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MKL1888:Erfindung

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Erfindung“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 773774
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Erfindung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 773–774. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Erfindung (Version vom 11.02.2023)

[773] Erfindung, die schöpferische Thätigkeit des Menschen, welche sich in der Hervorbringung bisher nicht vorhanden gewesener Gegenstände äußert und in einem gewissen Gegensatz steht zur Entdeckung (s. d.), welche das Vorhandensein bisher nicht bekannter Gegenstände nachweist. Die Entdeckung eines chemischen Elements, wie z. B. des Chlors durch Scheele (1774), und die E. einer Maschine lassen den Unterschied zwischen beiden Thätigkeiten deutlich erkennen, während sich derselbe verwischt, wenn man z. B. erwägt, daß das 1827 von Wöhler in Thonerde entdeckte Metall, das Aluminium, nur für die Wissenschaft Bedeutung besaß, bis Sainte-Claire Deville 1854 eine Methode angab, erfand oder entdeckte, das Aluminium aus der Thonerde so billig herzustellen, daß an eine technische Verwendung gedacht werden konnte. Entdeckungen und Erfindungen gehen oft bei technischer Thätigkeit Hand in Hand und vereinigen sich zur Erzielung des Resultats. Entdeckungen sind häufiger als Erfindungen das Ergebnis des Zufalls, und es ist gar nicht zu leugnen, daß große Entdeckungen bisweilen wie Gaben des Glückes dem Entdecker ohne Anstrengung, ja selbst dann ihm zufielen, wenn er beim Suchen nach einem Ziel von völlig falschen Voraussetzungen ausging. Häufiger aber sind Erfindungen das Resultat großer Anstrengungen, intelligenter Benutzung von Entdeckungen und geistreicher Beobachtungen und Kombinationen. Es ist klar, daß eine große Reihe von Erfindungen dem Menschen gelingen mußte, sobald er sich über das Tier zu erheben begann; ja, die Thätigkeit des Tiers mag oft genug dem Menschen als Vorbild gedient haben, und wieviel man dem Zufall zu verdanken glaubte, lehrt die allgemein bekannte Erzählung von der E. des Glases, wenn dieselbe auch unwahr ist.[WS 1] Dagegen dürfte die Abscheidung von Metallen aus ihren Erzen sicher dem Zufall zu verdanken sein, und als man diese Entdeckung verfolgte und primitive Apparate erfand, um den Prozeß besser zu beherrschen, mußte man auch glasartige Schlacken erhalten, welche die Anregung zu Bemühungen in andrer Richtung gaben. Großartige Erfindungen gehören in diese Kategorie, der man auch die wichtigsten Errungenschaften zuzählen kann, welche auf rein empirischer Basis gemacht wurden, wie z. B. die E. der Holzschneidekunst (1420), der Kupferstecherkunst (1440) und die gleichzeitige der Buchdruckerkunst. Ganz anders gestalteten sich die Erfindungen, sobald man anfing, die Wissenschaft als Führerin zu benutzen und bewußt Naturgesetze für die Praxis zu verwerten. Für die ältere Zeit sind wir nicht mehr sicher im stande, überall zu unterscheiden, wo eine solche Thätigkeit vorlag oder der Zufall sein Spiel trieb (Entdeckung des Mikroskops 1590, des Fernrohrs 1608 etc.); aber schon die E. des Barometers (1643), der Luftpumpe (1650), der Pendeluhr (1656) waren Früchte wissenschaftlicher Thätigkeit, und wenn wir im 18. und vollends im 19. Jahrh. die Erfindungen sich häufen sehen, so ist dies teils auf das rapide Fortschreiten der Wissenschaften, teils aber auch auf die immer siegreicher vordringende Einsicht, daß auf diesem Gebiet die größten Siege durch Benutzung der Wissenschaft zu erreichen sind, zurückzuführen. Die moderne Chemie stellt sich als Hauptaufgabe die Erforschung der Konstitution der Körper, und die Einsicht, welche sie hierbei gewann, verwertete sie in glücklichster Weise zur künstlichen Darstellung von Körpern, welche bisher nur als Naturprodukte bekannt gewesen waren. So gelang die künstliche Darstellung des Alizarins (1869) und des Indigos (1878) aus Teerbestandteilen als das Resultat strengsten wissenschaftlichen Denkens, und es unterliegt keinem Zweifel, daß auch die Darstellung von Chinin, Morphium etc. gelingen wird. Diese Art des Erfindens ist auch auf die Verbesserung alter Erfindungen vielfach angewandt worden, und wenn heute die 1768 von Watt erfundene Dampfmaschine eine so vollkommene Gestalt erreicht hat, so ist dies wesentlich der wissenschaftlichen Thätigkeit der Ingenieure zu danken. Die Ausnutzung der früh erkannten Kraft gespannten Dampfes führte zur E. der Lokomotive (1804), die bald darauf (1830) den ersten Eisenbahnzug ziehen mußte, und zur E. des Dampfschiffs (1807), die Ausnutzung des 1802 entdeckten Elektromagnetismus zur E. des Telegraphen (1833) und der Dynamomaschine (1867). Die ganze Elektrotechnik mit der Galvanoplastik (1837) ruht auf wissenschaftlicher Basis, und ebenso hat sich die Photographie (1828) an der Hand der Wissenschaft entwickelt. Das Maschinenwesen verdankt seine Erfindungen wesentlich dem Streben, Menschenkraft zu sparen und mit größerer Kraftentfaltung zu arbeiten, als bei Anwendung von Menschen- und Tierkraft möglich ist. Man suchte nach Motoren, welche unter bestimmten Verhältnissen der Dampfmaschine vorzuziehen seien, und erfand unter andern die Turbinen (1824), die Heißluftmaschine (1833), die Gaskraftmaschine (1858), dann aber die zahlreichen Arbeitsmaschinen, wie die Spinnmaschine (1767) und den mechanischen Webstuhl (1785), die Nähmaschine (1829) und die Strickmaschine (1867), ferner die Säe- und Dreschmaschine (1783 und 1785) und die Mähmaschine (1811), die Hobelmaschine (1814) und viele ähnliche, durch welche die gesamte technische Thätigkeit eine andre Gestalt gewonnen hat. Auch die volkswirtschaftlichen Verhältnisse haben den größten Einfluß [774] auf die Erfindungen ausgeübt. Die Befreiung der Gewerbe von alten Fesseln, die Beförderung des Gedanken- und Güteraustausches durch Eisenbahnen und Telegraphen, der erleichterte persönliche Verkehr, die Hebung der Schulen und die Gründung von Fachschulen, namentlich auch die Patentgesetze, welche den Erfindern die Früchte ihrer Arbeit zu sichern suchen, haben wesentlich dazu beigetragen, daß in unsrer Zeit eine E. sich an die andre drängt und nach einmal gegebenem Anstoß schnell eine eminente Entwickelung auf allen Gebieten sichtbar wird. Daß dabei der Industrialismus auch taube Blüten treibt und sehr unerquickliche Erscheinungen hervorbringt, liegt in der Natur der Sache. Über die Geschichte der Erfindungen u. Entdeckungen vgl. die Litteratur bei Technologie.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. dazu im Artikel Glas den Abschnitt Geschichte der Glasindustrie.