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MKL1888:Hussiten und Hussitenkriege

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Hussiten und Hussitenkriege“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Hussiten und Hussitenkriege“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 8 (1887), Seite 819821
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Hussiten und Hussitenkriege. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 819–821. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Hussiten_und_Hussitenkriege (Version vom 24.03.2023)

[819] Hussiten und Hussitenkriege. Infolge der Verurteilung und Hinrichtung Huß’ (s. d.) in Konstanz steigerte sich die Aufregung und Bewegung in Böhmen auf das höchste. 452 Herren und Ritter hingen ihre Siegel dem Schreiben an das Konzil an, in welchem gegen die Beschuldigung der Ketzerei Verwahrung eingelegt wurde. Indessen entbehrten die neuen Lehren noch vollständig einer Form der Gemeinsamkeit, und der gänzliche Mangel positiver kirchlicher Einrichtungen erklärt das bald unter den Anhängern des Huß eingetretene Sektenwesen. Das einzige Symbol des neuen Glaubens sprach sich in der von Jakob von Mies zuerst und schon bei Lebzeiten Huß’ gestellten Forderung des Laienkelchs aus, welcher zwar vom Konstanzer Konzil ausdrücklich verboten, aber von den Hussiten in Böhmen nur um so eifriger verteidigt wurde. Im übrigen stellten die Prager Theologen vier Artikel auf, welche als Grundlage der reformierten böhmischen Kirche gelten sollten, die aber von andern Parteien, welche gemeiniglich unter dem Namen der Taboriten zusammengefaßt werden, als zu gemäßigt verworfen und durch andre zwölf Artikel ersetzt wurden. Die Forderungen der vier Artikel beschränkten sich auf die Predigt des Evangeliums in böhmischer Sprache, Laienkelch, Herstellung der Kirchenzucht, Abschaffung des weltlichen Besitzes der Geistlichen, während die weiter gehenden Parteien gänzliche Reformation des Gottesdienstes, Aufhebung der Sakramente, Abschaffung des Priesteramtes und Ähnliches verlangten, woraus sich eine ganze Stufenleiter von Sekten entwickelte bis zu den Adamiten, welche in Böhmen und Mähren verbreitet waren und wirklich den paradiesischen Traum ins Leben führen wollten. Von eingreifender Bedeutung bleiben aber immer nur die beiden Hauptrichtungen der „Prager“ und der „Taboriten“.

Zu gewaltsamen Auftritten war es zuerst in Prag und gleichzeitig in Breslau wenige Wochen vor Wenzels Tod gekommen, denn noch waren die Stadträte von konservativen und zur Hälfte deutschen Männern besetzt. Am 30. Juli 1419 stürmte der Pöbel das Rathaus in Prag und warf 13 Räte nebst dem Richter aus den Fenstern in die Spieße der unten tobenden Menge. Indem nun aber Siegmund als Erbe seines Bruders seine Anrechte auf die böhmische Krone geltend machte, traten zu den religiösen Gegensätzen politische Schwierigkeiten hinzu, welche Kaiser Siegmund erst am Ende seines Lebens zu besiegen vermochte. Während der Letztgenannte mit den Vertretern der Länder und mit den Pragern um seine Krone unterhandelte, entbrannte der Bürgerkrieg allerorten, wurden über 500 Kirchen und Klöster zerstört und die ausgesuchtesten Greuel verübt. In Mähren und Schlesien erlangte Kaiser Siegmund die Huldigung, und von Breslau führte er ein Kreuzheer gegen die Böhmen, unterstützt von deutschen Fürsten und von den Legaten des Papstes. Er vermochte jedoch Prag nicht einzunehmen, erlitt am Ziskaberg eine schwere Niederlage und mußte endlich auch den Wyschehrad preisgeben (1420). Die Anführer der Taboriten waren Niklas von Hussinetz und Ziska (Žižka) von Trocznow.

Das Bemühen des Kaisers ging nunmehr dahin, den böhmischen Krieg zu einer Reichssache zu machen, um auf diese Weise die Kräfte der Fürsten und Städte zur Erlangung der böhmischen Krone in Anspruch nehmen zu können. Auf den Reichstagen war aber der Eifer für die Angelegenheiten Böhmens nicht groß, und was die Fürsten etwa im einzelnen dem Kaiser zu gewähren bereit waren, wollten sie auch nicht ohne bestimmte politische Vorteile thun, welche ihnen Siegmund aber nicht einräumen mochte. So nahmen denn die Reichskriege gegen die Hussiten einen sehr kläglichen Verlauf, welcher den tiefen Verfall der Kriegsverfassung des Deutschen Reichs zeigte, hauptsächlich aber auf Rechnung des Widerwillens zu setzen ist, den man in Deutschland gegen eine Sache hegte, in welche neben den Ungarn bald auch die Polen und Litauer verflochten wurden, und die man von Rom aus mit geistlichem Fanatismus betrieb. Auf den Reichstagen wurden zwar wiederholt Beschlüsse gefaßt; aber die Reichsheere, welche aufgeboten worden waren, vermochten bei dem Mangel einheitlicher Führung keine Erfolge zu erzielen. In vielen Schlachten wurden die Deutschen geschlagen, am entscheidendsten bei Deutsch-Brod 1422 und [820] bei Aussig 1426. Obwohl Ziska 11. Okt. 1424 gestorben war, hatten die Hussiten doch in den beiden Prokop, „dem Größern“ und „dem Kleinen“, ebenbürtige Führer gewonnen und gingen in den nächsten Jahren sogar zum Angriff gegen die benachbarten deutschen Länder über. Schlesien, Sachsen und Franken hatten unter ihren Kriegszügen am meisten zu leiden. Man zählte über 100 Städte und Burgen wie 1500 Dörfer und Weiler, welche durch die Hussiten zerstört worden sein sollen. Unter diesen Umständen wurde 1431 zu Nürnberg ein neuer Reichskrieg beschlossen; aber die Niederlage seiner Truppen bei Taus 14. Aug. 1431 überzeugte den Kaiser von der Nutzlosigkeit einer Fortsetzung des Kriegs und ließ es geraten erscheinen, den schon öfters, zuletzt vor der Schlacht bei Taus, durch den Kardinal Julian Cesarini mittels eines Manifestes versuchten Weg von Verhandlungen mit den gemäßigtern Parteien der Hussiten zu betreten.

Siegmund lud daher zunächst die Vertreter der kalixtinischen Richtung, welche noch an den vier Artikeln der Prager festhielten, aber auch die Taboriten zu dem Konzil von Basel ein, welches sich eben versammelt hatte. Eine große Gesandtschaft, an deren Spitze Johann Rokytzan und Prokop d. Gr. standen, erschien und legte dem Konzil das Glaubensbekenntnis der gemäßigten Kalixtiner vor. Obwohl es zu einer Vereinbarung nicht kam, so traten sich die Parteien doch näher, und das Konzil beschloß nach der Abreise der Böhmen, eine Gesandtschaft nach Prag zu senden, wo 30. Nov. 1433 auf Grund der vier Artikel die sogen. Böhmischen oder Prager Kompaktaten (s. d.) abgeschlossen wurden. Da sich jedoch die Taboriten denselben nicht unterwarfen, so kam es zum Kampf mit den Kalixtinern unter oberster Führung Meinhards von Neuhaus, in welchem die erstern allmählich erlagen. In der Schlacht bei Lipan und Hrib (Hřib) unweit Kauřim und Böhmisch-Brod (30. Mai 1434) fielen die beiden Prokop zugleich mit der Sache, welche sie treu verfochten. Mit der Unterordnung der kalixtinischen oder gemäßigten Hussiten unter die Kirche war indes ihre Unterwerfung unter Siegmund als ihren Erbkönig noch nicht ausgesprochen. Die böhmischen Stände verlangten zuvörderst die Bestätigung der Kompaktaten von seiten des Kaisers, und auch als er diese gegeben, wollten sie erst die Sache in nähere Überlegung ziehen. Der Landtag zu Prag entwarf darauf in 14 Artikeln die Bedingungen der Huldigung (14. Febr. 1435). Danach sollte der Kaiser die vom Konzil genehmigten vier Prager Artikel bestätigen und genau beobachten lassen, an seinem Hof hussitische Prediger haben, die Böhmen nicht zum Wiederaufbau der zerstörten Klöster zwingen, keinen Fremden in den Rat setzen, die Prager Universität herstellen, niemand zur Aufnahme von Mönchen anhalten etc. und eine allgemeine Amnestie bewilligen. Auf Grund dieser Artikel erkannten auf dem Landtag zu Prag die böhmischen und mährischen Stände Siegmund einmütig als König an. Da auch die verlangten Milderungen des Artikels von den Kirchengütern vom Konzil zugestanden wurden, so stand der völligen Aussöhnung nichts mehr im Weg, und es erteilte daher Siegmund zu Stuhlweißenburg (8. Jan. 1436) die Versicherung, daß er die vereinbarten vier Prager Artikel halten und den Böhmen und Mähren wider alle, die sie antasten würden, mit seiner ganzen Macht beistehen wolle. Auf einem Landtag zu Iglau beschwor er darauf (5. Juli) vor den Ständen und den Abgesandten des Konzils nebst seinem Schwiegersohn Albrecht von Österreich die Kompaktaten, und Johann Rokytzan wurde als Erzbischof von Prag anerkannt und bestätigt. Nun erst hielt Siegmund (23. Aug. 1436) seinen Einzug in Prag und empfing die Huldigung. Auch die Taboriten versprachen, Ruhe zu halten. Nur ein einziger Ritter, Johann von Rohač, mit seinen taboritischen Genossen auf der Burg Sion bei Maleschau und der Stadtrat von Königgrätz unter Führung des hussitischen Priesters Ambrosch zweifelten an Siegmunds aufrichtiger Gesinnung und verweigerten ihm den Gehorsam. Der ganze Adel aber zog gegen die Widersetzlichen, worauf sich die Stadt dem König ergeben mußte und der unglückliche Rohač mit seinen Genossen am Galgen büßte. Aber bald zeigte sich, daß er und die Seinigen mit Recht Argwohn gehegt hatten: Siegmund berief fremde Domherren und Mönche verschiedener Orden nach Prag und stellte den katholischen Gottesdienst mit seinen Zeremonien wieder her. Rokytzan, der hiergegen von der Kanzel aus eiferte, ward aus Prag vertrieben. Als aber die Hussiten wieder zu den Waffen zu greifen drohten, hielt es Siegmund für geraten, einzulenken. Er gestand den Kalixtinern oder Utraquisten, wie man sie zuletzt nannte, ein eignes Konsistorium zu, ließ in vier Sprachen öffentlich ausrufen, daß sie die rechten und ersten Söhne der Kirche wären und von den andern, welche das Abendmahl nur unter einer Gestalt empfingen, auf keine Weise beeinträchtigt werden sollten. Aber auch dies Versprechen war nicht aufrichtig gemeint, und nur durch den Tod ward Siegmund an der Wiederaufnahme seiner gegenreformatorischen Versuche gehindert.

Des Kaisers Erbe war der Herzog Albrecht von Österreich. Der Kanzler Schlick, schon vor Siegmunds Tod nach Prag gesandt, wußte zwar die katholischen Landherren zu Albrechts gunsten zu stimmen; aber die gegen letztern eingenommenen Utraquisten, welche noch bei Lebzeiten Siegmunds im Einverständnis mit dessen Gattin Barbara von Cilli gegen die Nachfolge des Habsburgers und für eine jagellonische Kandidatur sich verbündet, wählten unter Leitung Heinrich Ptačeks von Pirkstein aus dem vornehmen Haus der von Lipa und Georgs von Kunstat auf Podiebrad zu Tabor den 13jährigen Bruder des Königs Wladislaw von Polen, Kasimir, zum König an demselben Tag, da die Katholischen zu Prag sich für Albrecht erklärten (6. Mai 1438). Letzterer aber eilte mit einer kleinen Schar nach Prag, ließ sich daselbst krönen (29. Juni) und bot, da die Polen, deren König seinen Bruder unterstützte, in Böhmen und Schlesien einfielen, stärkere Scharen aus seinen Erblanden und auch das Reich auf. Kurfürst Friedrich von Brandenburg sandte ihm seinen Sohn Albrecht Achilles mit einem Zuzug. Mit einem starken Heer griff nun Albrecht die Polen und Utraquisten bei Tabor an und schloß sie in die Stadt ein, bis sie, durch Hunger genötigt, auf Gestattung des Rückzugs antrugen. Dann sandte er Albrecht Achilles als Statthalter nach Breslau, und dieser zwang durch einen Angriff auf Polen die in Schlesien eingefallenen Scharen zum Rückzug. Jetzt trat das Baseler Konzil vermittelnd dazwischen, und es ward mit den Polen und Utraquisten ein Waffenstillstand geschlossen (Januar 1439). Nach Albrechts II. plötzlichem Tod waren die Böhmen anfangs noch weniger geneigt als die Ungarn, dessen nachgebornen Sohn Wladislaw (Ladislaus) Posthumus als König anzuerkennen. Die Utraquisten betrieben vielmehr unter Leitung Heinrich Ptačeks eine andre Wahl, welche auf den Herzog Albrecht von Bayern von der Münchener Linie fiel. Als aber Kaiser Friedrich diesem von der Annahme der Wahl abriet, [821] trugen die Stände jenem selbst die Regentschaft und bald darauf sogar die Krone an. Allein Friedrich lehnte beides ab und überließ es den Böhmen, ihr Reich bis zur Volljährigkeit des Wladislaw selbst zu verwalten. Die katholische Partei wählte darauf Meinhard von Neuhaus, die utraquistische Ptaček unter dem Titel von Kreishauptleuten zu Führern (1440–41). Aber diese gerieten bald miteinander in offenen Krieg, und da der letztere 1444 starb, so ernannten die Utraquisten an seiner Statt Georg von Kunstat auf Podiebrad zum Ältesten oder Führer der Partei. Dieser riß sofort, von Barbara, der Witwe Siegmunds, unterstützt, insbesondere durch den Staatsstreich von 1448 (2. und 3. Sept.), d. h. durch die Überrumpelung Prags und die Gefangensetzung Meinhards von Neuhaus (s. Podiebrad), fast alle Gewalt an sich, wodurch die utraquistische Partei von neuem das Übergewicht erhielt, und wurde 1452 förmlich als Gubernator Böhmens anerkannt. Nach dem frühzeitigen Tod Wladislaws Posthumus erhoben die Böhmen, alle anderweiten Erbansprüche unberücksichtigt lassend, Georg von Podiebrad zum König (2. März 1458). Dieser wußte mit seinem Thron auch die den Utraquisten gewährte Religionsfreiheit zu behaupten, obgleich Kaiser und Papst erst im geheimen, dann als seine offenen Feinde an seinem Sturz arbeiteten und letzterer den Gebrauch des Kelchs bei schwerer Strafe verbot, auch die Prager Kompaktaten geradezu aufgehoben haben wollte. Gleichwohl bestand auch unter Podiebrads Nachfolger, dem König Wladislaw von Polen, die böhmische Religionsfreiheit ungeschmälert fort u. ward durch den Religionsfrieden von Kuttenberg (1485) ausdrücklich gewährleistet. Erst nachdem mit Ferdinand von Österreich 1526 das Haus Habsburg den böhmischen Thron bestiegen, ward mit mehr Erfolg das Werk der Gegenreformation in Angriff genommen und nach der verhängnisvollen Schlacht auf dem Weißen Berg bei Prag (8. Nov. 1620) mit blutiger Gewalt vollendet. Der Name Hussiten verschwindet schon zu Podiebrads Zeiten; hinsichtlich der weitern Schicksale der aus den alten Anhängern der Lehre des Märtyrers Huß hervorgegangenen akatholischen Religionsparteien in Böhmen verweisen wir auf den Artikel „Mährische Brüder“; s. auch Böhmen, Geschichte.

Litteratur. Von den ältern Werken sind zu erwähnen: Cochläus, Historia Hussitarum (Mainz 1549); Theobald, Hussitenkrieg (Nürnb. 1609 u. öfter); Cansdorf, Polemographia hussitica (Gieß. 1667); J. Lenfant, Histoire de la guerre des Hussites et Concile de Basle (Amsterd. 1731, für lange Zeit die maßgebende Darstellung); Schubert, Geschichte des Hussitenkriegs (Neust. 1825). Eine wissenschaftliche, quellenmäßige Behandlung des Hussitismus knüpft sich an Palackys „Geschichte Böhmens“; Derselbe, Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Hussitenkriegs (Prag 1872–73, 2 Bde.); Höfler, Geschichtschreiber der hussitischen Bewegung (Wien 1857–66, 3 Bde.); Krummel, Geschichte der böhmischen Reformation im 15. Jahrhundert (Gotha 1866); Bezold, König Siegmund und die Reichskriege gegen die Hussiten (Münch. 1872–77, 3 Tle.); Derselbe, Zur Geschichte des Hussitentums; kulturhistorische Studien (das. 1874); Grünhagen, Die Hussitenkriege der Schlesier 1420–35 (Bresl. 1872); Denis, Huss et la guerre des Hussites (Par. 1878).