MKL1888:Anästhesīe
[535] Anästhesīe (griech., „Gefühllosigkeit, Unempfindlichkeit“), der Zustand, bei welchem das Gefühl in einem größern Teil des Körpers aufgehoben ist. Ist dies vollständig der Fall, so kann man den Teil drücken, brennen, stechen, ohne daß eine Empfindung davon zum Bewußtsein kommt. Diese Gefühllosigkeit entsteht entweder dadurch, daß der den Teil versorgende Gefühlsnerv auf irgend eine Weise außer Verbindung mit dem Gehirn gesetzt wird, sei es durch Verletzungen oder Erkrankung des Nervs selbst oder des Rückenmarks, oder dadurch, daß das Gehirn unfähig ist, die ihm durch die Empfindungsnerven übermittelten Eindrücke in sich aufzunehmen und zum Bewußtsein zu bringen. Letzteres ist der Fall nach heftiger Erschütterung des Gehirns, bei Druck auf das Hirn durch Blutergüsse, Geschwülste etc., bei der Ohnmacht, bei der Epilepsie und bei der Betäubung [536] des Gehirns durch narkotische und anästhetische Mittel. Trotz der Unempfindlichkeit eines Teils gegen Berührung können heftige Schmerzen in dem gelähmten Glied vorhanden sein (Anaesthesia dolorosa), indem Reizungen des gelähmten Nervs oberhalb der Lähmungsursache, z. B. durch Druck, stattfinden und die durch den Druck hervorgebrachten Empfindungen in die peripherischen Teile, d. h. in die Nervenendigungen, verlegt werden. Je nach den Ursachen ist die A. ein schnell oder langsam vorübergehender, oft aber auch ein bleibender und unheilbarer Zustand. Die A. ist als begleitende Erscheinung bei den verschiedenen oben angeführten Krankheitszuständen selbstverständlich für sich niemals Gegenstand ärztlicher Behandlung. Nur in Fällen, wo infolge von Quetschung eines Nervenstammes das Gefühl eines Teils nur langsam zurückkehrt, sind leicht reizende Mittel, vor allen die Anwendung des Galvanismus, oft von gutem Erfolg.