MKL1888:Bauhütte
[479] Bauhütte, das in der Nähe besonders größerer, in Ausführung begriffener Bauten errichtete provisorische Büreau mit Schreib- und Zeichenlokal, zuweilen auch Aufenthaltsort der Arbeiter und Aufseher, in Italien fabrica genannt; dann Name der im Mittelalter gebildeten Gewerksgenossenschaften der Bauleute, insbesondere der Brüderschaft der Steinmetzen, welche sich vorzugsweise in Deutschland und in der Schweiz aus den in den Klöstern geschulten Werkleuten entwickelte und im 12. Jahrh. mit dem Aufschwung des Steinbaues eine ungeahnte Bedeutung erlangte, da sie auf die ihr nahestehenden Kunsthandwerke tonangebend wirkte. Dieses Jahrhundert ist auch der Anfangspunkt der großen geistigen Bewegung gewesen, die von Italien und Frankreich aus sich über ganz Westeuropa durch die Ausbreitung der altchristlichen Gemeinden (Waldenser, Begharden) bekundete, und deren bedeutendste Niederlassungen gerade in den Städten waren, welche an großen Steinbauten arbeiteten. Infolge häufigen Ortswechsels waren die Glieder dieser Brüderschaft auf einen allgemeinen Bund all derer angewiesen, die Steinmetzbrauch und Gewohnheit kannten. Um sich für die Ausübung der Kunst das Monopol zu sichern, ward jedem eintretenden Bruder die Geheimhaltung der besondern technischen Kenntnisse zur Pflicht gemacht. Dieser Umstand gab ihnen eine von der Gunst und Ungunst der herrschenden Gewalten in Staat und Kirche unabhängige und höchst einflußreiche Stellung, die sich zu einer Art von Universalherrschaft auf dem Gebiet der Kunst wie auf dem der freien Religion herausbildete und nach Erfindung der Buchdruckerkunst um so mehr geltend machte, als die aus der B. hervorgegangenen Formenschneider anfangs allein Besitzer von Druckereien waren. Die Formen, Zeremonien, die Verfassung und Organisation der Bauhütten sind nach den neuern Forschungsergebnissen Ludw. Kellers (s. unten) weit mehr unter dem Einfluß der urchristlichen (waldensischen) Gemeinden entstanden als unter dem der Benediktiner. Als die Verfolgung der „Sekten“ begann, fanden diese in der B. Schutz und brüderliche Aufnahme. Die einzelnen im Deutschen Reich, in Österreich und der Schweiz bestehenden Bauhütten, die sich nach eignen Gesetzen regierten, standen unter Haupthütten (Großlogen), wie Köln, Wien, Zürich, worunter die zu Straßburg schließlich den Vorrang einnahm (Hüttenordnung von 1459). Der Zweck aller Bauhütten war einerseits die Ausbildung und Beschäftigung tüchtiger Werkleute, welche, nach bestandener vier- bis fünfjähriger Lehrlingszeit vom Meister losgesprochen, als Gesellen und nach der Übertragung der selbständigen Leitung eines Baues als Meister arbeiten konnten, anderseits die Pflege sittlichen Geistes und religiöser Duldung. Bei der mit Zeremonien verknüpften Lossprechung mußte der Geselle an Eides Statt unter anderm geloben, das Kunstgeheimnis zu bewahren, gehorsam zu sein, auf die Ehre des Handwerks zu halten und sein Steinmetzzeichen nicht zu ändern, worauf er in die Geheimnisse des Grußes und Händedrucks eingeweiht wurde, welche ihm als Wandergesellen Eintritt in alle Bauhütten verschafften. Den Bauhütten schlossen sich auch in Deutschland vielfach Nichtbauleute (Schreiber, Künstler u. a.) an. Selbst Kaiser Rudolf von Österreich ist wahrscheinlich Mitglied gewesen. Solange die einzelnen Bauhütten eigne Gerichtsbarkeit besaßen, herrschte strenge Disziplin unter den Arbeitern, während die nach deutschem Vorbild auch in andern Ländern, z. B. in England, organisierten Bauhütten dieses Vorrecht nicht erlangten. Nach der Reformation verwandelten sich die Bauhütten infolge der antiken, die Baukunst umgestaltenden Elemente in zünftige Genossenschaften. Aus den Überresten der englischen Bauhütten, ihren Traditionen und Gebräuchen ging 1717 der heutige Freimaurerbund hervor. Vgl. Heideloff, Die B. des Mittelalters in Deutschland (Nürnb. 1844); Janner, Die Bauhütten des deutschen Mittelalters (Leipz. 1876); Keller, Die Reformation u. die ältern Reformparteien (das. 1885). „Bauhütte“ ist auch der Titel der hervorragendsten freimaurerischen Zeitschrift, seit 1858 herausgegeben von J. G. Findel in Leipzig, Organ des Lessing-Bundes deutscher Freimaurer.