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MKL1888:Bauer

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Bauer“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 462467
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Bauer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 462–467. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Bauer (Version vom 09.05.2021)

[462] Bauer, im weitesten Sinn jeder Landbewohner im Gegensatz zum Städter und zwar insbesondere ein solcher, der sich mit Landwirtschaft beschäftigt; oder, wie das preußische Landrecht (Teil II, Tit. 7, § 1) definiert, „zum Bauernstand gehören alle Bewohner des platten Landes, welche sich mit dem unmittelbaren Betrieb des Ackerbaues und der Landwirtschaft beschäftigen, insofern sie nicht durch adlige Geburt, Amt oder Rechte von diesem Stand ausgenommen sind“. Allein dieser Begriff bedarf doch noch einer nähern Abgrenzung. Denn im engern und eigentlichen Sinn versteht man unter B. nur einen solchen kleinern Landwirt, welcher auf eignem Grund und Boden wirtschaftet, also den Bauerngutsbesitzer im Gegensatz zum Pachter und zum landwirtschaftlichen Arbeiter oder Dienstboten. Abgesehen von dem Gesinde, zerfallen nämlich die Lohnarbeiter der Landwirtschaft in zwei Klassen: 1) die ungebundenen Tagelöhner, die ohne ein festes Dienst- und Arbeitsverhältnis gegen Tag- und Stücklohn landwirtschaftliche Arbeiten verrichten, sei es, daß sie mit etwas Grundbesitz angesessen sind, sei es, daß sie als sogen. Einlieger lediglich zur Miete wohnen; 2) die festen Lohnarbeiter, in den östlichen Provinzen Preußens Instleute, in Mecklenburg Hoftagelöhner, in Schottland hinds genannt, von Schmoller als „Feldgesinde“ bezeichnet, d. h. landwirtschaftliche Arbeiter, welche zu einem Gutsbesitzer in einem dauernden Dienstverhältnis stehen und neben dem Lohn auch durch Wohnung und sonstige Naturalleistungen entschädigt werden. Im Gegensatz zu diesen landwirtschaftlichen Arbeitern und Dienstboten bewirtschaftet der B. sein eignes Gut, indem er sich von dem Großgrundbesitzer durch den Umfang des Gutes unterscheidet. Die frühere Unterscheidung zwischen Rittergut und Bauerngut, welche sich darauf gründete, daß der Besitz eines Ritterguts ein Vorrecht des Adels war, und daß damit gewisse sonstige Vorrechte, namentlich Steuerfreiheit, verbunden waren, ist durch die moderne Gesetzgebung beseitigt. Der Unterschied ist nicht mehr von politischer, sondern nur noch von wirtschaftlicher Bedeutung, wenn sich auch noch manche privatrechtliche Eigentümlichkeiten der Bauerngüter bis in die neueste Zeit erhalten haben (s. Bauerngut). Nach der Größe ihres Grundvermögens führen die Bauern in den verschiedenen Landschaften verschiedene Bezeichnungen, wie Vollbauern (Vollspänner, Vollmeier, Vollerben, Vollhöfner, Besitzer ganzer Höfe, Hofbauern), Dreiviertelbauern (Hüfnermeier, Dreiviertelspänner), Halbbauern (Halbspänner, Halbhufner, Huber, Halbmeier), Viertelhofsbesitzer oder Lehner, Eigenlehner, Köter (Katen, Kotsassen, Kossäten, von „Kot“ oder „Kat“, kleiner Hof), welche nur ein Haus oder etwas Ackerland besitzen, endlich Hintersiedler (Hintersitzer, Hintersassen, Kleinhäusler, Tropfhäusler), die nur mit einem Haus u. etwas Grundbesitz angesessen sind. Andre Bezeichnungen erklären sich aus dem frühern Abhängigkeitsverhältnis der betreffenden Bauern, wie Kirchen-, Kloster-, Stifts-, Pfarr-, Amts-, Patrimonialbauern u. dgl.

Geschichtliche Entwickelung des Bauernstandes.

Bei den Völkern des Altertums wurden Ackerbau und Viehzucht ursprünglich in hohen Ehren gehalten. Später kam bei den Griechen der Ackerbau in die Hände der Sklaven; auch bei den Römern wurde in späterer Zeit die Landwirtschaft größtenteils den ärmern Bürgern oder den Sklaven überlassen. Einen eigentlichen Bauernstand im heutigen Sinn finden wir im Altertum nicht. Erst unter den germanischen Völkern entwickelte sich ein solcher. Als freier Mann wohnte der Germane ursprünglich auf seinem Los (Allodium), das ihm Unterhalt und Selbständigkeit sicherte. Allerdings fanden sich schon in der alten Zeit auch unfreie Personen, zu welchen vorzüglich die Kriegsgefangenen gehörten. Allein von diesen Unfreien [463] ist die Klasse derjenigen, welche wir nach Mösers Vorgang unter der Bezeichnung „Hörige“ zusammenfassen, wohl zu unterscheiden. Diese Hörigen sind nämlich die in den spätern Gesetzen liti, litones, auch lassi (lazzi) genannten Leute, welche entweder von ihren Herren aus dem Zustand der völligen Unfreiheit entlassen, oder auch von einem erobernden Stamm unterdrückt worden waren. Oft waren diese Liten wohl auch solche, welche sich freiwillig an einen Freien anschlossen und Ländereien zum Bebauen gegen einen bestimmten Zins übernommen hatten. Sie standen unter dem Schutz ihres Hofherrn und folgten ihm in den Krieg, nicht als freie Glieder des Heerbannes, sondern nur als Dienstpflichtige. Folgen dieses Verhältnisses der Hörigkeit waren, daß die Liten bei Heiraten die Erlaubnis ihres Hofherrn nachsuchen, beim Tode des hörigen Familienhauptes eine Abgabe geben, Zins entrichten mußten u. dgl. Diese ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisse wurden infolge der Eroberungen und Wanderungen der germanischen Stämme bedeutend vermehrt, insofern durch diese eine völlige Umgestaltung des Grundbesitzes herbeigeführt und das Entstehen eines privilegierten Adels angebahnt wurde. Neben dem Adel erhob sich aber bald eine zweite, der angestammten germanischen Freiheit nicht minder gefährliche Macht, der Klerus und die Kirche. Die Macht der Sündenvergebung, welche die Kirche für sich in Anspruch nahm, spornte die Freigebigkeit an und hatte zahlreiche Zuwendungen an Grundeigentum für die Geistlichkeit zur Folge. Dazu kam, daß die kirchlichen Besitzungen eine verhältnismäßig friedliche Stellung einnahmen, ein Umstand, der vielfach freie Grundeigentümer bestimmte, ihr Land der Kirche zu übergeben und Zinsmänner derselben zu werden. So entwickelte sich nach und nach das sogen. Hofsystem, dessen Grundzüge folgende waren: Die geschlossenen Gutskomplexe (villae curtes), in die das flache Land zerfiel, enthielten Wohnungen und Ackerland und waren mit vollen Eigentumsrechten und mit den Gerechtsamen an der unverteilten gemeinen Mark versehen. Ein solcher Hofverband hieß curtis, während huba (Hufe) ein eingehegtes Stück Ackerland, welches jemand zur Bestellung übergeben und von ihm eingehegt worden war, und mansus einen eigentlichen Bauernhof mit Gebäuden, Acker- und Weideland bezeichnete, auf welchem eine Familie hinlänglichen Unterhalt fand. Auf diesen kleinern Gutsteilen saßen entweder hörige, eigne Leute (mancipia), in welchem Fall sie mansi serviles hießen, oder freie Besitzer, an die sie verliehen waren, daher mansi ingenuiles genannt; mitunter waren auch nur einzelne Morgen ausgebrochen und an eine Person verliehen (bona solitaria, Söltengüter). Die Herren solcher Gutskomplexe aber, Adel und Klerus, pflegten sich das beste, vielleicht das ihre Wohnungen umgebende Ackerland zu eigner Benutzung vorzubehalten, als die Sal-, Fron-, Freihube (mansus indominicatus). Sie hatten allein echtes, volles Eigentum (terra salica, aviatica) und erwarben und besaßen es unter dem Schutz des Gemeinde- und des Gaugerichts, während die hörigen Leute unmittelbar unter dem Hofrecht standen und vor der Gemeinde durch ihre Hofherren vertreten wurden. Der Meier (villicus), welcher die Aufsicht über die Güter führte, war der nächste Vorgesetzte der eignen Leute. Bedeutende Modifikationen führte aber das inzwischen aufkommende Immunitätsverhältnis mit sich, d. h. die Befreiung eines Bezirks von der Gerichtsbarkeit des Gaugrafen oder sonstigen ordentlichen Unterrichters. In diesem Fall nahmen alle auf diesem eximierten Bezirk wohnenden Leute an dieser Befreiung teil und wurden dadurch der drückenden Beamtengewalt entzogen. Viele Freie traten daher mit ihren Gütern in den Immunitätsbezirk einer Schutzherrschaft ein. Solche Schutzherrschaften waren König, Adel und Geistlichkeit. Durch dieses Schutzverhältnis wurde natürlich die Zahl der in einer gewissen Abhängigkeit stehenden Leute erheblich vermehrt. Deutlich unterschieden finden wir in den Urkunden aber nur folgende Klassen derselben: die eigentlichen Leibeignen (servi, mancipia), die Liten (liti, litones, auch hovelingi), die hörigen Leute, die freien Schutzgenossen, welche erst neuerlich hinzugetreten waren (cereales, Malmanen, Masmanen, auch Mundmanen), und deren ursprüngliche und angeborne Freiheit in der ersten Zeit bei jeder Gelegenheit anerkannt wurde, und als eine Mittelklasse die coloni, später Bauleute, Zinsleute genannt, welche besonders bei Kirchengütern vorkommen und ein dem Eigentum nahekommendes Recht gehabt zu haben scheinen. Die dinglichen Verhältnisse in den einzelnen Hofverbänden, die persönlichen Leistungen und die Stellung der Hofhörigen, überhaupt dem Hofherrn gegenüber, wurden durch sogen. Hofrechte normiert.

War aber schon in diesen Verhältnissen, wie sie sich uns in der ersten Hälfte des Mittelalters in den germanischen Staaten und namentlich in dem großen Frankenreich darstellen, eine bedeutende Beschränkung der gemeinen Freiheit enthalten, so nahm die bevorzugte Stellung des Adels und des Klerus in der Folgezeit einen immer größern Umfang an, bis sich endlich die Herrschaft jener beiden bevorzugten Klassen der Bevölkerung zu einer förmlichen Feudaldespotie steigerte. Nur am Niederrhein, in den Marschländern Norddeutschlands und in den Alpenthälern der Schweiz und Tirols behaupteten die Landleute ihre Freiheit, während in den der natürlichen Bollwerke entbehrenden Gegenden Freiheit und freies Wesen immer mehr verfielen. Die Leibeigenschaft selbst war am härtesten in Schlesien, Mähren, Pommern, Mecklenburg und Holstein, milder im südlichen und südwestlichen Deutschland, in Schwaben, Bayern, am Oberrhein und in Österreich. Indessen sah sich der Klerus, dessen Grundeigentum namentlich zur Zeit der Kreuzzüge einen immer größern Umfang gewann, doch auch veranlaßt, es mit Pachtverhältnissen zu versuchen, um die nötigen Ackerbauer zu gewinnen; und zu ebendieser Maßregel war an vielen Orten auch der Adel genötigt, teils weil auch er Besteller für seine weiten Ländereien brauchte, teils weil die ewigen Fehden und besonders die Kreuzfahrten Geld erforderten und sich für die größern Herrenhöfe, wenn man sie auch veräußern wollte, nicht leicht Käufer fanden. Es wurden demnach von Klerus und Adel mit den Bauern Pachtverträge abgeschlossen, welche die letztern dem Hörigkeitsverhältnis entrissen. Ferner machten da, wo der deutsche Boden noch Wald war, die Landleute ihn nur gegen das Versprechen ihrer Freilassung urbar, wie denn in Niederdeutschland, in Holstein und Lauenburg, im Mecklenburgischen, in der Mark Brandenburg und in Sachsen sich seit 1106 eine große Anzahl holländischer Landleute unter der Bedingung ansiedelten, daß sie als freie Männer ihre Güter mit erblichem Recht nur gegen mäßige jährliche Abgaben an Geldzinsen und Zehnten sowie eigne Gerichtsbarkeit eingeräumt erhielten. Besonders aber waren es die aufblühenden Städte, welche als Gegengewicht gegen eine übermütige Adelsaristokratie der bäuerlichen Freiheit bedeutenden Vorschub leisteten. Durch das Aufkommen der Vorstädte und des Beisassenverhältnisses [464] (Pfahlbürger) wurde den Städten Gelegenheit gegeben, auch solchen Personen ihren kräftigen Schutz angedeihen zu lassen, welche volles Bürgerrecht nicht erhalten konnten. Auf diese Weise eröffnete sich auf der einen Seite dem geknechteten Landvolk die Möglichkeit, einer tyrannischen Behandlung sich durch die Flucht in die Städte zu entziehen; auf der andern Seite aber erging zugleich an die Herren eine eindringliche Mahnung, ihre Hofhörigen mit Milde zu behandeln und sie durch ein freundlicheres Verhältnis fester an ihre Höfe zu ketten. Man lernte die heilsamen Wirkungen einer durch freiere Institutionen begünstigten landwirtschaftlichen Betriebsamkeit kennen und erließ zum Schutz derselben das Gebot des Gottesfriedens (treuga Dei). Endlich war von besonderer Bedeutung für die gemeine Freiheit die Belebung und Ausbildung der gemeinschaftlichen Vereine und Gerichte, die sich auf uralte deutsche Rechtsgewohnheit gründeten und jetzt durch die überall sich bildenden festen Genossenschaften der verschiedenen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft, namentlich der städtischen, neuen Aufschwung erhielten. Es gingen nämlich Gesetz und Gericht, namentlich auch die Festsetzung und stets zu erneuernde Anerkennung der den Bauern obliegenden Leistungen und Pflichten, von ihren genossenschaftlichen Versammlungen, von ihren freien Cent-, Gau- und Landgerichten oder ihren Meierdingen und Hof- oder Bauernsprachen aus, und es lag in der Natur der Sache, daß die freie öffentliche Beratung über die Gemeindeangelegenheiten für die Bauern ein größeres Selbstgefühl, einen wohlthätigen Korporationsgeist und einen gewissen Grad von politischer Selbständigkeit mit sich bringen mußte.

Nach allem bisher über die bäuerlichen Verhältnisse Gesagten läßt sich ein allgemeiner Begriff von B. für das Mittelalter nicht wohl aufstellen. Der Hauptsache nach lassen sich aber folgende Klassen derselben nachweisen. Es gab völlig freie Bauern, welche auf ihren mit keinem Zins belasteten Gütern saßen. Ihnen am nächsten standen diejenigen Bauern, welche auch persönlich frei waren, aber nicht eigentümliche Grundstücke, sondern Pachtgüter bewirtschafteten. Andre Bauern besaßen zwar ihre Güter als volles, freies Eigentum, aber sie mußten Grundzins (census) bezahlen. Ferner gab es Bauern, welche wohl ein erbliches Nutzungsrecht besaßen, um welches der Erbe beim Herrn bloß nachzusuchen brauchte, aber des vollen Eigentumsrechts entbehrten und mithin als bloße Bauleute (coloni) von der Gutsherrschaft abhängig waren. Ein großer Teil der Bauern befand sich ferner im Hofsverband als Hofhörige; sie bildeten mit dem Haupthof eine Gemeinde und waren in allen den ganzen Verband betreffenden Angelegenheiten die Schöppen und Richter, mit deren Zustimmung die Hofrechte abgefaßt wurden, und die mit dem Hofherrn gemeinschaftlich den neuen Hofhörigen investierten. Endlich war ein nicht geringer Teil der Bauern wirklich leibeigen. Eine Masse von Abgaben und Leistungen, die sich zum Teil bis in die neuere Zeit erhielten, lastete auf dem Bauernstand. Vor allen gehört dahin die Fronpflicht, welche sowohl dem unfreien, hörigen Bauern als auch dem freien Bauern oblag. Der unfreie B. mußte sich von seinem Herrn zur Besetzung jeder beliebigen bäuerlichen Stelle gebrauchen lassen und bis dahin als ländliches Gesinde dienen, teils umsonst, teils gegen Lohn (Zwangsdienst), wobei er zugleich einem Züchtigungsrecht des Herrn unterworfen war (Dienstzwang). Ferner hatte jeder mündige Unfreie eine jährliche Abgabe, den Leibzins, an seinen Herrn zu entrichten. Starb der Gutsinhaber, so nahm der Gutsherr einen Teil des Mobiliarnachlasses, Sterbfall, Todfall, Besthaupt (mortuarium), an sich, womit zugleich Beschränkungen des Unfreien hinsichtlich letztwilliger Verfügungen und Schenkungen verbunden waren. Weiter gehört dahin der zur Eingehung einer Ehe des Bauern erforderliche gutsherrliche Ehekonsens, der wiederum mit Abgaben verbunden war. Starb der B., so mußte der, an welchen nun das Gut durch Erbschaft fiel, oder dem es verliehen wurde, dem Gutsherrn für die Belehnung oder Einsetzung in das Gut eine Abgabe geben, das Handlehen, welches ursprünglich in Naturalien, später aber, und zwar mehr und mehr erhöht, in Geld bestand. Dazu kamen nach der Übernahme des Gutes eine Anzahl jährlicher Zinsen, welche den Bauern stets daran erinnerten, daß er kein freies Eigentum habe. Besonders spielten darunter die unter allerlei Namen zu verschiedenen Zeiten abzuliefernden Hühner eine große Rolle: da gab es Fastnachts-, Hals-, Haupt- und Leibhühner, und wurde Geld dafür entrichtet, so erinnerten die Namen Leibgeld, Leibbede, Leibschilling, Leibpfennig, Leibzins den Landmann stets an seine hörigen oder leibeignen Zustände. Zur Anerkennung der Schutzherrlichkeit mußten Gau-, Herd-, Rauch-, Vogthühner, für die Erlaubnis, Leseholz, Laub und Streu im Wald zu sammeln und darin zu grasen und zu weiden, Holz-, Laub-, Weidhühner und für jeden mündig gewordenen Sohn bis zu seiner Verheiratung Bubenhühner oder gleiche Abgaben an Geld gegeben werden. Dann waren der große und der kleine Zehnte und der Blutzehnte zu entrichten. Manche Güter gaben den vierten und sechsten, manche den zehnten Teil an die Kirche und außerdem den neunten Teil an den Landesherrn ab. Dazu kamen mancherlei Zwangs- und Bannrechte, hier und da auch Rechte der sittenlosesten Art (Schönfrauenlehen, jus primae noctis etc.), und endlich die drückendsten von allen Lasten, nämlich die Beden oder Geldsteuern (precaria). Die letztern waren ursprünglich Entschädigungen, welche die Heerbannspflichtigen dem Adel dafür zahlten, daß er den Heerbannsdienst allein auf sich nahm. Bald aber wurde diese ursprüngliche Bestimmung der Beden vergessen, und der Landesherr forderte sie allmählich als eine gemeine Beihilfe zu allen Ausgaben, die er zu machen hatte; bei jeder unnützen Fehde, bei Besuchen des kaiserlichen Hofs, bei Ausstattung eines gnädigen Fräuleins (Fräuleinsteuer), bei der Auslösung des Herrn aus der Gefangenschaft, beim Wehrhaftmachen der Junker etc. war es immer das arme Landvolk, welches zahlen mußte, und zu all diesen Lasten gesellten sich später noch die Reichssteuern, der sogen. gemeine Pfennig, so daß die Lage des Bauernstandes zu Ausgang des Mittelalters allerdings eine überaus traurige und klägliche war und bis in die neuere Zeit hinein geblieben ist.

Die Emanzipation des Bauernstandes.

Die Veranlassung zu einer entscheidenden Umgestaltung der Verhältnisse der Bauern und zu einer freiheitlichen Entwickelung des Bauernstandes ist in der Reformation und in den durch dieselbe hervorgerufenen Umwälzungen auf dem religiösen, politischen und sozialen Gebiet zu suchen. Der B., dessen Lage sich inzwischen durch die Einführung des römischen Rechts und durch die ungeschickte Anwendung der römisch-rechtlichen Grundsätze von Sklaverei u. Pachtwesen auf spezifisch deutsch-nationale Verhältnisse [465] womöglich noch verschlimmert hatte, begann die Bedeutung des freien Eigentums für seine bürgerliche Stellung allmählich einzusehen, und die Bauernschaft gewann namentlich in Süd- und Mitteldeutschland nach und nach ein eigentliches Gesamtbewußtsein. Freilich mußte der erste gewaltsame Versuch, sich eine selbständige soziale Stellung zu erringen, fehlschlagen; aber drei Jahrhunderte haben seitdem das zäh und beharrlich verfolgte Ziel, zu dessen Erreichung im Bauernkrieg (s. d.) ein so ungestümer Anlauf genommen worden war, verwirklicht. Schon die durch die Reformation beförderte höhere Geistesfreiheit, das dadurch bedingte kräftigere Geltendmachen eigner Prüfung und Überzeugung wirkte in vielfacher Beziehung auch hinsichtlich der bäuerlichen Zustände höchst heilsam. Viele Gutsherren, von dem neuen Geist hingerissen, hoben die entehrende Leibeigenschaft und Hörigkeit freiwillig auf; viele Klöster und Stifter wurden säkularisiert, und damit hörte mancher Druck von selbst auf. Hier und da veranlaßte die Ausbreitung der neuen Lehre Auswanderungen, und gewerbfleißige Kolonisten, welche die Intoleranz aus ihrem Vaterland verjagt hatte, fanden anderwärts unter vorteilhaften Bedingungen Aufnahme und vermehrten die Zahl der freien Landleute. Endlich war auch die wachsende Landeshoheit der Fürsten, welche mit den Anmaßungen des Adels unverträglich war, in mancher Beziehung dem Emporkommen des Bauernstandes förderlich. Das Interesse der Regierungen, welche natürlich die Macht der vielgegliederten Aristokratie zu schwächen suchen mußten, wandte sich nach Einführung allgemeiner Landessteuern und mit dem Entstehen der stehenden Heere mehr den Bauern zu, um hier den privilegierten Ständen gegenüber eine sichere Stütze zu gewinnen. Zur vollen Entwickelung jedoch gelangten diese Keime einer menschenwürdigern Gestaltung der bäuerlichen Verhältnisse erst in der neuern Zeit, in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als in der Wissenschaft und im Staats- und Volksleben bessere politische und volkswirtschaftliche Grundsätze zur Anerkennung gelangten. Vorzüglich war es die französische Revolution, welche mächtig in das Ideengetriebe der Zeit eingriff und eine großartige Reform der sozialen Zustände anbahnte. Die Leibeigenschaft mit ihren vielfachen dinglichen und persönlichen Lasten hörte auf, wenigstens in allen Ländern, welche sich gegen die regen Fortschritte der Zeit nicht verschlossen; die Schranken zwischen den verschiedenen Ständen, schon längst wankend, fielen vollends, und auch den niedrig Gebornen eröffnete sich die Aussicht, durch Talent und Kraftanstrengung zu Würde und Einfluß zu gelangen; die neue Landwehrverfassung gab dem Landbewohner die alte Wehrhaftigkeit, Selbständigkeit und Manneswürde zurück, und die in den neuern Verfassungsurkunden ausgesprochene Landtagsfähigkeit des Bauernstandes vollendete seine bürgerliche Gleichstellung mit den übrigen Ständen. In Preußen war es namentlich die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung, welche zu Anfang dieses Jahrhunderts die Überreste der ehemaligen Leibeigenschaft oder Erbunterthänigkeit beseitigte. Die gutsherrliche Abhängigkeit mit ihren Lasten und Fronen, Beden und Zehnten wurde entweder unbedingt aufgehoben ohne alle Entschädigung der Gutsherren, z. B. in den mit Frankreich vereinigten Rheinlanden, oder es wurde doch die Ablösung des Obereigentums und einzelner Lasten gegen jährlich zu zahlende Grundzinsen oder gegen eine ein für allemal abzugewährende Summe gestattet, oder durch Auseinandersetzung zwischen den Bauern und Gutsherren eine Teilung der Güter unter ihnen nach Maßgabe des bisherigen Eigentums- oder Nutzungsrechts herbeigeführt und den erstern volles Eigentumsrecht eingeräumt. Dazu wurden die vielfachen bäuerlichen Lasten für ablösbar erklärt (s. Ablösung), und alle neuern Verfassungsurkunden haben den Bauernstand zur Teilnahme an der ständischen Vertretung herangezogen. Mit der Beseitigung des Zunftwesens und der gewerblichen Zwangs- und Bannrechte fiel auch die letzte Schranke zwischen Stadt und Land sowie zwischen Bürger- und Bauernstand.

Als Staatsbürger und Staatsunterthanen stehen die Bauern nunmehr in Bezug auf Rechte und Pflichten mit allen übrigen auf völlig gleicher Linie. Auch hat die moderne Gesetzgebung manche frühere Beschränkung des Bauernstandes auf dem Gebiet des Privatrechts beseitigt, so namentlich den Grundsatz, daß die Bauern keine Wechselfähigkeit hatten, u. dgl. Aber auch in andrer Weise ist die Gesetzgebung für die Hebung des Bauernstandes thätig gewesen, insbesondere durch eine zweckmäßige Agrargesetzgebung, namentlich über die Zusammenlegung (Separation) der Grundstücke, und durch selbständigere Organisation der Landgemeinden. Als Mann des Ererbten und Überlieferten ist der B., wie in wirtschaftlicher Beziehung, so auch in der Politik allerdings mißtrauisch gegen Neuerungen. So kommt es, daß der Bauernstand wenn auch nicht eine konservative Partei, so doch eine konservative Macht bildet, daß er das rasche Durchschlagen revolutionärer Bewegungen hemmt, daß er ein Gegengewicht gegen vorschnelle Neuerungen und allzu raschen Fortschritt bildet und so im politischen Leben eine gleichmäßige und geregelte Entwickelung erzeugt. Auf der andern Seite ist es eine der schwierigsten Aufgaben, den B. in wirtschaftlicher und bürgerlicher Beziehung auf der Bahn des Fortschritts und der Entwickelung vorwärts zu bringen, ohne ihn in seinen berechtigten Eigentümlichkeiten zu verletzen und sein Mißtrauen zu erregen. Denn die konservative Macht des Bauernstandes pflegt sich nur dann in heilsamer Weise zu entwickeln und zu bewahrheiten, wenn sich der B. staatlich geschützt, aber nicht bevormundet, und in seiner Eigentümlichkeit geschont und unbehelligt weiß. Im entgegengesetzten Fall zeigt sich leicht die Kehrseite des bäuerlichen Konservatismus in einem gewissen Eigensinn und trotzigen Selbstgefühl, der Bauernstand wird unter solchen Umständen leicht ein Hindernis fortschrittlicher Entwickelung und ein Hemmschuh im politischen und sozialen Leben des Staats, während er bei richtiger Behandlung dasselbe regelt und eine wohlthätige Stetigkeit und Festigkeit in dasselbe zu bringen geeignet ist. Vgl. v. Maurer, Geschichte der Fronhöfe, Bauernhöfe etc. in Deutschland (Erlang. 1862–63, 4 Bde.); Derselbe, Geschichte der Dorfverfassung in Deutschland (das. 1865–66, 2 Bde.); Bonnemère, Histoire des paysans (2. Aufl., Par. 1874, 2 Bde.); Probyn, Systems of land tenure in various countries (Lond. 1881); „Bäuerliche Zustände in Deutschland“ (in den „Schriften des Vereins für Sozialpolitik“, Bd. 22–24, Leipz. 1883 ff.).

Bauer, 1) Anton, deutscher Kriminalist, geb. 16. Aug. 1772 zu Marburg, studierte daselbst, wirkte hier seit 1793 als Privatdozent und ward 1797 Professor und Beisitzer des Spruchkollegiums. 1812 in gleicher Eigenschaft nach Göttingen versetzt, wurde er vielfach mit legislativen Arbeiten beschäftigt. Er starb 1. Juni 1843. Unter dem Titel: „Grundsätze des Kriminalprozesses“ (Marburg 1805) schrieb er das [466] erste selbständige Lehrbuch dieser Wissenschaft, welches er später durchaus umgearbeitet als „Lehrbuch des Strafprozesses“ (Götting. 1835; 2. Ausg. von Morstadt, das. 1848) erscheinen ließ. Die Philosophie des Strafrechts behandelte er bereits in seinem „Lehrbuch des Naturrechts“ (Marb. 1808; 3. Ausg., Götting. 1825), sodann in den „Grundlinien des philosophischen Kriminalrechts“ (das. 1825) ausführlicher. Ein Anhänger der Feuerbachschen Abschreckungstheorie, stellte er demnächst eine eigne, die sogen. Warnungstheorie, auf und zwar in dem „Lehrbuch des Strafrechts“ (Götting. 1827, 2. Ausg. 1833) sowie in einer besondern Schrift: „Die Warnungstheorie, nebst einer Darstellung und Beurteilung aller Strafrechtstheorien“ (das. 1830). Außerdem veröffentlichte er: „Lehrbuch des Napoleonischen Zivilrechts“ (Marb. 1809, 2. Aufl. 1812); „Beiträge zur Charakteristik und Kritik des Code Napoléon“ (das. 1810); „Strafrechtsfälle“ (Götting. 1835–39, 4 Bde.); „Anleitung zur Kriminalpraxis“ (das. 1837); „Beiträge zum deutschen Privatfürstenrecht“ (das. 1839); „Abhandlungen aus dem Strafrecht und dem Strafprozeß“ (das. 1840–43, 3 Bde.); endlich einige Schriften über die Entwürfe des hannöverschen Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung, an deren Abfassung und Redaktion er beteiligt war. Auch gab er mit Anmerkungen heraus die 8. Auflage von G. L. Böhmers „Principia juris feudalis“ (Götting. 1819).

2) Andreas Friedrich, Mechaniker, geb. 18. Aug. 1783 zu Stuttgart, studierte, nachdem er daselbst seinen Beruf und auch als Optiker gelernt, in Tübingen während einiger Semester Mathematik, erwarb den Grad eines Magisters und begab sich sodann zu weiterer Ausbildung Anfang dieses Jahrhunderts nach England, wo er 1807 oder 1808 zu Friedrich König (s. d.), dem Erfinder der Schnellpresse, in ein näheres freundschaftliches und geschäftliches Verhältnis trat. Nach Königs eignen Worten würde es diesem kaum gelungen sein, seine Erfindung derart zu vollenden, wie es geschehen, hätte er nicht Bauers kenntnisreichen Rat und dessen thätige Hilfe zur Seite gehabt. Als König 1817 nach Deutschland zurückkehrte, folgte ihm B. im Jahr danach auf die von König gekaufte ehemalige Prämonstratenserabtei Oberzell bei Würzburg, in deren Baulichkeiten sie eine Fabrik für Buchdruckschnellpressen unter der Firma König u. Bauer anlegten, ein Unternehmen, dessen Bestand und Gelingen sie mit unendlichen Mühen sicherten, das sich aber noch bei Lebzeiten Bauers (König war 1833 gestorben) zu hoher Blüte entwickelte. B. leitete das Etablissement nach dem Tod seines Freundes, von dessen Witwe unterstützt, und war stets bestrebt, die Schnellpressen immer mehr zu vervollkommnen, so daß er schon 1847 eine vierfache Schnellpresse konstruierte mit einer Leistungsfähigkeit von bis zu 6000 Drucken pro Stunde. Auch die Anwendung der sogen. Kreisbewegung für den Betrieb des Fundaments der Schnellpresse ist sein Werk; die erste nach diesem System gebaute kam 1840, bei Gelegenheit des 400jährigen Jubiläums der Buchdruckerkunst, nach Leipzig. B. starb 27. Febr. 1860.

3) Karoline, berühmte Schauspielerin, geb. 29. März 1807 zu Heidelberg, siedelte nach dem Tod ihres Vaters, der als Rittmeister bei Aspern fiel, 1814 nach Karlsruhe über, wo sie im Dezember 1822 die Bühne des dortigen Hoftheaters als Margarete in den „Hagestolzen“ von Iffland mit großem Erfolg betrat. Anmut, Natürlichkeit und eigentümliche Begabung machten sie rasch zum gefeierten Liebling des Publikums. 1824 wurde sie an das Königsstädtische Theater nach Berlin berufen und ein halbes Jahr danach an der dortigen Hofbühne angestellt. 1829 verließ sie die Bühne, um sich, zur Gräfin Montgomery erhoben, mit dem Prinzen Leopold von Koburg zu vermählen, von dem sie wieder geschieden wurde, als er die belgische Königskrone annahm. Zur Bühne zurückkehrend, folgte sie 1831 einem Ruf nach St. Petersburg und gastierte 1834 mit außerordentlichem Erfolg in Wien, Pest, Leipzig, Hamburg, Berlin, Lübeck etc., später in Dresden, an dessen Hoftheater sie bis 1844 mit andauerndem Beifall wirkte. Ihre Preziosa, Donna Diana, Julia in „Romeo und Julia“, Maria Stuart, Prinzessin in „Tasso“ und viele andre sowohl tragische als vorzugsweise muntere Rollen lieferten den Beweis eines wahrhaft ausgezeichneten Talents. Seit 1844 mit dem polnischen Emigranten Grafen Ladislaus von Broel-Plater vermählt, starb sie 18. Okt. 1878 auf Villa Broelberg bei Zürich. Durch eine Reihe sehr interessanter Erinnerungen: „Aus meinem Bühnenleben“ (2. Aufl., Berl. 1876, 2 Bde.) und „Komödiantenfahrten“ (das. 1875), deren Herausgabe A. Wellmer besorgte, rief sie sich vorteilhaft auch ins Gedächtnis unsrer Zeit zurück. Dagegen erregten ihre von Wellmer nach ihrem Tod unter dem Titel: „Aus dem Leben einer Verstorbenen“ (Berl. 1878–80, 4 Bde.) veröffentlichten Briefe u. nachgelassenen Memoiren („Verschollene Herzensgeschichten“) viel Ärgernis und hatten einen langwierigen Prozeß des Herausgebers mit dem Grafen Plater zur Folge.

4) Bruno, der verwegenste biblische Kritiker der Neuzeit, geb. 9. Sept. 1809 zu Eisenberg im Herzogtum Sachsen-Altenburg, besuchte die Berliner Universität und habilitierte sich an derselben 1834 als Lizentiat der Theologie; 1839 veröffentlichte er, nachdem er als Privatdozent an die Universität Bonn versetzt war, seine „Kritik der evangelischen Geschichte des Johannes“ (Brem. 1840) und die „Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker“ (Leipz. 1841–1842, 3 Bde.; 2. Aufl. 1846). Nachdem ihm 1842 die Erlaubnis, theologische Vorlesungen zu halten, entzogen war, schrieb er in Berlin zu seiner Verteidigung: „Die gute Sache der Freiheit und meine eigne Angelegenheit“ (Zürich 1843), begründete darauf eine „Allgemeine Litteraturzeitung“ (Charlottenb. 1843 bis 1844) und lieferte mehrere kritische und historische Werke über das 18. und 19. Jahrh. In weitern theologischen Schriften: „Kritik der Evangelien“ (Berl. 1850–52, 4 Bde.), „Kritik der paulinischen Briefe“ (das. 1850–52, 3 Bde.) und „Die Apostelgeschichte“ (das. 1850), setzte er seine negative Kritik fort. Zugleich entwickelte er bis zu seinem am 13. April 1882 in Rixdorf bei Berlin erfolgten Tod eine eifrige journalistische und lexikographische Thätigkeit und veröffentlichte noch: „Philo, Strauß, Renan und das Urchristentum“ (Berl. 1874); „Christus und die Cäsaren. Der Ursprung des Christentums aus dem römischen Griechentum“ (das. 1877); „Einfluß des englischen Quäkertums auf die deutsche Kultur und auf das englisch-russische Projekt einer Weltkirche“ (das. 1878); „Zur Orientierung über die Bismarcksche Ära“ (Chemn. 1880); „Disraelis romantischer und Bismarcks sozialistischer Imperialismus“ (das. 1881). Der Tübinger Schule, deren Resultate B. namentlich durch die Preisgebung sämtlicher Paulusbriefe überbot, hat er von jeher fremd gegenübergestanden. Im Gegensatz zu Strauß, dem Verfasser des „Lebens Jesu“, aber verlegt B. die Genesis des Christentums rein und allein in das mit stoischer und alexandrinischer Philosophie gesättigte Bewußtsein der römischen Kaiserzeit und macht namentlich Seneca dafür verantwortlich.

[467] 5) Edgar, philosoph. Schriftsteller, geb. 1820 zu Charlottenburg, Bruder des vorigen, dessen hyperkritischen Standpunkt er teilte, studierte seit 1838 Theologie, dann Rechtswissenschaft in Berlin, hat ein unstetes, häufig durch Preßprozesse und Festungshaft unterbrochenes Wander- und Schriftstellerleben geführt, von dessen zum Teil längst vergessenen Produkten hier genannt sein mögen: „Der Streit der Kritik mit der Kirche und dem Staat“ (Bern 1843); „Denkwürdigkeiten zur Geschichte der neuern Zeit“ (1843 bis 1844, 12 Hefte; mit Bruno B.); „Die Geschichte der konstitutionellen Bewegungen im südlichen Deutschland während der Jahre 1831–34“ (Charlottenb. 1845, 3 Bde.); „Die Kunst der Geschichtschreibung und Herrn Dahlmanns Geschichte der französischen Revolution“ (Magdeb. 1846); „Geschichte des Luthertums“ (unter dem Namen Martin von Geismar, Leipz. 1846–47); „Über die Ehe im Sinn des Luthertums“ (das. 1847) u. a. Nach den Bewegungen von 1848 und 1849, an denen er sich wenig beteiligte, lebte er abwechselnd in Altona, Flensburg, London und Hamburg, wo er die „Kirchlichen Blätter“ (1870) sowie die „Christlich-politische Vierteljahrsschrift“ begründete. Er schrieb noch: „Das Teutsche Reich in seiner geschichtlichen Gestalt“ (Altona 1872); „Die Wahrheit über die Internationale“ (das. 1873); „Englische Freiheit“ (Leipz. 1857); „Die Rechte des Herzogtums Holstein“ (Berl. 1863); „Die Deutschen und ihre Nachbarn“ (Hamb. 1870); „Artikel V, der deutsche Gedanke und die dänische Monarchie“ (Altona 1873); „Der Freimaurerbund und das Licht“ (Hannov. 1877) u. a.

6) Wilhelm, Erfinder, geb. 23. Dez. 1822 zu Dillingen in Schwaben, erlernte das Drechslerhandwerk, trat in ein Chevauleger-Regiment, wurd aber wegen der Erfindung eines Hebezeugs zum Transport von Kanonen zur Artillerie versetzt und marschierte 1848 nach Schleswig-Holstein. Hier faßte er den Gedanken einer unterseeischen Schiffahrt zum Küstenschutz, und die schleswig-holsteinische Armee gab eine Tageslöhnung zum Bau eines Brandtauchers her, welcher sich aber bei einer Probefahrt 1851 in einer Tiefe von 8,8 m als zu schwach gebaut erwies. Bessere Resultate gab ein Brandtaucher, mit welchem B. 1855 viele Probefahrten zwischen Kronstadt und Petersburg anstellte. Zum kaiserlichen Submarine-Ingenieur ernannt, erhielt B. den Auftrag, eine unterseeische Korvette zu bauen und ein untergegangenes Linienschiff zu heben. Dies veranlaßte ihn zur Konstruierung seiner Taucherkammer, der Hebeballons und Hebekamele. Im J. 1858 ging B. nach Lindau am Bodensee, wo er seine Apparate für Schiffshebung und Kabellegung weiter ausbildete und den 1861 im Bodensee gesunkenen Dampfer Ludwig bei einem zweiten Hebeversuch 21. Juli 1863 glücklich barg. Bei Ausbruch des schleswig-holsteinischen Kriegs trat B. in preußische Dienste, doch zerschlug sich das Verhältnis an seinem Verlangen, die ihm zum Bau unterseeischer Kriegsfahrzeuge nötig scheinenden neuen Erfindungen, wie selbstregistrierende Lote und Kompasse, rückstoßfreie Geschütze etc., zu erproben. B. ging nach Konstanz, agitierte für die Verbindung seiner Submarineapparate mit unterseeischen Kabeln, stellte, vom Nationalverein und vom König von Bayern unterstützt, gelungene Schießversuche im Starnberger See an und durchschoß in 11,3 m Tiefe eiserne Platten. Er lebte zuletzt als Pensionär Ludwigs II. in München und starb daselbst 18. Juni 1875.

7) Klara, unter dem Pseudonym Karl Detlef bekannte Romanschriftstellerin, geb. 23. Juni 1836 zu Swinemünde, wo ihr Vater, der nachmalige Abgeordnete zur preußischen Nationalversammlung, Hafen- und Schiffahrtsdirektor war, bildete sich nach dessen Tod zur Klavierlehrerin aus, ging nach Petersburg, wo sie im Haus des Herrn v. Bismarck verkehrte, von dort in das innere Rußland, kehrte 1866 nach Deutschland zurück und veröffentlichte ihre ersten Novellen: „Unlösliche Bande“ (3. Aufl., Stuttg. 1877) und „Bis in die Steppe“ (2. Aufl., das. 1871), die ihren Stoff der Eigentümlichkeit des russischen Lebens entlehnten. 1872 machte sie eine Reise nach Italien, kehrte von da aber brustkrank zurück und starb 29. Juni 1876 in Breslau. Von ihren Erzählungen sind noch anzuführen: „Ein Dokument“ (2. Aufl., Stuttg. 1878, 4 Bde.); „Schuld und Sühne“ (2. Aufl., das. 1874, 2 Bde.); „Nora“ (3. Aufl., das. 1876, 2 Bde.); „Zwischen Vater und Sohn“ (das. 1874, 2 Bde.); „Mußte es sein?“ (2. Aufl., das. 1872, 2 Bde.); „Die geheimnisvolle Sängerin“ (das. 1876); „Benedikta“ (Berl. 1876, 3 Bde.). Aus ihrem Nachlaß erschienen „Russische Idyllen“, Novellen (2. Aufl., Bresl. 1880). Sichere Charakterzeichnung und eine reine, phrasenfreie Diktion sind ihre Vorzüge.


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 95
korrigiert
Indexseite

[95] Bauer, 5) Edgar, philosoph. Schriftsteller, starb 18. Aug. 1886 in Hannover.

  8) F., Freiherr von, österreich. Reichskriegsminister, geb. 1825 zu Lemberg, besuchte die Ingenieurakademie, ward Leutnant in einem Infanterieregiment, erwarb sich als Bataillonskommandeur 1859 in Italien das Militärverdienstkreuz, befehligte 1866 bei Custozza eine Infanteriebrigade mit großer Auszeichnung, ward 1879 Feldmarschallleutnant, später Kommandant des Stabsoffizierkurses und der Schützenschule im Brucker Lager, 1881 Feldzeugmeister und kommandierender General in Wien, 16. März 1888 an Stelle des Grafen Bylandt-Rheidt Reichskriegsminister.