MKL1888:Gemmen
[74] Gemmen (Gemmae, hierzu die Tafel „G. und Kameen“, mit Textblatt), Edelsteine im allgemeinen, dann geschnittene Steine. G. im engern Sinne nennt man solche Edelsteine, in welche das Bild vertieft geschnitten ist (intaglio), und Kameen (cammeo) solche, auf welchen das Bild sich in erhabener Arbeit (en relief) befindet. In neuerer Zeit nennt man auch für den Galanteriewarenhandel angefertigte Muscheln mit erhaben geschnittenem Bildwerk Kameen und G. Die G. dienten ursprünglich nur zum Abdrücken in Wachs etc. und wurden meist in Siegelringen getragen, während Kameen zum Besetzen von Knöpfen, Spangen, Ringen, dann von Pokalen, Waffen, Kandelabern, Götterbildern etc. dienten. In Zeiten des Verfalls der Kunst verwendete man aber auch die G. in ähnlicher Weise. Die Fertigkeit, Edelsteine künstlich zu schneiden, war schon im Altertum bekannt. Nach einem Bericht des Herodot trug jeder Babylonier einen Siegelring, deren sich auch in Menge erhalten haben (s. Tafel, Fig. 2 und 6). Im Museum zu Berlin befinden sich Mumien, an deren Fingern noch Siegelringe stecken. Bekannt ist der sagenhafte Siegelring des Polykrates. Seit den Perserkriegen wurde auch in Griechenland das Wohlgefallen an Siegelringen ziemlich allgemein. Man benutzte dazu fast alle damals bekannten, meist orientalischen Ganz- und Halbedelsteine, für die G. einfarbige, durchsichtige, aber auch fleckige, wolkige Steine, von eigentlichen Edelsteinen fast nur Amethyst und Hyacinth, dagegen viele halbedle Steine, besonders die mannigfachen Achate, darunter den sehr beliebten Karneol, den Chalcedon, auch das Plasma des Smeraldo. Für Kameen (s. d.) bevorzugte man mehrfarbige Steine, wie den aus rauchbraunen und milchweißen Schichten bestehenden Onyx, den Sardonyx, der noch eine dritte Schicht von Karneol besaß, und andre aus dem Orient eingeführte Steinarten, indem man die dunkelste Schicht zum Hintergrund, die hellern zur Kolorierung des Reliefbildes benutzte. Von griechischen Steinschneidern sind uns nur wenig Namen bekannt, und auf diese können wir die uns erhaltenen Steine nicht mehr zurückführen; wo ihre Namen auf G. vorkommen, sind sie häufig in neuerer Zeit in betrügerischer
Artemis. | Perseus. |
Gemmen aus Pompeji. |
Dionysos. | Pan mit dem jungen Dionysos. |
Kameen (Neapel). |
Absicht hinzugefügt. Vgl. die Liste in Brunns „Geschichte der griechischen Künstler“, Bd. 2, S. 441 ff. Als der ausgezeichnetste gilt Pyrgoteles, dem allein Alexander d. Gr. gestattete, sein Bild zu schneiden. Die künstlerische Entwickelung des Gemmenschnittes (Glyptik) richtete sich nach der Entwickelung der griechischen Plastik überhaupt. Neben Porträten und symbolischen Darstellungen mit Bezug auf den Namen und den Beruf des Trägers des Ringes, wohl auch mit Rücksicht auf die Eigenschaft des Steins als Amulett, wurden auch Darstellungen berühmter Kunstwerke, hochverehrter Götterbilder und Ähnliches in Stein geschnitten. Auch im alten Etrurien stand die Glyptik in hoher Blüte. Es sind uns noch eine große Anzahl etruskischer G., meist in Form von Käfern (Skarabäen), zum Teil von ausgezeichneter Arbeit, erhalten (s. Tafel, Fig. 3). In Rom war die Sitte, Siegelringe zu tragen, seit der letzten Zeit der Republik ganz allgemein geworden, die Vorliebe für geschnittene Steine artete hier bald in Leidenschaft aus. Kunstliebhaber legten große Sammlungen von
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[Ξ]1. Altindische Granatgemme. Aus der Tassieschen Sammlung. Kopf eines indischen Königs mit Sanskritinschrift. Aus der Zeit vom 7.–9. Jahrh. n. Chr.
2. Babylonisch-persische Cylindergemme (aufgerollt). Ein Priester beim Opfer und ein zwei Löwen bezwingender König. 6. Jahrh. v. Chr.
3. Etruskische Karneolgemme. Berliner Museum. Fünf von den sieben Helden, die gegen Theben zogen. (Natürl. Größe.)
4. Griechische Kamee. Ein Werk des Athenion im Museum zu Neapel. Zeus schleudert die Giganten mit seinen Blitzen nieder. 2. Jahrh. v. Chr. oder aus dem Anfang der römischen Kaiserzeit. (Natürl. Größe.)
5. Altattische Cylindergemme (Chalcedon) im Berliner Museum. Ein Pferd mit der ägyptischen Sonnenscheibe darüber. Unter orientalischem Einfluß entstanden. (Natürl. Größe.)
6. Altassyrische Cylindergemme mit phönikischer Inschrift. Darstellung eines Opfers. 8. Jahrh. v. Chr.
7. Persische Granatgemme. Kopf eines persischen Königs aus der Sassanidenzeit.
8. Abraxasgemme. S. Artikel Abraxas.
9. Etruskischer Glasfluß. Thanatos (der Todesgott) und Semele, die Geliebte Jupiters. Berliner Museum.
10. Ägyptische Sardonyxkamee im Berliner Museum, den heiligen Falken darstellend. Die Figur ist nicht auf der Oberfläche des Steins, sondern erst in der Vertiefung exhaben geschnitten.
11. Griechische Jaspisgemme von Aspasios, mit dem Kopf der Athene Parthenos. Antikenkabinett zu Wien. Aus dem Beginn der römischen Kaiserzeit.
12. Ägyptischer Speckstein (Skarabäus) mit dem Königsnamen Thutmosis III. Es ist die untere Fläche eines erhaben gearbeiteten Käfers, welcher in der ägyptischen Religion das Symbol des Weltschöpfers war. (Natürl. Größe.)
13. Griechische Kamee, Zeus als Gigantensieger darstellend, in der Markusbibliothek zu Venedig. Aus der Zeit Hadrians. Soll bei Ephesos gefunden worden sein.
14. Römisch-altchristliche Jaspisgemme. Martyrium einer Heiligen. Zeit Diokletians.
15. Cameo Gonzaga (aus dem Besitz der mantuanischen Herzöge, jetzt in St. Petersburg), ca. 15 cm hoch. Die dargestellten Personen sind ein Königspaar aus dem Ptolemäergeschlecht, nach einigen Ptolemäos Philadelphos und Arsinoe, nach andern Ptolemäos Soter und Eurydike. 2. oder 3. Jahrh. v. Chr.
16. Ägyptische Gemme. Berliner Museum. (Natürl. Größe.)
17. Kamee des Tiberius in Paris, ein 34 cm hoher, 29 cm breiter Sardonyx, die größte aus dem Altertum erhaltene Kamee. Oben wird Kaiser Augustus im Himmel von Äneas, Julius Cäsar und Drusus empfangen. In der Mitte thront, von Mitgliedern der kaiserlichen Familie umgeben, Tiberius. Vor ihm steht Germanicus im Begriff, nach dem Orient zu gehen. Unten liegen die Vertreter der besiegten Völker Germaniens und des Orients.
18. Karneolgemme in Paris. Angeblich der Siegelring des Michelangelo, der ihn mit 800 Scudi bezahlt haben soll. Oben eine Weinlese, unten ein angelnder Fischer, woraus man schließt, daß es ein Werk des Piermaria da Pescia (ca. 1500–1525), eines Freundes Michelangelos, ist. (Natürl. Größe.)
19. Kamee im Berliner Museum. Fragmentiert. Ein unbekanntes Fürstenpaar aus der Ptolemäerfamilie. (Natürl. Größe.)
20. Gotische Saphirgemme. Antikenkabinett zu Wien. Bildnis des Königs Alarich. 4. oder 5. Jahrh. n. Chr. (Natürl. Größe.)
21. Karneolgemme von Giovanni Pichler. Zwei Nymphen bekränzen eine Herme des Pan.
22. Karneolgemme von Giov. Batt. Cerbara (gest. 1812). Herkules, den Stier bändigend.
23. Gemme von N. Marchant (gest. 1812 in London). Perikles. (Natürl. Größe.)
24. Chalcedongemme von Nassaro (gest. 1547) in Paris. Brustbild Franz’ I.
25. Italienische Gemme des 16. Jahrhunderts. Kopie eines antiken Reliefs im Palazzo Barberini zu Rom. (Natürl. Größe.)
26. Byzantinische Gemme. Der heil. Georg mit griechischer Inschrift.
27. Gemme von Calandrelli in Berlin. Thetis bei Hephästos, der die Waffen des Achilleus schmiedet. (Natürl. Größe.)
28. Gemme von G. Pichler. Bacchus, Amor tränkend. (Natürl. Größe.)
29. Gemme von A. Pichler. Kopf des Homer nach der antiken Büste im Kapitol zu Rom.
30. Muschelkamee von Coldoré in Paris. Heinrich IV. und Maria von Medicis.
31. Karneolgemme von Guay (1715–93). Apollo.
32. Gemme von Will. Brown. Amor u. Satyr.
33. Gemme von R. V. Jeuffroy (1749–1826). Minerva. (Natürl. Größe.)
[75] G. (Daktyliotheken, s. d.) an. Pompejus brachte die Daktyliothek des Königs Mithridates nach Rom und stellte sie in einem Tempel auf. Julius Cäsar stiftete sechs Daktyliotheken in dem Tempel der Venus Genitrix. Man trieb nun großen Luxus mit G., besetzte damit sogar Kleider, Gefäße, Kandelaber und Geräte aller Art. Der bedeutendste Gemmenschneider dieser Zeit war Dioskurides. Damals entstanden auch die sehr großen, überaus kostbaren Kameen, die jetzt in den Sammlungen zu Wien, Paris, Petersburg u. a. aufbewahrt werden. Die berühmtesten sind: der schon in alexandrinischer Zeit entstandene Cammeo Gonzaga in Petersburg (s. Tafel, Fig. 15), die Gemma Augustea mit der Darstellung der Familie des Augustus in Wien, der Pariser Cammeo mit demselben Gegenstand (s. Tafel, Fig. 17) und der niederländische mit der Familie des Claudius im Haag. Man fertigte selbst ganze Gefäße aus Edelstein und versah sie mit künstlerisch ausgebildeten Reliefs, wovon die hervorragendsten Beispiele das Mantuanische Gefäß (s. d.) in Braunschweig, die Farnesische Schale aus Sardonyx in Neapel u. ein Becher in Paris sind.
Antike G. aller Art, auch antike Nachbildungen derselben in Glas, sogen. Pasten, oft von vorzüglicher Arbeit, sind uns noch in sehr großer Anzahl erhalten. Zu Ende der römischen Kaiserzeit artete die Glyptik aus, wurde roh und diente häufig dem Aberglauben. Im Mittelalter verlor sich die Kunst beinahe, und erst gegen das Ende desselben erwachte zunächst in Italien das Interesse für antike Münzen und G. wieder. Es entstanden damals die Grundlagen der noch heute bestehenden großen Sammlungen im Besitz des italienischen Adels und in den Museen zu Berlin, Wien, Petersburg, Paris, London, Florenz, Neapel, Gotha, Dresden, Kassel, Kopenhagen, Haag. Die Liebhaberei dafür war besonders im 18. Jahrh. weit verbreitet. Damals entstand die große Sammlung des Barons Ph. v. Stosch (s. d.), welche nachmals an das Berliner Museum überging; ferner die Sammlung des Herzogs von Marlborough, die 1875 für 35,000 Guineen (735,000 Mk.) an den englischen Kohlenbergwerksbesitzer David Bronslow überging. Auch Kopien der G. in Glas und Abdrücke in Schwefel, Gips etc. wurden gefertigt und fleißig gesammelt. Am bekanntesten sind die Lippertschen Abdrücke, welche unter dem Namen Lippertsche Daktyliothek (3000 Abdrücke) noch heute benutzt werden. Daneben sind die Abdrücke von Tassie (Katalog von Raspe, 1792) und die „Impronte gemmarie del Istituto archeologico di Roma“ hervorzuheben. Mit dem Interesse für antike G. entstand auch das Bedürfnis, sie nachzuahmen, woraus sich dann allmählich ein neuer Kunstzweig entwickelte, welcher im 16. Jahrh. zu hoher Blüte gelangte. Die bedeutendsten Gemmenschneider des „Cinquecento“ sind: Vittorio Pisano, Compagni, Caradosso, Giovanni delle Carneoli, Marmitta Vater und Sohn, Belli, Daniel Engelhart und etwas später Caraglio, Cesari, Mondella, Nassaro (Fig. 24), Pescia, Saracchi, Trezzo, Coldoré (Fig. 30), Kilian und Schwaiger und im 17. und 18. Jahrh. Pilaja, Torricelli, Tortorino, Höfler, Antonio, Giovanni und Luigi Pichler (Fig. 21, 28 u. 29), Amastini, Cades, Cerbara (Fig. 22), Costanzi, Santarelli, Dorsch, Hecker, Natter, Brown (Fig. 32), Busch, Marchant (Fig. 23), Guay (Fig. 31), Jeuffroy (Fig. 33), Berini, Morelli, Girometti und Calandrelli (Fig. 27). Im Anfang unsers Jahrhunderts hatten besonders Goethe, dann Kestner in Rom, der Herzog von Luynes und der Herzog von Blacas eifrig antike G. gesammelt. Seitdem ist aber das Interesse für sie wesentlich erlahmt, trotz der wissenschaftlichen Anregung dazu, namentlich durch die Forschungen von Köhler und Brunn („Geschichte der griechischen Künstler“, Bd. 2, S. 441 ff.). Doch ist noch in letzter Zeit eine bedeutende, über 1000 G. von allen Völkern zählende Privatsammlung von Tob. Biehler (Baden bei Wien) angelegt worden. Vgl. O. Müller, Handbuch der Archäologie (3. Aufl., § 313–315); Frischholz, Lehrbuch der Steinschneidekunst (Münch. 1820); Krause, Pyrgoteles (Halle 1856, woselbst auch fast die gesamte Litteratur über Kunde antiker G. angegeben ist); King, Antique gems and rings (3. Aufl., Lond. 1872); Derselbe, Handbook of engraved gems (2. Aufl., das. 1885); Bucher, Geschichte der technischen Künste, Bd. 1 (Stuttg. 1875); Kluge, Handbuch der Edelsteinkunde (Leipz. 1860).