MKL1888:Gliederfüßler
[428] Gliederfüßler (Arthropōden, Arthropŏda), einer der großen Stämme des Tierreichs. Sie sind ausgezeichnet durch den Besitz eines gegliederten Körpers mit gleichfalls gegliederten Anhängen (Beinen, Fühlern etc.) und unterscheiden sich durch das letztere Merkmal wesentlich von den Ringelwürmern (Anneliden, s. d.), die gleich ihnen aus Gliedern bestehen und früher mit ihnen zur Gruppe der Gliedertiere vereinigt wurden. Bei allen Gliederfüßlern wird die Haut aus einer Zellschicht und einer von ihr abgesonderten Masse, dem Chitin (s. d.), gebildet; erstere bleibt weich und dünn, letztere erlangt bei manchen Arten (Hummern, großen Käfern) eine enorme Dicke und Härte und wird so fast undurchdringlich gegen Gase und Flüssigkeiten; man bezeichnet sie alsdann wohl als Panzer oder Hautskelett. Im Innern derselben liegen sämtliche Weichteile, doch ragen auch Fortsätze der Haut nach innen hinein und dienen den Muskeln zur Befestigung; ein inneres Skelett, wie bei den Wirbeltieren, existiert aber nicht, vielmehr geht selbst die Muskulatur der Beine von der Haut aus. Der Gegensatz zu den Wirbeltieren wird noch größer dadurch, daß bei den Gliederfüßlern im Innern des Körpers und namentlich der Gliedmaßen zwischen den Organen meistens viel Raum bleibt, der mit Blut erfüllt ist. Die Gliederung ist nur in seltenen Fällen nicht deutlich; in der Regel zerfällt der Leib in eine Anzahl hintereinander gelegener Ringe (Segmente), von denen bei manchen Gliederfüßlern wenigstens jedes dem andern sehr ähnlich (homonom) ist. Verschieden (heteronom) von den folgenden Segmenten ist jedoch der Kopf: er trägt die Augen und Fühler, birgt das Gehirn etc. Weiter nach hinten unterscheidet man meist eine Brust (Thorax) und einen Hinterleib (Abdomen); letzterer trägt entweder gar keine oder doch einfachere Gliedmaßen, während an der Brust meist die eigentlichen Bewegungsorgane (Beine, Flügel) angebracht sind. In den höhern Klassen der G. ist die Anzahl der Körperglieder meist gering; bei vielen verwachsen manche Ringe miteinander, wie denn z. B. der Kopf der Insekten aus einer Anzahl völlig miteinander verschmolzener Segmente hervorgegangen ist. Bei manchen Krebsen etc. verwachsen Kopf und Brust zu dem sogen. Cephalothorax (Kopfbruststück). Im allgemeinen trägt jeder Ring ein einziges Paar Gliedmaßen (höchst selten deren zwei, häufig keins), so daß man aus der Anzahl der letztern die Zahl der miteinander verschmolzenen Segmente ermitteln kann. Die Gliedmaßen selbst sind gewöhnlich auch aus Gliedern zusammengesetzt, sonst aber ungemein vielgestaltig, je nachdem sie zum Schwimmen (Schwimmfüße), Kriechen und Laufen (Gehfüße), Fliegen (Flügel), Kauen (Kiefer) und Tasten (Antennen) verwendet werden. Jedes Glied kann zum nächsten hingebeugt oder von ihm weggestreckt werden; die hierzu erforderlichen Beuge- und Streckmuskeln sind im Innern der Glieder angebracht. Auch die Körperringe, welche untereinander durch weiche Haut in Verbindung stehen, werden in gleicher Weise durch oft sehr komplizierte Muskeln bewegt. Die von der Haut nach außen abgeschiedene Chitinschicht gestattet eine Ausdehnung durch Wachstum nur in sehr geringem Maß, wird daher von dem wachsenden Tier in gewissen Zeiträumen abgeworfen; die unter ihr bereits fertige geräumigere Schicht ist anfangs weich, erhärtet jedoch bald. Bei diesen Häutungen, die bei vielen Gliederfüßlern zeitlebens erfolgen, bei andern (Insekten) auf die Jugendzeit beschränkt sind, werden auch alle Veränderungen mit Bezug auf den Bau des Körpers (Metamorphosen) sichtbar; anscheinend treten dieselben also sprungweise auf, sind aber bereits und zwar oft seit langer Zeit unter der alten Haut vorbereitet. Es erneuert sich aber nicht nur die Oberfläche der Haut, sondern auch die des größten Teils des Darms, die der Ausführungsgänge der Drüsen, der Muskelsehnen etc., kurz aller der Teile, welche eine Chitinbedeckung haben.
Das Nervensystem schließt sich in seinen niedersten Formen eng an das der höhern Würmer an und besteht aus einem oberhalb der Speiseröhre im Kopf gelegenen Gehirn oder Oberschlundganglion und dem auf der Bauchseite des Tiers verlaufenden sogen. Bauchmark, d. h. einer Doppelkette von Ganglien (Nervenknoten), die unter sich durch Längs- und Quernerven (Kommissuren) verbunden sind; das erste von ihnen (Unterschlundganglion), gewöhnlich dicht unterhalb der Speiseröhre im Kopf gelegen, steht mit dem Gehirn durch zwei Längsnerven in Verbindung, welche die Speiseröhre wie ein Ring umfassen (Schlundring). Bei vielen Gliederfüßlern ist die Zahl der Bauchknoten eine sehr geringe; manchmal sind sogar alle zu einer großen, in der Brust gelegenen Nervenmasse verschmolzen. Aus dem Gehirn entspringen die Sinnesnerven, aus dem Bauchmark die Nerven für Haut und Muskeln. Für die Eingeweide ist meist eine besondere Nervenleitung (sympathisches Nervensystem) vorhanden, die aber vom Gehirn ausgeht. Von Sinnesorganen sind die Augen in fast allen Fällen gut ausgebildet; man unterscheidet einfache (Ocellen) und zusammengesetzte oder facettierte Augen (s. Auge). Gehörorgane sind nicht überall zweifellos nachweisbar und liegen zwar meist am Kopf, jedoch mitunter an den Beinen oder im Schwanz. Geruchs- und Geschmacksorgane sind sehr verbreitet; zum Tasten dienen eigentümlich geformte Haare an den meisten Körperteilen, vor allen an den Fühlern oder Antennen. Die Verdauung besorgt ein meist kurzer, oft sehr langer und dann vielfach gewundener Darm, dessen Anfang (Vorderdarm) und Ende (Hinterdarm) Hauteinstülpungen sind. Speicheldrüsen, Leber und ähnliche Drüsen sind nicht immer vorhanden, häufig jedoch sehr groß. Nur in sehr seltenen Fällen fehlt der Darm gänzlich. In den Hinterdarm münden fast überall die Nieren (Exkretionsorgane), welche meist die Form von Schläuchen haben und Harnbestandteile absondern. Andre Harnwerkzeuge finden sich bei Krebsen in Gestalt besonderer Drüsen, die am Kopf ausmünden. Atmung und Blutumlauf erfolgen bei den einzelnen Gruppen der G. in ganz verschiedener Weise. Ein Herz fehlt bei vielen Gliederfüßlern; wo es vorhanden ist, liegt es in Gestalt eines langen oder kurzen [429] Schlauchs (Rückengefäß) auf der Rückseite des Körpers über dem Darm. Das Blut wird von ihm hinten aufgenommen und vorn oder seitlich ausgepumpt; es strömt dann entweder in besondern Gefäßen im Körper umher, oder zirkuliert in den zwischen den Eingeweiden, Muskeln etc. befindlichen Lücken wie in bestimmten Bahnen. Mit Sauerstoff versorgt es sich in den Atmungsorganen. Diese sind sehr vielfältiger Natur. Bei dünnhäutigen Wassertieren kann die ganze Körperoberfläche den Austausch der im Wasser gelösten Atemluft mit dem Blut vermitteln oder auch nur der Darm, indem er rhythmisch Wasser ein- und auspumpt, dies besorgen; meist jedoch haben die in Wasser oder feuchter Luft lebenden G. besondere Kiemen, d. h. dünnhäutige Körperteile, in denen das Blut sich oxydieren kann. Die eigentlichen Landtiere aber besitzen Tracheen, d. h. vielfach verzweigte Luftröhren, die gewöhnlich zu mehreren vorhanden sind; jede dringt von einer besondern Öffnung am Rumpf aus in das Innere des Körpers ein und löst sich dort zwischen und in den Organen in die feinsten Zweige auf. Während also in den Kiemen das Blut der Luft entgegenströmt, sucht umgekehrt in den Tracheen die Luft im Innern des Körpers das Blut auf. Dieser Unterschied ist so wichtig, daß man für die Insekten, Tausendfüße etc. als Tracheentiere (Tracheaten) eine besondere Abteilung der G. eingerichtet hat (s. unten). Die Fortpflanzung geschieht nie durch Teilung oder Sprossung, wie bei manchen Würmern oder andern niedern Tieren, sondern stets durch Eier; doch brauchen diese durchaus nicht immer befruchtet zu sein. Vielmehr wird die Anzahl der Fälle, in denen unzweifelhafte Jungfernzeugung (Parthenogenesis s. d.) beobachtet ist, immer größer; gewöhnlich treten aber nach einer Reihe von Jungferngenerationen wieder Männchen auf, welche die Eier befruchten und ihnen damit eine längere Entwickelungsfähigkeit verschaffen. Männchen und Weibchen sind übrigens manchmal so sehr voneinander verschieden, daß man ihre Zusammengehörigkeit erst durch besondere Beobachtungen feststellen kann; nicht selten leben die Männchen geradezu als Parasiten auf den viel größern Weibchen. Die Anzahl der Eier ist gewöhnlich sehr groß, die Zeitdauer der Entwickelung bis zur Geschlechtsreife häufig sehr kurz, so daß die Vermehrung alsdann ungemein rasch vor sich geht. Doch sind auch Fälle bekannt, in denen das Weibchen überhaupt nur ein Ei legt. Bei den Krebsen tritt die Geschlechtsreife meist sehr früh, lange bevor die Tiere ausgewachsen sind, ein und dauert lange fort; bei den Insekten und andern Arten hingegen bildet sie das Ende des Daseins, so daß nach der Begattung das Männchen, nach der Eiablage auch das Weibchen stirbt. Die Entwickelung geschieht zum Teil derart, daß das Junge aus dem Ei bereits in vollendeter Form (wenn auch noch nicht in der spätern Größe) ausschlüpft, zum Teil so, daß es in einer andern Gestalt daraus hervorgeht und nun noch manchen Verwandlungen (Metamorphosen) unterliegt, ehe es seinem Erzeuger ähnlich wird. Namentlich bei den Insekten sind die Larvenstadien als Raupe, Made, Puppe etc. wegen ihrer Abweichungen von den Erwachsenen schon von alters her jedermann geläufig.
Die Zahl der bekannten Arten von Gliederfüßlern ist weit größer als die jedes andern Tierstammes; der Grund dafür liegt ebensowohl in der großen Mannigfaltigkeit der Formen wie in der Menge von Forschern, welche seit mehreren Jahrhunderten namentlich auf dem Insektengebiet thätig gewesen sind. Indessen stellt sich in der Neuzeit heraus, daß ein großer Teil der beschriebenen Arten nicht zu Recht besteht, vielmehr nur auf leichte individuelle Abänderungen zurückzuführen ist. Immerhin würden, wenn selbst die Hälfte der Arten aus diesem Grund einginge, allein für die Käfer schon über 30,000 übrigbleiben. Fossile Arten sind verhältnismäßig ungemein wenig aufgefunden worden; zur Erkennung der Abstammung der G. tragen sie wenig oder gar nichts bei. Auf Grund der entwickelungsgeschichtlichen und anatomischen Thatsachen glaubt man zur Zeit, daß die G. von Würmern abstammen, weiß aber noch nicht bestimmt, ob alle G. den gleichen Ursprung haben, oder ob nicht für einzelne Gruppen eine besondere Herkunft anzunehmen sei. Vielfach gebräuchlich ist gegenwärtig noch die Einteilung der G. in vier große Gruppen: Krebse, Spinnen, Tausendfüße und Insekten; doch trägt die folgende den neuesten Untersuchungen mehr Rechnung:
A. Kiementiere oder Branchiāta. 1. Gruppe: Krebs- oder Krustentiere (Crustacĕa). 2. Gruppe: Pfeilschwänze (Xiphosūra) und Trilobiten (Trilobītae). 3. Gruppe: Pantopōden (Pantopŏda). B. Tracheentiere oder Tracheāta. 4. Gruppe: Urtracheaten (Protracheāta, s. Tracheen). 5. Gruppe: Spinnentiere oder Arachniden (Arachnīda). 6. Gruppe: Tausendfüße oder Myriopōden (Myriopŏda). 7. Gruppe: Insekten (Hexapŏda oder Insecta).