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MKL1888:Bibliomanīe

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Bibliomanīe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 889890
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Bibliomanīe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 889–890. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Biblioman%C4%ABe (Version vom 14.04.2023)

[889] Bibliomanīe (griech., „Büchersucht“), im allgemeinen die Sucht, Bücher zu sammeln, ohne sie gehörig zu gebrauchen; dann insbesondere die Sucht, alte und seltene Bücher zusammenzubringen, um sie zu benutzen, wobei aber ein zu großer Wert auf Nebendinge gelegt wird. Der echte Bibliomān im jetzt üblichen Sinn des Worts kauft sonach nicht ohne Auswahl alles zusammen, was ihm vorkommt, sondern sammelt als Kenner nach gewissen Rücksichten, läßt sich aber bei dem Ankauf mehr durch außerwesentliche und zufällige Umstände und Beschaffenheiten der Bücher als durch den wissenschaftlichen Wert derselben bestimmen. Man sieht dabei teils auf sogen. Kollektionen, teils auf Schicksale und Alter der Bücher, teils auf das Material derselben. Den meisten wissenschaftlichen Wert haben noch die Kollektionen oder Sammlungen von Büchern, die einen gewissen Gegenstand betreffen oder in einer gewissen Manier gearbeitet oder in einer berühmten Offizin gedruckt worden sind. Hierher gehören Sammlungen von Ausgaben der Bibel (die vollständigste in der Stuttgarter und Wernigeroder Bibliothek) oder einzelner Klassiker (z. B. des Horaz und Cicero auf der Leipziger Stadtbibliothek, der Ausgaben in usum Delphini und cum notis variorum, der bei Elzevir, Aldus, Giunta, Stephanus, Bodoni gedruckten Bücher, der bei Maittaire, Brindley, Baskerville und zu Zweibrücken erschienenen Ausgaben der Klassiker) sowie Sammlungen von Schriften über Begebenheiten und Ereignisse, z. B. über den Dreißigjährigen Krieg (zu Dresden und Berlin), über die Feier des Reformationsjubelfestes (zu Berlin), auch von Schriften über ganz spezielle Gegenstände, wie über das Schachspiel (Bledowsche Sammlung auf der königlichen Bibliothek zu Berlin), über bestimmte Persönlichkeiten (Luther, Goethe, Shakespeare), einzelne Orte, bestimmte Fächer der Litteratur. Werden dergleichen Sammlungen nicht bloß aus Liebhaberei, sondern zum Behuf wissenschaftlicher Studien angelegt, so gestaltet sich die B. zur Bibliophilie („Bücherliebhaberei“). Ehemals erstreckte sich die B. am meisten auf Sammlung von Büchern, welche durch ihre Schicksale merkwürdig sind; dahin gehören seltene, verbotene (insbesondere in der römischen Kirche auf den Index gesetzte), kastrierte Bücher. Noch immer allgemein gesucht sind die in den frühsten Zeiten der Buchdruckerkunst erschienenen Bücher (Inkunabeln), insbesondere die ersten Ausgaben (editiones principes) klassischer Schriftsteller. In neuerer Zeit erstreckt sich die Neigung der Sammler besonders auf das Material der Bücher. In dieser Beziehung werden oft unerhörte Preise gezahlt für Pracht- und illustrierte Ausgaben, unbeschnittene Exemplare älterer seltener Werke, solche mit breitem Rand (Großpapier), für Bücher, die mit Miniaturen und schön gemalten Anfangsbuchstaben (Initialen) verziert sind, für Drucke auf Pergament, Velin, Papier von ungebräuchlichen Stoffen, farbigem Papier, Seide, ferner für Drucke in Gold, Silber und andern Farben sowie für Bücher, deren Text ganz in Kupfer gestochen ist, endlich für Bücher mit dem eingeschriebenen Namen des frühern Besitzers oder solche, die einst berühmten Personen angehörten. In Frankreich und besonders in England sind auch kostbare oder von gewissen Buchbindern (Derome, Bozérian, [890] Lewis, Payne) herrührende Einbände sehr gesucht. Selbst der Schnitt der Bücher ist oft mit den saubersten Gemälden verziert. Auch durch Sonderbarkeiten andrer Art suchte man bisweilen den Einbänden einen eigentümlichen Wert zu geben. Der Buchhändler Jessery zu London ließ Fox’ Geschichte Jakobs II. mit Anspielung auf den Namen des Verfassers in Fuchsleder (fox-skin), und der bekannte englische Biblioman Askew ein Buch sogar in Menschenhaut binden. Auch die Göttinger Universitätsbibliothek besitzt eine Ausgabe des Hippokrates, in Menschenhaut gebunden. Bei der Versteigerung der Bibliothek des Herzogs von Roxburghe zu London 1812 ging ein Exemplar der ersten, bei Valdarfer 1472 erschienenen Ausgabe des Boccaccio um 2260 Pfd. Sterl. weg, und es bildete sich ein besonderer Bibliomanenklub, der sogen. Roxburghe Club, der sich jährlich 13. Juli, dem Jahrestag des Verkaufs des Boccaccio, in der St. Alban’s Tavern versammelte. England ist seitdem der Hauptsitz der B. geblieben, und der Preis, den man für einzelne kostbare und seltene Werke zahlt, ist ins Unglaubliche gestiegen. So wurden bei Versteigerung der großartigen Syston-Bibliothek zu London im Dezember 1884 eine sogen. Mazarinbibel, das erste aus der Buchdruckpresse Gutenbergs (1455) hervorgegangene Buch, mit 3900 Pfd. Sterl. und ein Pergamentexemplar des seltenen „Psalmorum codex“ (1459 von Fust und Schöffer gedruckt) sogar mit 4950 Pfd. Sterl. erstanden. Eine Nachbildung des oben genannten Roxburghe Club ist unter andern die Société des bibliophiles français in Paris (seit 1820), welche durch die gewöhnlich nicht in den Buchhandel kommenden Abdrücke alter Druckseltenheiten oder Handschriften, die sie veranstaltet, der litterarischen Raritätensucht neue Nahrung gibt. In England treten auch oft Gesellschaften zusammen, welche auf ihre Kosten irgend ein Werk in wenigen Prachtexemplaren drucken lassen, oder ein Einzelner läßt aus Liebhaberei von einem solchen Prachtwerke nur ein einziges Exemplar mit ungeheurem Aufwand abdrucken, um es allein zu besitzen. Neuerlich hat die B. in England eine Richtung eingeschlagen, welche der Wissenschaft mehr förderlich ist. So haben die Camden Society (seit 1837), die Percy Society, Shakespeare Society, Historical Society, Aelfric Society, die Early English Text Society und der Spalding Club zu Aberdeen (seit 1839) für die ältere englische Litteratur sehr Ersprießliches geleistet. – Der natürliche Gegensatz von B. würde Bibliophobie („Bücherscheu“) sein, doch hat sich dieses Ausdrucks nur Dibdin (s. d.) bedient, um den Widerwillen des Zeitalters gegen Litteratur und Büchererwerb zu bezeichnen.