MKL1888:Kerzen
[696] Kerzen, aus Talg, Stearin, Stearinsäure, Paraffin, Walrat, Wachs bestehende Cylinder, in deren Achse ein Docht verläuft, dessen Beschaffenheit sich nach dem Kerzenmaterial, besonders nach dessen Schmelzpunkt, und nach der Stärke der K. richten muß. Bei verhältnismäßig zu dicken K. bleibt an der Peripherie derselben ein ungeschmolzener Rand, innerhalb dessen sich zu viel flüssiges Fett ansammelt, durch welches die Flamme verkleinert wird, während beim endlichen Zusammenbrechen des Randes der Überschuß des flüssigen Fettes herabrinnt. Ist die Kerze im Verhältnis zum Docht zu dünn, so schmilzt das Fett zu schnell, rinnt herab und bildet kein Bassin, aus welchem der Docht gleichmäßig gespeist werden muß. Der Docht wird aus Baumwolle gefertigt und ist entweder gedreht, so daß die einzelnen Fäden mehr parallel und geradlinig oder in steiler Schraubenlinie nebeneinander liegen, oder geflochten. Dochte ersterer Art werden noch für Talg- und Wachskerzen, geflochtene für Stearin-, Paraffin- und Walratkerzen benutzt. Die Dicke der Dochte wird teils durch die verschiedene Zahl der den Docht bildenden Fäden, teils durch die Feinheitsnummern derselben bedingt. Talgkerzen erhalten wegen der leichten Schmelzbarkeit des Materials einen dickern Docht, um die Flamme möglichst über das Fett hinaufzurücken. Man benutzt aber auch bisweilen für sie sehr locker geflochtene Dochte und spart dann das Putzen der Flamme. Unter dem Einfluß der Spannung, in welcher sich die einzelnen Fäden der geflochtenen Dochte befinden, erleidet das aus der Kerze hervorragende Ende eine Krümmung, so daß die Spitze in den Mantel der Flamme reicht und hier verbrennt. Damit aber der Docht bei unvollkommener Verbrennung nicht Kohle hinterläßt, imprägniert man ihn mit einer Lösung von Borsäure oder phosphorsaurem Ammoniak. Talglichte werden in der Regel gezogen. Man reiht 16–18 Dochte auf einen langen Holzstab (Dochtspieß) in gleichen Entfernungen voneinander auf und taucht 10–12 Spieße zuerst in heißes, dann
Fig. 1. | |
Apparat zum Ziehen der Kerzen. | |
wiederholt in fast bis zum Erstarrungspunkt abgekühltes Fett, bis die K. die gewünschte Stärke erlangt haben, worauf sie noch einmal in etwas heißeres Fett gebracht werden, um eine möglichst glatte Oberfläche zu erhalten. Zur Erleichterung der Arbeit hängt man an das in Fig. 1 abgebildete Rad aus mehreren Dochtspießen gebildete Rahmen, die leicht gesenkt und gehoben und durch Drehung des Rades über den Talgkasten gebracht werden können. Die gezogenen K. werden wesentlich verschönert, wenn man sie durch den runden Ausschnitt eines warmen Bleches zieht; auch kann man ihnen leicht einen Mantel aus besserm Material geben (plattierte K.).
Die K., welche gegenwärtig unter dem Namen Stearinkerzen im Handel vorkommen, bestehen nicht aus Stearin (und Palmitin), welches man durch Abpressen des flüssigen Oleins aus dem unzersetzten Fett erhalten kann, sondern aus Stearinsäure (und Palmitinsäure), welche durch Verseifung des Fettes mit Kalk und Zersetzung der Kalkseife mit Säure gewonnen wird. Dies Produkt schmilzt um 10–20° schwerer als Talg, erstarrt aber beim Erkalten kristallinisch, so daß die K. rauh und brüchig werden und beim Brennen leicht ablaufen. Zur Verhütung dieses Übelstandes mischt man der Stearinsäure (bis 20 Proz.) Paraffin bei, welches das Kristallinischwerden verhindert. Diese K. werden in Formen gegossen, welche [697] meist aus einer Bleizinnlegierung bestehen und mit einem Trichter zur Erleichterung des Eingießens und einem Steg zur Befestigung des Dochtes, welcher anderseits knapp durch eine Öffnung in der Spitze geht und diese verschließt, versehen sind. Das Fett darf beim Gießen nicht zu heiß sein, sondern muß an der Oberfläche eben zu erstarren beginnen, weil die K. sonst schwer aus der Form herausgehen. Beim Gießen von Stearin- und Paraffinkerzen müssen die Formen im Kasten durch Dampf oder heißes Wasser angewärmt werden. Dies Verfahren ist durch zahlreiche Erfindungen nach allen Seiten hin ausgebildet worden und gestattet jetzt mit Hilfe besonderer Maschinen kontinuierlichen Betrieb. Fig. 2 zeigt eine Gießmaschine für Stearinkerzen. Bei derselben befinden sich 200 Formen in der obern Abteilung ab, und je 20 haben einen gemeinsamen Einguß auf der Platte aa; die untere Abteilung enthält so viele Dochtspulen, als Formen vorhanden sind, und die mittlere Abteilung Röhren, durch welche die Dochte den Formen zugeführt werden. Über den letztern werden die Dochte durch zwei Blechschienen gefaßt, und wenn nun gegossen werden soll, wärmt man die Formen mittels Wasserdampfes, welcher durch das Rohr c und die Hähne d zuströmt, an, füllt dann die Stearinsäure ein, bläst zur raschen Abkühlung der Formen durch das weite Rohr h kalte Luft ein und zieht dann die K. aus den Formen, indem man die auf eisernen Schienen laufende Hebevorrichtung über die betreffenden Formen schiebt, die Blechschienen mit der Stange e in Verbindung bringt und durch die Kurbel f hebt. Damit dies um so sicherer geschehe, legt man in den gemeinsamen Einguß eiserne Bügel g ein, welche nach dem Erkalten mit dem Gießkopf entfernt werden. Zunächst aber faßt man nach dem Heben der K. den Docht sofort wieder mit Blechschienen und füllt die Formen von neuem. Die fertigen K. werden bisweilen durch Luft und Licht gebleicht, mit Seife oder Soda gewaschen, dann auf einer besondern Maschine mit einer Kreissäge am untern Ende beschnitten und durch Rollen zwischen Tuch poliert. Im Handel bemißt sich der Wert der Stearinkerzen nach ihrer Härte und Farblosigkeit; österreichische Stearinkerzen sind als Millykerzen (nach dem Begründer der ersten Fabrik benannt) oder Apollokerzen (nach der Wiener Apollogesellschaft benannt) im Handel; K. aus Stearinsäure, die aus Palmöl gewonnen wurde, nennt man Palmwachskerzen. Sehr leicht schmelzbar sind die Kompositkerzen, welche sehr viel Stearin aus Kokosnußöl enthalten. Paraffinkerzen werden wie Stearinkerzen gegossen; doch setzt man, um den Schmelzpunkt des Materials zu erhöhen und das Krummwerden im Leuchter zu vermeiden, 3–15 Proz. Stearinsäure zu. Um die Kristallisation und das Ankleben der K. in den Formen zu verhindern, erwärmt man die Masse auf 60°, die Formen etwa auf 70° und taucht sie nach einigen Minuten in kaltes Wasser. Deutsche Fabriken unterscheiden: Kristallparaffinkerzen, kanneliert und glatt bei 54° schmelzend; Brillantparaffinkerzen, kanneliert bei 52°, glatt bei 49° schmelzend; Naturellkerzen, bei 49° schmelzend. Melanylkerzen bestehen aus einem Gemisch von Stearinsäure mit weichem Paraffin. Zu Trauerkerzen wird Paraffin mit Anacardiumschalen (Elefantenläusen) schwarz gefärbt; sie brennen ohne Dampf und Geruch. Wachskerzen bereitet man auf die einfachste Weise, indem man das Wachs in warmem Wasser erweicht, mit den Händen durchknetet, bis es vollständig gleichmäßig geworden ist, dann Bänder daraus formt und diese um den gespannten Docht wickelt. Nach dem ältesten Verfahren dreht der Arbeiter die über einer Pfanne aufgehängten
Fig. 2. | |
Gießmaschine für Stearinkerzen. | |
Dochte mit der linken Hand um sich selbst, während er sie mit der rechten Hand mit geschmolzenem Wachs begießt. Die Temperatur des Wachses darf nur so hoch sein, daß immer noch einige ungeschmolzene Scheiben in demselben schwimmen; nur zum ersten Angießen wird es etwas heißer genommen. Haben die K. eine gewisse Stärke erlangt, so rollt man sie etwas und fährt dann wieder mit dem Angießen fort. Endlich werden die K. auf einer Marmortafel völlig glatt gerollt. Beim Gießen der Wachskerzen werden die Formen nach dem Erstarren des Wachses rasch in heißes Wasser getaucht, um die K. leicht herausziehen zu können. In neuerer Zeit stellt man auch Wachskerzen aus einem Gemisch von Paraffin (aus Ozokerit) und Wachs dar. Zu Wachsstöcken benutzt man Wachs oder eine Mischung aus Wachs und Talg oder Fichtenharz und Terpentin, auch wohl Paraffin und leitet den Docht, der sich an einer großen Trommel ab und auf eine zweite ähnliche Trommel aufwickelt, wiederholt durch die geschmolzene Masse, bis der Wachsstock die gewünschte Stärke erreicht hat. Um ihn vollständig rund zu erhalten, läßt man ihn nach dem Passieren des Wachses zunächst durch ein in einem Blech angebrachtes rundes Loch gehen. Walratkerzen (Spermacetikerzen), die besonders in England und Nordamerika sehr gebräuchlich sind, werden aus gereinigtem Walrat, [698] dessen Kristallisationsfähigkeit durch Zusatz von 3 Proz. Wachs oder Paraffin aufgehoben wurde, wie die Stearinsäurekerzen, nur etwas heißer, gegossen. Sie sind sehr schön durchsichtig u. farblos, brennen mit hoher, hell leuchtender Flamme, verzehren sich aber ziemlich schnell und sind daher teuer. Vgl. Engelhardt, Handbuch der prakt. Kerzenfabrikation (Wien 1887).
Geschichtliches. Die Römer benutzten anstatt der K. mit Pech oder Wachs getränkte Flachsschnüre, später in Pech getauchte und mit Wachs überzogene Streifen von Papiergras oder Binsen. Fettgetränktes Mark vom Schilfrohr wurde als Nachtlicht neben den Leichen aufgestellt. Die ersten K. unsrer Art scheinen zur Zeit der Christenverfolgungen aufgekommen zu sein, und vielleicht hängt damit der ausgedehnte Gebrauch der K. bei kirchlichen Zeremonien zusammen. Apulejus unterschied zu Ende des 2. Jahrh. schon Wachs- und Talgkerzen, doch verdrängten letztere erst mit Anfang des 9. Jahrh. den Kienspan. Im Mittelalter wurden Wachskerzen und Wachsfackeln mit Dochten von gedrehtem Werg in Formen gegossen. Die Brenndauer der Wachskerzen von bestimmter Länge und Dicke diente neben der Sanduhr zu ungefährer Zeitbestimmung, namentlich bei Gerichtsverhandlungen u. dgl. („à chandelle éteinte“). Wachskerzen waren im 14. Jahrh. an den Höfen reicher Fürsten immer noch sparsam im Gebrauch; aber die katholische Kirche dehnte ihren Gebrauch ins Fabelhafte aus, und es wurden z. B. in der Schloßkirche zu Wittenberg zu Luthers Zeit 35,750 Pfd. in einem Jahr verbrannt. Als durch den Protestantismus diese Konsumtion beschränkt wurde, traten die Höfe besonders im 18. Jahrh. mit großartigem Luxus dafür ein: in Dresden verbrauchte ein einziges Hoffest 14,000 Stück Wachslichte. Seit dem 15. Jahrh. kamen die Talglichte in allgemeinen Gebrauch. Braconnot und Simonin (1818) und Manjot (1820) in Paris fertigten K. aus Stearin. 1831 stellte man in England solche K. aus Palmöl dar, aber schon 1825 hatte Chevreul mit Gay-Lussac ein Patent auf K. aus Stearinsäure genommen, deren tadellose Herstellung indes erst 1834 gelang, nachdem Cambacérès geflochtene und gedrehte Dochte und Milly die Verseifung der Fette durch Kalk erfunden hatte. Milly, welchem die Stearinkerzenindustrie viele wesentliche Verbesserungen verdankt, verpflanzte dieselbe 1837 mit großem Erfolg nach Wien, und um dieselbe Zeit wurde in Berlin die erste derartige Fabrik errichtet. Milly tränkte zuerst die Dochte mit Salzen, wußte das Kristallinischwerden der Stearinsäure zu beseitigen und führte die Dampfheizung, die hydraulische Presse und das Gießen in die Stearinkerzenfabrikation ein. 1839 stellte Seligue in Paris Paraffinkerzen aus bituminösen Schiefern dar; bessere Resultate gewann aber erst Young in Manchester, und bald darauf entwickelte sich die Paraffinindustrie der Provinz Sachsen, welche seitdem das Ausgezeichnetste leistete. Eine Konkurrenz erwuchs der letztern durch die Belmontinkerzen (nach der im Belmontquartier in London liegenden Fabrik benannt) und noch mehr durch die K. aus Ozokerit, welches Material schon vor der Entdeckung des Paraffins in der Moldau verarbeitet ward. Die ersten Talg- und Wachslichte wurden gezogen, die Erfindung des Gießens scheint nicht über das 17. Jahrh. hinauszugehen.