Die europäischen Lotterieanleihen (Leipz. 1865); Derselbe, Die öffentlichen Glücksspiele (München 1862); Endemann, Beiträge zur Geschichte der L. etc. (Bonn 1882).
L. heißt auch ein beliebtes Unterhaltungs-Glücksspiel mit Karten. Jeder Mitspieler nimmt sich von den 32 Blättern einer deutschen Karte eine oder mehrere (gewöhnlich 2) und gibt dem Bankhalter pro Blatt einen bestimmten Einsatz. Mit einer zweiten Karte besorgt dann der Bankhalter das Abziehen von 9 Blättern so, daß 4 Paare untereinander gelegt werden; das neunte Blatt ist das „große Los“. Für jede Karte des ersten Paares hat der Bankier den einfachen, für jede des zweiten Paares den doppelten, für jede des dritten Paares den dreifachen, für jede des vierten Paares den vierfachen und für das große Los den neunfachen Einsatz zu bezahlen. Nach jeder solchen Tour können die Spieler ihre Karten wechseln, während der Bankier die gezogenen Blätter wieder einmischt und frische Einsätze zieht.