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MKL1888:Linde

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Linde“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 800802
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Wiktionary: Linde
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Linde. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 800–802. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Linde (Version vom 03.12.2024)

[800] Linde (Tilia L., hierzu Tafel „Linde“), Gattung aus der Familie der Tiliaceen, große Bäume mit meist schief herzförmigen, gesägten Blättern, in Trugdolden stehenden und mit dem allgemeinen Stiel einem länglichen und schließlich gelblichen Deckblatt angewachsenen Blüten, in welchen außer Kelch und Krone oft noch eine zweite Reihe Blumenblätter, sogen. Staminodien, sich finden, und ein- oder zweisamiger Nuß.

I. Blüten ohne Staminodien. Die kleinblätterige L. (Winterlinde, Steinlinde, T. ulmifolia Scop., T. parvifolia Ehrh., s. Tafel „Linde“), ein bis 25 m hoher Baum mit zweizeiligen, gestielten, schief rundlich-herzförmigen, zugespitzten, doppelt gesägten, auf der Unterfläche nur in den Winkeln der Hauptnervenäste rostfarbenbärtigen, sonst blaugrünen Blättern, fünf- bis elfblütiger Trugdolde, durch Umwendung des Flügelblattes nach oben gerichtet, blaßgelben oder weißlichen Blüten und meist rundlicher, glatter Frucht, findet sich in ganz Europa bis zum Ural und in den Kaukasusländern und ist in unsern Wäldern sehr verbreitet; ausgedehnte Bestände bildet sie besonders im Osten. Die großblätterige L. (Sommerlinde, Wasserlinde, holländische L., T. platyphylla Scop., T. grandifolia Ehrh.), ein bis 30 m hoher Baum mit doppelt gesägten, unten behaarten und meist heller als oben gefärbten Blättern, zwei- bis fünfblütigen, hängenden Trugdolden und deutlich fünfrippiger Frucht, findet sich wild vielleicht nur in den Wäldern jenseit der Donau im Osten, eingesprengt in Wäldern in Süddeutschland und Österreich, Bestände bildend nur in Ungarn, ist aber bei uns durch Anpflanzungen allgemein verbreitet und variiert in der Gestalt der Blätter und Früchte so stark, daß man mehrfach verschiedene Arten in ihr vermutete. In den Gärten unterscheidet man zahlreiche Varietäten. Sie blüht früher als die vorige Art und schlägt auch früher aus. Die Zwischenlinde (T. vulgaris Hayne), mit doppelt gesägten, auf der Unterseite wenig hellern und nur in den Winkeln der Hauptnervenäste graugrünbärtigen Blättern, vielblütigen Trugdolden und eirundlicher, mit abstehendem Filz bedeckter Frucht, findet sich ziemlich verbreitet in Nord- und Mitteleuropa. Die Winterlinde bevorzugt den mehr frischen als trocknen Waldboden der niedern Vorberge und der Ebenen; sie ist über ganz Deutschland bis weit nach Nordosten verbreitet, während die Sommerlinde mehr südlich und westlich vorkommt. Zur Erziehung starker Lindenpflänzlinge säet man im Saatbeet auf gut vorbereitetem Boden in 5 cm tiefe Rillen den Samen ganz dicht, so daß Korn an Korn liegt, und bedeckt ihn 1 cm tief. Der Same keimt meistens erst im

[Beilage]

[Ξ]

Linde.
Winterlinde (Tilia ulmifolia).
1. Blühender Sproß. – 2. Blüte. – 3. Durchschnitt derselben. – 4. Frucht. – 5. Same, längsdurchschnitten. – 6. Triebspitze mit Knospen. – 7. Keimpflanze. – 8, 9, 10. Entfaltung der Lindenknospe.

[801] zweiten Jahr. Die zweijährigen Pflänzchen werden umgepflanzt (verschult); zur Erziehung starker Pflänzlinge empfiehlt sich eine zweite Umlegung im Pflanzbeet etwa im fünften Lebensjahr. Vor dem zehnten Jahr sind die Pflanzen selten als Alleebäume brauchbar. Die L. zeigt von Jugend an ein freudiges Wachstum und bildet einen anfangs fast immer vollkommen walzenrunden Stamm, der schon in geringer Höhe Äste ausschickt, welche sich gern flach schirmförmig ausbreiten. Die Krone wölbt sich frühzeitig ab und wird mit dem Alter immer dichter und umfangreicher. Die tief eingreifende und sich weit verzweigende Wurzel befähigt die L., den stärksten Stürmen zu trotzen. Sie zeigt überhaupt große Widerstandsfähigkeit gegen allerlei Unbilden ihres Standorts, leidet von Krankheiten und Feinden kaum, und nur das Wild und Weidevieh benagt gern ihre Triebe. Sie besitzt am Stamm und Stock großes Ausschlagvermögen und bildet daher oft große Maserknoten. Im hohen Alter wird sie leicht kernfaul; doch finden sich auch ganz gesunde 400–500jährige Bäume, und überhaupt erreicht die L. von allen unsern Waldbäumen das höchste Alter. Man sieht sie dann häufig zur Trägerin von Galerien, zuweilen mehrfach übereinander liegenden, benutzt, und die schweren, oft sehr flach ausgebreiteten Äste werden durch Pfeiler gestützt. Die L. zu Donndorf bei Baireuth, welche 1849 den letzten ihrer Hauptäste verlor, wurde auf mehr als 1230 Jahre geschätzt; 1390 soll sie schon 24 Ellen im Umfang gehabt haben. Linden von 300–500 Jahren scheinen in Deutschland nicht eben selten zu sein. Die Rinde ist anfangs ziemlich glatt und glänzend, düster rotbraun, wird später borkig, ziemlich tief in Borkentafeln aufgerissen, in hohem Alter tief furchenrissig. Man benutzt sie in Rußland zu Schlittenkörben, Wagenkasten, zum Decken der Gebäude etc. Den unter der äußern Rinde liegenden sehr entwickelten Bast schält man im Mai von 20–30jährigen gefällten Stangenhölzern in Streifen von 6–9 cm Breite, röstet ihn wie Flachs im Wasser und befreit ihn durch Klopfen und Waschen von den leichter zersetzbaren Bestandteilen, so daß nur die ein feines Maschennetz bildenden, sehr dickwandigen Bastzellen übrigbleiben, worauf man die einzelnen Jahreslagen voneinander trennt. In Rußland, welches den meisten Lindenbast liefert, fertigt man daraus Körbe, Decken etc., besonders aber die zum Verpacken von Waren dienenden Bastmatten. Ein Baum von 10 m Höhe und 30–40 cm Durchmesser liefert 45 kg Bast, für 10–12 Matten ausreichend. Rußland liefert jährlich 14 Mill. Stück Matten. Das Lindenholz (meist von T. parvifolia) ist ungemein weich und locker, weiß, oft mit einem Stich ins Rötliche, von gleichmäßigem Gefüge, mit kleinen Spiegeln und Jahresringen; es ist gut schneidbar, spaltet leicht, aber nicht eben und glänzt etwas auf frischer Radialfläche. Trocken dauert es sehr lange aus, feucht geworden oder unter Wasser geht es bald zu Grunde. Man benutzt es als Schnitz- und Tischlerholz, die Kohle zum Zeichnen; als Brennholz hat es geringen Wert. Die Lindenblüten gewähren den Bienen reichliche Nahrung, sind offizinell und werden als schweißtreibendes Mittel benutzt. Das durch Destillation mit Wasser daraus bereitete Lindenblütenwasser besitzt nur, wenn es aus frischen Blüten bereitet wurde, einen Geruch; irgend welchen Heilwert hat es nicht.

II. Blüten mit Staminodien. Die morgenländische Silberlinde (T. tomentosa Mnch.), aus Ungarn, der europäischen Türkei und Kleinasien, mit auf der Oberseite matten, auf der Unterseite wie an den Blattstielen filzig behaarten, scharf oder eingeschnitten gesägten Blättern von 10 cm Länge, ein- und zweisamiger, eirundspitzer, schwach fünfrippiger Frucht und dichter, eirunder oder rundlicher Krone; die abendländische Silberlinde (T. alba Ait.), aus Nordamerika, mit auf der Unterseite schwach (oft kaum) filzig behaarten, oft 13 cm breiten, scharf gezahnten Blättern, unbehaarten Blattstielen, mehrblütigen Trugdolden u. fünfsamiger, tief fünffurchiger, schwach warziger Frucht. Die Schwarzlinde (T. americana L., T. glabra Vent.), aus dem nördlichen Nordamerika und Kanada, mit auf der Unterfläche meist unbehaarten, scharf gesägten Blättern, welche in ihrer Form vielfach abändern, vielblütigen Trugdolden und rundlicher Frucht, wird wie die beiden vorigen Arten vielfach als Zierbaum angepflanzt. Die Linden sind sehr raschwüchsig und lassen sich selbst als große Bäume sehr gut verpflanzen. Sie ertragen auch das Zurückschneiden oder Kappen und treiben leicht aus dem alten Holz. Die Abarten vermehrt man durch Okulieren auf unsre einheimischen Linden. – Unsre Vorfahren hielten die L. heilig. Alle Dorfangelegenheiten wurden, wie es in einigen Gegenden noch jetzt geschieht, unter einer L. verhandelt. Hier tanzte und spielte die Jugend und ruhte das Alter aus; ja, es wurde sogar dafür gesorgt, daß die Begräbnisplätze von Linden beschattet waren. In neuerer Zeit schien die schnellwüchsige Pyramidenpappel die L. zu verdrängen, aber schon beginnt diese wieder in ihre alten Rechte eingesetzt zu werden. Wegen ihrer Dauerhaftigkeit und ihres Alters kann die L. auch als Merkmal und Grenzzeichen dienen sowie auch zur Befestigung der Festungswälle, wozu man sie namentlich in Holland benutzt.

Linde, 1) Samuel Gottlieb, poln. Sprachforscher, geb. 1771 zu Thorn, studierte in Leipzig, wurde Bibliothekar des Grafen Ossolinski in Wien und kam 1803 als Rektor des Lyceums und Oberbibliothekar nach Warschau, wo er sein berühmtes großes „Wörterbuch der polnischen Sprache“ (Warsch. 1807–14, 6 Bde.; neue Aufl. 1855–59) herausgab. Nachdem er während der Revolution von 1831 als Deputierter von Praga und Mitglied des Reichstags einen sehr gefahrvollen Posten bekleidet hatte, wurde er 1833 bei der Reorganisation des polnischen Schulwesens wieder zum Direktor des Gymnasiums in Warschau sowie zum Vorstand des gesamten Schulwesens im Gouvernement Masovien ernannt, gab indessen schon nach fünf Jahren seine Ämter auf und starb 8. Aug. 1847 in Warschau. Er veröffentlichte noch (in polnischer Sprache): „Grundsätze der Wortforschung, angewandt auf die polnische Sprache“ (Warsch. 1806) und „Über das lithauische Statut“ (das. 1816); ferner: „Geschichtlicher Grundriß der Litteratur der slawischen Völkerstämme“ (Bd. 1, das. 1825) u. a.

2) Justin Timotheus Balthasar von, bedeutender Prozessualist und Staatsmann, geb. 7. Aug. 1797 zu Brilon in Westfalen, studierte zu Münster, Göttingen und Bonn die Rechte, habilitierte sich 1820 an letzterer Universität als Privatdozent, wurde zugleich Mitglied des Spruchkollegiums und folgte 1823 einem Ruf als außerordentlicher Professor der Rechte nach Gießen, wo er 1824 ordentlicher Professor und 1826 Mitglied des Schul- und Kirchenratskollegiums wurde. 1829 ging er als Ministerialrat nach Darmstadt, ward 1832 Kirchen- und Schulrat, dann Direktor des Oberschul- und Studienkollegiums, später großherzoglicher Ministerialrat, 1834 Kanzler der Universität zu Gießen und außerordentlicher [802] Regierungsbevollmächtigter an derselben, jedoch ohne in Gießen seinen Wohnsitz zu nehmen, noch in demselben Jahr Mitglied des Bundesschiedsgerichts, 1835 Mitglied des Staatsrats und 1836, unter Entbindung von seiner Stelle als akademischer Lehrer, Geheimer Staatsrat, 1837 aber wieder Spruchmann beim Bundesschiedsgericht für das zweite Triennium. Durch die Revolution von 1848 außer Thätigkeit gesetzt, wurde er sowohl in die deutsche Nationalversammlung als in das Erfurter Parlament gewählt und trat 1850 als Bevollmächtigter Liechtensteins in den restaurierten Bundestag. Er starb 12. Juni 1870. Die namhaftesten seiner juristischen Schriften sind: „Abhandlungen aus dem deutschen gemeinen Zivilprozeß“ (Bonn 1823–29, 2 Bde.); „Lehrbuch des deutschen gemeinen Zivilprozesses“ (das. 1825, 7. Aufl. 1850); sein auf 5 Bände berechnetes „Handbuch des deutschen gemeinen bürgerlichen Prozesses“, von dem aber nur der 4. und 5. Band: „Über die Lehre von den Rechtsmitteln“ (Gieß. 1831 bis 1840) erschienen sind, und die Schrift „Staatskirche, Gewissensfreiheit und religiöse Vereine“ (Mainz 1845). Außerdem gab L. die „Zeitschrift für Zivilrecht und Prozeß“, das „Archiv für die zivilistische Praxis“ und das „Archiv für das öffentliche Recht des Deutschen Bundes“ (Gieß. 1850–63, 4 Bde.) heraus.

3) Anton van der, Schriftsteller und ausgezeichneter Kenner des Schachspiels, geb. 14. Nov. 1833 zu Haarlem, studierte in Amsterdam und Leiden Theologie, dann in Göttingen Philosophie und Geschichte und wirkte 1859–61 als reformierter Prediger in Amsterdam, worauf er erst bei Nimwegen (bis 1867), dann im Haag privatisierte. Nachdem er 1871 nach Berlin übergesiedelt, wurde er 1876 zum Oberbibliothekar der Landesbibliothek in Wiesbaden und 1887 zum Professor ernannt. Außer zahlreichen bibliographischen Monographien (über David Joris, Balth. Bekker, Spinoza, „Die Nassauer Brunnenlitteratur“, Wiesb. 1883, u. a.) und einem mit dem Russen M. Obolenski in französischer Sprache veröffentlichten Urkundenwerk über den falschen Demetrius („Histoire de la guerre de Moscovie 1601–10“ par Isaac Massa de Haarlem, Brüssel 1866, 2 Bde.) schrieb er: „De Haarlemsche Costerlegende“ (Haag 1870), worin er die Ansprüche seiner Vaterstadt auf die Erfindung der Buchdruckerkunst widerlegte; „Gutenberg. Geschichte und Erdichtung“ (Stuttg. 1878); „Geschichte der Erfindung der Buchdruckerkunst“ (Berl. 1886, 3 Bde.) und „Kaspar Hauser. Eine neugeschichtliche Legende“ (Wiesb. 1887, 2 Bde.) Von seinen das Gebiet der Schachlitteratur betreffenden Werken, die teils in holländischer, teils in deutscher Sprache geschrieben sind, heben wir hervor: „Schachstudien“ (Utrecht 1868); „Das Schachspiel des 16. Jahrhunderts“ (Berl. 1873); „Geschichte und Litteratur des Schachspiels“ (das. 1874, 2 Bde.); „Die Kirchenväter der Schachgemeinde“ (Übersetzung aller Schachwerke von 1495 bis 1795, Utrecht 1875); „Lehrbuch des Schachspiels“ (das. 1876); „Die Elemente des Schachspiels“ (das. 1877) und „Quellenstudien zur Geschichte des Schachspiels“ (Berl. 1881).