MKL1888:Kanzelmißbrauch
[477] Kanzelmißbrauch, das Vergehen, dessen sich ein Geistlicher oder sonstiger Religionsdiener schuldig macht, wenn er in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufs öffentlich vor einer Menschenmenge oder in einer Kirche oder an einem andern zu religiösen Versammlungen bestimmten Ort vor einer Mehrheit von Personen Angelegenheiten des Staats in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung macht. Ein hierauf bezügliches Strafverbot erschien in dem sogen. Kulturkampf als erforderlich, und ein deutsches Reichsgesetz vom 10. Dez. 1871 brachte einen Nachtrag zu dem deutschen [478] Strafgesetzbuch als § 130a desselben (sogen. Kanzelparagraph), welcher den K. mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bedroht. Gleiche Strafe trifft nach der Novelle zum Strafgesetzbuch (Gesetz vom 26. Febr. 1876) denjenigen Geistlichen oder andern Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufs Schriftstücke ausgibt oder verbreitet, in welchen Angelegenheiten des Staats in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung gemacht sind.