MKL1888:Kriegszustand
[221] Kriegszustand (Kriegsstand, franz. État de guerre), der mit der Kriegserklärung eintretende Zustand eines Staats und seiner Angehörigen, und zwar pflegt man zwischen aktivem und passivem K. zu unterscheiden. Ersterer bezeichnet die Stellung der zur Truppenmacht des Staats Gehörigen, welche unmittelbar den feindlichen Angriffen ausgesetzt sind, während nach modernem Völkerrecht Person und Eigentum der Nichtkombattanten nur mittelbar (passiver K.) durch die eröffneten Feindseligkeiten berührt und auch von dem Feind, solange die Betreffenden sich an der feindlichen Aktion nicht beteiligen, respektiert werden. Nach französischem Vorgang bezeichnet man mit K. aber auch überhaupt den Ausnahmezustand, welcher bei Bedrohung der öffentlichen Sicherheit durch äußere oder innere Feinde einzutreten pflegt. Den Gegensatz dazu bildet einerseits der Friedenszustand (état de paix), in welchem Zivil- und Militärbehörden je in ihrem Kompetenzkreis thätig sind, anderseits der Belagerungszustand (état de siège), in welchem die öffentliche Autorität lediglich auf die Militärbehörden übertragen wird; der K. ist die Voraussetzung des Belagerungszustandes (s. d.). Der K. tritt nach vorgängiger ausdrücklicher Erklärung des Staatsoberhaupts, in Deutschland (nach Art. 68 der Reichsverfassung) des Kaisers, ein. Wichtigere polizeiliche Maßregeln bedürfen alsdann der Zustimmung der Militärbehörde; auch tritt beim Hochverrat, Kriegs- und Landesverrat und bei gemeingefährlichen [222] Verbrechen (Brandstiftung u. dgl.) die Todesstrafe an die Stelle lebenslänglicher Zuchthausstrafe; endlich treten für Militärpersonen die Kriegsgesetze oder Kriegsartikel (s. d.) in Kraft. S. Einführungsgesetz zum Reichsstrafgesetzbuch, § 4; Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872, § 9.