MKL1888:Bodenschwankungen
[127] Bodenschwankungen. Beobachtungen über die langsamen Bewegungen des Erdbodens vermittelst fest aufgestellter, äußerst empfindlicher Libellenniveaus sind von Astronomen und Physikern häufig angestellt worden. Keiner jedoch verfügt über eine so lange Beobachtungsreihe wie Ph. Plantamour zu Sécheron bei Genf. Die Beobachtungsstation liegt ungefähr 2 km nördlich vom Genfer Observatorium und ist nur ca. 30 m vom Seeufer entfernt. Die beiden Niveaus stehen jedes auf einem Pfeiler, die aus Backsteinen im Keller des Gebäudes erbaut sind und sich an die Innenseite der Grundmauern anlehnen. Die eine Libelle ist Ostwest orientiert, die andre Nordsüd. Ein Steigen oder Fallen der äußern Lufttemperatur ruft eine entsprechende Bewegung des östlichen Endes des Niveaus hervor, dabei bleibt jedoch die Bewegung des Bodens etwas hinter dem Temperaturwechsel zurück. Die Oszillationen werden mehr durch eine lange andauernde mittlere Temperatur bestimmt als durch das wirkliche Maximum od. Minimum. Die Schwankungen des Nord-Süd gerichteten Niveaus lassen eine ebensolche, aber weit geringere jährliche Periode erkennen; das Südende der Blase folgt der äußern Temperatur in der Weise, daß es sich im Winter senkt und im Sommer hebt. Außer in dieser deutlichen jährlichen Periode bewegen sich die Blasen beider Niveaus auch in einer minder ausgeprägten täglichen. Fig. 1 veranschaulicht die Resultanten der ostwestlichen und nordsüdlichen Bewegungskomponente, und zwar stellt sie das Mittel der wöchentlichen Veränderungen in der Neigung dar. Als Nullpunkt ist die Stellung beider Niveaus beim Beginn der Beobachtung gewählt. Die positiven Abscissen und Ordinaten der Kurvenpunkte repräsentieren die seit diesem Termin erfolgte Veränderung in der Neigung nach O. und N. Die gerade Linie, welche je zwei Kurvenpunkte verbindet, stellt nach Größe und Richtung die Resultanten in dem Neigungswechsel während des entsprechenden Zeitraums dar. Die Richtung der großen Achse der Kurve entspricht demnach derjenigen, in welcher die größte Veränderung der Neigung stattfand. Eine Betrachtung der Kurven in Fig. 1 läßt folgende Schlüsse ziehen: 1) Der Wechsel in der Neigung geht in verschiedenen Azimuten vor sich; die Komponenten der Bewegungen, welche durch die beiden Niveaus angezeigt werden, stehen also nicht immer im gleichen Verhältnis zu einander. 2) Außer der jährlichen periodischen Bewegung tritt auch eine in nördlicher Richtung fortschreitende Bewegung hervor und vom 5.–7. Beobachtungsjahr ebenso eine nicht unbeträchtliche
Fig. 1. Resultanten der ostwestlichen und nordsüdlichen Bewegungskomponente. | |
Bewegung in östlicher Richtung. 3) Die Richtung der großen Achse aller Kurven ist ungefähr 12° S. zu O., d. h. die größte Neigungsveränderung während des Jahres vollzieht sich annähernd in derselben Richtung, in der die mittlere Neigung des die Beobachtungsstation umgebenden Bodens liegt (30° S. zu O.). Eine einfache mathematische Betrachtung lehrt, daß diese Niveauschwankungen in engster Beziehung zu dem Wechsel der äußern Temperatur stehen. In Fig. 2 (S. 128) bezeichne AB einen Durchschnitt der Bodenoberfläche, P und Q zwei Punkte auf dem ebenen Boden des Kellers. QC stelle die Geoisotherme durch Q dar und DE die Lage, welche letztere nach einem [128] gegebenen Temperaturwechsel am Ende eines bestimmten Zeitraums einnimmt. Sind QD und PCE senkrechte Linien in Q und P, so ist klar, daß die Abschnitte QD und CE sich um denselben Betrag ausdehnen werden; das Emporsteigen von P im Verhältnis zu Q rührt dann von der Ausdehnung des Abschnitts PC her. Steigt also die Temperatur, so muß das Ende P eines Libellenniveaus PQ sich heben,
Fig. 2. | |
bei einer Temperaturerniedrigung tritt dagegen eine Senkung ein, wie es nach den Beobachtungen von Plantamour auch der Fall ist. Der Wechsel der Lufttemperatur ist vollkommen hinreichend, um quantitativ und qualitativ die hauptsächlichste der beobachteten B. zu erklären.
Neben dieser letztern Bodenschwankung gibt es aber noch andre Bewegungen, die nicht in Temperaturveränderungen ihre Erklärung finden. Wäre die Oberfläche des Bodens ganz eben und rührten die Bewegungen allein von dem Temperaturwechsel her, so müßten die Kurven in Fig. 1 einfache gerade Linien sein und parallel der Neigung des Bodens verlaufen. Wahrscheinlich schreiben sich diejenigen Bewegungen, welche rechtwinkelig zu der letztgenannten Richtung verlaufen, von Unebenheiten des Bodens her. Die größte Wichtigkeit kommt aber derjenigen Bewegung zu, welche einen nichtperiodischen Charakter an sich zu tragen scheint. Vom dritten bis zum achten Beobachtungsjahr ist ein konstantes, wenn auch nicht gleichmäßiges Fortschreiten nach N. zu bemerken. Möglicherweise verraten sich hierin große, weit ausgedehnte, säkulare Bewegungen der Erdrinde, die mit der Gebirgsbildung in Verbindung stehen. Diese Annahme findet eine wesentliche Stütze an den Beobachtungen, welche an andern Stellen über die Bodenbewegungen angestellt sind. So haben seit 1859 die beiden Meridianpfeiler der Sternwarte zu Neuchâtel, welche aus je einem direkt auf dem Kalkfelsboden ruhenden Steinblock bestehen, regelmäßig ihre Stellung so geändert, daß das nach S. gerichtete Ende des mit den Achsenenden auf ihnen ruhenden Fernrohrs sich im Winter (September bis Februar) um 38,2″ von W. nach O. und im Sommer (März bis August) um 39,8″ von O. nach W. bewegt, so daß also nach Verlauf von 24 Jahren eine um 36″ überwiegende Bewegung im letztern Sinne vorhanden war. Gleichzeitig hat sich der westliche Pfeiler fortdauernd gegen den östlichen um etwa 24″ gesenkt, so daß in dem angegebenen Zeitraum die Gesamtdrehung um eine horizontale Achse 9′10″ betragen hat. Der periodische Hauptteil der Bewegung im Azimut ist jedenfalls durch den Jahreswechsel der Erwärmung der Hügelseite veranlaßt. Der kleine unperiodische Teil dagegen sowie die kontinuierlich zunehmende Neigung von O. nach W. kann nur geologischen Ursachen, also entweder der zunehmenden Gebirgsfaltung des Jura oder dem Absinken einer Scholle des Gebirges gegen benachbarte zugeschrieben werden. An den Hauptpfeilern der Berliner Sternwarte sind Drehungsbewegungen fortschreitender Art so gut wie nicht zu konstatieren, so daß also in den alluvialen Erdschichten, welche die Pfeiler tragen, Hebungen und Senkungen zu stärkern Beträgen als Bruchteilen des Millimeters nicht aufgelaufen sind. Dagegen treten deutlich periodische Bewegungen auf, eine Abhängigkeit vom Grundwasser ist indessen nicht zu erkennen. Die beobachteten Drehungsbewegungen, die sich deutlich als Bewegung der gemeinsamen Grundpfeiler erkennen lassen, werden durch jährliche oder nahezu elfjährige Perioden dargestellt, welche ihren thermischen Charakter auf das deutlichste auch daran erkennen lassen, daß die Wendepunkte dieser periodischen Erscheinungen den Wendepunkten der jährlichen Temperaturperiode und der elfjährigen Sonnenperiode sich, wenn auch etwas verspätet, anschließen. Diese fast erschöpfende Abhängigkeit von der thermischen Periode schließt einen erheblichen Anteil von Bewegungen der Bodenschichten aus.