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MKL1888:Gellert

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Gellert“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Gellert“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 7 (1887), Seite 6061
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Gellert. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 60–61. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gellert (Version vom 22.11.2023)

[60] Gellert, Christian Fürchtegott, einer der hervorragendsten deutschen Dichter der ersten Hälfte des 18. Jahrh., war 4. Juli 1715 zu Hainichen als Sohn eines Predigers geboren. Wiewohl seine Kindheit unter vielen Entbehrungen und einer harten Zucht verlief, versuchte sich doch schon der 13jährige Knabe in poetischem Schaffen. Im J. 1729 bezog G. die Fürstenschule zu Meißen, wo er Gärtner und Rabener zu Freunden gewann, und widmete sich sodann seit 1734 in Leipzig dem Studium der Theologie. Als er aber nach vier Jahren in Hainichen zum erstenmal die Kanzel betrat, machte seine natürliche Ängstlichkeit diesen Versuch zu einem unglücklichen, was ihm für immer das Amt eines Predigers verleidete. Im J. 1739 ward er Erzieher der Söhne des Herrn v. Lüttichau zu Dresden und ging 1741 wieder nach Leipzig, wo er sich durch Erteilen von Unterricht die nötigen Mittel erwarb, sich weiter auszubilden und namentlich sich zugleich mit der französischen und englischen Litteratur vertraut zu machen. Der Umgang mit Gärtner, Cramer, Rabener, Zachariä und J. E. Schlegel zog ihn allmählich von Gottsched, an dessen Übersetzung des Bayleschen Wörterbuchs er mitgearbeitet, und von seinem Nachtreter Schwabe, für dessen „Belustigungen des Verstandes und Witzes“ er Fabeln, Erzählungen, Lehrgedichte, ein Schäferspiel und mehrere prosaische Abhandlungen geliefert hatte, ab und veranlaßte seine Mitwirkung zur Herausgabe der sogen. „Bremer Beiträge“. Der leichte, natürliche Ton seiner Fabeln und Erzählungen fand bald Anklang. Wohl fühlend, daß seine schwächliche Gesundheit ihm nicht erlaube, ein mit anhaltenden Berufsarbeiten verbundenes Amt zu bekleiden, entschied er sich für den akademischen Lehrstand, ward 1744 Magister und habilitierte sich 1745 durch Verteidigung einer Abhandlung: „De poesi apologorum eorumque scriptoribus“. Seine Vorlesungen, denen er Batteux’, Ernestis und Stockhausers ästhetische Schriften zu Grunde legte, erfreuten sich bald allgemeinen Beifalls. Durch seine Schäferspiele: „Das Band“ (1744) und „Sylvia“ (1745), das Lustspiel „Die Betschwester“ (1745), den Roman „Leben der schwedischen Gräfin von G***“ (1746), besonders aber durch seine „Fabeln und Erzählungen“ (1746) erwarb er sich bald einen hervorragenden Namen. Im J. 1751 erhielt er eine ordentliche Professur und las nun über Dichtkunst, Beredsamkeit und Moral, leitete nebenbei stilistische Übungen, ließ sich Poesien, Briefe, Reden, Abhandlungen von seinen Zuhörern geben, las davon anonym vor, was ihm gefiel, und kritisierte mit Bescheidenheit und Sorgfalt. Ein so strenger Sittenzensor der Studenten er auch war, erfreute er sich doch der allgemeinen Liebe und des unbegrenzten Vertrauens von seiten derselben. In seinen Hörsälen waren fast alle Stände vertreten. Auch seine spätern Geistesprodukte: „Lehrgedichte und Erzählungen“ (1754), „Geistliche Oden und Lieder“ (1757), „Sammlung vermischter Schriften“ (1757), wurden mit ungeteiltem Beifall aufgenommen. Bei alledem aber verbitterte ihm die heftigste Hypochondrie seine Tage. Auch einige Ausflüge nach Berlin, Karlsbad und Dresden vermochten ihn nicht zu erheitern. In dieser trüben Stimmung entsagte er der Dichtkunst, um besondere Vorlesungen über die Moral auszuarbeiten, die nach seinem Tod 1770 von Hoyer und Schlegel herausgegeben wurden. Während des Siebenjährigen Kriegs ward G. von unzähligen Fremden besucht; Friedrich II. ließ ihn 1760 während seiner Anwesenheit in Leipzig zu sich rufen und fand so großes Wohlgefallen an seiner Unterhaltung, daß er ihn „den vernünftigsten aller deutschen Gelehrten“ nannte. Eine ordentliche Professur der Philosophie, die ihm 1761 angeboten wurde, schlug er seiner Kränklichkeit wegen aus. Sein Ende nahe fühlend, gedachte er noch seine „Moral“ durch sorgfältige Durchsicht zum Druck vorzubereiten, starb aber noch zuvor, 13. Dez. 1769. Sein Tod wurde in ganz Deutschland betrauert. Reine Religiosität, Uneigennützigkeit, Wohlwollen gegen die ganze Welt, hingebendste Freundschaft und große Bescheidenheit waren allgemein anerkannte Eigenschaften seines Charakters. Ein moralischer Enthusiast, ging er auf Seelenrettungen aus und verhehlte seine Freude nicht, wenn ihm eine solche gelungen war oder auch nur gelungen schien. In seiner „Moral“ spiegelten sich die Liebenswürdigkeit und Reinheit, aber auch die kraftlose Schüchternheit und Ängstlichkeit seines Charakters. Über seine schriftstellerischen Leistungen war lange Zeit in Deutschland nur eine Stimme der Anerkennung. Wieland erhob ihn zu seinem Liebling und pries seine naive Annehmlichkeit, seinen natürlichen Witz, seine einfältige Sprache der Erzählung, und selbst Lessing fand in Gellerts Briefen schöne Natur, Gesinnung und Gefühl, Liebenswürdigkeit und alles Edle. Aber schon der nächstfolgenden Generation erschienen die dichterischen Leistungen Gellerts in anderm Lichte, da ihm gerade dasjenige, was den Dichter macht, schöpferische Genialität und hinreißende Kraft der Darstellung, mangelte. Gleichwohl bleiben seine Verdienste an sich völlig unbestreitbar. Er war einer der ersten Autoren, welche innerhalb der deutschen Litteratur die Notwendigkeit eines Publikums und des Zusammenhanges von Dichtung und Leben begriffen. Seine Fabeln, obschon schmerzliche Spuren der harten und nüchternen Lebensanschauung tragend, welche in den deutschbürgerlichen [61] Kreisen zu Gellerts Zeit herrschte, zeichneten sich durch Natürlichkeit, liebenswürdige Schalkhaftigkeit und leichten Fluß der Darstellung aus. Seine geistlichen Oden und Lieder ermangeln wohl der Glut und Tiefe älterer deutscher Liederdichter, sind aber voll zu Herzen gehender Moral, reiner Empfindungen und warmer Andacht. Seine Lustspiele und Schäferspiele erstrebten im französischen Geschmack der Zeit eine gewisse Natürlichkeit; sein Roman „Das Leben der schwedischen Gräfin von G***“ litt zwar unter der Enge einer Anschauung, die das äußere Gesetz über alle innerliche Sittlichkeit hinausstellte, war aber ein bedeutender Versuch, inneres Leben überhaupt darzustellen. Im allgemeinen zeichnet sich Gellerts Prosa durch Leichtigkeit, Korrektheit und einfache Eleganz aus. Seine „Sämtlichen Werke“ erschienen zuerst Leipzig 1784, 10 Bde. (neueste Aufl., Berl. 1867); sie enthalten auch seinen in mehreren Sammlungen veröffentlichten Briefwechsel. Sein Leben beschrieben Cramer (Leipz. 1774) und Döring (Greiz 1833, 2 Bde.). Vgl. auch F. Naumann, Gellertbuch (2. Aufl., Dresd. 1865). Gellerts Gedächtnis feiern ein Denkmal in der Johanniskirche zu Leipzig, eine Statue (von Knaur) im Rosenthal daselbst und eine andre Statue (nach Rietschels Entwurf) in seiner Vaterstadt Hainichen. – Gellerts Bruder Christlieb Ehregott, geb. 11. Aug. 1713 zu Hainichen, war Professor an der Bergakademie zu Freiberg und starb 18. Mai 1795. Er ist Verfasser mehrerer zu ihrer Zeit geschätzter Lehrbücher der metallurgischen Chemie und Probierkunst.