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MKL1888:Finnische Sprache und Litteratur

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Finnische Sprache und Litteratur“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 278279
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Finnische Sprache und Litteratur. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 278–279. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Finnische_Sprache_und_Litteratur (Version vom 19.09.2022)

[278] Finnische Sprache und Litteratur. Die finnische Sprache oder das Suomi gehört der finnisch-ugrischen Gruppe der großen Uralaltaischen Sprachenfamilie (s. d.) an. Wie alle Sprachen dieser Gruppe (vgl. Finnen), ist es sehr reich an Beugungen, besonders an Kasus, deren es nicht weniger als 15 besitzt, nämlich außer den auch in andern Sprachen üblichen einen Inessiv, das Darinsein, einen Allativ, das Hinzukommen, einen Prolativ, das Entlangsein ausdrückend, etc. Von den finnischen Dialekten ist der im Norden, gegen Lappland hin und bis zum Weißen Meer herrschende karelische der eigentümlichste und eher als selbständige Sprache anzusehen. Schon in einer ungemein frühen Periode muß das Finnische aus den benachbarten germanischen Sprachen eine Anzahl Wörter entlehnt haben, die durch ihre höchst altertümliche Lautform für die älteste Geschichte der germanischen Sprachen von großer Bedeutung sind. Vgl. Thomsen, Über den Einfluß der germanischen Sprachen auf die finnisch-lappischen (Halle 1870). In der Poesie gibt es nur ein einziges Versmaß; der Reim wird meistens durch Allitteration ersetzt, außerdem herrscht ein an die hebräische Poesie erinnernder Parallelismus. In der Neuzeit erfuhr die Sprache eine totale Reform in dem von Reinhold v. Becker herausgegebenen finnischen Wochenblatt „Turun Wiikkosanomat“ (1820 ff.) und in seiner Grammatik (Abo 1824). Die wichtigsten neuern Spezialwerke über die finnische Sprache sind: Kellgrén, Die Grundzüge der finnischen Sprache mit Rücksicht auf den uralaltaischen Sprachstamm (Berl. 1847); Eurén, Finsk språklära (Abo 1849 u. öfter); Derselbe, Finsk-Svensk ordbok (Tawastehus 1860); Jahnson, Finska språkets satslära (Helsingf. 1871); Ahlman, Svenskt-Finskt lexikon (2. Aufl., das. 1872); Ch. E. v. Ujfalvy und R. Hertzberg, Grammaire finnoise (Par. 1876). Das sehr brauchbare und wissenschaftlich gehaltene finnisch-schwedische Wörterbuch Renwalls: „Lexicon linguae finnicae“ (Abo 1826, 2 Bde.), ist durch das von Lönnrot herausgegebene Wörterbuch „Suomalais-Ruotsalainen sanakirja“ (Helsingf. 1866–82, 2 Bde.) nicht ganz verdrängt worden.

Von jeher von warmer Liebe für dichterische Äußerung, für Musik und Gesang erfüllt, hatten die Finnen seit dem heidnischen Altertum bis auf unsre Zeit[WS 1] herab eine Volkspoesie von ganz eigentümlichem Gepräge. Ihre Lieder vom alten Wäinämöinen, dem Gotte des Gesanges und dem Repräsentanten der [279] finnischen Götterwelt, und andre Mythen- und Zaubergesänge, deren Lieblingsgegenstand die Personifizierung der Naturkräfte ist, haben eine durchgängig schwermütige Färbung und „führen Bilder vor, die wie aus dem Nebel geballt erscheinen, der aus den zahllosen Seen des Landes aufsteigt“. Auch die balladenhaften Lieder haben meist den Ton Ossianscher Elegik; von der rauhen Kraft der skandinavischen Volkspoesie ist nichts in ihnen zu finden. In den abgelegenen Gegenden des Landes, wo die altheidnischen Überlieferungen sich erhalten haben, gelang es patriotischen Männern sogar, die Spuren altfinnischer Epik aufzufinden; so namentlich in der Landschaft Karelien, wo der Gelehrte Lönnrot aus dem Volksmund die bisher nur durch mündliche Tradition von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzten mythisch-epischen Gesänge zu sammeln und zu einer Art von Nationalepos zusammenzustellen begann (1835), dem er den Namen Kalewala (s. d.) gab, und das sich an Schönheit und Originalität mit den Volksdichtungen andrer Völker messen kann. Noch jetzt ist Finnland, besonders das nördliche, an Volksdichtern (Runolainen, Runoja, Runottaja, Runoseppä, Runoniekka) reicher als irgend ein andres Land, wozu die Sprache viel beiträgt, da sie alles personifiziert. Die Volkslieder oder Runen (runot) werden nach der Kantele oder dem mit fünf Metallsaiten bespannten, der Sage nach von Wäinämöinen erfundenen Nationalinstrument gesungen. Dem Inhalt nach ist in der Poesie der Finnen die Lyrik überwiegend, die als Grundklang ein außerordentlich inniges Heimatsgefühl durchzieht, und dieses Element herrscht auch in der „Kalewala“ vor. Die Schätze der finnischen Lyrik sind in der Sammlung „Kanteletar“ (1840, 2 Tle., 652 Lieder enthaltend; davon etwa 300 von H. Paul ins Deutsche übersetzt, Helsingf. 1882) niedergelegt. Andre Sammlungen sind in Finnland, besonders bei Landgeistlichen, handschriftlich vorhanden, während anderseits manche Geistliche um der Zaubergesänge willen gegen die alten Volkslieder eiferten und sie zu vernichten suchten. Einzelne gaben Schröter („Finnische Runen“, finnisch und deutsch, Upsala 1819, Stuttg. 1834) und Topelius (im finnischen Originaltext, Abo, später Helsingf. 1822–31, 5 Hefte) heraus. Eine Auswahl gab Tengström („Finsk anthologie“). In neuerer und neuester Zeit machten sich um die finnische Litteratur durch Sammlung und Übersetzung von Runen verdient: Europäus („Pieni runon seppä“, Helsingf. 1847), Altmann („Runen finnischer Volkspoesie“, 2. Ausg., Leipz. 1861) und „Die Runen der Finnen“ (im „Archiv für das Studium neuerer Sprachen“, 27. Bd., Braunschw. 1860). Vgl. Sjögren, Über die finnische Sprache und ihre Poesie (Petersb. 1821). Finnische Volksmärchen und Sprichwörter übersetzte Bertram („Jenseits der Scheren“, Leipz. 1854), der bereits Judéns „Walittuja suomalaisten sanalaskuja“ („Auserwählte Sprichwörter der Finnen“, Wiborg 1818) und besonders Lönnrots „Suomen kansan sanalaskuja“ (7077 finnische Sprichwörter enthaltend, Helsingf. 1842) benutzen konnte. Rätsel (2188) gab ebenfalls Lönnrot heraus („Suomen kansan arwoituksia“, Helsingf. 1844, 2. Aufl. 1851). Sammlungen von Volkssagen veranstalteten Rudbäck („Suomen kansan satuja“, Helsingf. 1854 ff., 4 Tle.) und Hertzberg (das. 1880). Im J. 1834 erschienen eine finnische Übersetzung der Oden Anakreons und Sapphos und das erste Trauerspiel in finnischer Sprache, eine Nachahmung Macbeths von Lagerwall. Der begabteste Dichter der neuesten Zeit ist A. E. Ahlquist („Säkenia“, Helsingf. 1860–68), neben dem noch Suonio (Krohn) und der originelle Al. Kivi zu nennen sind. Auch neuere schwedische Dichtungen, z. B. die von Runeberg, sowie Dichtungen von Shakespeare[WS 2], Molière, Schiller, Walter Scott u. a. fanden finnische Übersetzer. – Die prosaische Litteratur der Finnen hat sich neuerdings ebenfalls einer großen Förderung zu erfreuen gehabt. Die 1831 gegründete Finnische Litteraturgesellschaft zu Helsingfors, welche seit 1841 eine höchst wertvolle Zeitschrift („Suomi“) herausgibt, hat sich namentlich ein großes Verdienst um die Hebung und Ausbildung der finnischen Prosa erworben. Es sind durch sie bereits eine Menge wichtiger Lese- und Lehrbücher in finnischer Sprache veranstaltet und verbreitet worden. Die Bibelgesellschaft zu Abo (mit mehreren Filialen) sorgt daneben für Verbreitung der Heiligen Schrift im ganzen Lande. Das Neue Testament wurde bereits von dem Bischof zu Abo, Mich. Agricola, ins Finnische übersetzt (Stockh. 1548); von der ganzen Bibel erschien indes erst eine vollständige Ausgabe fast ein Jahrhundert später (1642). Als Geschichtschreiber hat sich Koskinen (Forsman) hervorgethan. Zeitungen in finnischer Sprache erschienen 1883 etwa 30, darunter das litterarische Blatt „Valvoja“. Ein Verzeichnis aller in Finnland gedruckten finnischen Bücher wurde unter Benutzung der Bibliothek des finnischen Sammlers Pohto von F. W. Pipping zusammengestellt (Helsingf. 1854); eine „Bibliographia hodierna fennica“ gab Lillja (Abo 1846 ff.) heraus. Vgl. Porthan, Opera selecta (Helsingf. 1857–73, 5 Bde.), eine wertvolle Sammlung von Aufsätzen; Castrén, Vorlesungen über die finnische Mythologie (deutsch von Schiefner, Petersb. 1853); Elmgrén, Oefversigt of Finlands litteratur ifrån 1542 till 1770, samt 1771–1863 (Helsingf. 1861–65, 2 Bde.). Eine Skizze der neuern Litteratur enthalten die Wiener „Jahrbücher der Litteratur“ (Bd. 9, 1820).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Zeti
  2. Vorlage: Shakespare