MKL1888:Geldherrschaft
[53] Geldherrschaft (Geldoligarchie, Argyrokratie, Plutokratie), der Zustand eines Volkes, in welchem Geldmänner vermöge ihres Kapitalbesitzes das öffentliche Leben in Staat und Gesellschaft beherrschen. Der Wert des einzelnen Menschen an sich ist unter ihr gesunken, es gelten in ihr bloß die Kapitalien. Der Mittelstand, welcher sonst unter vorhandenen Umständen die Gegensätze ausgleicht, ist geschwunden; die Nation spaltet sich in Überreiche und in Proletarier. Die Zentralisierung des Staats ist bei solcher Herrschaft aufs höchste getrieben; das Spekulantentum will für seine Zwecke alles gewinnen. Die Abhängigkeit der untern Volksklassen ist unter diesen Umständen um so größer, weil sie, veranlaßt durch gänzlichen Mangel an Kapitalien oder an Grundstücken (Pauperismus), gezwungen sind, ihre volle Arbeitskraft ununterbrochen zu Markte zu bringen. Dem massenhaften Arbeitsausgebot gegenüber liegt die Nachfrage nach Arbeitern in den Händen weniger; diese beuten planmäßig und rücksichtslos die Volkskraft aus. Infolge dieser Abhängigkeit lernt der hoffnungslose Arme das Gesetz verachten. Seine Begriffe von Recht und Unrecht verwirren sich. Es sammelt sich der Zündstoff des Kommunismus an, und die Schrecken der Massenarmut greifen um sich. In den konstitutionellen Staaten vermag die G. nur indirekt ihren Einfluß auf die Verfassung und die Staatsgewalten zur Geltung zu bringen; sie kommt dagegen leichter zur Blüte unter der Regierung des modernen Cäsarismus (Imperialismus). Im Altertum stand die Geldoligarchie oftmals unmittelbar [54] an der Spitze der Regierungen. Heutzutage wird der Ausdruck G. nicht selten auch zur Bezeichnung der kapitalistischen Produktionsweise und des Übergewichts bezeichnet, welches das Kapital in dem wirtschaftlichen Leben des modernen Staats erlangt hat, und das von den Sozialisten, nicht minder aber auch von den sogen. Agrariern bekämpft wird (s. Kapital). Vgl. Roscher, Grundlagen der Nationalökonomie, § 204.