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MKL1888:Eisenbahnunfälle

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Eisenbahnunfälle“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 466467
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Eisenbahnunfälle. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 466–467. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Eisenbahnunf%C3%A4lle (Version vom 06.01.2023)

[466] Eisenbahnunfälle haben seit dem Bau von Eisenbahnen die öffentliche Aufmerksamkeit in sehr hohem Grad in Anspruch genommen. Im Gegensatz zu den in Werkstätten, Güter- und Verkehrsräumen, bei Bauten, Reparaturen etc. vorkommenden, mit dem Eisenbahnbetrieb nur mittelbar zusammenhängenden Unfällen pflegt man als E. im engern Sinn die bei der Bewegung der Maschinen, Fahrzeuge und Züge hervorgerufenen Unfälle zu bezeichnen, welche, da durch sie das Leben der Reisenden in Gefahr gebracht wird, das öffentliche Interesse vorwiegend berühren. Derartige Unfälle werden meist durch Zusammenstöße und Entgleisungen hervorgerufen und der überwiegenden Zahl nach durch die Fehlbarkeit der Beamten, auf denen die Sicherheit der Züge beruht, verursacht. Es kommen hierbei namentlich als Ursachen in Betracht: mangelhafter Zustand der Betriebsmittel, der Bahn oder der Bauwerke; Konstruktionsmängel der Bahn und Betriebsmittel; unzureichende Bremskraft; falsche Signalgebung und Weichenstellung; übermäßige Fahrgeschwindigkeit mit Rücksicht auf Maschine, Bahn oder andre Umstände; zu schnelles Einfahren in die Stationen; mangelhafter oder fehlender Verschluß der Niveauübergänge; unzureichende Anpassung der Verkehrsformen etc. Eine beträchtliche Zahl von Eisenbahnunfällen ist aber von der Fehlbarkeit der Beamten unabhängig. Hierhin gehören in erster Linie die Eisenbahnachsenbrüche und Radreifenbrüche, hervorgerufen durch Eigenschaften in der innern Struktur des Eisens, welche sich meist der äußern Prüfung entziehen, und denen daher seitens der Eisenbahnvereine eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird; Kesselexplosionen; Entgleisen durch Hindernisse auf dem Bahnkörper; Brüche an Maschinen und Wagenteilen; atmosphärische Einflüsse, als Nebel, Schneestürme, Zerstörung der Bahn durch Regengüsse, Blitz etc.; endlich Böswilligkeit. Diese mannigfachen E. haben in neuester Zeit Veranlassung zur Gründung von Versicherungsanstalten gegen dieselben gegeben (s. Reiseunfallversicherung und Transportversicherung). Indessen hat man die Erfahrung gemacht, daß in demselben Maß, als sich die Kunst des Eisenbahnbetriebs verbesserte, auch die Zahl der E. im Verhältnis zu der Zahl der mit der Eisenbahn fahrenden Personen sich verminderte. Namentlich in England, dessen Eisenbahnwesen entwickelter ist als dasjenige irgend eines andern Landes, hat sich trotz der größern Schnelligkeit der Eisenbahnzüge im Vergleich zu den kontinentalen die Zahl der E. sehr bedeutend vermindert. Man hat, gestützt auf gute Belege, nachgewiesen, daß es bei weitem nicht so gefährlich ist, in England einen Tag mit der Eisenbahn zu fahren, als während derselben Zeit in den belebtern Teilen Londons zu gehen. Die Regierungen der meisten Länder haben schon zeitig ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet, den Eisenbahnunfällen auch auf gesetzgeberischem Weg zu begegnen. Sie haben zum Teil besondere Behörden niedergesetzt, denen die Aufgabe obliegt, jeden einzelnen Eisenbahnunfall an Ort und Stelle zu untersuchen. Auch wird in den allermeisten Ländern sehr streng die Zahl der E. und die Größe des durch sie veranlaßten Schadens und Menschenverlustes gebucht. Übrigens hat man die Erfahrung gemacht, daß in Hinsicht auf Körperverletzungen die Eisenbahnbeamten in erster Linie stehen, und daß die Verletzungen, welche Eisenbahnpassagiere zu erleiden pflegen, in bei weitem geringerer Zahl eintreten als diejenigen der Eisenbahnbeamten. Den wichtigsten Grund für diese Erscheinung bildet der Umstand, daß sich E. in sehr ausgedehntem Maß bei Güterzügen ereignen, also bei Zügen, welche keine Passagiere mit sich führen.

Die nachstehende Tabelle gibt ein Bild über die allgemeine Betriebssicherheit der dem Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen angehörigen Bahnen während des Betriebsjahrs 1883:

Art der Unfälle Deut­sche Bahnen Österr.-ungar. Bahnen Nieder­länd. etc. Bahnen
1) Es sind vorgekommen:      
Entgleisungen 450 408 129
Zusammenstöße 343 102 49
Sonstige Unfälle (auch solche ohne Folgen) 2572 644 113
2) Es sind Personen:      
a) unverschuldet bei einem außergewöhnlichen Bahnereignis getötet
20 10 5
verletzt 247 50 6
b) infolge eigner Schuld oder Unvorsichtigkeit getötet
533 188 66
verletzt 1372 363 101
c) außerdem in selbstmörde­rischer Absicht getötet
156 59 7
verletzt 16 17 1
3) Die Anzahl der Unterbrechungen des fahrbaren Zustands der Bahn betrug 61 125 1
4) Achsbrüche:      
bei Lokomotiven und Tendern 30 49 7
bei Wagen 45 49 17
Die Zahl der durch Achsbrüche veranlaßten Unfälle betrug 10 35
5) Radreifenbrüche:      
bei Lokomotiven und Tendern 529 384 21
bei Wagen 2505 396 30
und die Zahl der dadurch veranlaßten Unfälle 26 39 1
6) Schienenbrüche: 2292 1278 120
und die Zahl der dadurch veranlaßten Unfälle 20 4

[467] In der nachfolgenden Übersicht sind die bisher stattgefundenen größern E., d. h. die Unfälle, bei denen die Zahl der verunglückten Personen eine verhältnismäßig große war, zusammengestellt.

Die größern Eisenbahnunfälle seit 1842.
Jahr Tag Orte der Unfälle Ursache und Folgen der Unfälle
1842 8. Mai Belleville (Frankreich) 50 Passagiere verbrannt
1852 6. Mai Norwalk (Connecticut, Vereinigte Staaten) 46 Personen getötet, 30 verletzt infolge offen gelassener Drehbrücke
1854 24. Okt. Kanada 40 Personen getötet auf der Great Western-Bahn
1856 17. Juli Pennsylvanien 62 Pers., meist Kinder, verbrannt, 100 verletzt auf d. North Pennsylvaniabahn
1857 17. März Kanada bei Des Jardins 60 Personen getötet auf der Great Western-Bahn
1857 28. Juni Lewisham (England) 11 Pers. getötet, 100 verletzt
1859 27. Jan. South Bend (Indianapolis, Verein. Staaten) 30 Pers. getötet, 40 verwundet infolge einer ausgewaschenen Stelle auf der Süd-Michiganbahn
1859 2. Aug. Tomhannock Creek 13 Personen getötet auf der Albany, Vermont and Kentucky-Eisenbahn
1859 31. Dez. Auf einer Brücke in der Nähe von Columbus (Verein. Staaten) 14 Personen getötet
1861 25. Aug. London (Clayton-Tunnel) 23 Personen getötet, 100 verletzt
1862 13. Okt. Winchburg 15 Personen getötet
1862 15. Juli Port Jervis (Ver. St.) 50 Pers. getötet, 60 verletzt
1867 11. Dez. Hanlan Bridge 15 Personen getötet
1867 18. Dez. Angola (Lake Shore, Vereinigte Staaten) 40 Personen verbrannt
1868 14. April Port Jervis (Ver. St.) 20 Pers. getötet, 60 verletzt
1868 20. Aug. Abergele (Nordwales) 38 Personen verbrannt
1868 20. Aug. Nordwestbahn (Böhm.) 21 Pers. getötet, 60 verletzt
1869 14. Juli Eriebahn b. Mast Hope 10 Personen verbrannt
1871 3. Juli Harpeth River (Tennessee, Verein. Staat.) 15 Personen getötet, 20 verletzt
1871 26. Aug. Revere in der Nähe von Boston (Mass., V. St.) 30 Pers. getötet, 50 verletzt infolge Zusammenstoßes
1872 6. Febr. New Hamburg (New York, Verein. Staat.) 22 Personen getötet beim Brand eines Ölzuges
1872 24. Dez. Norwich (England) 19 Personen getötet beim Herabfallen eines Zuges in eine Schlucht
1874 10. Sept. Shipton (England) 24 Pers. getötet, 40 verletzt infolge Zusammenstoßes
1874 20. Okt. Cherwellfluß (Engl.) 34 Pers. ertrunken dadurch, daß ein Zug in den nebenbezeichneten Fluß fiel
1875 21. Jan. Great Northern-Bahn (England) 13 Pers. getötet bei einem Zusammenstoß
1876 26. Sept. Black Lick Station (Panama, Verein. Staat.) 25 Personen getötet durch einen Unfall
1876 26. Dez. Ashtabula (Ohio, Vereinigte Staaten) 80 Personen getötet durch einen Unfall
1880 20. Dez. Taybrücke (Schottland) 200 Personen ertrunken infolge Zusammenbrechens der Brücke
1881 1. März Macon (Missouri) 40 Auswanderer getötet bei einem Zusammenstoß
1882 3. Sept. Hugstetten (Baden) 64 Pers. getötet, 225 verletzt infolge Entgleisung
1883 2. Sept. Steglitz bei Berlin 39 Tote, 20 Verwundete durch Überfahren an einem Niveauübergang
1885 25. Jan. Neusüdwales (Australien) 12 Tote, 28 Verwundete durch Einbruch eines Viadukts infolge heftiger Regengüsse auf der Eisenbahnlinie Melbourne-Sydney