MKL1888:Blatt
[1012] Blatt (Folium), in der botan. Morphologie eine der Grundformen, auf welche die verschiedenen Glieder des Pflanzenkörpers sich zurückführen lassen, und zwar versteht man darunter alle diejenigen Ausgliederungen eines Stengelorgans, welche aus dem Wachstumsscheitel desselben als primäre, wesentlich von jenem verschiedene Bildungen hervorgehen. Hiernach unterscheiden sich die Blätter oder Phyllome sowohl von den Haargebilden oder Trichomen, welche erst nach der Anlage der primären Ausgliederungen sekundär an ihrer Oberfläche entstehen, als auch von allen Stammorganen oder Kaulomen, welche an ihrer Spitze Glieder gegensätzlicher Bildung erzeugen. Aus dem fortwachsenden Scheitel eines Stammorgans können daher sowohl neue Stamm- als Blattanlagen hervorgehen, aus einem jungen Blattscheitel nur die Anlagen von neuen Blattabschnitten. Wenn in einigen Fällen an Wurzeln oder Blättern Knospen, also blattartige Sprosse, auftreten, so geschieht dies nicht an dem primären Wachstumsscheitel dieser Organe, sondern an beliebigen, durch sekundäre Vorgänge bedingten Stellen. In der Regel erscheinen die Blätter in seitlicher Stellung zum Stamm, und viele Morphologen legen hierauf besonderes Gewicht, doch ohne rechten Grund, da es auch echte, das Ende eines Sprosses abschließende, d. h. terminale, Blätter gibt.
Das B. ist nur an Pflanzen mit echten Stengeln zu finden; diesen kommt es aber auch allgemein zu und ist somit von den Moosen an aufwärts, einschließlich dieser, vertreten. Dagegen fehlt es den mit einem Thallus versehenen Kryptogamen, nämlich den Pilzen, Flechten und Algen, obgleich unter den letztern bereits Gebilde auftreten, die als Analoga der Blätter, nicht aber als diesen gleichwertige Bildungen angesehen werden können.
Das Hervortreten der ersten Anlage eines Blattes am Umfang der noch blattlosen, in der Fortbildung begriffenen Stengelspitze besteht darin, daß eine oder mehrere nebeneinander liegende Zellen, die bis dahin der Oberfläche der Stengelspitze angehörten, sich nach außen vorwölben und dadurch eine schwache Erhebung auf derselben hervorbringen. Indem nun diese Zellen und meist auch die zunächst unter ihnen liegenden sich stärker als die übrigen Zellen des Stengelumfanges in der Richtung des Radius des Stengels durch Zellenteilung vermehren, wird aus jener Erhebung der Oberfläche allmählich ein kleiner, meist stumpf konischer Zellgewebshöcker am Umfang der Stengelspitze. Anfänglich vermehren sich alle Zellen desselben gleichmäßig, das Wachstum an der Spitze aber hört sehr bald auf, und indem nur die übrigen Zellen fortfahren, sich zu teilen, wächst die junge Blattanlage in allen ihren Teilen mit Ausnahme der Spitze. Die Richtungen, in denen diese Zellenteilungen erfolgen, und der Grad, in dem dies geschieht, bestimmen die zukünftige Gestalt des Blattes. Vielfach erlischt das Wachstum zuletzt an der Basis; zumal bei einfachen, langen Blättern ist dieser Teil, wenn das B. schon eine ansehnliche Größe erreicht hat, allein noch im Wachstum begriffen.
[Blattstellung.] Die gegenseitige Anordnung, welche die Blätter am Stengel einnehmen, ist keineswegs eine regellose; vielmehr geben sich hierin überraschende, feste Gesetze kund, welche man in eine eigne Disziplin, die Lehre von der Blattstellung (Phyllotaxis), zusammenzufassen pflegt, deren Begründer Schimper und A. Braun (1835) und L. und A. Bravais (1838) sind. Zunächst gibt es zwei Hauptverschiedenheiten der Blattstellung, indem entweder die Blätter einzeln stehen, d. h. keins mit einem ändern auf gleicher Höhe, oder indem immer zwei oder mehr Blätter in gleicher Höhe entspringen. Im erstern Fall spricht man von abwechselnden oder wechselständigen (folia alterna), im letztern von wirtel- oder quirlständigen Blättern (folia verticillata) und insbesondere von paarigen oder gegenständigen (folia opposita) da, wo zwei Blätter auf gleicher Höhe und dann stets einander gerade gegenüberstehen. Wenn man an einem Stengel mit wechselständigen Blättern in der Art von unten nach oben fortschreitet, daß man alle Blätter, wie sie nach aufwärts aufeinander folgen, berührt, so beschreibt man eine den Stengel umwindende Spirallinie, die sogen. Grundspirale. Hierbei ergibt sich nun erstens die Eigentümlichkeit, daß das Stück der Stengelperipherie, welches man mit der Spirale umlaufen muß, um von einem B. zum nächsten zu gelangen, bei sämtlichen Blättern des Stengels gleich groß ist. Dieses Bogenstück heißt die Divergenz der Blätter; sie läßt sich in Bruchteilen der Stengelperipherie ausdrücken. Dabei besteht aber eine zweite Eigentümlichkeit darin, daß diese Brüche rationale Teile der Peripherie sind, woraus folgt, daß jedesmal nach einer bestimmten Anzahl von Blättern ein [1013] B. wieder gerade über dem Ausgangsblatt steht. Fig. 1 versinnlicht an einer durchsichtig gedachten Achse eine Blattstellung mit einer Divergenz von 2/5. Wenn man in der Spirale vom B. 1 aufsteigt, so ist B. 6 das erste, welches wieder senkrecht über dem Ausgangsblatt steht; ebenso steht B. 7 über B. 2, B. 8
Fig. 1. | Fig. 2. |
Blattspirale. | Dekussierte Blätter. |
über B. 3 u. s. f. Es lassen sich mithin auch die Blätter eines Stengels durch eine Anzahl gerader Linien verbinden, welche man Blattzeilen (Orthostichen) nennt, und man kann daher die Blattstellung auch als zweizeilige, dreizeilige, fünfzeilige etc. bezeichnen. Derjenige Teil der Grundspirale, welchen man zurücklegen muß, um von einem Ausgangsblatt bis zum nächsten senkrecht darüberstehenden B. zu gelangen, heißt ein Cyklus. Man pflegt nun die Blattstellung durch ihre Divergenz zu bezeichnen, nämlich in Gestalt des Bruches, den die letztere beträgt. In dem hier veranschaulichten Fall würde also die Blattstellung
Fig. 3. | |
Gegenständige Blätter mit verwachsener Basis. | |
2/5 gegeben sein. In allen Fällen gibt der Zähler dieser Brüche an, wieviel ganze Umläufe um den Stengel der Cyklus macht, und der Nenner drückt die Anzahl der Blätter aus, welche ein Cyklus umfaßt. Es finden sich in der Natur zahlreiche verschiedene Divergenzen, aber im allgemeinen sind dieselben für jede Pflanzenart konstant und charakteristisch. Die allermeisten der existierenden Blattstellungen gehören folgender Reihe an: 1/2, 1/3, 2/5, 3/8, 5/13, 8/21, 13/34 u. s. f. Diese Reihe hat die Eigentümlichkeit, daß jeder Bruch durch Addition der Zähler und der Nenner der beiden vorausgehenden Brüche zu finden ist; sämtliche so erhaltene Brüche liegen ihrer Größe nach zwischen dem größten und dem kleinsten, 1/2 und 1/3, mitten inne. Die weitaus häufigsten Blattstellungen gehören den niedern Divergenzen an, mit denen die Reihe beginnt. Man hat auch Fälle von Blattstellungen beobachtet, welche andern, aber analogen Reihen von Brüchen angehören. – Die die Blätter verbindende Grundspirale läßt sich selbstverständlich nach zwei entgegengesetzten Richtungen um den Stengel legen, indem man entweder auf dem längern oder auf dem kürzern Weg von einer Stellung zur andern fortschreitet. Es ist üblich, immer den kürzern Weg in Betracht zu ziehen, und unter dieser Voraussetzung läßt sich dann angeben, ob die Richtung der Grundspirale rechts- oder linkswendig aufsteigt. Beiderlei Richtungen kommen vor und sind selbst an einer und derselben Art nicht konstant. Bei verzweigten Stengeln ist die Grundspirale der Zweige entweder von der gleichen Richtung wie an der Hauptachse oder von entgegengesetzter, was man als homodrom oder antidrom bezeichnet. Bei vielen Achsen, die eine zweizeilige Verzweigung haben, und
Fig. 4. | Fig. 5. | Fig. 6. |
Gespaltene Blattscheide. | Geschlossene Blattscheide. | Kurzgestieltes Blatt. |
zwar sowohl bei laubtragenden Achsen als bei gewissen Blütenständen, z. B. den sogen. Wickeln, sind die Zweige, im letztern Fall die Blüten, der einen Zeile mit der Hauptachse homodrom, die der andern antidrom, also beide Zeilen einander entgegengesetzt. Bei den quirlständigen Blättern gruppieren sich die einzelnen Glieder des Quirls in gleichen Abständen voneinander um den Stengel. Die Blätter divergieren also bei gegenständiger Stellung um 1/2, bei dreigliederigen Quirlen um 1/2 der Stengelperipherie u. s. f. Man bezeichnet die Quirlstellungen durch diese Brüche, indem man dieselben in Klammern einschließt. Wenn Quirle aufeinander folgen, so ist es Regel, daß die Blätter des nächsten über der Mitte der Zwischenräume zwischen den Blättern des vorhergehenden stehen, so daß also der erste und dritte Quirl untereinander gleichgestellt sind. Die gegenständigen Blätter sind daher gekreuzt (dekussiert, vgl. Fig. 2). Neuerdings wurde von Schwendener versucht, die Anordnung der Blätter in Schrägzeilen und die regelmäßige Divergenz als Folge des gegenseitigen Druckes der jungen Blattorgane zu erklären. Über Blattstellung vgl. Schimper, Beschreibung des Symphytum Zeyheri (Heidelb. 1835); Braun, Untersuchungen über die Ordnung der Schuppen an den Tannenzapfen (Academ. Leopold.-Carol. Acta, Bd. 14); [1014] L. u. A. Bravais, Über die geometrische Anordnung der Blätter und Blütenstände (deutsch von Walpers, Bresl. 1839); Hofmeister, Allgemeine Morphologie der Gewächse (Leipz. 1868); Schwendener, Die mechanische Theorie der Blattstellung (das. 1878).
Fig. 7. | Fig. 8. | Fig. 9. |
Eiförmiges Blatt. | Lanzettförmiges Blatt. | Rautenförmiges Blatt. |
Man unterscheidet folgende Teile des Blattes, die jedoch nicht bei allen Blättern in gleichem Grad ausgebildet sind und in ihren besondern Formen große
Fig. 10. | Fig. 12. |
Spateliges Blatt. | Nierenförmiges Blatt. |
Mannigfaltigkeit zeigen. 1) Die Blattbasis oder der Blattgrund, d. h. der unterste Teil, mit welchem das B. dem Stengel angefügt ist, nimmt entweder
Fig. 11. | Fig. 13. | Fig. 14. |
Herzförmiges Blatt. | Pfeilförmiges Blatt. | Spießförmiges Blatt. |
nur einen Teil oder den ganzen Umfang des Stengels ein. Im letztern Fall spricht man von einem stengelumfassenden B. Bei gegenständiger Stellung sind bisweilen die Basen der beiden Blätter vereinigt (caules perfoliati), wie beim Geißblatt (Fig. 3). Bisweilen zieht sich die Blattbasis beiderseits als ein flügelartiger Streifen weit am Stengel herab; solche Stengel heißen geflügelte (caules alati). 2) Die Blattscheide (vagina) ist ein mehr oder weniger breiter und scheidenartig den Stengel umschließender Teil, welcher sich oft über der Basis des Blattes findet, wie bei den Gräsern und vielen Umbelliferen. Hier ist aber meistens die Scheide gespalten, d. h. die Ränder sind frei, nur übereinander gelegt, wie z. B. bei Angelica (Fig. 4). Dagegen haben die Blätter der Halbgräser (z. B. Eriophorum, Fig. 5)
Fig. 15. | |
Schildförmiges Blatt. | |
Fig. 16. | |
[von oben nach unten:] gesägt, gezahnt, gekerbt, ausgeschweift, buchtig, gewimpert, ausgefressen Formen der Blattränder. | |
geschlossene Scheiden, d. h. solche, an denen keine freien Ränder vorhanden sind. Bei vielen Blättern ist der Scheidenteil nur angedeutet oder fehlt ganz. 3) Der Blattstiel (petiolus) ist das auf die Scheide folgende, durch seine zusammengezogene und verschmälerte Gestalt von dem folgenden Teil des Blattes mehr oder minder scharf geschiedene Stück. Er kann in sehr verschiedenem Grad entwickelt sein (vgl. Fig. 6) oder auch ganz fehlen. Im letztern Fall hat man ein sitzendes B. (folium sessile), im andern ein gestieltes (f. petiolatum). Es gibt sogar Blätter, die nur aus dem Stiel bestehen, der dann flach und breit ist, und an welchem die eigentliche Blattfläche ganz fehlt. Dies ist das sogen. Blattstielblatt (phyllodium), wie es bei manchen Arten von Acacia vorkommt. 4) Die Blattfläche oder Blattspreite (lamina) bildet in den meisten Fällen den Hauptteil des Blattes, den man oft schlechthin als B. bezeichnet. Wenn die Spreite eine einzige zusammenhängende Ausbreitung darstellt, so heißt das B. einfach (folium simplex). Die sehr mannigfaltigen Blattformen werden in der Botanik durch übermäßig zahlreiche terminologische Ausdrücke nur unvollkommen bezeichnet; die Figuren 7–20 stellen die wichtigsten Formen dar.
In der Regel wird die Spreite von den sogen. Blattrippen oder Nerven durchzogen. Diese zeigen bei den verschiedenen Pflanzen bestimmte Anordnung, welche man die Nervatur (nervatio) nennt. In den meisten Fällen tritt ein die Mitte des Blattes durchlaufender, die Fortsetzung des Stiels bildender Nerv stärker hervor, der als Mittelrippe [1015] (costa media) bezeichnet wird zum Unterschied von den übrigen schwächern Nerven, welche Seitenrippen (nervi laterales) genannt werden, während die feinern Verzweigungen dieser, welche gewöhnlich keine bestimmte Richtung haben, sondern unter sich netzförmig
Fig. 17. | Fig. 19. |
Handförmig geteiltes Blatt. | Fiederförmig geteiltes Blatt. |
Fig. 18. | Fig. 20. |
Fiederförmig geteiltes Blatt. | Fußförmig geteiltes Blatt. |
Fig. 22. | Fig. 21. |
Winkelnerviges Blatt. | Bogennerviges Blatt. |
anastomosieren, Adern (venae) heißen. Man unterscheidet zwei Hauptarten der Nervatur: bogennervige Blätter (folia curvinervia) und winkelnervige Blätter (f. angulinervia). Bei den erstern entspringen die Seitenrippen entweder mit der Mittelrippe zugleich am Blattgrund, oder sie gehen in seichtem Bogen aus derselben hervor und verlaufen dann entweder parallel, oder konvergierend, oder divergierend gegen die Spitze oder den Rand (vgl. Fig. 21). Bei den andern gehen von der Mittelrippe die Seitennerven plötzlich in einem scharfen Winkel ab und verlaufen gegen den Rand (Fig. 22).
Den Gegensatz zum einfachen B. bildet das zusammengesetzte (folium compositum). Hier ist die Zerteilung der Blattfläche bis zu dem Grad fortgeschritten, daß die einzelnen Abschnitte als vollständig voneinander geschiedene Teile erscheinen. Diese werden als Blättchen oder Teilblättchen (foliola) bezeichnet; sie ahmen die Gestalten einfacher Blätter nach, sind häufig sogar mit einem Blattstielchen (petiolulus) versehen und zeigen in ihrer gegenseitigen Anordnung wieder die drei Typen, die obenan der Nervatur unterschieden wurden; man spricht hiernach von einem gefiederten B. (f. pinnatum, Fig. 23 u. 24), einem handförmigen (f. palmatum, Fig. 25) und einen fußförmigen (f. pedatum, Fig. 26).
Fig. 23. | |
Unpaarig gefiedertes Blatt. | |
Bei dem erstern heißt der gemeinschaftliche Stiel, an welchem die Blättchen meist in Paaren befestigt sind, die Blattspindel (rhachis). Wenn die letztere mit einem Endblättchen abschließt, wie in Fig. 23, so hat man ein unpaarig gefiedertes B. (f. imparipinnatum), dagegen ein abgebrochen oder paarig gefiedertes (f. abrupte s. paripinnatum), wenn ein solches Endblättchen fehlt (Fig. 24). Die handförmigen Blätter unterscheidet man nach der Anzahl der Blättchen als dreizählig (f. ternatum), fünfzählig (f. quinatum) etc. Es gibt auch Blätter, welche mehrfach zusammengesetzt sind; dies ist besonders häufig bei gefiederten Blättern der Fall, wie es Fig. 27 zeigt. Die Abschnitte werden hier Fiedern (pinnae) genannt und als solche erster, zweiter etc. Ordnung unterschieden. Bei manchen Pflanzen kommen beiderseits neben der Basis des Blattes blattartige Anhänge vor, die sogen. Nebenblätter (stipulae). Daß diese nur Teile des Blattes sind, geht daraus hervor, daß sie wie alle entgegengesetzt seitlichen Teile dieser zu einander symmetrisch und daß sie häufig mit dem B. mehr oder minder verwachsen sind. Ungewöhnlich groß und als grüne Gebilde erscheinen sie bei den Schmetterlingsblütlern, z. B. bei der Erbse (Fig. 28). Meistens sind sie weit kleiner und bei vielen Laubhölzern als häutige, nicht grüne Schuppen ausgebildet, welche schon während der Entfaltung der Blätter abfallen (Ausschlagsschuppen, ramenta). Nicht selten sind die Nebenblätter beiderseits an den Blattstiel angewachsen (stipulae adnatae), so z. B. bei der Rose (Fig. 29). Ja, es kommen noch höher am B. Bildungen vor, [1016] die zu den Nebenblättern gerechnet werden. Dahin gehören das Blatthäutchen (ligula) bei den Gräsern, welches als zarthäutiger, farbloser Anhang zwischen Scheide und Lamina querübersteht (Fig. 30), und der Blattstiefel oder die Tute (ochrea) bei den Polygoneen, welche ebenfalls zwischen der hier kurzen
Fig. 24. | |
Paarig gefiedertes Blatt. | |
eigentlichen Scheide und dem Blattstiel sich erhebt, aber selbst scheidenförmig den Stengel ein Stück weit umschließt (Fig. 31).
Bei den blattbildenden Kryptogamen (Moosen, Farnkräutern und Verwandten) bleibt mit unbedeutenden
Fig. 25. | |
Handförmiges Blatt. | |
Ausnahmen in der ganzen Ausdehnung des Stengels und an allen Zweigen die Gestalt der Blätter ziemlich unverändert. Dagegen treten uns bei den Phanerogamen ausnahmslos, wenn auch in verschiedenem Grade der Deutlichkeit, am Stengel mehrere aufeinander folgende Regionen entgegen, deren jede sich durch ein besonderes Gepräge ihrer Blattbildung auszeichnet. Am Stengel des Schneeglöckchens (Leucojum vernum) finden sich als die ersten
Fig. 26. | |
Fußförmiges Blatt. | |
Blätter an seinem untern, im Boden befindlichen Ende fleischige, farblose, nur scheidenförmige Gebilde,
Fig. 27. | |
Mehrfach zusammengesetztes Blatt. | |
welche den als Zwiebel bezeichneten Teil zusammensetzen. Darauf folgen Blätter, die zwar auch an ihrem Grund eine Scheide bilden, bei denen aber die letztere sich in eine vollkommene Blattfläche, ein grün gefärbtes, bandartig langes, über die Erde hervortretendes Organ, fortsetzt. Wiederum höher am Stengel, gegen die Blüte hin, sinkt plötzlich die Blattgestaltung wieder auf eine unvollkommnere Form herab:
Fig. 28. | |
Nebenblätter. | |
unter der Blüte steht ein kleines Blattgebilde, an welchem wiederum der Scheidenteil vorherrschend, die Blattfläche aber nur als kleine, grüne Spitze angedeutet [1017] ist. Weiterhin erhebt sich die Gestaltung nicht wieder zu dem frühern Höhepunkt: wir treten in die Blüte ein, deren Blätter noch weiter von den grünen abweichen. Die drei hier charakterisierten Regionen des Stengels bezeichnet man als Niederblatt-, Laubblatt- und Hochblattregion, indem man die dreierlei Blätter mit den entsprechenden, in diesen Worten enthaltenen Bezeichnungen belegt. Bei andern Phanerogamen findet sich überall in den Hauptzügen das gleiche Gesetz. Diese drei Regionen können an demselben Stengel vorhanden sein oder sich auf mehrere Achsen verteilen. Im letztern Fall können Stengel einer Ordnung nur die Niederblätter, solche einer höhern Ordnung nur die Laubblätter und solche einer dritten Ordnung erst die Hochblätter tragen. Die Kotyledonen, welche die ersten Blätter der keimenden Phanerogamen sind, haben fast immer eine einfachere Gestalt als die Laubblätter; sie stellen, wenn auf sie sogleich vollkommene Laubblätter folgen, allein die Niederblattregion dar. Auch die Hochblattregion tritt
Fig. 29. | Fig. 30. | Fig. 31. |
Angewachsene Nebenblätter. |
Blatthäutchen. | Blattstiefel. |
bisweilen nur schwach hervor, wenn nämlich auf die letzten vollkommenen Laubblätter keine Deckblätter des Blütenstandes, sondern sogleich die Blüte mit ihren Blättern folgt. Bei vielen Holzgewächsen wechseln periodisch Laubblatt- und Niederblattregion miteinander ab. Jeder Trieb beginnt hier als Knospe mit den einfach gestalteten Knospenschuppen, welche den Charakter der Niederblätter haben; nachdem er eine Anzahl Laubblätter gebildet hat, schließt sich sein Ende wieder zu einer Knospe, indem abermals Knospenschuppen erzeugt werden. Erst spät und keineswegs an allen Trieben tritt die Hochblattregion ins Leben.
Die vorstehenden Betrachtungen gehen von dem Gedanken aus, daß die in so verschiedener Ausbildung hervortretenden seitlichen Glieder der Stengel, von den Samenlappen an bis zu sämtlichen Teilen der Blüte, nur Formen eines ursprünglich gleichen Grundorgans, des Blattes, sind. Dieser für die botanische Morphologie so fruchtbringend gewordene Gedanke, dem man in der Bezeichnung Metamorphose des Blattes einen kurzen Ausdruck gegeben hat, ist zwar mehr oder minder deutlich schon von Linné und von Wolff („Theoria generationis“, Halle 1759) ausgesprochen worden; in eingehender Weise hat ihn aber erst Goethe („Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären“, Gotha 1790) ausgeführt, welcher vornehmlich durch die Erscheinung, daß bei Mißbildungen der Blüten die Blätter derselben in grüne Laubblätter umgewandelt sein können, hierauf geführt wurde. Gegenwärtig ist auf entwickelungsgeschichtlichem Weg die morphologische Identität der mannigfaltigen Gebilde, denen man Blattnatur beilegt, erwiesen. Die Lehre von der Metamorphose erklärt jedoch keineswegs diejenigen besondern Verschiedenheiten, welche den Blättern zukommen, insofern sie als Organe für bestimmte Lebenszwecke der Pflanze eingerichtet sind. Die Art dieser Einrichtung ist von jenem morphologischen Gesetz unabhängig; sie ist das Ergebnis des Kampfes der Pflanze ums Dasein, der sie zwang, ihre Glieder zu passenden Organen fürs Leben auszubilden. Über den innern Bau und die Funktion des Blattes vgl. die Artikel Gefäßbündel und Chlorophyll.
Blatt, in der Jägersprache der breite, schaufelförmige Knochen am Vorderlauf des Wildes, auch das breite Weidmesser zum Zerlegen des Wildes.