MKL1888:Amurprovinz
[518] Amurprovinz, russ. Gouvernement in Ostsibirien, das bereits 1857 als Gebiet ausgeschieden, sodann im April 1882 zu einem selbständigen Gouvernement mit dem Zentralpunkt Chabarowka (statt der bisherigen Hauptstadt Blagoweschtschensk) erhoben ward (s. Karte „China etc.“). Es grenzt im O. an das Küstengebiet, im S. an die Mandschurei, im SW. an Transbaikalien, im W. und N. an das Gebiet Jakutsk und ist mit einem Areal von 449,500 qkm (8163,4 QM.) der kleinste sibirische Landesteil. Die Zahl der Einwohner betrug 1881: 40,533 Seelen, meist Stämmen tungusischer Abkunft angehörig; die der russischen Ansiedler wird dabei auf 7749, die der Koreaner auf 622 angegeben. Die Temperatur zeigt im mittlern Teil des Flußlaufs im Sommer 28–33° R. im Schatten, fällt aber im Januar auf −33°. Nur der Herbst hat Temperaturen, die einigermaßen an europäische Verhältnisse erinnern. Das Gouvernement ist reich an Holzschätzen und für Viehzucht und Landwirtschaft so gut geeignet wie das schwarzerdige Kleinrußland, um so mehr, als die Erträgnisse derselben, Wolle, Leder, Schafpelze, in China voraussichtlich guten Absatz finden würden. Die Wälder enthalten kostbare Pelztiere, die Flüsse einen Reichtum an Fischen. Außer dem Amur, dessen mittlerer Lauf die Grenze des Gouvernements gegen China bildet, sind noch die Seja und Bureja als Hauptflüsse zu nennen. Das Hauptgebirge sind die Bureja- oder Khinganberge, die das Thal des Amur fast im rechten Winkel schneiden. Goldwäschen finden sich an verschiedenen Nebenflüssen der Seja und Bureja, und die Produktion betrug 1880: 3854 kg. Seit 1871 ist der sibirisch-amurische Telegraph (bis Wladiwostok an der Bai Peters d. Gr.) vollendet, von dem in Chabarowka ein Seitendraht nach Nikolajewsk abzweigt. Die Erwartungen, die hiervon für den Handel gehegt wurden, haben sich indessen nicht erfüllt.
Geschichte. Nachdem durch ein Zusammentreffen von Kosaken und Tschuktschen 1639 die erste Kunde von diesem Gebiet nach Rußland gedrungen war, ging 1643 eine Expedition von Kosaken von Jakutsk zum Amur und befuhr diesen Fluß bis zur Mündung; eine zweite Expedition unter Chabarow 1649 zerstörte alle Städte am Amur unterhalb Albasin und eroberte fast das ganze Land zu beiden Seiten des Flusses. Die Bewohner riefen darauf die Mandschu-Chinesen zu Hilfe, welche mit überlegenen Streitkräften die Russen verdrängten. Nun kam 1689 zwischen China und Rußland ein Vertrag zu stande, durch welchen Chinas Herrschaft in diesem Gebiet allein anerkannt wurde. Anderthalb Jahrhunderte respektierte Rußland diesen Vertrag. Doch war für die Entwickelung des asiatischen Rußland die Gewinnung von Küstenland am Pazifischen Ozean von größter Wichtigkeit. Daher veranlaßte der Generalgouverneur Murawiew 1849–53 die Erforschung der Tatarischen Meerenge; die Anlage der festen Grenzposten Nikolajewsk, Mariinsk und Alexandrowsk war die Folge, und 1854 befuhr Murawiew in dem zu diesem Zweck erbauten Dampfer Argun, begleitet von 50 Booten und zahlreichen Flößen mit 1000 Mann, den Amur bis Mariinsk. Danach wurden sehr bald Ansiedler ins Land geführt; schon 1855 kamen nach der Expedition des Generals Korsakow Ackerbauer an den Amur, 1856 wurden zwischen Nikolajewsk und Mariinsk Reichsbauern, 1857 zwischen Strielka und Seja transbaikalische Kosaken angesiedelt. Im nächsten Jahr wurde die Grenzfrage durch den am 13. (1.) Juni 1858 zu Tientsin abgeschlossenen Vertrag dahin geregelt, daß Rußland das linke Ufer des Amur in seinem untern und mittlern Lauf, nach der Einmündung des Ussuri aber beide Ufer erhielt, und dieser Vertrag durch eine zwischen Ignatiew und dem Prinzen Kong 1860 zu Peking getroffene Vereinbarung noch dahin erweitert, daß Rußland das ganze Gebiet zwischen dem Ussurifluß und dem Tatarischen Meerbusen erhielt. Durch diese Verträge erwarb Rußland ein Land von ca. 650,000 qkm, das nun in zwei Gebiete, die jetzige A. und das Küstengebiet (mit der Hauptstadt Nikolajewsk), eingeteilt wurde. Vgl. Schrenck, Reisen und Forschungen im Amurgebiet 1854–56 (Petersb. 1858–67, 4 Bde.); Atkinson, Travels in the region of the Amoor (Lond. 1860); Collins, Exploration of the Amoor River (2. Aufl., Washingt. 1864); Schmidt, v. Glehn und Brylkins, Reisen im Amurland (Petersb. 1868); Wenjukow, Die russisch-asiatischen Grenzlande (deutsch, Leipz. 1874).