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MKL1888:Landwirtschaftlicher Kredit

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Landwirtschaftlicher Kredit“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 487489
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Landwirtschaftlicher Kredit. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 487–489. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Landwirtschaftlicher_Kredit (Version vom 01.03.2024)

[487] Landwirtschaftlicher Kredit, der Darlehnskredit der Landwirte. Derselbe ist teils Realkredit, teils Personalkredit, und zwar versteht man unter landwirtschaftlichem Realkredit gewöhnlich nur den Immobiliar- (Grund-) Kredit, unter landwirtschaftlichem Personalkredit den Personalkredit im üblichen Sinn und den Mobiliarkredit (vgl. Kredit). Der Darlehnsbedarf kann sowohl dadurch gedeckt werden, daß der Darlehnsnehmer das Kapital unmittelbar von einem Kapitalisten erhält, der mit ihm den Darlehnsvertrag schließt, als auch dadurch, daß das Kapital von einem Kreditunternehmer geliehen wird, der auf seine Rechnung und Gefahr Kredit nimmt und gibt. Wenn Landwirte nur auf den ersten Weg angewiesen sind, so ergeben sich auch für Darlehnsnehmer, die sichere Schuldner sind, bei denen der Gläubiger kein Risiko für Kapital und Zinsen zu tragen hat, schwere Übelstände. Diese bestehen insbesondere darin, 1) daß sie nicht jederzeit, wenn sie ein Darlehen brauchen, einen Gläubiger finden, 2) daß der Zinsfuß oft unverhältnismäßig hoch ist, und 3) daß sie nur kündbare Darlehen erhalten können und die Rückzahlungspflicht nicht der Verwendung des Kapitals und der Rückzahlungsfähigkeit der Schuldner entsprechend bestimmt werden kann. Diese Übelstände lassen sich auf dem zweiten Weg beseitigen, aber auf ihm auch nur, wenn die richtigen Organe für den landwirtschaftlichen Kredit bestehen. Diese können in angemessener Weise das Kreditbedürfnis befriedigen, indem sie 1) jederzeit kreditwürdigen Landwirten Darlehen geben, 2) die Darlehen zu einem der jeweiligen Lage des Kapitalmarktes und dem Risiko entsprechenden Zinsfuß geben, 3) das Bedürfnis nach unkündbaren Darlehen befriedigen und die Rückzahlung von Darlehen nach der Verwendung des Kapitals und der Rückzahlungsfähigkeit der Schuldner regeln. Die sachgemäße Einrichtung des landwirtschaftlichen Kredits erfordert verschiedene Kreditanstalten für den landwirtschaftlichen Personal- (und Mobiliar-) Kredit und für den landwirtschaftlichen Immobiliarkredit.

Beim Personal- (und Mobiliar-) Kredit, für den als Unterlage das tote und lebende Inventar sowie das umlaufende Kapital des Landwirts dient, können selbstverständlich keine unkündbaren Darlehen gegeben werden, und für die Frage der Organisation des Kredits kann allein die wirtschaftliche Befriedigung des Kreditbedürfnisses zu produktiven Zwecken in Betracht kommen. Das Bedürfnis des Landwirts nach diesem Kredit wächst mindestens in dem gleichen Grad, wie für ihn die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit eintritt, das auf seinen Betrieb zu verwendende Kapital zu vergrößern; es steigt also mit dem Fortschritt der landwirtschaftlichen Kultur. Am meisten ist dies der Fall für denjenigen Kredit, den der Landwirt zur Verstärkung des erforderlichen umlaufenden Kapitals, also zur Beschaffung von Saatgut, Dungmitteln, Futterstoffen, Mastvieh, zur Bezahlung von Arbeitslöhnen etc., nötig hat. Soll diese Kreditgewährung dem Landwirt nützlich sein, so müssen Zinsfuß und Rückzahlungsfrist der Rentabilität und Reproduktionszeit des verwendeten Kapitals entsprechen. Nach der heutigen Rentabilität solcher Kapitalverwendung kann der Landwirt nur in Notfällen und dann nur für kleinere Beträge mehr als 5–6 Proz. Zinsen geben. Der Wiederersatz dieses Kapitals erfolgt aber mit wenigen Ausnahmen frühstens nach einem halben Jahr, oft erst nach einem Jahr und noch später; der Landwirt muß daher in der Regel eine Rückzahlungsfrist von mindestens einem Jahr beanspruchen. Diesen Forderungen können nur besondere landwirtschaftliche Kreditanstalten entsprechen, welche ihre Wirksamkeit auf ein örtlich begrenztes Gebiet erstrecken, so daß eine genaue Kenntnis von den wirtschaftlichen Verhältnissen und der persönlichen Kreditwürdigkeit der Landwirte leicht gewonnen und der zu gewährende Kredit nach Höhe und Zeit den berechtigten Wünschen und Bedürfnissen angepaßt werden kann, und welche als ihren Hauptzweck verfolgen, den kreditwürdigen Landwirten möglichst billigen Kredit zu verschaffen. Aufgabe der Landwirte, insbesondere der landwirtschaftlichen Vereine, ist es, sie ins Leben zu rufen. Aber diese Kreditanstalten müssen für kleine und mittlere Landwirte andre als für große Landwirte sein. Für die kleinen und mittlern Landwirte sind besondere landwirtschaftliche Kreditgenossenschaften, besondere Kreditvereine von Landwirten mit der Solidarhaft der Mitglieder, die sogen. ländlichen Darlehnskassenvereine (s. d.), am Platz. Die (gewerblichen) Kreditvereine (nach Schulze-Delitzsch) können ihrem Bedürfnis nicht entsprechen, weil dieselben nur kurzen Kredit geben. Überdies können Landwirte die Geschäftsführung dieser Vereine zu wenig kontrollieren. Für größere Landwirte sind dagegen Kreditgenossenschaften nicht geeignet. Die für ihren Personalkredit notwendigen Kreditorgane müssen von Anfang an ein größeres Anlagekapital haben, als es bei Genossenschaften gebildet wird, und die Solidarhaft ist hier wegen der Vermögensunterschiede der größern Landwirte unanwendbar. Das richtige Kreditorgan für sie sind besondere landwirtschaftliche Depositenbanken, die von andern Depositenbanken (s. Banken, S. 324) sich nur dadurch unterscheiden, daß sie ihren Geschäftsbetrieb auf die Landwirte bestimmter Bezirke beschränken, außerdem aber in den Kommissions- und Provisionsgeschäften auch für den Absatz der Produkte ihrer Kunden thätig sind. Sie können entweder als reine Aktiengesellschaften oder auch nach einem gemischten System in der Art eingerichtet werden, daß das Anlage- (Bank-) Kapital aufgebracht wird zum Teil durch Aktien, zum Teil durch Mitgliederanteile; jeder, welcher von der Bank Kredit nehmen will, muß eine bestimmte Summe einschießen und erhält für einen mehrfachen (z. B. den zehnfachen) Betrag dieser Summe laufenden Kredit bei genügender Sicherheit. Aber diese Kreditanstalten sind nur ausführbar für Bezirke, in denen eine hinreichende [488] Anzahl größerer Landwirte vorhanden ist. In andern bleibt den Landwirten lediglich der Kreditverkehr mit Bankiers oder Banken übrig, bei dem aber die vorerwähnte angemessene Befriedigung ihres Kreditbedürfnisses selten zu erreichen sein wird.

Für den landwirtschaftlichen Grund- (Immobiliar-) Kredit ist unbedingt erforderlich, daß der kreditwürdige Grundbesitzer nach seiner Wahl kündbare oder auf bestimmte Zeit unkündbare, oder unkündbare und amortisierbare, oder auch unkündbare, nicht amortisierbare Darlehen erhalten kann. Die Grundlage dieses Kredits ist der landwirtschaftliche Boden mit den darauf befindlichen Gebäuden. Da aber der Reinertrag von Grund und Boden im Durchschnitt keine höhere Verzinsung des Grundkapitals als 4–5 Proz. ermöglicht, darf auch dieser Kredit nicht teurer sein. Den Forderungen der Unkündbarkeit und Amortisation des Immobiliarkredits können nur Kreditanstalten genügen, welche selbst unkündbaren Kredit nehmen. Die Sparkassen sind deshalb nicht die richtigen Kreditorgane für diesen Kredit; sie können nicht unkündbaren Kredit geben und sind gerade in Krisen zur Kündigung ihrer Darlehen gezwungen. An sich können nach ihrer Organisation diesem Kredit 1) die allgemeinen Hypothekenbanken (s. Banken, S. 330) dienen. Aber diese Banken sind wegen der mühsamen Geschäftsführung wenig geneigt, bäuerliche Grundstücke zu beleihen, überdies sind sie Erwerbsgesellschaften, die als solche in erster Linie das Interesse der Aktionäre, nicht das der Kreditnehmer verfolgen. Dagegen sind hier besonders am Platz 2) eigne genossenschaftliche landwirtschaftliche Grundkreditanstalten, deren Wesen darin besteht, daß sich Besitzer der landwirtschaftlichen Güter eines größern Bezirks zur Befriedigung ihres Grundkreditbedürfnisses zu einer Realgenossenschaft vereinigen, die sich Geld durch Ausgabe von Pfandbriefen, für welche die Güter aller haften, leiht und den Mitgliedern nach Maßgabe ihrer Kreditwürdigkeit hypothekarische Darlehen der oben angegebenen Art gewährt. Sie haben vor den Hypothekenbanken die Vorteile, daß die ihr angehörenden Grundbesitzer ein Recht auf Kreditgewährung innerhalb der statutarisch zulässigen Beleihungsgrenze haben, daß sie alle Arten landwirtschaftlicher Güter umfassen können, und daß die Kreditgewährung billiger und besser erfolgen kann, weil die Verwaltungskosten geringer sind und für die Geschäftsführung nicht das Erwerbsinteresse von Aktionären, sondern nur das Interesse der kreditbedürftigen Grundbesitzer maßgebend ist. Zu diesen Kreditanstalten gehören die preußischen sogen. Landschaften, die aber ihren Geschäftskreis nicht auf alle landwirtschaftlichen Güter ihres Bezirks ausdehnen (s. Landschaften). In gleicher Weise wie solche Genossenschaften müssen als passende landwirtschaftliche Grundkreditanstalten bezeichnet werden 3) staatliche, resp. kommunale (provinzielle) Grundkreditanstalten, wie sie z. B. in Preußen für die Provinzen Hannover, Hessen-Kassel und Nassau schon seit längerer Zeit bestehen. Die drei Anstalten waren ursprünglich staatliche Ablösungskassen, um den zur Ablösung der Grundlasten Verpflichteten den nötigen Kredit zu gewähren. Sie erhielten später eine Erweiterung ihres Wirkungskreises, sie wurden berechtigt, aus den ihnen anvertrauten Ablösungsgeldern der Domanialbauern hypothekarische Darlehen zu geben (Hannover, Gesetz vom 14. Juni 1842; Hessen-Kassel, Gesetz vom 3. Juni 1832; Nassau, Gesetz vom 16. Febr. 1849). Im J. 1869 wurden sie durch drei Gesetze vom 25. Dez. 1869 in kommunale Anstalten der Provinz Hannover und der Kommunalverbände Hessen-Kassel und Nassau mit der Verpflichtung umgewandelt, gegen Verpfändung von Grundstücken Darlehen zu geben. Sie beschaffen sich die Mittel dazu durch Ausgabe von Schuldverschreibungen auf den Inhaber oder Namen. Ähnliche Kreditanstalten bestehen in Sachsen-Weimar, Meiningen, Altenburg, Gotha, Rudolstadt, Sondershausen, Oldenburg. Sie sind nicht rein landwirtschaftliche Kreditanstalten, sie beleihen auch städtische Grundstücke, einzelne (z. B. Altenburg) geben auch Darlehen im Personal- und Mobiliarkredit; aber sie dienen sämtlich auch dem bäuerlichen Grundbesitz, und sie geben auch kleine Darlehen. Bei der kommunalständischen Landeskreditkasse zu Kassel betrug der Durchschnittsbetrag der Darlehen seit 1869 zwischen 932 und 1443 Mk. – Aber diese Kreditanstalten, die genossenschaftlichen wie staatlichen oder kommunalen, können hypothekarische Darlehen nur innerhalb der Kreditwürdigkeit geben, sie müssen als ersten Grundsatz ihrer Geschäftsführung festhalten, daß das beliehene Grundstück für die Forderung volle Sicherheit gewährt. Und diese Sicherheit bietet das landwirtschaftliche Grundstück unbedingt nur bis zur Hälfte des thatsächlichen Ertragswerts, ausnahmsweise bis zwei Drittel desselben. Für eine hypothekarische Verschuldung darüber hinaus können sie nicht mehr in Frage kommen und ist überhaupt eine zweckmäßige Kreditorganisation nicht zu schaffen. Soll diese Verschuldung erfolgen, so können nur noch kündbare Darlehen von Privatgläubigern und zu höherm Zinsfuß, der schon eine Risikoprämie enthält, gegeben werden; aber gerade diese Darlehen sind eine stete und große Gefahr für den Grundbesitz. Eine derartige Verschuldung von Grundstücken ist eine Überschuldung und ein wirtschaftlich ungesunder Zustand. Dieser veränderliche, unsichere Wertteil der Grundstücke sollte gar nicht hypothekarisch belastet sein, sondern nur eine weitere Grundlage für den Personalkredit bilden. Eine solche Überschuldung ist freilich thatsächlich in großem Umfang vorhanden, die Hauptursachen derselben sind: Erbteilungen, bei welchen die Erbteile von Miterben eingetragen wurden, oder Gutsverkäufe, bei welchen zu niedrige Anzahlungen erfolgt sind und nun Restkaufgelder eingetragen werden. Hier unter Beibehaltung der Schulden, resp. der Verschuldungsfreiheit durch eine Kreditorganisation oder eine neue, von den bisherigen Grundsätzen völlig abweichende gesetzliche Regelung der hypothekarischen Belastung (Vorschläge von Rodbertus, Schäffle, Stein u. a.) Abhilfe zu schaffen und die Eigentümer vor der Gefahr des Besitzverlustes zu bewahren, ist ein unlösbares Problem. Zu den landwirtschaftlichen Bodenkreditanstalten gehören auch noch die Landeskulturrentenbanken, insofern sie zur Ausführung von Meliorationen und andern Maßregeln der Landeskultur hypothekarische Darlehen geben. S. darüber Landeskulturrentenbanken.

Vgl. v. d. Goltz in Schönbergs „Handbuch der politischen Ökonomie“ (2. Aufl., Bd. 2, § 48 ff., Tübing. 1886); Berndt, Der Kredit für den ländlichen Grundbesitz (Berl. 1858); List, Der landwirtschaftliche Kredit (1867); Marchet, Der Kredit des Landwirts (Berl. 1878); Gamp, Der landwirtschaftliche Kredit und seine Befriedigung (das. 1883); R. Zeulmann, Die landwirtschaftlichen Kreditanstalten (Erlang. 1866); Knies, Geld und Kredit, Bd. 2 (das. 1876); v. Stengel, Bodenkredit und Bodenkreditanstalten (in Hirths „Annalen des Deutschen Reichs“ [489] 1878, S. 841 ff.); Osius, Die kommunalständische Landeskreditkasse in Kassel (Leipz. 1885); Schmoller in Thiels „Landwirtschaftlichen Jahrbüchern“, Bd. 9, S. 613 ff. (Berl. 1882); v. Miaskowski, ebendort, S. 631 ff.; Rodbertus-Jagetzow, Zur Erklärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot des Grundbesitzes (Jena 1868–69, 2 Bde.); L. v. Stein, Die drei Fragen des Grundbesitzes und seiner Zukunft (Stuttg. 1884); Derselbe, Bauerngut und Hufenrecht (das. 1882); Schäffle, Die Inkorporation des Hypothekarkredits (Tübing. 1883); G. Ruhland, Agrarpolitische Versuche vom Standpunkt der Sozialpolitik (das. 1883); Derselbe, Die Lösung der landwirtschaftlichen Kreditfrage (das. 1886). Vgl. auch die Litteratur unter Darlehnskassenvereine.