MKL1888:Karnĕval
[548] Karnĕval (v. ital. carnevale, welches nach der gewöhnlichen Annahme aus carne und vale zusammengesetzt sein, mithin „Fleisch, lebe wohl!“ bedeuten soll, wahrscheinlich aber durch Verstümmelung aus dem mittellat. carne levamen, die „Enthebung von Fleischgenuß“, entstanden ist), der ursprünglichen Wortbedeutung gemäß s. v. w. Fastnacht, der Tag vor Beginn der Fasten, an dem man zum letztenmal Fleisch essen darf; im weitern Sinn des Ausdrucks aber s. v. w. Fasching (von „fasen“, d. h. faseln, Possen treiben), die Zeit der Lustbarkeiten, welche der Fastenzeit vorausgeht und je nach der Lokalität von kürzerer oder längerer Dauer ist. Gewöhnlich rechnet man den K. vom Fest Epiphania (6. Jan.) bis zum Aschermittwoch; in Venedig fängt der K. jedoch bereits am [549] St. Stephanstag (26. Dez.) an, in Spanien beginnt er meist am St. Sebastianstag (20. Jan.), und in Rom versteht man unter K. hauptsächlich die letzten elf Tage vor Aschermittwoch, während der K. in Mailand sich bis zum Sonntag Invocavit (s. d.) fortsetzt und der K. am Rhein sich vorzugsweise auf die Woche vor Aschermittwoch beschränkt. Auch in Belgien, Frankreich, Österreich und Süddeutschland sind die letzten drei Tage vor Aschermittwoch die eigentlichen des Karnevals, an denen dieser sich in seiner höchsten Blüte zeigt. Italien ist das Heimatsland des Karnevals, da derselbe sich aus den altrömischen Saturnalien (s. d.) entwickelt hat, welche die Kirche bestehen lassen und mit christlicher Deutung auf eine passende Zeit verlegen mußte, weil sie sich außer stande sah, das im Volk tief eingewurzelte Fest zu beseitigen. Am berühmtesten ist der große K. von Venedig mit seiner Maskenfreiheit, seinen Tierhetzen, Herkulesspielen und Feuerwerken geworden, welchem bis 1796 während der Himmelfahrtsmesse (s. Himmelfahrtsfest) stets ein kleinerer folgte. Neben ihm kam der oft, am anmutigsten von Goethe (im 2. Teil der „Italienischen Reise“), geschilderte K. in Rom mit seinem Pferderennen (s. Korso), Aufzügen, Werfen mit Blumen und Gipskügelchen (confetti), wegen der vielen sich daran beteiligenden Künstler und Fremden am meisten zur Bedeutung. In Paris ist der Umzug des Boeuf gras, eines fetten Ochsen, der, mit vergoldeten Hörnern und mit bunten Bändern herausgeputzt, unter Begleitung von allerlei Masken zur Schlachtbank geführt wird, der Glanzpunkt des Karnevals. In Spanien zeichnen sich besonders Madrid, Sevilla und Cadiz durch lustiges Maskentreiben aus. In Deutschland fand der K. an den altheidnischen Darstellungen der Götterumzüge, namentlich am Umherführen des Pflugs und des Schiffswagens, als Symbol der wieder eröffneten Meerfahrt (weshalb man auch das Wort K. aus carrus navalis zu erklären versucht) so passende Anhaltspunkte, daß er sich früh einbürgerte und zu großer Blüte gelangte. Fastnachtspossen, Mummenschanz und vor allem der Hanswurst machten die Tage vor Aschermittwoch zu einer ebenso heitern wie ausgelassenen Zeit, so daß der Fastnachtsdienstag den Namen Narrenfest oder Narrenkirchweih erhielt. Die Reformation und der Dreißigjährige Krieg unterdrückten jedoch den K. fast gänzlich. Erst zu Anfang dieses Jahrhunderts brachten ihn die Franzosen, welche ihn in Italien kennen gelernt, auch bei uns wieder in Aufnahme; besonders in den rheinischen Städten bildeten sich eigne Karnevalsgesellschaften, um Festprogramme zu entwerfen und auszuführen, und der K. in Köln, dessen 50jährige Jubelfeier man 1873 beging, erlangte in Deutschland fast ebensolche Berühmtheit wie vormals der zu Venedig in Italien. Sehr glänzend ist auch der K. in Aachen, Trier, Mainz und Düsseldorf, und seit 1868 haben selbst protestantische Städte, wie Leipzig, Hamburg, Berlin u. a., versucht, den K. mit seiner Maskenfreiheit wieder als allgemeines Volksfest einzuführen, obwohl die öffentlichen Aufzüge, in Norddeutschland wenigstens, nicht recht den Charakter von Volksfesten annehmen wollen. Die Fastnachtsgebräuche einiger Zünfte, wie der Schäfflertanz in München, der Böttchertanz in Frankfurt a. M. und der Metzgersprung in München, haben sich mutmaßlich als die letzten Überbleibsel der heidnischen Vorzeit bis zum heutigen Tag erhalten. Vgl. Fahne, Der K. (Köln 1853); v. Reinsberg-Düringsfeld, Das festliche Jahr (Leipz. 1863). S. auch Ottobraten.