MKL1888:Kleidung
[822] Kleidung, die dem Menschen in höhern Breiten für die Erhaltung seiner Gesundheit, ja seines Lebens unentbehrliche Hülle, welche hauptsächlich den Wärmeaustausch zwischen unserm Körper und den ihn umgebenden Medien in zweckmäßiger Weise regulieren soll. Neben diesem Zweck diente die K. stets und überall zum Ausdruck des sich geltend machenden individuellen ästhetischen Gefühls, und so sehen wir die K. bezüglich des Materials, ihrer Farbe und Form beständig schnellstem und mannigfachstem Wechsel unterworfen (s. Kostüm), ohne daß immer den Anforderungen, welche die Gesundheitspflege an die K. zu stellen hat, Genüge geleistet worden wäre. Die von unsrer Haut abgegebene Wärme wird von der Bekleidung aufgenommen, bis zu deren Oberfläche fortgeleitet und dann an die kältere Umgebung ausgestrahlt. Zwischen Haut und K. befindet sich aber eine Luftschicht, und diese nimmt zunächst die Körperwärme auf und erreicht eine Temperatur von 24–30° C. Der Ausgleich der großen Differenz zwischen der Körpertemperatur und der Temperatur der Atmosphäre wird mithin durch die K. von unsrer gefäß- und nervenreichen Haut auf ein lebloses, unempfindliches Stück Zeug verlegt. Je mehr Kleider wir übereinander anziehen, um so mehr verlangsamt sich der Abfluß der Körperwärme, indem sich jede nach außen folgende Hülle zu der unter ihr liegenden verhält wie die unterste Hülle zur Haut. Das Vermögen der K., die Wärme zurückzuhalten, ist nun aber von der Beschaffenheit der Stoffe, aus welchen sie besteht, abhängig. Zunächst kommt das Ausstrahlungsvermögen der Kleidungsstoffe in Betracht, welches aber nach Kriegers überraschenden Versuchsergebnissen bei den einzelnen Kleidungsstoffen (Wolle, Waschleder, Baumwolle, Seide, Leinwand) für dunkle Wärmestrahlen nicht wesentlich verschieden ist und auch für leuchtende Wärmestrahlen keine großen Verschiedenheiten zeigt, sofern die Kleidungsstoffe gleiche Farbe besitzen. Bei weißen oder gleichfarbigen Kleidungsstoffen ergeben sich nämlich für das Ausstrahlungsvermögen folgende Verhältniszahlen: Baumwolle 100, Leinen 98, Flanell 102, Seide 108. Verschieden gefärbte Kleidungsstoffe verhalten sich aber gegen leuchtende Wärmestrahlen ungemein verschieden. Bei Schirting ergaben sich z. B. für Weiß 100, Blaßschwefelgelb 102, Dunkelgelb 140, Hellgrün 155, Dunkelgrün 168, Türkischrot 165, Hellblau 198, Schwarz 208. Diese Zahlen entsprechen der alltäglichen Erfahrung, auffallend ist nur, daß Hellblau dem Schwarz fast gleichwertig erscheint. Die Kleider können offenbar um so weniger Wärme an die Umgebung ausstrahlen, je geringer das Leitungsvermögen der Stoffe ist. Es hat sich aber gezeigt, daß auch das Leitungsvermögen bei den einzelnen Kleidungsstoffen nicht erhebliche Differenzen zeigt. Krieger fand nämlich für die Hemmung des Wärmeverlustes durch Leitung folgende Verhältniszahlen: dünnes Seidenzeug 3, Schirting 5, feine Leinwand 5, dickeres Seidenzeug 6, dickere Leinwand 9, Waschleder 10–12, Flanell 14, Sommerbuckskin 12, Winterbuckskin 16–26, Doppelstoff 25–31. Mithin bildet das entscheidende Moment bezüglich der Leitung nicht sowohl die Substanz als vielmehr die Form und das Volumen (die Dicke) des Kleidungsstoffs. Dies zeigte besonders auch ein Versuch, bei welchem Watte in lockerm und in platt gedrücktem Zustand miteinander verglichen wurde. Bei der zusammengepreßten Watte steigerte sich der Wärmeverlust um 40 Proz. Hiermit steht im Einklang die Erfahrung, daß neuwattierte Kleider wärmer halten als bereits getragene. Es erklärt sich hieraus aber auch die durch Versuche bestätigte Erfahrung, daß ein zweites Kleid über dem ersten den Wärmeverlust sehr stark herabmindert. Eine zweite Hülle, welche von der ersten um 0,5–1 cm absteht, bewirkt eine starke, aber für die verschiedenen Kleidungsstoffe auch wieder ziemlich gleich starke Hemmung des Wärmeabflusses. In Prozenten ausgedrückt beträgt nämlich die Verlangsamung bei Leinwand 32, Schirting 33, Seide 32, Flanell 29, Waschleder 30 Proz. Von größter Wichtigkeit ist nach diesen Versuchen die in unsrer K. eingeschlossene Luftmenge, und es ergibt sich als höchst belangreich für unser Wohlbefinden, daß die K. den Luftwechsel in angemessener Weise reguliert. Von allen Stoffen ist der Flanell am luftigsten. Setzt man seine Durchgängigkeit = 100, so beträgt dieselbe unter fast gleichen Verhältnissen bei mittelfeiner Leinwand 58, Seidenzeug 40, Buckskin 58, Glaceeleder 1 und bei sämischgarem Leder 51. Nun ist bekannt, daß ein wollenes Gewebe von der Lockerheit des Flanells bei bewegter Luft wenig wärmt, offenbar weil der Luftwechsel zu stark ist, daß aber ein überraschend stärkerer Effekt erreicht wird, wenn man den lockern Flanell mit einer auch nur dünnen Schicht eines wenig durchlässigen Stoffes verbindet. Die Ventilation in der K. muß so reguliert werden, daß der Körper sich in windstiller Luft befindet; aber der Luftwechsel soll nicht völlig gehemmt werden wie durch die wasser- und luftdichten Kleidungsstoffe, die uns unerträglich sind, weil sie die Ausdünstung verhindern und die den Körper umgebende Luft sich mit Feuchtigkeit sättigen lassen. Die Feuchtigkeit der in der K. eingeschlossenen Luft ist von großem Einfluß auf den Gesamteffekt, den die K. hervorbringt. Ein auf dem nackten Körper unter der K. getragenes Hygrometer ergibt einen Taupunkt von 25°, und dabei befinden wir uns wohl, während eine Luft, deren Taupunkt bei 19° liegt, beim Einatmen schon die Empfindung der Schwüle hervorbringt. Man kann im Zimmer leicht durch Verdampfen von Wasser eine schwüle Luft hervorbringen und wird dann bei 20° über drückende Hitze klagen, während man in trockner und bewegter Luft ein Kältegefühl empfinden kann. Steigt unter unsrer K. die Temperatur auf 32–35°, und sättigt sich die Luft dabei mit Feuchtigkeit (Verhältnisse, die unter einem Gummimantel sehr leicht eintreten können), dann fühlen wir uns sehr unbehaglich und empfinden erst Erleichterung, wenn die Ventilation in der K. wiederhergestellt wird.
Unsre Kleidungsstoffe sind in sehr verschiedenem Grad befähigt, Wasserdampf aus der Atmosphäre aufzunehmen. Flanell absorbiert im Maximum 175, im Minimum 75 pro Minute, Leinwand nur 111, resp. 41 pro Minute. Dagegen bindet und verliert Leinwand das Wasser viel schneller als Wolle. Je hygroskopischer die K. ist, um so abhängiger sind wir von der relativen Feuchtigkeit der atmosphärischen [823] Luft, und es ist bekannt, wieviel mehr wir in naßkalter Luft frieren als in trockenkalter. Hier kommt das große Wärmeleitungsvermögen des Wassers und die durch Aufnahme des Wassers verminderte oder völlig unterdrückte Durchlässigkeit der K. für Luft in Betracht. Die Schnelligkeit, mit welcher die Luft in dem Kleidungsstoff vom Wasser verdrängt wird, hängt einerseits von der Adhäsionsfähigkeit des Wassers zu dem bezüglichen Stoff, anderseits von der letzterm zukommenden spezifischen Elastizität ab. Nun ist im feuchten Zustand die Faser der Leinwand, Baumwolle und Seide viel weniger elastisch als im trocknen, während die Wollfaser im nassen wie im trocknen Zustand von gleicher Elastizität ist. Die Undurchgängigkeit für Luft durch Benetzung wird daher bei Leinwand, Baumwolle und Seide sehr schnell, bei Schafwolle sehr schwer und vollständig fast niemals erreicht. Wir erkälten uns daher viel weniger, wenn wir in Wolle, als wenn wir in Leinwand und Seide gekleidet sind, während letztere vorzügliche Dienste leisten, wo wir die Haut möglichst kühl zu erhalten wünschen. Nasse Leinwand verdunstet ihr Wasser viel schneller als nasse Wolle. Von 1000 Teilen Leinwand werden verdunstet in den ersten 75 Minuten 511 Teile Wasser, von 1000 Teilen Wolle 456 Teile Wasser, hingegen in den folgenden 30 Minuten von Leinwand 130, von Wolle aber noch 148 und in weitern 30 Minuten von Leinwand 44, von Wolle 115 Teile. Der Trocknungsprozeß ist bei Wolle ein gleichmäßigerer als bei Leinwand und mithin auch die Bindung der Verdunstungswärme. Alle diese Verhältnisse erklären hinlänglich das außerordentlich verschiedene Verhalten des Körpers in wollenem und in leinenem Hemd und sprechen auch für den Sommer zu gunsten des erstern.
Die Absorptionsfähigkeit der K. für Gase ist bei tierischen Stoffen größer als bei vegetabilischen und am größten bei Seide. Aber auch die Faser übt einen Einfluß aus. Schwarze und dunkelblaue Stoffe absorbieren am reichlichsten, weiße am schwächsten, und dazu halten die schwarzen Stoffe z. B. üble Gerüche am hartnäckigsten fest. Schließlich kommt hierbei auch die hygroskopische Beschaffenheit in Betracht, insofern feuchte Stoffe reichlicher Gase absorbieren als trockne, und endlich die Oberflächenbeschaffenheit, da die Absorptionsfähigkeit bei jedem Material bei rauhen Stoffen größer ist als bei glatten. Hat man also Gefahren durch Aufnahme von Gasen zu fürchten, dann sind glatte Kleidungsstoffe aus vegetabilischen Substanzen zu wählen. Bei gefärbten Kleidungsstoffen können durch Benutzung giftiger Farben Gefahren entstehen. Es kommen hierbei besonders Arsen, Antimon, Blei und Zink in Betracht. Besonders gefährlich sind Kleidungsstoffe, denen die giftige Farbe nur mechanisch anhaftet, so daß sie beim Tragen der Kleider abstäubt. Zink- und Antimonverbindungen können auf der Haut Geschwüre und Ausschläge erzeugen, und auch manche Teerfarben scheinen ähnlich zu wirken. Nach den Vereinbarungen der bayrischen Chemiker sind die genannten Metalle für die Verwendung auf Kleidungsstoffe ausgeschlossen, es ist aber nicht möglich, die Anwendung unschädlicher Farbstoffe nur dann zu gestatten, wenn sie absolut frei von schädlichen Metallen ist, und es ist deshalb zulässig, daß 100 qcm von Kleidungsstoffen 0,002 g Arsen oder Antimon enthalten, aber nur in im Wasser unlöslicher Form. – Über die Geschichte der K. s. außer den Spezialartikeln den Artikel Kostüm; über die K. der Geistlichen s. Klerus.
[521] Kleidung. Ein Teil der Mikroorganismen der Haut gelangt, an Staubteilchen haftend, ein andrer Teil mit den Ausscheidungen der Talgschweißdrüsen an die Fasern, aus denen die K. besteht. Es fragt sich nun, ob die zu Unterkleidern zur Verwendung kommenden Zeugstoffe beim Tragen auf der Haut einen wesentlichen Unterschied in der Fähigkeit, Mikroorganismen in sich aufzunehmen, zeigen, und welche Eigenschaften der K. diese Fähigkeiten vergrößern oder verkleinern. Hobein nähte zur Untersuchung dieser Frage 1 qcm große Stücke der zu untersuchenden Zeugstoffe nebeneinander auf ein 6–8 qcm großes Stück Hemdentuch und befestigte dieses derartig an der Unterkleidung, daß die Stückchen der Haut anliegen. Nach einiger Zeit wurde mit sterilisierten Instrumenten aus der Mitte jedes Zeugstückchens ein 0,25 qcm großes Stück ausgeschnitten, fein zerkleinert in Gelatine gebracht und auf Platten hinsichtlich der Keime geprüft. Bei diesen Untersuchungen ergaben sich folgende Resultate: Getragener Flanell enthält 3–6mal so viel Keime wie getragener rein leinener oder rein baumwollener Stoff. Demnächst enthalten die Trikotstoffe die meisten Keime, weniger die dünnen Wollenstoffe und am wenigsten die leinenen [522] und baumwollenen Hemdenstoffe, die ein ziemlich gleiches Aufnahmevermögen zeigen. Seide verhält sich der Wolle und Baumwolle ähnlich. Die rauhe Fläche eines rein baumwollenen Stoffes nimmt fast dreimal so viel Keime auf wie die glatte. Dickere Stoffe enthalten nach dem Tragen zahlreichere Keime als dünne. Wollene und baumwollene Trikotstoffe werden durch Dampf (Desinfektion) derart verändert, daß sie nun bedeutend mehr Keime aufnehmen als vorher, und zwar wird die Aufnahmefähigkeit des Wollenstoffes in höherm Grade gesteigert als die des Baumwollenstoffes. Seidenstoff dagegen zeigt keinen Unterschied im reinen und gedämpften Zustande, entsprechend dem Umstande, daß Wollenstoff stärker einläuft als Baumwolle und diese wieder stärker als Seide. Offenbar hat die Beschaffenheit des Gewebes und des Fadens den größten Einfluß auf die Ansammlung der Keime. Je mehr kleine Hohlräume zwischen den Fäden und den einzelnen Fasern eines Stoffes vorhanden sind, desto mehr Staubteilchen werden sich in ihm fangen. Je lockerer der Faden gesponnen, der zum Stoffe verarbeitet ist, je mehr Faserenden von seiner Oberfläche in die gröbern Gewebsmaschen hinein- und von der Oberfläche des Stoffes hervorragen, um so mehr ist der Stoff geeignet, Staubteilchen zurückzuhalten. Bei gleicher Beschaffenheit der Stoffe in dieser Beziehung nehmen sie annähernd proportional ihrer Dicke Staubteilchen auf. Daraus ergibt sich für die Praxis, daß die glatten und fest gewebten leinenen und baumwollenen Stoffe als die reinlichsten zu bezeichnen sind. Mit Sicherheit hat sich aus den Beobachtungen ergeben, daß unter gewöhnlichen Bedingungen eine Vermehrung der Keime in der Kleidung nicht stattfindet. Eine außergewöhnliche Vermehrung durch Wachstum tritt auf der Haut und wohl auch in einem Zeugstoff nur dann ein, wenn durch gehinderte Verdunstung Haut und K. längere Zeit feucht erhalten werden.